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Blauzungenkrankheit: Das große Sterben auf den Schafweiden


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Massensterben bei Schafen
"Manche tote Tiere liegen fünf oder sechs Tage"


02.09.2024Lesedauer: 7 Min.
Idyll am Deich: Durch die Blauzungenkrankheit herrscht aber Aalarmstimmung bei Schäfern, das Virus rafft massenhaft Tiere dahin.Vergrößern des Bildes
Scheinbares Idyll am Deich: Durch die Blauzungenkrankheit herrscht Alarmstimmung bei Schäfern, das Virus rafft massenhaft Tiere dahin. (Quelle: IMAGO/Markus Tischler)

In Deutschland rafft eine Tierseuche massenhaft Tiere dahin. Der Tod vor allem der Schafe kann auch den Naturschutz in Deutschland zurückwerfen. Das fürchtet etwa die Schäferin von Sylt.

Drei Tage lag das Schaf bereits tot in der Schubkarre, als der Anruf von der Polizei kam. Besorgte Bürger hatten sie verständigt, und jetzt wollten die Beamten von Ruth Schrick-Richter aus Beverungen im nordrhein-westfälischen Landkreis Höxter mehr wissen. Es war eines von unzähligen Telefonaten, die die Vorsitzende des Bundesverbands Berufsschäfer wegen toter, kranker und noch nicht kranker Schafe führen muss. Wegen der Blauzungenkrankheit sterben in weiten Teilen Deutschlands massenweise Tiere.

"Das Schaf in der Schubkarre war keines von unseren Tieren", sagt die Schäferin mit 1.200 Schafen t-online. Sie weiß auch von noch gravierenden Fällen. "Es kommt im Moment regional vor, dass tote Tiere auch schon einmal fünf oder sechs Tage liegen, ehe sie abgeholt werden. Das ist entsetzlich für die Schäfer, aber auch für Menschen, die daran vorbeikommen."

Dreifache Entsorgungsmenge in Tierkörperbeseitigungsanlagen

Die Tiere sterben mancherorts schneller, als die Tierkörperbeseitigungsanstalten mit dem Abholen nachkommen. Mehrere Zehntausend Schafe dürften in den vergangenen Wochen gestorben sein. In manchen Herden liegt die Sterberate bei fast 50 Prozent. Experten des Friedrich-Loeffler-Instituts gehen von einer mittleren Sterblichkeit ungeimpfter Schafe von 20 bis 25 Prozent aus. Die Tiere bekommen vom Virus hohes Fieber, werden apathisch, die Schleimhäute im Maul schwellen stark an, begleitet von Schaumbildung und großen Schmerzen, die Tiere fressen und trinken nicht, werden lahm – und viele sterben.

Der Verband, in dem die Tierkörperbeseitigungsanstalten organisiert sind, berichtet von "immens gestiegener Belastung" für die Mitgliedsbetriebe. "Ich höre von unseren Unternehmen in Einzelfällen von der dreifachen täglichen Entsorgungsmenge wie gewöhnlich", sagt auf Anfrage Jörg Beer, Geschäftsführer des Verbands der Verarbeitungsbetriebe Tierischer Nebenprodukte e. V. "Da kann es zu Verzögerung bei der Abholung kommen, obwohl alle Betriebe Reserven für Seuchen vorhalten."

Was sich im Moment auf den Weideflächen abspielt, ist ein Drama. Deshalb ist Uta Wree, bekannt als die "Schäferin von Sylt", nicht bei ihren mehr als 600 Tieren auf der Insel. Um kranke Schafe zu versorgen, ist sie auf dem Festland und derzeit in Nordfriesland von Betrieb zu Betrieb unterwegs. Wree ist nicht nur Wanderschäferin, sondern auch promovierte Tierärztin und im Vorstand des Verbands der Berufsschäfer für Tiergesundheit zuständig. In manchen Regionen Deutschlands mangelt es an Tierärzten für die Landwirtschaft. Das Warten auf den Viehdoktor kann mit 14 Tagen für verzweifelte Halter endlos lang sein.

Schmerzmittel, Antibiotika und künstliche Ernährung

Wree hilft derzeit von frühmorgens bis abends dort, wo das Virus in den Beständen wütet. "Schmerzmittel für die Tiere, Antibiotika, um zusätzliche Infektionen kleinzuhalten. Diese Schafe müssen auch künstlich ernährt werden, bekommen Flüssigkeit, weil sie nicht schlucken können." Gehen können sie oft auch nicht mehr, Tiere lahmen. Ein Großteil der Schäfer ist betroffen: Nach 13 betroffenen Haltern in Deutschland im Juni registrierte das Friedrich-Loeffler-Institut die Krankheit im Juli und August bei 6.394 Betrieben mit Schafen, Rindern und Ziegen, wie zuerst der Journalist Martin Lejeune in seinem Blog schrieb. Rund 9.500 Betriebe mit Schafen gab es nach Zahlen des Statistischen Bundesamts Ende 2023, in Deutschland grasten 1,56 Millionen Schafe.

Bei Uta Wrees Tieren auf der Insel Sylt ist jetzt ihr Mann. Bislang seien in ihrer Herde nur leichte Symptome aufgetreten. Sie hat ihre Tiere vor fünf Wochen geimpft, noch vor der Welle dort. Aktuell impft sie nicht mehr: "Der Impfstoff braucht bis zur Wirksamkeit vier Wochen, ich halte es nicht für sinnvoll, in die Infektion hineinzuimpfen."

Die Impfung gilt als der Rettungsanker und als Faktor, wieso so viele Tiere sterben müssen: Sie kam erst spät.

Im September 2023 hatte die Ständige Impfkommission Veterinärmedizin bereits gemahnt, es sollte "alles darangesetzt werden, dass vor Beginn der Gnitzensaison 2024 ein BTV-3-Impfstoff zur Verfügung steht". Gnitzen sind kleine Mücken, deren Weibchen Blut saugen und mit ihrem Speichel das Virus der Blauzungenkrankheit (BTV), also Krankheit und Tod bringen. Deutschland war von dem Virus 2023 noch weitgehend verschont geblieben, aber in den Niederlanden starben allein im September und Oktober 2023 fast 40.000 Schafe mehr als sonst in dem Zeitraum.

Seit dem 6. Juni kann geimpft werden

Für Menschen stellt das Virus keine Gefahr dar, betroffen sind Wiederkäuer, Wildtiere, Rinder und Ziegen. Bei Rindern sinkt vor allem auf längere Zeit die Milchproduktion, auch dort sterben Tiere. Dennoch hätten viele Halter hier den Nutzen einer Impfung geringer eingeschätzt als das Risiko, so Wree: Bei Rindern wird weniger geimpft, was die Ausbreitung erleichtert.

Am 6. Juni wurde es per Eilverordnung und Notzulassung überhaupt erst gestattet, Tiere gegen das Virus impfen zu lassen. Ruth Schrick-Richter weiß von Tierärztinnen und Tierärzten, "die dann Tag und Nacht geimpft haben, als es losgehen konnte". Viele Schäfer sehnten es herbei, impfen zu können. "Vielfach konnte nicht mehr vor der Welle geimpft werden, sondern nur noch in der Welle."

Zuvor hatte sich die Hoffnung in Luft ausgelöst, die früher eingesetzten Impfstoffe nutzen zu können. Sie waren nicht wirksam gegen BTV-3, den neuen Serotypen des Virus. Und auch jetzt setzen viele Betriebe bereits auf eine Boosterimpfung.

Nur die Impfung hilft gegen die Viruserkrankung. Das wurde 2008 klar, als das Virus nach der damaligen Welle mit einer Impfpflicht in Deutschland schnell eingedämmt werden konnte und weiterer Schaden sehr gering war. Es war die erste derartige Welle überhaupt so weit im Norden Europas. Die Blauzungenkrankheit und deren Übertragung durch Gnitzen galten als Problem Afrikas und Südeuropas.

Klimawandel erhöht Risiko von Ausbrüchen

Die Gnitzen finden mit dem Klimawandel in nördlichen Breiten bessere Bedingungen – weniger Frosttage und viele warme und feuchtwarme Tage. "Wir müssen auch fürchten", sagt Ruth Schrick-Richter, "dass wir es schneller mit Virus-Mutationen zu tun haben werden."

Es sind erschreckende Vorstellungen für Schäfer. "Viele verstehen die Herde als Organismus und sich als einen Teil davon. Die Empathie mit den Tieren ist hoch. Und es ist schlecht zu ertragen, wenn die Tiere da mit großen Schmerzen und Atemnot stehen und nicht fressen und trinken."

Schäfer üben den Beruf in der Regel nicht wegen des Geldes aus, Schrick-Richter nennt eine Zahl von rechnerisch 6,50 Euro Stundenlohn bei selbstständigen Schäfern im bundesweiten Schnitt. "Was die Schäfer im Moment erleben, ist eine enorme Bürde. Wenn nicht absehbar ist, dass sich das ändert, dann will das mancher nicht mehr machen." Und im Moment ist die Nutzung des Impfstoffs nur bis zum 6. Dezember gestattet.

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Hoffnung auf Gespräch mit Landwirtschaftsminister Özdemir

Nach einem Forderungspapier an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist die Hoffnung groß, dass der Bund die Dramatik erkannt hat und hilft. Ein zeitnahes Gespräch soll es geben, die Schäfer seien froh über aktuelle Rückmeldungen, sagt Schrick-Richter. Im Forderungspapier heißt es, ein ähnlich gearteter Seuchenzug müsse für die Zukunft unbedingt verhindert werden.

Künftige Regelungen und Signale an Impfstoffhersteller sind beim Gespräch nur ein Thema. Es wird auch um die Belastung der Schäfer gehen, um Entschädigungen. Zu den Impfkosten gibt es in den Ländern unterschiedliche Zuschüsse der Tierseuchenkassen. Der größte Anteil bleibt aber jeweils bei den Haltern hängen – auch weil es anders als bei dem Ausbruch vor fast 20 Jahren keine Impfpflicht gibt.

Und während manche Schäfer ein Viertel, ein Drittel oder noch mehr ihrer Herde verlieren, ist die Entschädigung für tote Tiere noch gänzlich offen. Selbst wenn sie kommen sollte, würde sie ohne Geld von außen bedeuten, dass die Beiträge in die Tierseuchenkasse in den kommenden Jahren enorm steigen. Die Schäfereibetriebe halten einen Sonderfonds für nötig. Uta Wree, die Schäferin von Sylt: "Wir Schäfer haben auch nicht viel Wasser unterm Kiel."

Zudem ist da die Sorge, Verträge nicht einhalten zu können, für die die Betriebe Geld aus entsprechenden Programmen bekommen. Uta Wree, die Schäferin von Sylt, lebt etwa von der Landschaftspflege, "wie viele Schäfereien, die vertragliche Verpflichtungen haben, Flächen zu beweiden". Die Tiere sind im Einsatz, um Verbuschung zu verhindern, um invasive Arten kleinzuhalten, um einzigartige Naturräume so zu sichern, wie sie derzeit sind. Schafe, die nicht ziehen können, erreichen die Flächen gar nicht – und für dezimierte Herden geschwächter Tiere werden Flächen zu groß sein. Sie schaffen es nicht, so zu fressen, wie sie müssten.

"Ich kann nicht einfach Schafe nachkaufen"

Für die unterschiedlichen Lebensräume seien Schafe über Generationen angepasst, hätten von den Muttertieren gelernt und seien von den Schäfern danach ausgewählt. "Nächstes Jahr wird es ein ernsthaftes Problem geben, dass nicht genügend Schafe zur Verfügung stehen für diese Aufgabe und dass Schafe dieser Aufgabe nicht so gut nachkommen."

Der Wert der Tiere sei deshalb auch materiell nicht auszudrücken. "Ein Schaf, das immer auf dem Deich war, verhungert auf der Heide", sagt Wree. Auf Sylt bestehe die Grundlage etwa aus Heide und Strandwällen mit ganz besonders rauem Futter, "daran gehen Schafe gar nicht, wenn sie es nicht gelernt haben. Ich kann dafür auch nicht einfach Schafe nachkaufen, die gibt es nicht." Und erkrankte Tiere könnten auch auf Monate unfruchtbar sein; das ist noch nicht abschließend geklärt, wie manches andere auch. Wree: "Es ist wichtig, dass möglichst viele Schafe dieses Fiasko überleben."

Tiere, die es nicht überleben, werden dann von Spezial-Lkws der Verarbeitungsbetriebe abgeholt. Unter hohen Temperaturen und Druck werden sie zu einem Fleischbrei und anschließend zu einem Mehl weiterverarbeitet. Von der Seuche betroffene Tiere fallen unter die Kategorie 1 tierischer Nebenprodukte – "Material mit einem hohen Risiko". Das gilt auch für das tote Schaf, das nach drei Tagen in der Schubkarre die Nachfrage der Polizei ausgelöst hatte und doch noch abgeholt wurde. Es dürfte in Pulverform zur Stromerzeugung in der Müllverbrennung enden.

Verwendete Quellen
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