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Grüne | Bald-Chefin Franziska Brantner: "Die Menschen fühlen sich veralbert"


Interview
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Künftige Grünen-Chefin Brantner
"Die Menschen fühlen sich veralbert"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

19.10.2024Lesedauer: 8 Min.
imago images 0766579671Vergrößern des Bildes
Franziska Brantner: "Klamauk und Parolen können andere besser." (Quelle: IMAGO/M. Popow/imago)

Wie geht's weiter bei den Grünen? Franziska Brantner will neue Parteichefin werden. Und erklärt im Interview, wie sie die Grünen aus dem Tief führen will.

Ihr Name fiel gleich zu Beginn. Als Ricarda Lang und Omid Nouripour vor drei Wochen ihren Rücktritt vom Vorsitz der Grünen erklärten, da war es Franziska Brantner, die eigentlich alle Parteifreunde als eine der Nachfolgerinnen nannten. Und das nicht nur, weil sie eine enge Vertraute des designierten Kanzlerkandidaten Robert Habeck ist.

Franziska Brantner gilt als durchsetzungsstark, fleißig und klug. Sie ist in der Partei gut vernetzt und nicht nur in ihrem Realo-Flügel beliebt. Das mit der Beliebtheit will sie nun auch für die Grünen wieder hinbekommen. Gemeinsam mit dem Parteilinken Felix Banaszak kandidiert sie auf dem Parteitag Mitte November für die Doppelspitze.

Welche Pläne hat Franziska Brantner für die Grünen? Das erklärt sie im Gespräch mit t-online.

t-online: Frau Brantner, Sie wollen Parteivorsitzende werden, was derzeit vor allem bedeutet, die Grünen aus ihrer tiefen Krise zu führen. Dazu gehört eine Fehleranalyse: Was ist schiefgelaufen in den vergangenen Jahren?

Franziska Brantner: Mein Ziel ist es, dass die Bündnisgrünen wieder die Kraft der Zuversicht werden. Wir sollten jene Menschen hinter uns versammeln, die sagen: Wir wissen, es sind keine einfachen Zeiten, aber wir verzweifeln nicht. Andere schlagen politisches Kapital aus Problemen. Wir überzeugen lieber mit politischen Lösungen.

Die Frage war aber, warum so viele Menschen den Grünen genau das nicht mehr zutrauen.

Um herauszufinden, warum Menschen das Vertrauen in die Grünen verloren haben, müssen wir uns fragen: Für wen stehen wir? Wer zählt auf uns? Für welche Werte können wir begeistern?

Brantner
Brantner (Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa/Archivbild/dpa)

Zur Person

Franziska Brantner, 45 Jahre alt, ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck. Sie sitzt seit 2013 als Abgeordnete für die Grünen im Deutschen Bundestag. Vorher war sie von 2009 bis 2013 Abgeordnete im Europaparlament.

Ihre Antwort?

Wir sind die politische Heimat für alle, die sich in der Polarisierung unserer Zeit nicht mehr wiederfinden: Entweder Freiheit – oder Sicherheit. Entweder den Klimaschutz komplett abwickeln – oder die radikalsten Lösungen ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen. So funktioniert das doch nicht. Viele Menschen machen sich Sorgen über den Klimawandel. Sie wollen aber auch nicht, dass der Klimaschutz zu mehr sozialer Spaltung führt. Diese Menschen fühlen sich veralbert, wenn die CDU fiktive Kulturkämpfe zur Verteidigung des Grillwürstchens anzettelt. Aber sie wollen ihre echten Alltagsprobleme verstanden sehen. Es gibt einfach eine große Sehnsucht nach mehr Wahrhaftigkeit und aufrichtiger Lösungssuche.

Und was heißt das für die Grünen?

Dass wir diese Sehnsucht aufgreifen sollten. Klamauk und Parolen können andere besser. Was wir stattdessen besser können: Echten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammenbringen. Ein Beispiel: Hätten wir am Anfang der Wahlperiode, wie von uns gefordert, unser soziales Klimageld umgesetzt, wären manche Debatten danach anders verlaufen. Also den Ausgleich organisieren, um gemeinsam nach vorne zu kommen. Das bedeutet auch, den Menschen und ihrer Innovationskraft zu vertrauen.

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Gibt es bei den Grünen Denkverbote?

Nein, wir sind seit jeher eine debattierfreudige Partei.

Einige Parteifreunde aus Ihrem Realo-Flügel sehen das anders und kritisieren etwa in der Migrationspolitik grüne Denkverbote. Ist es ein sinnvoller Teil der Vergangenheitsbewältigung, sich solche Vorwürfe des politischen Gegners zu eigen zu machen?

Das müssen sie diejenigen fragen, die so argumentieren. Die Aufgabe von Politik ist es, reale Probleme zu lösen. Uns sollte beschäftigen, wie wir das am besten hinbekommen.

"Wir lösen die Probleme, statt sie nur zu bestaunen" – das wird jetzt von vielen Grünen so oder so ähnlich formuliert. Ist Ihr Problem aber nicht, dass die Menschen den Grünen das gerade gar nicht mehr zutrauen? In Umfragen stehen Sie bei den Kompetenzwerten nicht gut da, selbst beim Klimaschutz sind Sie abgestürzt.

Wir haben viele konkrete Verbesserungen erreicht. Wir haben aber auch eine so große Baustelle geerbt, dass viele Erfolge sich erst später einstellen werden. Und natürlich bleibt viel zu tun, das müssen wir auch deutlich machen. Das wird nicht leicht und geht nicht schnell. Aber es hilft ja nichts: Irgendwer muss es machen. Ich bin bekannt als jemand, die sich nicht scheut, Probleme zu benennen, hart verhandelt, offen ist in den Wegen, um sie zu bewältigen, und die Ziele immer vor Augen hat. Ich bin in die Politik gegangen, um konkret etwas zu verbessern.

Verstehe ich Sie richtig: Um die Grünen aus dem Tief zu holen, müssen Sie den Menschen einfach besser erklären, was sie alles geschafft haben?

Nicht nur, aber auch! Wir Bündnisgrüne haben maßgeblich dazu beigetragen, dass dieses Land in Putins Angriffskrieg fest an der Seite der Ukraine steht und sich zugleich in kürzester Zeit aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreit. Wir haben das Land moderner gemacht, zum Beispiel den Bau von Windkraftanlagen und die Digitalisierung unseres Energienetzes vorangetrieben. Während andere in endlosen öffentlichen Inszenierungen über ihren Verbleib in dieser Koalition räsonierten, haben wir einfach unsere Arbeit gemacht und Probleme weggeräumt. Darüber müssen wir natürlich sprechen. Und zugleich aufzeigen, wo wir an Grenzen gestoßen sind. Während die USA massiv in die Ansiedlung grüner Industrien investiert haben, fehlte uns in dieser Koalition vor lauter orthodoxem Kaputtsparen sogar das Geld, um Schultoiletten und Stadtteilbibliotheken zu sanieren.


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Selbstgenügsamkeit in der politischen Nische ist mir zu langweilig.


Franziska Brantner


Ist es für die Grünen in dieser Krise wirklich noch der richtige Weg, in die Wählerschichten der Mitte ausgreifen zu wollen? Es gibt Grüne, die sagen, man solle programmatisch lieber auf 13 bis 15 Prozent zielen. Also auf die erweiterte Kernklientel, um diese Leute nicht auch noch ganz zu verlieren.

Selbstgenügsamkeit in der politischen Nische ist mir zu langweilig. Ich bin direkt gewählte Abgeordnete aus Heidelberg. Mein Ziel ist immer, eine breite Mehrheit zu erreichen. Wir machen ein Angebot an alle, denen es ernst ist mit ökologischer Verantwortung, Freiheit und sozialem Zusammenhalt in diesem Land. Und das sind ganz sicher mehr als 13 bis 15 Prozent.

Aber diese große Wählerkoalition zu erreichen, das ist für die Grünen doch heute viel schwieriger als im Wahlkampf 2021. Damals standen Sie ein Jahr vor der Wahl bei 20 und nicht bei 10 Prozent.

Damals kamen wir aus mehr als zehn Jahren Opposition, heute regieren wir in schwierigen Zeiten. Die Herausforderungen sind tatsächlich ganz andere.

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Ja. Heute glaubt Ihnen Ihr linkes Klientel nicht mehr, dass Sie soziale Klimapolitik machen. Und die Mitte haben Sie durch das Heizungsgesetz vergrätzt – unterstützt durch die Kampagnen Ihrer Gegner. Sie drohen bei dieser Wahl beide zu verlieren.

Ich glaube, die Fähigkeit vieler Bürgerinnen und Bürger zur Differenzierung ist größer, als Sie vermuten. Sie sehen durchaus: Wir mussten als Bündnisgrüne in einer schwierigen Koalition in einer schwierigen Zeit regieren und haben dabei beachtlich viel hinbekommen. Aber jetzt geht es darum, mit neuer Kraft die nächsten Aufgaben anzugehen. Und dafür müssen wir auch neu überzeugen.

Woran denken Sie zum Beispiel?

Es geht darum, dass wir auf allen staatlichen Ebenen schneller und konsequenter auf die Aufgaben unserer Zeit reagieren können. Dazu brauchen wir eine Reform unseres Staatsaufbaus.

Was bedeutet das?

Ich bin diese "Ich bin nicht zuständig"-Folklore leid, mit der sich in Deutschland Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Schuld zuschieben. Wir verlieren Zeit, die wir nicht haben. Die meisten unserer Kommunen sind finanziell in extrem schwieriger Lage. Wir müssen einerseits überlegen, was der Bund ihnen an Aufgaben übertragen hat, die sie gar nicht leisten können. Was ist besser beim Land oder Bund angesiedelt? Was kann auch wieder weg? Wir können oft gar nicht mehr wirklich erklären, warum etwas auf dieser Ebene und nicht auf einer anderen geschieht.

Für den Grünen-Parteitag Mitte November gab es für mehrere Anträge mit sozialen Themen große Zustimmung. Müssen die Grünen sozialer werden?

Gerechtigkeit war immer ein zentrales Motiv für uns. Und das gilt in der Tat mehr denn je. Es ist offensichtlich, dass die Vermögensungleichheit in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch falsch. Ungleiche Gesellschaften stehen wirtschaftlich schlechter da. Gerechtigkeit ist aber viel mehr als klassische Sozialpolitik. Wie beteiligen sich Milliardäre an unserem Gemeinwohl? Wie gut ist die Bildung? Ist die Kita auch nachmittags offen? Habe ich die Chance, aus meinem Leben das zu machen, was ich möchte? Es ist unsere Aufgabe als Bündnisgrüne klare Antworten auf diese Gerechtigkeitsfragen zu geben.


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Wir bleiben eine weltoffene Gesellschaft, in der klare Regeln gelten, die auch durchgesetzt werden müssen.


Franziska Brantner


Die Migrationspolitik hat bei den Grünen zuletzt immer wieder zum Richtungsstreit geführt. Manche glauben, dass es nun mal eine Entscheidung für die eine oder andere Richtung brauche, statt Formelkompromissen auf Parteitagen, die nach ein paar Wochen wieder aufbrechen. Selbst wenn sich dann einige nicht mehr wiederfinden und austreten.

In der Migrationspolitik sprechen andere über Strom, Masse, Flut oder sonstiges. Wir reden stattdessen über konkrete menschliche Schicksale. Und oft auch über existenzielle Not und letzte Hoffnungen. Ich war immer stolz darauf, dass meine Partei sich dessen bewusst ist und nicht nur einfache Parolen raushaut. Meine Richtung lautet: Wir bleiben eine weltoffene Gesellschaft, in der klare Regeln gelten, die auch durchgesetzt werden müssen. Das bedeutet auch, dass wir Kontrolle haben und wissen, wer in diesem Land ist. Zugleich dürfen wir nicht alle Menschen, die zu uns kommen, unter Generalverdacht stellen. Die allermeisten sind eine Bereicherung, von der dieses Land sehr profitiert.

Weiter wie bisher also mit Humanität und Ordnung?

Wir sind ein Land, aus dem einst Menschen fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. Heute sind wir ein Land, in das Menschen fliehen können, um ihr Leben zu retten. Das ist eine Errungenschaft, die wir verteidigen wollen. Aber das wird uns nur gelingen, wenn zwei Dinge klar sind: Asyl kann nur bekommen, wer einen anerkannten Asylgrund hat. Und wer sich nicht an die Regeln unserer Gesellschaft hält, muss auch wieder gehen. Das sind meine Grundsätze. Aber das ersetzt noch nicht die Diskussion darüber, was wirklich wirksame Maßnahmen sind und was nur Symbolik.

Was bedeutet das konkret?

Nehmen wir das Beispiel Grenzen. Es wäre falsch zu sagen, wir hätten gar keine Probleme an den Grenzen. Aber sind die stationären Kontrollen überall wirklich sinnvoll oder ist die Schleierfahndung nicht wirksamer? Zwischen Frankreich und dem Saarland verläuft ja nicht gerade eine Hauptfluchtroute. Selbst die Gewerkschaft der Polizei sagt: Liebe Leute, ihr bindet unsere Ressourcen, wir würden lieber an den Hauptbahnhöfen für Ordnung sorgen.

Heißt aber auch, dass die Grünen weiterhin bei jeder neuen Entscheidung eine große parteiinterne Diskussion zwischen den Lagern bekommen werden. Oft genug also: unbeliebter öffentlicher Streit.

Noch mal: Es ehrt eine Partei, wenn sie sich mit ernsthaften Fragen und echten menschlichen Schicksalen intensiv auseinandersetzt und um die richtigen Antworten ringt.

Sie wollen die Grünen künftig mit Felix Banaszak als Parteivorsitzende anführen. Für die Position des Politischen Bundesgeschäftsführers hat sich Sven Giegold ins Spiel gebracht. Sie kennen ihn aus der Europapolitik und als Staatssekretärskollegen im Wirtschaftsministerium. Wäre er ein guter Politischer Bundesgeschäftsführer?

Zu nicht artikulierten Bewerbungen lässt es sich schwer äußern.

Intern hat Sven Giegold sie artikuliert.

Ich beteilige mich jedenfalls nicht an Personalspekulationen.

Wäre Robert Habeck ein guter Kanzlerkandidat für die Grünen?

Robert Habeck ist ein sehr guter Politiker. Er ist ein Mensch, der die Dinge ehrlich und mit einem klaren Kompass angeht. Er kämpft darum, pragmatische Lösungen zu finden. Ihm ist es wichtig, die geopolitischen Fragen genauso im Blick zu behalten wie die Alltagsprobleme der Menschen.

Und es ist überhaupt kein Problem, dass er als Vizekanzler für die Regierungspolitik der Grünen verantwortlich ist wie kein anderer? Und damit eben nicht nur für das, was gut gelaufen ist, sondern auch für die Fehler und den Abstieg in den Umfragen?

Robert Habeck sagt ja selbst, dass er auch Fehler gemacht hat. Ich kenne wenig Politiker, die so offen und reflektiert damit umgehen wie er. Mir fallen da einige ehemalige CSU-Minister ein, denen wir viele der Miseren verdanken, die wir gerade bei der Deutschen Bahn auszubaden haben. Hier würden mehr Demut und Selbstreflexion sicherlich guttun …

… ich fragte aber nach Robert Habeck.

Das Entscheidende ist, dass er aus Fehlern lernt und sich nicht wegduckt, sondern den Mut hat, sich auch zu korrigieren. Er packt die Dinge an, auch wenn es schwierig wird.

Frau Brantner, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Franziska Brantner in Berlin
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