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Ukraine-Krieg: Jetzt eskaliert Russlands Präsident Wladimir Putin


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Tagesanbruch
Putin eskaliert

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.11.2024Lesedauer: 7 Min.
Kremlchef Putin verstärkt den Terror gegen die Ukraine.Vergrößern des Bildes
Kremlchef Putin verstärkt den Terror gegen die Ukraine. (Quelle: Sputnik/Vyacheslav Prokofyev/Pool via REUTERS)
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Übergangszeiten können starken Stress auslösen. Die alten Regeln gelten nicht mehr, die neuen sind noch nicht in Kraft, und die gewohnten Leitplanken fehlen. Nirgendwo ist das deutlicher zu spüren als in der Ukraine. In Kiew – und in den westlichen Hauptstädten, die das überfallene Land unterstützen – richten sich die Augen auf Donald Trump. Er kündigt sich an, aber er ist noch nicht da. Es herrscht Ungewissheit. Und die Dinge geraten in Bewegung.

Gestern waren in Russland zum ersten Mal die kreischenden Düsen von Marschflugkörpern zu hören, die aus britischen Waffenarsenalen stammen – gefolgt vom Donner ihrer Detonation (hier zu sehen). Premier Keir Starmer hat der Ukraine offenbar die Erlaubnis erteilt, sie auf Ziele in Russland abzufeuern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dürfte es ihm bald gleichtun und ebenfalls weitreichende Raketen für Einsätze jenseits der ukrainischen Grenze freigeben. Amerikanische ATACMS-Geschosse, die ähnlich tief in russisches Gebiet eindringen können, waren einen Tag zuvor erstmals in einem Waffenlager nahe der umkämpften Region Kursk eingeschlagen.

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Die Schleusen öffnen sich. In Kursk sind nicht nur Putins Soldaten aufmarschiert, sondern – auch das ist ein Novum – Eliteeinheiten des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un, um das von der Ukraine besetzte Territorium zurückzuerobern. Im Donbass schicken russische Generäle eine Angriffswelle nach der nächsten gegen die bröckelnden Stellungen der Verteidiger. Ungeachtet der horrenden Verluste werfen Putins Kommandeure alles an die Front, was nur geht, und drängen Kiews erschöpfte Einheiten zurück. Im Süden der Ukraine bahnt sich eine weitere russische Großoffensive an. Noch mehr Terror kommt von oben: Das ganze Land wurde am vergangenen Wochenende zum Ziel eines der größten Luftangriffe seit Kriegsbeginn: Raketen, Marschflugkörper und Drohnen hagelten auf alles ein, was die Ukraine im kommenden Winter mit Strom und Wärme versorgen soll. Der Westen gibt im Gegenzug nicht nur die Raketen frei. Gestern hat die scheidende Regierung von Joe Biden erstmals die Lieferung von Tretminen genehmigt.

In der Übergangsphase, bevor Präsident Trump der Welt seinen Stempel aufdrückt, scheint das Leitmotiv klar zu sein. Das Wort der Stunde heißt: Eskalation. Kremlchef Putin hat in gewohnter Mafiaboss-Manier noch eins draufgesetzt und hielt es für angebracht, seine Nukleardoktrin zu verschärfen. Als Voraussetzung für den Einsatz von Atomwaffen galt bisher, dass die Existenz des russischen Staates in Gefahr ist. Die neue Doktrin sieht das nicht mehr so eng: Nun darf das Instrument des Grauens schon zum Zuge kommen, wenn die "territoriale Integrität" oder Souveränität Russlands in "kritischer" Weise bedroht sei. Zugeschlagen werden dürfe in Zukunft nicht nur in der angreifenden Nation, sondern auch in Staaten, die den vermeintlichen Aggressor unterstützen – sowie auf dem gesamten Gebiet der Allianz, die dahintersteht. Jeder weiß, wer damit gemeint ist. Putin hat mit seiner Unterschrift einen Nuklearschlag gegen die Ukraine oder die Nato-Staaten zwar nicht befohlen, aber er ordnet dafür schon mal die Papiere und raschelt möglichst laut damit herum.

Wohin man schaut, scheint die Lage sich zu verschärfen. Paradoxerweise eskaliert die Konfrontation in der Ukraine, weil anderswo das Eskalationsrisiko zurückgegangen ist. Denn während auf dem Schlachtfeld immer heftiger gekämpft wird, ist die Gefahr des Abgleitens in einen Krieg zwischen Russland und der Nato zurückgegangen. Putin schaut voraus: auf den Tag, an dem sein Männerfreund Donald wieder ins Weiße Haus einzieht. Die Hoffnung auf einen vorteilhaften Deal, der die russische Kontrolle über einen erheblichen Teil der Ukraine zementiert, scheint den Zyniker in Moskau zurzeit im Zaum zu halten. Militärstrategen rechnen nicht damit, dass er jetzt das nukleare Armageddon vom Zaun bricht – nicht, während seine Truppen auf dem Vormarsch sind und die Ukrainer am nahenden Winter verzweifeln. Und schon gar nicht mit der Aussicht auf einen US-Präsidenten, der das Thema Ukraine vor allem schnell vom Tisch bekommen will.

Putin mag zwar an der atomaren Erpressung schrauben und mit dem Dritten Weltkrieg drohen. Es ist nicht das erste Mal, und nicht immer weiß man bei ihm, wo die Angstmacherei endet und wo der Irrwitz beginnt. Aber diesmal liegt es klar auf der Hand: Der Kremlchef würde sich seine vorteilhaften Aussichten zunichtemachen. Es ist diese vage Sicherheit, die den amerikanischen Noch-Präsidenten Biden Schritte wagen lässt, die er bisher ausgeschlossen hat. Die amerikanischen ATACMS-Geschosse dürfen deshalb jetzt in Richtung Russland fliegen, obwohl Selenskyjs Bitten zuvor so lange auf taube Ohren gestoßen waren. Die "lahme Ente", der abgewählte Präsident, gibt Gas, anstatt zu watscheln. Es droht ihm nichts, und er weiß es. Denn aus Putins Perspektive ist Biden bald Geschichte und es deshalb nicht wert, sich seinetwegen die Zukunft zu vermasseln.

Der Grenzen dieser kalten Logik sollte man sich allerdings bewusst sein. Es ist tückisch, allgemein von einem verringerten Eskalationsrisiko zu reden, ohne zu ergänzen, für wen das gilt und was es meint. Dass Washington und Moskau auf eine gefährliche Konfrontation zusteuern, mag gegenwärtig unwahrscheinlich erscheinen. Vielleicht bleibt das sogar so, falls Trump und Putin sich verständigen.

Hier in Europa jedoch kann man es sich mit solchen Gewissheiten nicht bequem machen. Im Gegenteil: Je enger Trumps Truppe mit dem Kreml auf Kuschelkurs geht, desto gefährlicher wird es für unsere Alte Welt. Es ist eine Zeit des Umbruchs, und die Spielregeln verändern sich – aber eben nicht für jeden auf dieselbe Weise. Der britische Premier Keir Starmer, der für den Einsatz seiner Raketen gegen Ziele in Russland grünes Licht gegeben hat, ist damit ein größeres Risiko eingegangen als sein Amtskollege Biden für dieselbe Entscheidung. Denn der Joe ist bald weg, und der Donald hat für Europa keine Zeit. Aber Sir Keir ist noch da. Und der Wladimir auch.

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Wer sich aus Deutschland dazugesellt, erfahren wir erst nach der Bundestagswahl. Was das Verhältnis zum Kremlchef angeht, ändert sich durch den Personalwechsel in Berlin aber nichts. Solange Putin in Russland den Ton angibt, werden wir es mit jemandem zu tun haben, der die Demokratien Europas zerstören will und die Einheit der EU auch. Dass zu seinem Repertoire nicht nur Nervengift in Großbritannien, Mord im Berliner Tiergarten, Sabotage und heimtückische Desinformation gehören, sondern auch Panzer, Bomben, vernichtete Städte und Leichenberge, hat er unmissverständlich demonstriert: einst den Tschetschenen, später den Syrern, schließlich uns Europäern.

Deshalb gilt jetzt mehr denn je zuvor, ganz egal, wer ins Kanzleramt einzieht: DEUTSCHLAND MUSS SICH ENDLICH WAPPNEN. Nicht mit "Zeitenwende"-Lippenbekenntnissen, sondern mit sofortiger massiver Aufrüstung der Bundeswehr, mit Zivilschutztrainings und der schnellen Verzahnung europäischer Armeen. Selbst wenn dafür an anderer Stelle hart gespart werden muss. Die Sicherheit von 83 Millionen Bundesbürgern steht auf dem Spiel. Denn im Weißen Haus schaut bald einer weg. Und aus dem Kreml schaut uns einer an.


Was steht noch an?

Blick aus dem Fenster: Der Winter ist da. Im Süden Schnee, im Norden Eisregen, dazwischen dies und das. Der Deutsche Wetterdienst warnt Autofahrer vor Blitzeis und Küstenbewohner vor Gewittern. Immerhin im Westen kommt hier und da die Sonne raus, aber kalt wird es überall: zwischen –2 und 6 Grad ist alles drin. Was noch von oben kommt, erklärt Ihnen unsere Wetterexpertin Michaela Koschak.


In Baku geht es auch um Temperaturen, aber viel zu hohe: Bei der Weltklimakonferenz werden die Entwurfstexte für die Abschlussdokumente erwartet. Die Teilnehmerzahl von 65.000 Delegierten steht im Missverhältnis zu den erwartbar dünnen Ergebnissen. Dass nun auch noch die Ministerinnen Steffi Lemke und Annalena Baerbock einfliegen, macht es nicht besser.


In Berlin findet eine Veranstaltung statt, von der es mehr geben sollte: NRW-Europaminister Nathanael Liminski sucht mit Digital- und Sicherheitsexperten nach Mitteln, um Deutschland gegen russische Desinformationskampagnen zu schützen. Wie perfide Putins Cyber-Krieger vorgehen (auch gegen Tagesanbruch-Leser), habe ich hier notiert.


Eher selten kommen Kunstausstellungen im Tagesanbruch vor (manche meinen: zu selten). Diese Ausstellungseröffnung muss unbedingt hinein: Ein Berliner Galerist hat der Hamburger Kunsthalle mehr als 60 Werke zeitgenössischer Künstler geschenkt, darunter Bilder von Isa Genzken, Martin Kippenberger und Lucy McKenzie. "IN.SIGHT" heißt die Schau.


Das historische Bild

Eigentlich streben Raumfahrer zu den Sternen. Diese drei Astronauten hatten 1971 eher irdischen Mammon im Sinn.


Ohrenschmaus

Heute ist der internationale "World Hello Day". Als die Initiatoren ihn vor einem halben Jahrhundert ins Leben riefen, wollten sie ihrer Sorge um den Weltfrieden Ausdruck verleihen. Die ist aktueller denn je, die zugehörige Aktion ebenfalls: Jeder friedliche Mensch soll heute zehn Leute grüßen, um die Solidarität der Vernünftigen zu demonstrieren. Der passende Song dazu kommt aus Liverpool.


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Haben Sie den außergewöhnlichen "Tatort" gestern Abend gesehen? Maria Furtwängler spielt darin ein Vergewaltigungsopfer. Im Interview mit meinem Kollegen Benedikt Amara spricht sie über Grenzverletzungen durch Männer.


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War es der letzte große Gipfel von Kanzler Olaf Scholz? Was unser Reporter Patrick Diekmann vom G20-Treffen in Rio berichtet, lässt aufhorchen.


Internet-Kabel in der Ostsee sollen von einem chinesischen Frachter beschädigt worden sein – im Auftrag von Putins Regime? Der Militäranalyst Franz-Stefan Gady ist im Gespräch mit meinem Kollegen Simon Cleven alarmiert.


Zum Schluss

Mister Trump bildet eine Regierung.

Ich wünsche Ihnen einen sicheren Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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