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Krankenkassen und Pflegeversicherung in der Krise: Wer soll das überhaupt bezahlen?


Tagesanbruch
Pflegekosten – der stille Vermögensfresser


Aktualisiert am 21.10.2024 - 10:54 UhrLesedauer: 6 Min.
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Karl Lauterbach (SPD): Der Bundesgesundheitsminister will bald eine "große Reform" in der Pflege vorstellen.Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach (SPD): Der Bundesgesundheitsminister will bald eine "große Reform" in der Pflege vorstellen. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es sind Zahlen, die einen zusammenzucken lassen: 2.781 Euro – so viel zahlen Pflegebedürftige derzeit durchschnittlich für das erste Jahr im Pflegeheim. Pro Monat wohlgemerkt. In manchen Bundesländern liegen die Kosten sogar bei über 3.000 Euro im Monat. Mit der Rente allein kommt man da nicht weit. Gerade einmal 50 von insgesamt 18,7 Millionen Rentnern in Deutschland erhielten zuletzt so hohe Bezüge.

Die eigenen Pflegekosten tragen kann daher nur, wer ausreichend Ersparnisse hat, zusätzlich privat pflegeversichert ist oder ein Haus besitzt, das er zu Geld machen kann. Oder sagen wir besser: machen muss. Denn die meisten hatten sich sicher Schöneres für Ihr Eigentum vorgestellt, als dass der Staat darauf zugreift.

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Viele sorgen daher vor und verschenken das Eigenheim frühzeitig innerhalb der Familie. Geschieht das zehn Jahre, bevor sie zum Pflegefall werden, hat der Staat keine Handhabe mehr. Für den Einzelnen und seine Liebsten mag das ein kluger Zug sein, besonders solidarisch ist er aber nicht: Schließlich ist dann der Weg frei, um Hilfe zur Pflege oder Wohngeld zu kassieren – dabei wäre genug eigenes Vermögen dagewesen.

Womit wir bei zwei interessanten Fragen wären: Wer sollte eigentlich welche Kosten im Sozialstaat tragen? Und ist die aktuelle Verteilung gerecht? Die Antworten sind nicht zuletzt deshalb spannend, weil die Sozialversicherungen allesamt in der Finanzierungsmisere stecken. Jüngster Aufreger: deutlich höhere Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung. Rein rechnerisch müsste der Zusatzbeitrag dem sogenannten Schätzerkreis zufolge 2025 um 0,8 Prozentpunkte auf dann 2,5 Prozent steigen. Was das konkret für Ihr Nettogehalt bedeuten würde, haben wir Ihnen hier ausgerechnet.

"Historisch" nannte Gesundheitsminister Karl Lauterbach die prognostizierte Erhöhung. Und auch von der sozialen Pflegeversicherung gab es zuletzt nicht gerade beruhigende Nachrichten: Von drohender Zahlungsunfähigkeit war gar die Rede. Auch hier sollen die Beiträge steigen. Und das, obwohl die Pflegekassen den Großteil der Kosten ohnehin den Betroffenen überlassen. Wie die Rentenversicherung ächzen auch Kranken- und Pflegeversicherung unter dem demografischen Druck, der das umlagefinanzierte System in Schieflage geraten lässt.

Die kurzfristige Lösung lautet dabei stets: Beiträge rauf. Doch nicht für alle Kosten sollten allein die gesetzlich Versicherten verantwortlich sein. Das gilt etwa für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen, die die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung zahlen, obwohl dafür eigentlich die Allgemeinheit zuständig wäre.

Ein Beispiel sind die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. Das Geld dafür stammt aus der Pflegekasse, obwohl alle diese Lasten tragen müssten – auch Beamte, Pensionäre und Selbstständige. Ähnlich verhält es sich beim Zuschuss für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern, für die der Staat zu wenig Geld aus Steuermitteln überweist. Auch die Digitalisierung des Gesundheitssystems und die Aus- und Weiterbildung von Pflegefachkräften kommt zwar der Allgemeinheit zugute, wird aber hauptsächlich von den gesetzlich Versicherten finanziert. Fair ist das nicht.

Zwar hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, "versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln finanzieren", passiert ist das bisher jedoch nicht. Angesichts der Haushaltslage und der Verteilungskämpfe zwischen den Ministerien wird das wohl auch so bleiben.

Es gibt aber noch weitere Ideen, wie sich die Finanzlage der Kranken- und Pflegekassen verbessern ließe. Möglich wäre das etwa über eine höhere Beitragsbemessungsgrenze. Die Grenze gibt an, bis zu welcher Höhe des Einkommens gesetzlich Versicherte Beiträge zahlen. Aktuell liegt sie bei 5.175 Euro brutto im Monat. Wer mehr verdient, muss für das darüber liegende Einkommen keine zusätzlichen Beiträge zur Krankenversicherung leisten. Anders als bei der Einkommensteuer, bei der unbegrenzt umso mehr Steuern anfallen, je höher das Gehalt ist, gibt es bei den Sozialbeiträgen also einen Deckel.

Der hat zwar durchaus seinen Sinn. Schließlich zahlen Besserverdiener schon jetzt mehr ein, als sie an Leistungen wieder herausbekommen. Bei Geringverdienern ist es in der Regel umgekehrt. Andererseits ist das nun einmal das Wesen einer solidarischen Krankenversicherung. Stärkere Schultern können und sollten mehr tragen als schwache. Eine moderate Anhebung der Grenze, bis zu der Beiträge fällig werden, wäre zumindest vorstellbar. Doch auch für diesen Vorschlag findet sich innerhalb der Ampelkoalition keine Mehrheit.

Womöglich braucht es aber ohnehin kein Herumdoktern am bestehenden System, sondern einen echten Wechsel. Wie bei der Rentenversicherung mit dem Generationenkapital geplant, könnten auch in der Pflegeversicherung die Möglichkeiten des Kapitalmarkts stärker genutzt werden. Der bereits existierende Pflegevorsorgefonds bei der Bundesbank ist ein grundsätzlich richtiger Schritt, unterliegt aber staatlicher Obhut. Ist das Geld knapp oder ändern sich die Prioritäten, kann er kurzerhand ausgesetzt werden. Und so ist es auch geschehen: Statt 1,6 Milliarden Euro jährlich fließen für die Jahre 2024 bis 2027 nur noch 700 Millionen Euro in den Fonds. Langfristige Vorsorge geht anders.

Aus den Reihen der privaten Krankenversicherungen kommt daher der – sicher nicht ganz uneigennützige – Vorschlag, die soziale Pflegeversicherung um obligatorische private oder betriebliche Zusatzversicherungen zu ergänzen. Beides gibt es bereits, allerdings nur freiwillig. Private Pflegezusatzversicherungen sind zudem teils relativ teuer. Wer sich die Beiträge im Alter nicht mehr leisten kann und kündigen muss, verliert sein Geld komplett. Mehr zu den verschiedenen Varianten und wie sinnvoll eine Pflegezusatzversicherung ist, lesen Sie hier.

Gesundheitsminister Lauterbach versucht derweil, die Wogen zu glätten. Er glaube nicht, dass die Krankenkassenbeiträge 2026 noch mal erhöht werden müssten, sagte er der "Bild am Sonntag". "Mit den Reformen, die wir jetzt schon gemacht haben, die jetzt anfangen zu wirken, und den Reformen, die wir gerade machen, kommt tatsächlich auch dieser Beitragssatzanstieg zu einem Stopp." Gemeint ist etwa die Krankenhausreform, die jetzt kurzfristig Mehrkosten verursache, langfristig aber Druck herausnehmen soll (mehr zur Reform lesen Sie hier).

Außerdem hat der Minister für die kommenden Wochen eine "große Pflegereform" angekündigt, was allerdings ein wenig verwundert. Hatte Lauterbach doch erst kürzlich erkennen lassen, dass er wegen unterschiedlicher Meinungen in der Koalition keine Chance für eine Reform in dieser Wahlperiode sehe. Vielleicht will er sich schon mal in Stellung für die kommende Bundestagswahl bringen. Es gibt schlechtere Wahlkampfthemen als die Zukunft der Pflege.

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Mit Material von dpa.

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