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Wahlen in Sachsen und Thüringen? Was das Ergebnis für Deutschland bedeutet


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Nach den Landtagswahlen
"Es gibt keinen anderen Weg"

InterviewVon Simon Cleven

Aktualisiert am 02.09.2024Lesedauer: 5 Min.
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Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke geht durch den Erfurter Landtag: Die Regierungsbildung in dem Bundesland wird kompliziert. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Thüringen und Sachsen haben gewählt. Eines ist klar: Die Regierungsbildung wird komplizierter denn je. Welche Lehren aus den Wahlen gezogen werden können, erklärt Politologe Hans Vorländer.

Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben ein politisches Erdbeben ausgelöst. In Thüringen ist die AfD stärkste Kraft, in Sachsen musste sie sich nur knapp der CDU geschlagen geben. Dazu haben die Ampelparteien in beiden Bundesländern deutlich verloren.

Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, hält die Wahlen für eine "Zäsur des deutschen Parteiensystems". Mit Blick auf die Zukunft sagt er: "Wir können uns von dem verabschieden, was wir bisher über Koalitionsbildungen wussten." In Sachsen und Thüringen werde dies nun deutlich komplizierter. Welche Erkenntnisse es darüber hinaus nach den Wahlen gibt, erklärt Vorländer im t-online-Interview.

Herr Vorländer, die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sind Geschichte, besonders AfD und BSW haben in beiden Bundesländern stark abgeschnitten. Ist das die zuvor vielfach prognostizierte Ohrfeige für die Ampelkoalition in Berlin?

Hans Vorländer: Ja, natürlich. Es ist eine richtige Klatsche für die Ampel. Das ist ganz deutlich geworden – mit Ausnahme von Sachsen vielleicht, wo sich die SPD noch einigermaßen hat halten können. Die FDP verpasst in beiden Bundesländern den Einzug, obwohl sie zugegebenermaßen auch vorher schon schwach war. In Thüringen haben zudem die Grünen den Wiedereinzug verpasst und es in Sachsen nur mit Glück geschafft. Sie sind wohl noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.

(Quelle: MIDEM/Klaus Gigga)

Zur Person

Hans Vorländer (*1954) ist Seniorprofessor für Politikwissenschaft an der TU Dresden und Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung sowie Direktor des Mercator Forums Migration und Demokratie. Bis zu seiner Emeritierung besetzte Vorländer den Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte.

Welche sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus den Wahlen gezogen haben?

Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus nach 1945. Zum ersten Mal stellt eine rechtsextremistische Partei in einem Länderparlament die stärkste Fraktion. Das ist eine Zäsur im deutschen Parteiensystem.

Was folgt daraus?

Wir können uns von dem verabschieden, was wir bisher über Koalitionsbildungen wussten. Es wird immer deutlicher, dass wir kaum noch Zweier- oder auch Dreierkoalitionen von Parteien haben werden, die sich inhaltlich einigermaßen nahestehen. Es wird größere Mehrparteienkoalitionen geben, was letztlich das Regieren deutlich unruhiger machen wird.

Besonders in Thüringen zeichnet sich eine solch schwierige Regierungsbildung ab. Dass CDU, BSW und SPD zueinanderfinden, klingt auf dem Papier erst einmal unwahrscheinlich.

Es gibt aber keinen anderen Weg. Die Frage ist noch, ob dazu die Linke gebraucht wird. Und dann muss die CDU über das Stöckchen springen – denn bisher gibt es mit Blick auf die Linke einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Es wird also auf eine Dreier- oder sogar Viererkoalition hinauslaufen. Das ist wackelig. Da kommen Personen und Programme zusammen, mit denen es schwierig ist, stabile Mehrheiten zu finden. Aber Alternativen gibt es nicht, denn die CDU hat eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen.

Und wie blicken Sie auf die kommenden Monate der Regierungsbildung in Sachsen?

Hier ist die Lage zumindest etwas komfortabler für den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Er hat zumindest die stärkste Fraktion hinter sich und es ist wohl klar, dass die SPD wieder mit in die Koalition geht. Es werden sicherlich Gespräche mit dem BSW abgehalten. Dazu sind auch die Grünen wieder drin, die Linke hat es über die zwei Grundmandate geschafft und hinzukommt noch ein Abgeordneter der Freien Wähler.

In Sachsen zeichnen sich trotzdem unruhige Monate ab.

Ja, Kretschmer muss sich jetzt seine Mehrheit zusammensuchen und schauen, dass er ein perspektivreiches Programm für eine Koalition entwickelt. Dafür wird er sich Zeit nehmen und viele Optionen diskutieren. Wahrscheinlich muss er eventuell etwas unorthodox an die Regierungsbildung herangehen. Denkbar ist auch eine nur punktuelle Unterstützung, etwa durch die Linke, Grüne oder die Freien Wähler. Das Ganze wird sicher mindestens bis Weihnachten dauern. Die Landesverfassung sieht vor, dass im Februar der Ministerpräsident gewählt werden muss.

In Sachsen und Thüringen hat die AfD besonders bei jungen Wählern hinzugewonnen. In der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren verzeichnete sie in Thüringen ein Plus von 15 Prozent, in Sachsen von elf Prozent. Warum wählen junge Menschen eine rechtsextreme Partei?

Das ist eine Entwicklung, die wir schon seit Längerem beobachten, etwa auch bei den Europa- und den Kommunalwahlen im Juni. Die AfD ist mittlerweile sehr verwurzelt und anscheinend sehen jüngere Leute in der Partei einen Rettungsanker mit Blick auf ihre Zukunftsängste. Zudem ist die Wahl ein Ausdruck großer Unzufriedenheit mit den anderen Parteien. Die AfD scheint besonders in einer Situation von Verlustängsten und schlechten Zukunftsaussichten attraktiv zu sein.

Welche Zukunftsängste sind das?

Viele junge Leute sehen die großen Veränderungen in Bereichen wie Arbeit und Klima, Probleme bei der Finanzierung von Sozialleistungen oder Diskussionen um die Haushaltslage. Auch den Mangel an Lehrern nehmen sie wahr. Das alles summiert sich offenbar zu einem Bild, das keine guten Perspektiven bietet. Die AfD bietet da einfache Antworten und ein Zurück zu einer vermeintlich heileren Welt von gestern. Das scheint attraktiv zu sein.

Die Themen, die Sie angesprochen haben, sind vor allem bundespolitische Themen. Die Landespolitik hat darauf kaum Einfluss. Wie passt das zusammen?

Es ist eben eine große Gemengelage, die die Menschen dazu motiviert, die AfD zu wählen. Dazu gehört die Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit der Ampel in Berlin und nach wie vor die Frage der Migration beziehungsweise Integration – Letzteres ist ein Thema der Länder. Sachsen grenzt etwa mit Polen und Tschechien gleich an zwei Nachbarländer. Gerade in den grenznahen Gebieten ist das Thema irreguläre Migration ein stark beachtetes. Da haben sowohl die AfD als auch Ministerpräsident Kretschmer klargemacht, dass es so nicht weitergehen dürfe. Die Entwicklung hatte sich in den letzten Jahren schon abgezeichnet und bestätigt sich nun erneut.

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Mancher Beobachter sieht mit Blick auf die Wahlergebnisse nun eine erneute "Teilung" Deutschlands. Sehen Sie das ähnlich?

Das kommt immer auf die Perspektive an. Im Osten ist die AfD im Schnitt stärkste Partei und die CDU auf Platz zwei, im Westen war es bei der Europawahl andersherum. So weit liegen wir also nicht auseinander. Dass aber AfD und BSW einen so großen Erfolg einfahren, ist tatsächlich etwas, das den Osten vom Westen unterscheidet. Das liegt nicht nur daran, dass es zum Beispiel bei Fragen wie Migration oder dem Krieg in der Ukraine unterschiedliche Einstellungen gibt, sondern auch an spezifisch ostdeutschen Problemen, die sich in den vergangenen drei Jahrzehnten aufgestaut haben.

Welche Probleme meinen Sie?

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Das alles hat natürlich mit der Transformation nach der Wende zu tun. Wir haben etwa große prosperierende Zentren wie Dresden, Leipzig, aber auch Jena. Auf der anderen Seite stehen aber massive Probleme auf dem Land und in Kleinstädten: Viele Menschen sind weggezogen, es gibt eine Überalterung, Probleme an den Grenzen. Dazu kommen wirtschaftliche Faktoren wie die Deindustrialisierung und das Ende der Braunkohle. In ländlichen Regionen wird die medizinische Versorgung zunehmend schlechter und an Schulen mangelt es an Lehrern.

Was macht das mit den Menschen in Ostdeutschland?

All diese Probleme kommen zusammen und führen zu einer Verbitterung und zu Wut auf die Bundespolitik. Die Menschen sagen, sie seien nicht gehört und dann abgehängt worden. Das ist eine Einstellung, die sich in den vergangenen Jahren massiv verstärkt hat.

Herr Vorländer, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Hans Vorländer
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