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Putins Fake-News-Attacken: Deutschland sollte zurückschlagen


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Tagesanbruch
Deutschland sollte zurückschlagen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 16.07.2024Lesedauer: 7 Min.
Im Mai brannte ein Einkaufszentrum in Warschau ab.Vergrößern des Bildes
Im Mai brannte in Warschau ein Einkaufszentrum ab. (Quelle: Dariusz Borowicz/Agencja Wyborcza via Reuters)

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Lassen Sie uns heute mit einer Nebensache beginnen: Vor wenigen Tagen sorgte die Enthüllung für Aufregung, dass ein russischer Geheimdienst die Ermordung des Chefs der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall vorbereitet hat. Das Komplott soll Teil einer noch größeren Kampagne gewesen sein: Russland nimmt europäische Firmenkapitäne aus der Rüstungsindustrie ins Fadenkreuz. So weit die weniger wichtigen Nachrichten.

Nun fragen Sie sich, warum Mordabsichten von solcher Brisanz nebensächlich sein sollen. Ein berechtigter Einwand, aber blicken wir zunächst auf einige weitere zweit- und drittrangige Ereignisse. Dort findet sich eine bizarre Aktion, bei der Särge am Eiffelturm in Paris abgeladen wurden, versehen mit der Aufschrift: "Französische Soldaten in der Ukraine". Oder eine andere Aktion im lettischen Riga: Dort zerschlugen drei Typen ein Fenster des Museums, das den Opfern der sowjetischen Unterdrückung gewidmet ist, und warfen einen Molotowcocktail hinein.

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Seltsames geschieht auch anderswo. In Finnland versuchten zweifelhafte Gestalten, in Anlagen der Trinkwasserversorgung einzubrechen. In Tschechien wurden Eisenbahn-Signalanlagen gestört. Über der Ostsee empfangen Piloten kein GPS-Signal zur Positionsbestimmung mehr. In Warschau brannte ein Einkaufszentrum nieder, in Schweden entgleisten Züge, im litauischen Vilnius zündelte jemand bei Ikea und in Prag im Busdepot. In Wales kam es zu einer Explosion in einer Munitionsfabrik, bei einem Logistikunternehmen in London brach Feuer aus, beim Rüstungsunternehmen Diehl in Berlin auch. Zwei Untersee-Datenkabel in der Ostsee wurden durchtrennt, US-Kasernen in Deutschland befanden sich wegen eines bevorstehenden Anschlags im Juli im Alarmzustand.

Die Liste der Nebensächlichkeiten ist damit noch lange nicht komplett. Aber die Hauptsache wird nun erkennbar: Denn bei allen diesen Vorfällen hatten russische Saboteure oder deren Handlanger die Finger im Spiel. Meistens werden dann kleine Fische verhaftet, die sich für ein paar Kröten einspannen ließen. Der Fahrer, der die Särge zum Eiffelturm kutschierte, erhielt für seine konspirativen Dienste läppische 40 Euro. Die Hinterleute in den russischen Geheimdiensten werben verlorene Gestalten im Chat-Kanal Telegram an, greifen aber auch auf kriminelle Netzwerke zurück. Zwischengeschaltete Mittelsmänner verwischen die Spuren. Die Beweislage reicht oft nicht aus, um mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Angreifer vorzugehen. Armin Papperger, der bedrohte Chef von Rheinmetall, muss auf Schritt und Tritt von Personenschützern begleitet werden – aber verhaften konnten die Behörden niemanden.

Die mangelnde Beweisbarkeit liegt wie ein Schleier über den Anschlägen. In vielen Fällen muss man von einem "möglichen Zusammenhang" sprechen. Ermittlungsbehörden "gehen Hinweisen nach" und "prüfen" eine "mögliche Verwicklung" russischer Geheimdienste. Westliche Schlapphüte "warnen", Politiker "bekräftigen", Experten sehen "deutliche Anzeichen". Schwammigkeit allerorten: Vielleicht war selbst die Bedrohung Pappergers gar nicht so konkret? Deutsche Geheimdienste möchten jedenfalls gerne, dass wir das glauben, sie spielen die Sache herunter. Überprüfen kann man wenig, glauben nicht viel.

Die russische Sabotage- und Anschlagsaktivität ähnelt deshalb ein bisschen dem Klimawandel: Kein Starkregen, kein Waldbrand, kein einzelner Temperaturrekord lässt sich eindeutig der Klimakrise zuordnen. So was gab es schließlich immer schon. Aber wenn eine Flutkatastrophe die nächste jagt und Waldbrand auf Waldbrand folgt, dann ist die Sache klar. Mit den Bränden in Munitionsfabriken, Lagerhäusern und Rüstungsunternehmen verhält es sich genauso. Ob Feuer gelegt, Kabel zerschnitten oder Züge entgleist sind: Die Spuren führen nach Moskau, ohne dass die Beweise jedes Mal erdrückend wären. Im Einzelfall bleiben Fragezeichen. In der Summe nicht mehr. Die Statistik räumt mit den Zweifeln auf: Die Welt wird gnadenlos heißer. Und die Russen drehen auf.

Die Intensität der russischen Anschläge auf Ziele in ganz Europa hat im vergangenen Jahr dramatisch zugenommen. Mittlerweile führt der Kreml einen Schattenkrieg gegen Europa und die Nato. Wie man auf das immer ungehemmtere Vorgehen von Putins Saboteuren reagieren sollte, hängt davon ab, was man als eigentliches Ziel der Angriffe zu erkennen glaubt: Geht es dem Kreml gar nicht um den konkreten Schaden, sondern vor allem darum, eine Atmosphäre der Verunsicherung zu erzeugen? Soll die Serie verdeckter Attacken in Europa die Risikoscheu wachsen lassen?

Dann machen die Bundesregierung und die deutschen Dienste alles richtig. Minimale Reaktion, kleinreden und weiter im Text: Die besorgte Öffentlichkeit wird mit Allgemeinplätzen zurück in den Schlaf gesungen. Eine kleine Kostprobe von Säuselkönigin, Pardon, Innenministerin Nancy Faeser gefällig? "Wir nehmen die erheblich gestiegene Bedrohung durch die russische Aggression sehr ernst", flüsterte sie. Aha. Und weiter: "Wir werden uns nicht einschüchtern lassen." Na fein. Hier gibt es nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter! Unangenehme, konfrontative Entscheidungen zum Umgang mit Putin erspart man sich so.

Was aber, wenn die Schädigung der kritischen Infrastruktur, der Rüstungsindustrie, der Logistik für die Ukraine das eigentliche Ziel der russischen Drahtzieher ist? Dann geht die zurückhaltende Reaktion nach hinten los und fordert noch schlimmere Anschläge heraus. Stillhalten ist keine Strategie, die Putin im Zaum hält. Die russischen Dienste testen, wie weit sie gehen können. Bisher erhalten sie von uns eine hasenfüßige Antwort. Den Austausch von geheimdienstlichen Erkenntnissen werde man im Bündnis intensivieren, kündigte Noch-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an. Sinnvoll, gewiss. Aber die abschreckende Wirkung ist gleich null.

Wie könnte man Putin vermitteln, dass sein immer aggressiverer Schattenkrieg auch für ihn selbst Konsequenzen hat? Sanktionen sind ausgereizt und zahnlos. Gleiches mit Gleichem zu vergelten, geht aus mehreren Gründen nicht. Nato-Staaten können keine Killerkommandos nach Moskau schicken, um unliebsame Apparatschiks aus dem Weg zu räumen. Sie würden sonst dieselben Methoden wie Putins Mafia-Regime anwenden. Obendrein sind die Karten im Schattenkrieg ungleich verteilt: In den offenen Gesellschaften des Westens bieten sich dem Angreifer viele leichte Ziele – im Polizeistaat Russland nicht.

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Warum wir uns allerdings auch noch von Putins Propagandatrollen vorführen lassen, ist nur schwer zu begreifen. Mehr noch: Es ist fahrlässig und dumm. Fake News made in Russia fluten die sozialen Medien der demokratischen Welt – doch im Gegenzug bekommt der Westen im Netzwerk VKontakte (dem "russischen Facebook") trotz all seiner Hightechschmieden keinen Fuß auf den Boden. Dabei bräuchte es für eine Vergeltung gar keine Desinformation. Putins heimischer Lügenmaschinerie streut man schon Sand ins Getriebe, indem man echte Informationen hineinschickt. Etwa ehrliche Nachrichten über das Grauen, das die russische Armee tagtäglich in der Ukraine anrichtet. Leider geschieht nicht einmal das. Von einer wehrhaften Demokratie ist an dieser Front nichts zu bemerken. Eine schwache Leistung der Bundesregierung? Allerdings.

Um brennenden Fabriken und Mordkomplotten adäquat zu begegnen, braucht es schwereres Geschütz. Man könnte auch die Beschränkungen lockern, denen weitreichende Waffen aus dem Westen in der Ukraine unterliegen, und den Einsatz gegen Ziele in Russland in einer vergrößerten Zone hinter der Grenze erlauben: Nicht bis nach Moskau, aber bis zum nächsten Flugplatz, von dem die Gleitbomben-Jets abheben. Diese Sprache kommt beim Kreml an. Damit man nicht in eine Eskalationsspirale rutscht, muss man Putin die Spielregeln jedoch vorab und klar kommunizieren. Schattenkrieg und Sabotage wären künftig in seiner Kalkulation mit Kosten verknüpft. Explodierende Munitionsfabriken auf Nato-Gebiet findet der Ex-Geheimdienstler Putin nur gut, solange anschließend nicht auch zu Hause Detonationen folgen.

Putin hat unserer Demokratie den Schattenkrieg erklärt, die Einschläge kommen näher. Beschädigt werden wir aber nur, wenn wir uns weiter wie Duckmäuser anstellen. Es ist höchste Zeit, der russischen Sabotagewelle entgegenzutreten. Und dem Terroristen im Kreml eine Antwort zu geben, die er versteht.


Wilde Krönung

Donald Trump ist entschlossen, das Weiße Haus zurückzuerobern. Unmittelbar nach dem Attentat gab er sich staatsmännisch, verzichtete auf die übliche Wutschnauberei. Ist der Populist geläutert oder tut er nur so? Auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee lässt er sich zum Präsidentschaftskandidaten küren, 50.000 Fans jubeln ihm zu.

Schon die erste Entscheidung ist brisant: Zu seinem Kandidaten für das Vizepräsidentenamt hat Trump J. D. Vance gekürt. Der 39-Jährige ist ein politischer Wendehals par excellence: Früher kritisierte er Trumps Hasstiraden gegen Einwanderer. In seinem autobiografischen Bestseller "Hillbilly Elegy" erklärte er, warum so viele Arbeiter von den politischen Eliten enttäuscht sind und einen radikalen Wechsel herbeisehnen. Als es jedoch vor sechs Jahren ein Senatorenamt zu ergattern galt, unterwarf er sich Trump und mutierte zu dessen eifrigstem Nachplapperer. Für Trump geht es bei der Entscheidung für Vance wohl auch noch um etwas anderes, wie USA-Korrespondent Bastian Brauns berichtet.


Ohrenschmaus

Dem Donald kann ich nichts abgewinnen. Dieser amerikanischen Legende dagegen schon.


Gefahr aus der Wüste

Zwischen Ukraine und Gazastreifen droht Afrika aus dem Blick zu geraten. Dabei vollziehen sich in der Sahelzone dramatische Umbrüche: In Mali, Burkina Faso und dem Niger haben sich Militärregierungen an die Macht geputscht. Während sich die Länder vom Westen abwenden, gewinnen Russland und Islamisten an Einfluss. Außenministerin Annalena Baerbock will dem Trend entgegenwirken: Die Grünen-Politikerin ist im Senegal und der Elfenbeinküste unterwegs; heute besucht sie in Abidjan die Akademie zur Terrorismusbekämpfung. Dabei soll es auch um Migrationsfragen gehen.


Lesetipps

Chinas Führung stellt die Weichen in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Eine Entwicklung ist dabei für Xi Jinping fatal, schreibt mein Kollege Patrick Diekmann.



Kann man die Ampelregierung auch mal loben? Unser Kolumnist Uwe Vorkötter hat es versucht.


Zum Schluss

Kennen Sie das: Man schaut sich ein Foto nach dem anderen an und kann gar nicht mehr aufhören? Bei dieser Serie ging es mir so (einfach nach unten scrollen).

Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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