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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mögliche Sabotage an Ostseekabeln "Das könnte alles an der Ukraine-Strategie ändern"
Die Besatzung eines chinesischen Frachters steht unter Verdacht, Unterseekabel in der Ostsee beschädigt zu haben. Militäranalyst Franz-Stefan Gady sieht Russland als möglichen Urheber. Er spricht eine deutliche Warnung aus.
An Zufall glaubt hier schon lange niemand mehr. Innerhalb von nur 48 Stunden sind zwei wichtige Unterseekabel in der Ostsee beschädigt worden. Eine der Leitungen überträgt Daten zwischen Rostock und Helsinki. Die zweite verbindet Litauen und Schweden miteinander. Die Ermittlungen zu den Vorfällen laufen, ein verdächtiges Schiff, das unter chinesischer Flagge fährt, wurde von der dänischen Marine festgesetzt. Und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht bereits von "Sabotage".
Dieser Tage scheinen sich die Ereignisse im Ostseeraum zu überschlagen. Tatsächlich jedoch ist die mutmaßliche Kabelsabotage wohl nur eine weitere Episode hybrider Kriegsführung. Angefangen hatte es mit den Sprengungen der Nord-Stream-Pipelines im September 2022. Im Oktober 2023 dann wurde die Gaspipeline Balticconnector von einem Frachter beschädigt, der unter der Flagge von Hongkong fuhr. Immer wieder klagen Ostseeanrainer zudem über massive GPS-Störungen, die wohl auf Russland zurückgehen.
Hybride Kriegsführung ist eine Mischform aus konventionellen und irregulären Kampfformen mit politischen, wirtschaftlichen, geheimdienstlichen oder auch medialen Mitteln. Wer hinter bestimmten Vorfällen wie Sabotageakten steckt, soll dabei zumeist verschleiert werden. Nicht immer aber gelingt das – so wie nun offenbar im Falle der Kabelsabotage, wobei ein chinesischer Frachter verdächtigt wird. Doch welche Motivation steckt hinter der Zerstörung am Boden der Ostsee? Und warum geschah dies nun anscheinend offensichtlich?
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"Der Vorfall könnte Teil einer Strategie der tausend Nadelstiche sein"
Für den Militäranalysten und Autor Franz-Stefan Gady passt der mögliche Sabotagevorfall gut ins Bild der Eskalationsdynamik, die Russland seit einigen Jahren im Konflikt mit dem Westen verfolgt. Noch lasse sich angesichts weniger Beweise nur über die Urheberschaft spekulieren, sagt Gady im Gespräch mit t-online. Dennoch: "Der Vorfall könnte Teil einer gezielten Strategie der tausend Nadelstiche sein."
Zur Person
Franz-Stefan Gady (*1982), ist unabhängiger Militäranalyst. Gady berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den USA unter anderem in Fragen der Zukunft der Kriegsführung. Gady war mehrfach in der Ukraine, in Afghanistan und im Irak, wo er jeweils ukrainische, afghanische Einheiten und Nato-Truppen sowie kurdische Milizen bei Einsätzen begleitet hat. Mit "Die Rückkehr des Krieges. Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen" ist im Oktober Gadys erstes Buch erschienen.
"Dem Westen soll wohl gezeigt werden, dass die Unterstützung der Ukraine direkte Konsequenzen hat: Das Internet wird beeinträchtigt und die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen", so Gady. Diese Strategie könnte zudem ernsthafte Konsequenzen für die Ukraine haben, wenn ihr nicht entschlossen entgegengetreten wird. "Setzt sich dieses Bild im Westen durch, könnte das alles in Bezug auf die Ukraine-Strategie der Unterstützer ändern."
Bereits jetzt werden in vielen Unterstützerstaaten die Militärhilfen für die Ukraine von Teilen der Opposition massiv infrage gestellt. Die Rufe nach Verhandlungen zur schnellen Beendigung des Krieges werden auch in Deutschland immer lauter – selbst wenn diese mit weitreichenden Gebietsabtretungen an Russland einhergehen würden. Die Ukraine hat solche Forderungen zuletzt stets zurückgewiesen, sie ist jedoch stark von den westlichen Hilfen abhängig.
Russland versucht, den Konflikt mit dem Westen geografisch auszuweiten
"Im Westen fokussieren wir uns derzeit zu sehr auf die sogenannten vertikalen Eskalationsdynamiken", sagt Gady. Dahinter stecke die Idee, dass man nach und nach einen konventionellen Krieg zu einer nuklearen Auseinandersetzung eskalieren lassen könne. "Viel wichtiger jedoch – und das zeigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – sind die horizontalen Eskalationsdynamiken", so der Experte.
Denn für Russland gehe es vorrangig darum, die westliche Unterstützung für die Ukraine zu unterbinden, erklärt Gady weiter. "Deshalb versucht das Land, den Konflikt geografisch auszuweiten – und das mit Sabotageaktionen, Desinformationskampagnen und auch Operationen im Cyberraum." Diese Maßnahmen zielten darauf ab, "die Unsicherheit im Westen und damit auch die Angst vor Russland als militärischer Macht zu schüren, ohne dass man dem Land aber in allen Fällen eine direkte Beteiligung nachweisen kann."
Gegen Angriffe auf kritische Infrastruktur wie den Unterseekabeln lässt sich indes kaum etwas unternehmen. Das beschädigte Kabel zwischen Rostock und Helsinki misst allein 1.172 Kilometer. Die Leitungen lassen sich kaum auf dieser Länge in Gänze schützen. Ebenso seien sie für Beschädigungen "ohne bösen Hintergrund" anfällig, erklärt Gady. Dazu gehörten etwa Schiffsanker, die versehentlich darüber gezogen werden, oder auch Schäden durch Erdbeben.
"Dieser Vorfall muss ein Weckruf sein"
Trotzdem ruft der Experte zu Maßnahmen auf, um den Schutz der Infrastruktur zu erhöhen. "Dieser Vorfall muss ein Weckruf sein", appelliert Gady. Er sollte genutzt werden, "um unsere Notfallpläne neu zu bewerten und gesamtstaatlich eine Antwort auf solche Sabotageaktionen zu entwickeln". Dazu müssten zwingend die nachrichtendienstlichen Fähigkeiten sowie die Vernetzung der Dienste international verbessert werden. Die Neubewertung der Notfallpläne müsse vor allem das Ziel haben, die Kooperation zwischen militärischen und zivilen Behörden zu erleichtern.
- Sabotage an Ostseekabeln? Was der Schaden für Deutschlands Internet bedeutet
"Kritische Infrastruktur wird immer ein mögliches Ziel für Aggressoren sein", erklärt Gady und verweist auf weitere Implikationen möglicher Sabotageakte. "Hier tut sich auch eine neue Dimension der Kriegsführung des 21. Jahrhunderts auf: die sogenannte Unterseekriegsführung." Immerhin laufen gut 90 Prozent unserer Internetkommunikation über solche Kabel. "Wer dabei die Oberhand hat, leistet einen wichtigen Beitrag zur Informationsdominanz, die in der modernen Kriegsführung enorm wichtig ist."
Russland verweist auf Nord-Stream-Anschläge
Russland und auch China arbeiten bereits daran, die Informationsdominanz für sich zu gewinnen. Angesprochen auf einen Bericht der "Financial Times", wonach der unter chinesischer Flagge fahrende Frachter "Yi Peng 3" zum Zeitpunkt der Beschädigungen in der Nähe der Kabel gefahren sei, erklärte das chinesische Außenamt, die entsprechende Situation sei nicht bekannt. China habe immer seine Pflichten als Flaggenstaat erfüllt und verlange von chinesischen Schiffen, sich strikt an die jeweiligen Gesetze zu halten, betonte Sprecher Lin Jian in Peking.
Auch Moskau weist am Mittwoch in Person von Kremlsprecher Dmitri Peskow eine Beteiligung zurück: Es sei "absurd, Russland weiterhin ohne jegliche Grundlage für alles zu beschuldigen". Weiter bezeichnete er die Vorwürfe als "lächerlich" angesichts "fehlender Reaktionen auf Sabotageakte der Ukraine in der Ostsee". Damit nahm Peskow Bezug auf eine mutmaßliche Sabotage an der Gaspipeline Nord Stream im September 2022, für die Moskau die Ukraine verantwortlich macht.
Die Ukraine hat ihre Beteiligung an den Vorfällen rund um die Nord-Stream-Pipeline stets bestritten, die deutsche Justiz sucht allerdings per Haftbefehl nach einem ukrainischen Tauchlehrer, der in die Sabotage eingebunden gewesen sein soll. Eine Beteiligung des ukrainischen Staates konnte durch die Ermittlungen bislang nicht bestätigt werden.
Finnland und Schweden ermitteln
Indes hat nach den schwedischen Behörden auch die finnische Kriminalpolizei Ermittlungen zu der Beschädigung von Kommunikationskabeln in der Ostsee aufgenommen. Anders als die Schweden untersuchen die Finnen jedoch nicht beide Vorfälle, sondern konzentrieren sich auf die Schäden an dem Unterseekabel Cinia C-Lion1, das zwischen Helsinki und Rostock verläuft. Das geht aus einer Mitteilung der finnischen Polizei hervor.
Die schwedische Polizei hatte bereits am Vortag Ermittlungen wegen der möglichen Sabotage an den beiden Datenkabeln eingeleitet, darunter neben dem finnisch-deutschen Datenkabel auch eines, das zwischen Schweden und Litauen verläuft.
- Eigene Recherche
- Telefoninterview mit Franz-Stefan Gady
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP