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AfD-Schlachtplan nach der Landtagswahl in Thüringen und Sachsen


Tagesanbruch
Der Plan schaltet in die nächste Stufe

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 03.09.2024Lesedauer: 7 Min.
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Björn Höcke: Die AfD hat eine Menge Denker innerhalb wie außerhalb der Partei, die Pläne für sie schmieden. (Quelle: IMAGO/Christoph Hardt/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

stärkste Kraft in Thüringen, zweitstärkste in Sachsen – einen größeren Erfolg als an diesem Wochenende hat die AfD nie eingefahren. Regieren aber wird sie nicht, denn niemand will mit ihr koalieren.

Die anderen Parteien haben das vor der Wahl versprochen – und nach der Wahl bekunden BSW und CDU, die vor allem infrage kommenden Koalitionäre: An dieses Versprechen wollen wir uns halten.

Das wird auf Unverständnis stoßen, vor allem bei dem knappen Drittel AfD-Wähler. Aber aus zwei Gründen bleibt diese Entscheidung richtig und klug.

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Der erste ist der offensichtliche: Die AfD wird gerade im Osten von Hitlerfans und Extremisten dominiert. Von Menschen, die sich vor dem Führerbunker die Hand aufs Herz legen, die mit gewaltbereiten Neonazis demonstrieren und paktieren, die die Sprache und Methoden der Massenmanipulation und Machtergreifung von NS-Kadern studiert und weiterentwickelt haben. Die nach zehn Jahren nur noch einen dünnen Tarnmantel tragen und oft recht unverblümt zeigen, welch menschenfeindliche Politik sie umsetzen würden. Und die wenig Zweifel daran lassen: Wenn sie die Macht haben, dann werden sie sie nutzen. Sie mögen ihre ausgezeichneten Zustimmungswerte zwar im demokratischen System errungen haben. Demokraten sind sie deswegen lange nicht.

Rein parteistrategisch zieht außerdem ein zweites Argument: Für CDU und BSW wäre ein Bündnis mit der AfD ein Selbstmordkommando. Denn nicht etwa die Grünen sind die Hauptgegner der AfD, sondern eben diese beiden Parteien. Sie würden sich mit dem Feind ins Bett legen und müssten berechtigte Angst haben, im Schlaf gemeuchelt zu werden.

Die AfD überrascht die Ablehnung der anderen Parteien natürlich nicht. Sie selbst weiß ja am besten, dass ihr Herz, gerade im Osten, nicht blau, sondern tiefbraun schlägt. Schon lange verfolgt sie deswegen einen langfristigen Plan, um bei den nächsten Landtagswahlen 2029 an die Macht zu gelangen, der nun in die nächste Stufe schaltet.

Worauf müssen sich die anderen Parteien jetzt gefasst machen?

Bombardement der Brandmauer: Die Weigerung der anderen Parteien, trotz der starken Zustimmung nicht mit ihr zu koalieren, im Politiksprech "Brandmauer" genannt, wird die AfD nutzen, um einmal mehr zu behaupten, der Himmel sei grün, nicht blau – und sie selbst die einzige demokratische Partei.

Die Wähler hätten die Brandmauer abgewählt, alles außer einer Koalition mit der AfD sei undemokratisch, hieß es am Montag einstimmig von den Spitzen der AfD in Bund wie den betreffenden Ländern. Parteichefin Alice Weidel behauptete gar, der Ausschluss der AfD im Spiel der Parteien sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Das ist natürlich Unsinn, die Parteien-Zwangsheirat gibt es in Deutschland bekanntlich nicht. Die anderen Parteien haben ein gutes Recht, sich ihre Partner auszuwählen, sich selbst und die Demokratie so zu schützen. In den nun folgenden schwierigen Sondierungen für Regierungen in beiden Ländern aber können sie sich darauf einstellen, dass dieses Sperrfeuer aus der AfD anhält und noch zunimmt.

Die CDU zerstören, das BSW beschädigen: Schon bei Auftritten ihrer Politiker im Wahlkampf nahm die sonst übliche Kritik an Grünen und Linken immer weniger Raum ein. Stattdessen wetterten sie sehr viel stärker gegen die CDU und das BSW. In der Sondierungsphase wird die AfD das Protestbündnis BSW nun noch lauter als "Steigbügelhalter" verteufeln, das ein "Weiter so" ermögliche. Und die CDU als "Massenmigrations- und Merkelpartei" – also aus Sicht ihrer Wähler als Wurzel allen Übels, die nun lieber mit eher linken Parteien koaliere als mit ihr selbst.

Vor allem der Kurs gegen die CDU folgt dabei einer langfristig angelegten Strategie, an deren Ende die "Zerstörung der CDU" steht – wie AfD-Strategen und -Funktionäre selbst öffentlich zugeben. "CDU-Widersprüche bespielen; auf Implosion hinarbeiten; bei der nächsten Wahl CDU pulverisieren", twitterte der gerade für die rechtsextremen Verbände wichtige AfD-Stratege Benedikt Kaiser am Montag als einen von "drei Schritten für Thüringens AfD". Die Hoffnung: Zerfällt die im Osten letzte Volkspartei CDU, dürfte ihr sehr konservativer bis rechter Teil hinüber zur AfD wandern.

Blockieren, Kooperation erzwingen: In Thüringen hat Björn Höckes AfD die Sperrminorität von einem Drittel der Sitze im Parlament erreicht. Damit kann sie wichtige Gesetzesvorhaben und die Besetzung von demokratischen Institutionen blockieren, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Davon unter anderem betroffen: die Wahl der Richter für das Landes-Verfassungsgericht.

Die AfD kann dem politischen Betrieb so an sehr zentralen Stellen den Stock in die Speichen werfen – und ihre Blockade nur dann aufgeben, wenn die Parteien sich auf anderen Feldern auf sie zubewegen. Stück für Stück kann sie sich so immer weiter legitimieren und ihre Politik umsetzen.

Untersuchungsausschüsse nutzen: Die AfD in Sachsen verlor am Montag wegen eines Berechnungsfehlers ebenso wie die CDU einen Sitz im Parlament. Damit verlor sie die Sperrminorität. (Wie es zu dem Fehler kommen konnte, erfahren Sie hier.)

Sachsens AfD-Chef Jörg Urban blieb angesichts dieses Verlustes dennoch erstaunlich ruhig: "Wir sind stark genug, um das zu machen, was wir den Wählern versprochen haben", sagte er. Für die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen nämlich habe die AfD die nötige Mehrheit. Bald schon solle es einen zur Corona-Zeit geben und zum "Fördersumpf der Regierung".

Nicht nur Urban verfolgt dieses Ziel. Aus den Parlamenten heraus will die AfD mit der nötigen Mehrheit Untersuchungsausschüsse im großen Stil einsetzen. Als Aufarbeitung getarnt könnte sie so Fehltritte der anderen Parteien nicht nur offenlegen, sondern über ihre eigenen Kanäle und ihr hörige Fake-News-Medien überzeichnen und skandalisieren.

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Die Jugend noch stärker adressieren: Im Osten sind Jugendliche bereits jetzt eine der wichtigsten Wählergruppen für die AfD. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen erreichte sie von allen Parteien die höchste Zustimmung – in Sachsen waren es 31 Prozent, in Thüringen sogar 38. Die AfD spricht sie gekonnt an, macht eigene Veranstaltungen nur für sie, betont bei Reden ihre Wichtigkeit und bespielt vor allem äußerst gekonnt die sozialen Medien.

Im Westen, der für einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2025 entscheidend ist, dürfte sie diese Strategie noch intensivieren. Die Älteren im Westen nämlich sind weniger wechselwählerfreudig und AfD-affin, sie wählen oft aus Tradition heraus. Der Weg zum Erfolg führt für die AfD deswegen über die Jungen.

Der Schlachtplan der AfD also steht und ist auf Jahre angelegt. Die anderen Parteien allerdings ignorieren ihn, Gegenmaßnahmen jedenfalls sind kaum zu erkennen. Das muss sich ändern, will man nicht spätestens 2029 tatsächlich Höcke als Ministerpräsidenten haben.


Journalist vor Gericht

Er zitierte aus Akten der Justiz und wurde dafür im Schnellverfahren verurteilt: Carsten Janz, Investigativreporter bei t-online, steht heute in Hamburg vor Gericht. Der Fall ist kompliziert, im Kern geht es um die Frage: Was darf die Presse, was darf die Justiz?

Mein Kollege hatte nach einem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg berichtet, dass eine Hausdurchsuchung für rechtswidrig erklärt wurde. Dafür zitierte er wörtlich aus dem ihm vorliegenden Gerichtsbeschluss. Das Verfahren aber war noch nicht abgeschlossen – und nach dem wenig populären Paragrafen 353d im Strafgesetzbuch ist das Zitieren von "wesentlichen Teilen" aus den Akten im Wortlaut im laufenden Verfahren strafbar. Die Folge: Janz erhielt einen Strafbefehl über 3.200 Euro.

Der Paragraf soll Betroffene in Verfahren vor Vorverurteilung schützen. Doch er ist umstritten: Der Deutsche Journalistenverband fordert schon länger, ihn zu streichen, der Journalist Arne Semsrott hält ihn für "verfassungswidrig", Carsten Janz bezeichnet ihn als "pressefeindlich" – und als einen möglichen Türöffner für politisch motivierte Verfahren gegen Journalisten. Anhaltspunkte dafür sieht er in seinem Fall: Denn das Verfahren gegen ihn wurde von einem Generalstaatsanwalt angestrengt, über den er schon häufiger kritisch berichtet hat.

So wie Semsrott wehrt sich mein Kollege heute vor Gericht. t-online wird von dort berichten.


Was steht an?

Migrationsgipfel: Um 15 Uhr treffen sich Vertreter der Bundesregierung mit Vertretern von Union und Landesregierungen. Sie diskutieren über Lösungsansätze zu den größten Problemen in der Migrationspolitik. Mit dabei sein werden erstens Kanzler Olaf Scholz (SPD), die Minister Nancy Faeser (SPD) und Marco Buschmann (FDP), zweitens der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Thorsten Frei (CDU), und seine Vize Andrea Lindholz (CSU) sowie aus den Ländern Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sowie aus Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil mit Innenministerin Daniela Behrens (beide SPD). Die Bundesregierung hat der Union vor dem Treffen schon einigen Wind aus den Segeln genommen – in der vergangenen Woche hatte die Koalition überraschend ein großes Maßnahmenpaket zu Sicherheit und Migration vorgestellt.


Auf Reisen: CDU-Chef Friedrich Merz besucht ein Islamkolleg in Osnabrück, der Papst reist nach Indonesien und Kremlchef Wladimir Putin in die Mongolei. Das Land ist ein wichtiger Wirtschaftspartner für Russland, aber müsste seinen Gast eigentlich ausliefern: Der nämlich ist vom Internationalen Gerichtshof zur Festnahme ausgeschrieben – und die Mongolei ist das erste Land, in das er reist, wo dessen Wort Macht hat. Eigentlich.


Lesetipps

Die Regierungsbildungen in Thüringen und Sachsen werden komplizierter denn je. Welche Lehren aus den Wahlen gezogen werden können, erklärt der Politologe Hans Vorländer im Interview mit meinem Kollegen Simon Cleven.



Nach den Wahlen steht die CDU auf der Suche nach Koalitionspartnern vor inneren Spannungen. Auch dem Vorsitzenden Friedrich Merz könnte das noch Probleme bereiten, berichtet meine Kollegin Sara Sievert.


Aktuell sterben deutschlandweit massenhaft Schafe. In manchen Regionen kommt man mit dem Abtransport der Kadaver kaum nach. Was steckt dahinter? Das hat mein Kollege Lars Wienand hier recherchiert.


Ohrenschmaus

Was ist hier eigentlich gerade los? Das fragen sich in Ost wie West Rechte wie Linke. Einen der besten Songs über Orientierungslosigkeit und die ganze große Verwirrung haben 1988 die Pixies geschrieben. Sie können ihn hier hören.


Zum Schluss

Der große Fehler:

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen schreibt David Schafbuch hier für Sie.

Herzlichst
Ihre Annika Leister

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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