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CDU: Asyl-Pläne von Friedrich Merz sind vermutlich verheerend


Tagesanbruch
Vermutlich verheerend

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 03.02.2025 - 07:31 UhrLesedauer: 7 Min.
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Friedrich Merz: Wo soll’s lang gehen? (Quelle: IMAGO/Mike Schmidt/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

eine aufwühlende Woche liegt hinter Deutschland – und die nun beginnende Woche könnte gleich so weitergehen. Die CDU-Spitze will sich nämlich heute Merz' Migrationspläne, die im Bundestag zu einem historischen Tabubruch geführt haben, von der Basis bei einem Parteitag als Teil eines "Sofortprogramms" abnicken lassen.

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Die CDU würde damit den Kurs zementieren, den Merz nach Aschaffenburg so spektakulär eingeschlagen hat: Schluss mit der Merkel-Ära. Und gravierender: Schluss mit EU-Politik an unseren Grenzen. Wir wollen uns dem EU-Recht nicht mehr beugen, lautet das Motto – trotz aller drohenden rechtlichen Konsequenzen.

Merz hat für den Fall, dass er Kanzler wird, zur Bedingung für Koalitionspartner gemacht: Das soll nicht nur der Kurs der CDU sein, sondern auch der Kurs einer von ihm angeführten Bundesregierung. Zwingend – oder es soll keine Regierung mit ihm geben. Das "Sofortprogramm", das die Partei nun beschließen wird, bestärkt das: Es soll, verspricht die CDU, direkt nach einer Regierungsbildung umgesetzt werden.

Merz setzt so sein Poker-Power-Play der vergangenen Woche fort. Maximaler Druck, maximales Risiko – bei maximaler Rechtsunsicherheit.

Es lohnt sich also doppelt nach der Aufregung in der vergangenen Woche, auf die Inhalte zu schauen: Was will Merz da zur Marschrichtung für das ganze Land machen?

Vor allem die ersten zwei Punkte, die der CDU-Chef in seinem Fünfpunkteplan benennt und die nun auch Teil des CDU-"Sofortprogramms" werden sollen, sind die Treiber der Asylwende, die Merz vorschwebt: dauerhafte Grenzkontrollen und die "Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise". Also auch die Zurückweisung von Geflüchteten, die über andere EU-Staaten einreisen (sogenannte Dublin-Flüchtlinge) und in Deutschland die Prüfung eines Asylantrags begehren.

Was logisch und in Zeiten wie diesen für manche Wähler sehr gefällig klingt, ist rechtlich äußerst schwierig. Bisher nämlich ist es so: Wer an der deutschen Grenze um Asyl bittet, der hat zumindest ein Anrecht darauf, dass überprüft wird, welches Land tatsächlich für sein Verfahren zuständig ist – selbst wenn die Person über ein anderes sicheres EU-Land einreist. Erst nach dieser Prüfung darf der Asylsuchende abgeschoben werden in eben jenes Land – so zumindest die bisher gelebte Rechtslage. Das wiederum ist mit mehreren Problemen behaftet, die bekannterweise oft zum Scheitern der Abschiebungen führen: Die deutschen Behörden reagieren nicht schnell genug, andere EU-Länder verweigern die Aufnahme – um nur zwei der größten Probleme zu benennen.

Dysfunktional sei das deutsche wie das europäische Asylsystem, folgert Merz daraus. Zu Recht. Er will aber nicht an den konkreten Stellen doktern, an denen der Schuh drückt, und so zum Beispiel für schnellere Verfahren in den Ämtern sorgen. Er will einen anderen Weg einschlagen: Tabula rasa. Weg damit. Nationales Recht soll wieder vor EU-Recht gehen.

Nur: So einfach ist das nicht. Merz' Weg ist mindestens mit Rechtsschwierigkeiten verbunden, vielleicht rechtlich gar nicht möglich. Und politisch wären die Folgen einer Umsetzung derzeit nicht überschaubar, vermutlich aber verheerend.

Bereits im September führte der Jurist und FDP-Politiker Marco Buschmann, damals noch als Justizminister der Ampelkoalition, länglich aus, warum man den Vorstoß der Union für Zurückweisungen aller Schutzsuchenden direkt an der Grenze ablehne. Es lohnt sich, seinen Monolog in einer Pressekonferenz nach einem Migrationsgipfel, den die Union wütend verlassen hatte, nun noch einmal anzuhören (hier können Sie Buschmanns Statement zur Rechtslage ab Minute 35 hören).

Dort nämlich betonte Buschmann: Die zuständigen Gerichte hätten bisher geurteilt, dass es nicht möglich sei, nationales Recht dem EU-Recht vorzuziehen. In Fällen, in denen man es dennoch getan habe, hätten die Ausgewiesenen sogar für viel Geld zunächst zurückgeflogen werden müssen nach Deutschland.

Er wünsche es sich anders, so Buschmann weiter, und sei offen für den Austausch mit andersdenkenden Juristen. Aber: "Das ist die Lage, wie Gerichte entscheiden in solchen Fällen." Es reiche nicht, eine "These oder Rechtsmeinung" zu haben, man müsse sehen, wie die Verwaltungsgerichte urteilen – "weil die ja bestimmen, was in der Wirklichkeit passiert". Es sei niemandem geholfen, wenn man die Leute zu Tausenden erst außer Landes schaffe und dann wieder zurückholen müsse. "Ich glaube, das würde dazu führen, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich die Frage stellen, ob die da in Berlin noch alle Tassen im Schrank haben."

Buschmann, das sei hier gesagt, ist ein gutes Beispiel für die Wendigkeit von Politikern in Wahlkampfzeiten: Nun losgelöst von den Pflichten des Regierungsamts und inzwischen Generalsekretär einer Partei, die um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten muss, stimmte er am Mittwoch für Merz‘ Fünfpunkteplan. Vermutlich wohl wissend, dass der zunächst nicht mehr als eine Absichtserklärung ist.

Andere Experten kommen zu ähnlichen Schlüssen wie der damalige Justizminister. Daniel Thym, Professor für Europa- und Völkerrecht, betonte gerade im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: In der Theorie sei es möglich, auf Grundlage der Merz' vorschwebenden Notstandsklausel europäische Gesetze vorübergehend nicht anzuwenden. "Aber das ist eben nur die Theorie, bisher sind in der Praxis alle Versuche nationaler Regierungen gescheitert." Ob der Plan also tatsächlich in der Praxis umsetzbar ist? Unklar.

Politisch sieht Thym bei Umsetzung der Merz’schen Pläne, dass zudem die "Kernschmelze des europäischen Asylsystems" drohe. Eine Kettenreaktion durch ganz Europa könne die Folge sein, Pushbacks inklusive. Das Asylrecht in Europa würde so "ganz unter die Räder" kommen, sagte Thym. "Das ist, was man sich mit den Merz-Vorschlägen in der Praxis einkaufen würde."

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Als Kehrtwende der Union in der Migrationspolitik wird Merz' Vorpreschen jetzt wahlweise gefeiert oder verdammt. Wenig aber werden bisher die Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit den so wichtigen Partnern in Europa angebracht. So gut wie keiner der anderen Mitgliedstaaten, auf die Deutschland so sehr angewiesen ist, dürfte diesen Weg gutheißen. Selbst Frankreich, das nicht zuletzt wegen des Erstarkens von Marine Le Pens Rechtspopulisten vom Rassemblement National eine harte Linie in der Migrationspolitik fährt, pocht auf eine konsensuelle Lösung innerhalb der EU.

Dabei hat Merz bisher zu einem Hauptpunkt seines Wahlkampfs gemacht, dass er die EU stärken und sehr viel intensiver mit den Nachbarn kooperieren will. Dringend notwendig sei das in Zeiten von Trump in den USA, einer schwächelnden Wirtschaft und eines russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, sagte er noch vor wenigen Wochen in staatsmännischer Manier. Alles das aber dürfte nicht funktionieren, wenn er das EU-System beim Asyl aushebelt. Die mächtigsten Verbündeten Deutschlands würde er so vor den Kopf stoßen.

Viele Kommentatoren haben bereits auf Parallelen zu Trump in den USA sowie der AfD in Deutschland hingewiesen. Und es stimmt: Merz agiert gerade emotional und national – nicht rational. Bei der Umsetzung seiner Pläne dürfte ihm denn auch Trumps Schicksal blühen: Gerichte blockieren gerade mehrere Gesetzesvorhaben des US-Präsidenten. Ein Bundesrichter in Seattle urteilte: Eine "eklatant verfassungswidrige Anordnung" sei zum Beispiel Trumps Dekret, das in der Verfassung garantierte Recht auf die US-Staatsbürgerschaft per Geburt einzuschränken.

Die möglichen Koalitionspartner hat Merz schon verprellt. SPD und Grüne wollen seinen Weg nicht mitgehen. Die FDP ist für eine Zweierkoalition viel zu schwach. Bliebe bei den derzeitigen Umfrageergebnissen nur ein Partner für eine stabile Regierung: die AfD. Die rechtspopulistische Partei schließt Merz aber weiterhin rigoros als Koalitionspartner aus.

Mit einigem Recht allerdings zweifeln Beobachter nun an seinen Worten. Was, wenn er auch in dieser Frage nach dem Motto verfährt: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? In Österreich machen ihm die Konservativen von der ÖVP schließlich gerade vor, dass das geht, und wollen mit Kickls FPÖ koalieren – obwohl sie im Wahlkampf, ähnlich wie Merz, beteuert haben, es keinesfalls zu tun.

Viel an Merz’ Plänen ist gerade kopflos, unausgegoren, widersprüchlich, riskant – und scheint deswegen unaufrichtig. Es bleiben noch drei Wochen bis zur Wahl, in denen er in Interviews hoffentlich die für Wähler so zentralen Antworten liefert. Allen voran: Wo soll seine Asylwende Deutschland in Europa hinführen?


Ohrenschmaus

Passend zum aktuellen Wahlkampf-Rausch der Parteien empfehle ich Ihnen heute einen Klassiker, der von Ray Charles und Natalie Cole gecovert wurde: "Fever". Hier können Sie den Song hören.


Was steht an?

Bundespräsident in Saudi-Arabien: Frank-Walter Steinmeier beginnt am Montag einen dreitägigen Besuch im Nahen Osten. Der Bundespräsident will sich insbesondere nach dem Umsturz in Syrien über die Entwicklung in der Region informieren. Zum Auftakt wird er in Riad Saudi-Arabiens Kronprinzen und faktischen Herrscher Mohammed bin Salman treffen. Am Dienstag will Steinmeier dann nach Jordanien weiterfliegen.


Weltgesundheitsorganisation tagt: Mit dem Exekutivrat kommt eines der höchsten Entscheidungsgremien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen. Großes Thema bei dem Treffen dürfte der angekündigte WHO-Austritt der USA sein. Die USA sind mit Abstand größter Beitragszahler.


Informeller EU-Verteidigungsgipfel: Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen in Brüssel unter anderem beraten, wie Investitionen in Rüstungsprojekte besser finanziert werden können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird anreisen, eingeladen sind zudem Nato-Generalsekretär Mark Rutte und der britische Premierminister Keir Starmer.


Frankreich hadert mit dem Haushalt: Die französische Mitte-Rechts-Regierung will einen Haushalt für das laufende Jahr verabschieden, hat aber keine eigene Mehrheit. Das könnte zu einer neuen Regierungskrise führen.


Das historische Bild

Gino Bartali ist bis heute als Profiradfahrer bekannt, er war aber auch ein Held der Menschlichkeit. Mehr lesen Sie hier.


Lesetipps

Zwei Schwergewichte der Union im Gespräch: Armin Laschet, ehemaliger Kanzlerkandidat und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erklärt im Gespräch mit meinem Kollegen Patrick Diekmann, warum er im Bundestag mit "Ja" für Merz' Pläne gestimmt hat – und warum er eine Koalition mit der AfD dennoch vehement ausschließt. Sara Sievert hingegen hat den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn befragt, welche Konsequenzen die vergangene Woche für mögliche Koalitionen hat.



Wie entwickelt sich die Lage im Nahen Osten? Die Verhandlungen über die nächste Phase der Waffenruhe im Gazastreifen sollen Israel zufolge am Montag in Washington beginnen. Ex-Diplomat Shimon Stein traut Donald Trump eine Neuordnung über Gaza hinaus zu – und hält ihn zugleich für gänzlich unberechenbar. Das Interview von Gerhard Spörl lesen Sie hier.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen Start in die Woche ohne Turbulenzen. Morgen schreibt Florian Harms hier wieder für Sie.

Herzlich

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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