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Ampel tut nichts: Dieses Problem gefährdet den Wohlstand in Deutschland


Tagesanbruch
Ganz schlechte Nachrichten für Deutschland

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 07.08.2024Lesedauer: 6 Min.
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Rentner mit Enkel: Das Missverhältnis zwischen den Generationen verschiebt sich immer weiter. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

manche Sachen klingen, als seien sie einem Paralleluniversum entsprungen. Wie diese Anzeige einer Kita, die ich kürzlich gesehen habe: "Wir haben Plätze frei", hieß es darin sinngemäß. Moment mal. Ein Kindergarten sucht Kinder? Und das mitten in einer der größten Städte Deutschlands? Als wäre das nicht verrückt genug, bot der Träger bei kurzfristiger Zusage sogar Rabatt auf die Verpflegungskosten. Für viele Eltern kleiner Kinder dürfte das wie Hohn klingen, haben sie sich doch gerade erst mit jahrelangen Wartelisten und langwierigen Auswahlverfahren herumgeschlagen. Werdende Eltern dürften sich dagegen freuen: Die Lage scheint sich zu entspannen. Auch Krankenhäuser melden deutschlandweit immer weniger Geburten.

Tatsächlich sind es – gesamtgesellschaftlich gesehen – keine guten Nachrichten. Im Gegenteil: Sie sind katastrophal. Denn die Geburtenrate ist ungewöhnlich stark abgestürzt. Wurden 2021 noch 1,58 Kinder pro Frau geboren, sind es laut den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2023 nur noch 1,35.

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Dabei war die Rate ab 2009 stetig gestiegen, doch die Corona-Pandemie setzte dem Aufwärtstrend ein jähes Ende. Die Krise durch die russische Invasion in der Ukraine ließ die Rate noch weiter abstürzen. Dazu kommen Klimakrise, angespannter Wohnungsmarkt und die Inflation. Keine gute Gemengelage, um entspannt Kinder zu bekommen.

Die Konsequenzen aber sind weitreichend. Denn die Kinder von heute, so platt kann man es sagen, sind das Fundament unseres Wohlstands von morgen. Irgendwer muss schließlich arbeiten gehen, in die Rentenkasse einzahlen und den Laden am Laufen halten. Was sonst passiert, sieht man in einzelnen Regionen Deutschlands bereits, in denen schon seit Jahren nur noch wenige Kinder nachkommen und aus denen viele junge Menschen wegziehen. Dort droht ein Teufelskreis: Weniger Arbeitskräfte führen zu einer schrumpfenden Wirtschaft, die wiederum zu mehr Wegzug und weniger Geburten führt. Den verbliebenen, meist älteren Menschen vor Ort bleibt am Ende weder Bäckerin noch Friseur. Und in den kommenden Jahren wird sich dieser Teppich aus aussterbenden Orten, so zeigen es Prognosen, immer weiter ausbreiten.

Was also tun? Sicher, der treibende Faktor für die immer weiter fallende Geburtenrate ist die derzeitige Unsicherheit. Krisen gelten gemeinhin als Killer für die Familienplanung. Doch die Familienpolitik der Ampel ist bestensfalls unambitioniert. Oder, drastischer ausgedrückt, kontraproduktiv.

Dabei hat sie sich im Koalitionsvertrag noch groß vorgenommen, die Situation für Familien zu verbessern. So sollte etwa das Kindergeld Leistungen für Familien zusammenfassen. Darüber hat sich die Ampel mittlerweile aber so sehr zerstritten, dass unklar ist, ob die Maßnahme überhaupt noch kommt. Das Elterngeld sollte eigentlich vereinfacht und digitalisiert werden. Passiert ist das nicht. Stattdessen gibt es jetzt eine Einkommensobergrenze, ohne dass in diesem Zuge der Betrag für schlechter Verdienende aufgestockt wurde. Statt zwei Monate dürfen die Eltern gleichzeitig nur noch einen Monat Elterngeld beziehen.

Will man die Geburtenrate wirklich steigern, bräuchte es weit mehr Anreize. Einige Beispiele:

Die ungewollt Kinderlosen fliegen derzeit fast gänzlich unter dem Radar – dabei liegt hier ein riesiges Potenzial, will man die Geburtenrate steigern. Schätzungen zufolge betrifft das fast jedes zehnte Paar. Eine Kinderwunschbehandlung ist allerdings teuer: Die Kosten liegen je nach Methode zwischen rund 2.000 und 5.000 Euro – pro Versuch. Dazu kommen meist noch die Medikamente und Hormone. In welcher Höhe Zuschüsse gezahlt werden und welche Voraussetzungen gelten, variiert je nach Krankenkasse. Einige Bundesländer zahlen in bestimmten Fällen auch Zuschüsse – aber auch hierbei sind die Regeln höchst unterschiedlich.

Dazu kommt: Krankheiten, die das Kinderkriegen erschweren, werden kaum ausreichend erforscht. Beispiel Endometriose, eine Krankheit, die fast jede zehnte Frau betrifft. Als ich vor zwei Jahren die Krankheit an dieser Stelle thematisierte, erreichten mich daraufhin zahlreiche Zuschriften, in denen Leserinnen und Leser schilderten, wie die Krankheit ihren Kinderwunsch unerfüllt ließ. Zwar gibt die Ampel mittlerweile Geld für die Erforschung, pro Jahr etwa fünf Millionen Euro – eine winzige Summe. Sie reiche nicht einmal für die Einrichtung eines Labors, sagte ein Gynäkologe dem "Spiegel" kürzlich. Auch über Unfruchtbarkeit unter Männern ist übrigens nur wenig bekannt. Dabei ist das – anders als gemeinhin angenommen – in der Hälfte der Fälle die Ursache dafür, dass es mit dem Kind nicht klappt.

Doch die Probleme beginnen schon einen Schritt vorher. Wenn junge Paare über die Familienplanung sprechen, spielen Fragen wie die folgenden eine Rolle: Ist unsere Wohnung groß genug und wenn nicht, finden wir eine, die es ist und die wir bezahlen können? Reicht das Geld trotz der gestiegenen Kosten während der Elternzeit? Gibt es in unserer Gegend genug Kitas und Schulen? Bieten die auch eine Ganztagsbetreuung an? Zu viele dieser Fragen werden derzeit häufig mit Nein beantwortet.

So wird immer weniger Wohnraum geschaffen, und im Größensegment für Familien ist es besonders eng. Der Fachkräftemangel und die Streiks in Kitas machen die Betreuungssituation für junge Familien unberechenbar – daran wird auch die sinkende Geburtenrate nichts ändern. Und immer mehr junge Frauen haben Studien zufolge den Eindruck, Familie und Beruf nicht vereinbaren zu können. "Alles in allem ist das für Frauen eine No-win-Situation", sagte Jutta Allmendinger, Chefin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, kürzlich der "Welt". "Die gesunkene Geburtenrate lässt vermuten, wo Frauen für sich die Lösung dieses Dilemmas sehen."

Es ist eine ganze Reihe an Dingen, die angepackt werden könnten, um die Geburtenrate zu steigern. Am Ende könnte allerdings auch das Prinzip Hoffnung helfen. Denn die Geburtenrate hat in der bundesdeutschen Geschichte schon die eine oder andere überraschende Trendwende hingelegt, die sich Soziologen und Demografen auf den ersten Blick nicht so recht erklären konnten. Kein Grund aber, auf eine familienfreundlichere Politik zu verzichten.


Die Termine

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Zum Schluss

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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in den Mittwoch. Morgen schreibt Ihnen mein Kollege David Digili.

Camilla Kohrs
Ressortleiterin Politik und Wirtschaft
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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