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Donald Trump treibt radikalen Plan für Gaza voran – "unberechenbar"


Top-Diplomat Shimon Stein
"Donald Trump ist grundsätzlich unberechenbar"

InterviewVon Gerhard Spörl

02.02.2025 - 19:38 UhrLesedauer: 6 Min.
US-Präsident Donald TrumpVergrößern des Bildes
Donald Trump (Archivbild): "Er überlegt nicht lange, wenn er etwas sagt." (Quelle: Evan Vucci/AP/dpa/dpa-bilder)
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Ex-Diplomat Shimon Stein traut Donald Trump eine Neuordnung in Nahost über Gaza hinaus zu. Zugleich hält er ihn für völlig unberechenbar – besonders im Verhältnis zum Iran.

Die Verhandlungen über die nächste Phase der Waffenruhe im Gazastreifen sollen nach Darstellung Israels am Montag in Washington beginnen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde sich dort mit dem US-Nahost-Gesandten Steve Witkoff treffen und über Israels Verhandlungspositionen sprechen, teilte das Büro des Regierungschefs mit.

Am Tag darauf werde Netanjahu im Weißen Haus zu seinem "historischen Treffen" mit US-Präsident Donald Trump zusammenkommen und mit ihm unter anderem über die Zukunft des verwüsteten Gazastreifens reden, hieß es.

Trump hatte kürzlich vorgeschlagen, dass Ägypten und Jordanien die Palästinenser aus Gaza aufnehmen sollten. Das könne vorübergehend oder langfristig sein. Trump argumentiert, der Gazastreifen sei buchstäblich eine Abrissbrache. Außenminister mehrerer einflussreicher arabischer Staaten wiesen eine solche Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza jedoch zurück.

Doch was bedeutet Trump für den Nahen Osten? Der frühere Botschafter Shimon Stein erklärt es – und sieht auch Hoffnung.

t-online: Herr Stein, der amerikanische Präsident hat den Vorschlag unterbreitet, dass die Palästinenser aus dem Gaza auf Ägypten und Jordanien verteilt werden sollen. Was halten Sie davon?

Shimon Stein: Donald Trump ist grundsätzlich unberechenbar und erratisch. Er überlegt nicht lange, wenn er etwas sagt. Auch in diesem Fall ist sein Vorschlag für eine Neuordnung im Gaza nicht durchdacht. Ich halte seine Idee, die Palästinenser in Nachbarländer umzusiedeln, für unrealisierbar, auch wenn er auf Begeisterung bei den radikalen Rechten in Israel stößt. Bedauerlicherweise sitzen sie sogar in der Regierung und Ministerpräsident Netanjahu ist von ihrer Unterstützung abhängig.

Wie reagieren Ägypten und Jordanien auf die Idee, die Palästinenser aufzunehmen?

Die Reaktion in der gesamten arabischen Welt ist Ablehnung. Die Frage ist natürlich, mit wie viel Energie Trump seinen Plan vorantreiben wird – ob er überhaupt dranbleibt. Will er aber wirklich das Palästinenser-Problem auf Kosten von Jordanien und Ägypten lösen, dann wird es schwierig für diese beiden Länder. Denn die ägyptische und die jordanische Seite wird die Verwirklichung des Vorschlags nicht tolerieren. Insofern handelt es sich um eine Schnapsidee. Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich Trump als 'Game-Changer' für den gesamten Nahen Osten betrachte. Welche Folgen seine Einstellung haben wird, bleibt abzuwarten.

Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland.
Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland. (Quelle: IMAGO/Klaus W. Schmidt)

Zur Person

Shimon Stein, geboren 1948 in Chaldera, ist ein israelischer Diplomat. Mehrmals hatte er einen Posten in Deutschland inne, zuletzt als Botschafter zwischen 2001 und 2007. Er ist bekannt für seinen Freimut und sein kritisches Temperament.

Sie meinen, er kann die Verhältnisse in der Region ändern?

Er ist der Mann, der gesagt hat, ich will Kriege beenden, nicht anfangen. Er hat während seiner ersten Amtszeit einen Nahost-Plan verfasst, der sogar die Gründung eines palästinensischen Staates vorsah, mit dem Ziel, ein Gegengewicht zum Iran aufzubauen. Mal sehen, wie entschlossen Trump den Plan wieder aufnimmt. Sein Sonderbotschafter Steve Witkoff ist jetzt wieder auf Pendeldiplomatie unterwegs. Er war es, der am 20. Januar Netanjahu den Wunsch Trumps nach Waffenpause und Geiselaustausch überbrachte. Und Netanjahu unterzeichnete das Abkommen, das er bis dahin entschieden abgelehnt hatte.

Hatte er eine Alternative?

Er spekuliert darauf, dass er in der Lage sein wird, an seine unrealistischen Ziele anzuknüpfen, wenn der erste Teil des Abkommens hinter uns liegt und die 33 Geiseln zurück in Israel sind – 25 von ihnen sind noch am Leben, 8 sind tot. Dann hofft er darauf, dass er den Krieg fortsetzen kann, da seine Mission noch nicht erfüllt ist. Denn die Hamas gibt es noch, Hamas ist nach wie vor in Gaza präsent. Dafür trägt Netanjahu die Verantwortung, weil er nicht für eine Alternative gesorgt hat. Denn eines muss nach dem 7. Oktober klar sein: Hamas darf nicht Teil der Zukunft Gazas sein. So unmissverständlich hatte sich Joe Biden geäußert. Ich hoffe, dass auch die deutsche Regierung diese Haltung teilt.

Wenn Sie Recht damit haben, dass Trump den Krieg beenden will, könnte Netanjahu in Schwierigkeiten kommen, wenn er den Krieg wieder aufnimmt.

Er glaubt, dass er damit durchkommt, selbst wenn Trump auf Beendigung insistiert. Am Ende wird aber Netanjahus Spiel nicht aufgehen. Israel kann es sich nicht leisten, vier Jahre in Dauerkonflikt mit Trump zu leben, der ja nicht verzeihen kann, wenn man sich seinem Willen nicht beugt. Israel ist politisch und militärisch von Amerika abhängig. Und man darf nicht vergessen, dass der Präsident eben eine Vorstellung davon hat, wie der Nahe Osten aussehen sollte.

In der ersten Amtszeit vermittelte Trump das Abraham-Abkommen mit den Emiraten am Golf und Bahrain, die Israels Existenz anerkannten. Darauf will er nach Ihrer Ansicht aufbauen?

Das war der erste Schritt. Der zweite sollte damals schon mit der Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien folgen. Das Massaker am 7. Oktober und der Gaza-Krieg kamen jedoch dazwischen. Seitdem geht es mit der Neuaufstellung in der Region nicht weiter. Deshalb ist es aus Trumps Sicht wichtig, den Krieg zu beenden.

Aber wegen des Krieges ist es nicht leicht, an die Verhandlungen von damals anzuknüpfen.

Ja, denn die Saudis vor dem Gaza-Krieg und nach dem Gaza-Krieg sind nicht dieselben. Damals mussten sie nicht Rücksicht auf die Palästinenser nehmen. Jetzt müssen sie es aber oder zumindest den Anschein erwecken, deren Interessen nicht zu ignorieren. Wenn es zu diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien kommen soll, muss der Anfang in Gaza liegen.

Und zwar wie?

Netanjahu muss gegen seine Überzeugung zulassen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde auch im Gaza eine wichtige Rolle übernimmt. Gaza ist der erste Stein für die Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien. Und dann bekommt Israel eine neue Aufstellung mit den Emiraten, mit Oman, mit Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien als Gegengewicht zum Iran.

Eigentlich eine erfreuliche Entwicklung, könnte man meinen. Sind Sie Optimist oder Pessimist?

Noch ist der Weg lang und steinig. Es ist durchaus möglich, dass Israel wieder in den Gaza einrückt und ihn besetzt. Das wäre dann das Modell Westjordanland, wo es eine Behörde gibt, die regiert, während Israel die militärische Hoheit ausübt.

Der große Verlierer der Veränderungen ist der Iran. Halten Sie es für möglich, dass der Kriegsbeender Donald Trump Israel freie Hand für einen Angriff auf die Atomanlagen gibt?

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Was den Iran betrifft, sind seine Vorstellungen nicht sehr klar. Unter Umständen wäre er bereit, mit dem Iran in Verhandlungen einzutreten, um diesen Konflikt zu beenden. Ob es schon so weit ist, weiß ich nicht, aber es bleibt eine Möglichkeit. In der Tat ist der Iran die letzte Station, auf der Amerika auf die eine oder andere Art und Weise in diesem Jahr etwas erreichen möchte – sei es durch Diplomatie oder durch eine militärische Aktion. Was die militärische Option betrifft, ist mir bewusst, dass es für Israel schwer wird, die Nuklearanlagen ohne amerikanische Beteiligung zu zerstören.

Lassen Sie uns auf Deutschland kommen. Im Bundestag fügte es sich, dass auf eine Gedenkstunde an die Befreiung von Auschwitz ein Antrag der CDU/CSU folgte, dem die AfD zu einer Mehrheit verhalf. Wie wirkt diese Duplizität der Ereignisse auf Sie?

Die Gedenkstunde ist zu einem Ritual geworden, bei dem sich das Vokabular Jahr für Jahr wiederholt. Ich lehne Rituale keineswegs ab, sie spielen eine wichtige Rolle, nur muss man sie mit verpflichtendem Inhalt füllen. Zugleich tritt aber in der deutschen Erinnerungskultur eine Zeitenwende ein, da die Zeitzeugen, die aus persönlicher Anschauung berichten können, wie sie in Auschwitz gequält wurden und was dort geschah, allmählich von uns gehen. Nun haben sie uns zwar genügend historisches Material überlassen, aus dem wir schöpfen können, aber die persönliche Wirkung ist nun mal anders. Ich habe gerade eine Studie der Claims Conference gelesen, die mich über das deutsche Bildungssystem nachdenken lässt. Eine große Anzahl der deutschen 18- bis 29-Jährigen, steht dort zu lesen, hat noch nie von Auschwitz gehört.

Halten Sie das Zusammenwirken von Union und AfD für eine "katastrophale Zäsur" wie Michel Friedman?

Es war ja immer schon so, dass am Rande der politischen Landschaft solche extremen Parteien standen. Auch insofern gab es nach dem Zweiten Weltkrieg keine Stunde null. Was im Laufe der Zeit bedauerlicherweise passierte, ist diese Erosion, die langsam auch die Mitte der Gesellschaft erreicht. Nicht nur Spinner machen sich heute für die AfD stark, sondern auch Menschen, die man dem Bürgertum zurechnet. Übrigens gehören auch Juden der AfD an, was ich überhaupt nicht verstehe.

Also lehnen Sie das Vorgehen von Friedrich Merz ab?

Solche Tabubrüche passieren ja nicht über Nacht. Sie fangen auf der Landesebene in Ostdeutschland an, wo die AfD Bürgermeister und Landräte stellt. Ja, die AfD hat der Union im Bundestag zur Mehrheit bei diesem Antrag verholfen und, ja, für sein Gesetz bekam Merz dann nicht die Mehrheit zustande. Aber da stelle ich mir die Frage, wo die anderen demokratischen Parteien geblieben sind. In der Not hätten sie ja, nach Verhandlungen meinetwegen, zustimmen können.

Herr Stein, danke für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Shimon Stein
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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