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Endometriose: Die unterschätzte Krankheit, über die kaum jemand spricht


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Tagesanbruch
Die unheilbare Krankheit, über die kaum jemand spricht

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 11.02.2022Lesedauer: 8 Min.
Eine Frau steht im Klinikzimmer: Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Krankheit, die kaum jemand kennt.Vergrößern des Bildes
Eine Frau steht im Klinikzimmer: Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Krankheit, die kaum jemand kennt. (Quelle: Addictive Stock/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

jeden Tag schauen wir für Sie auf die großen Krisen und Debatten. Was passiert in der Ukraine? Wie geht es in der Corona-Pandemie weiter? Setzt die Bundesregierung ihre Versprechen um?

Seien Sie unbesorgt, später erfahren Sie dazu im Tagesanbruch mehr. Doch müssen wir auch hin und wieder einen Blick über die dominierenden Themen hinauswerfen und auf andere schauen, die zwar wenig bekannt, aber auch wichtig sind – und darüber hinaus eine Menge über unsere Gesellschaft aussagen.

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Stellen Sie sich vor: Da ist eine unheilbare Krankheit, an der allein in Deutschland mindestens zwei Millionen Menschen leiden. Sie sorgt für extreme Schmerzen, kann einen normalen Alltag unmöglich machen und ist einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen ungewollt kinderlos bleiben. Und doch ist sie nur unzureichend erforscht, es gibt lediglich dürftige Behandlungsmöglichkeiten. Viele Ärzte kennen sie nicht einmal. Die Sprache ist von Endometriose. Haben Sie noch nie gehört? Dann geht es Ihnen wie einem Großteil der Deutschen.

In Kurzform: Im Bauchraum siedelt sich Gewebe an, das dem der Gebärmutterschleimhaut ähnlich ist. Dort können die sogenannten Endometrioseherde Organe verkleben und Entzündungen auslösen. Das Gewebe ist hormongesteuert, die Symptome zeigen sich hauptsächlich zeitgleich mit der Menstruation. Dann kann es zu extremen Schmerzen kommen: Laut Endometriose-Expertin Sylvia Mechsner von der Berliner Charité können sie einen ähnlichen Grad wie die einer Geburt erreichen. Bleibt die Krankheit unerkannt, kann sie außerdem die Fruchtbarkeit erheblich einschränken. Den Expertinnen der Charité zufolge ist Endometriose in 20 bis 50 Prozent der Fälle die Ursache hinter ungewollter Kinderlosigkeit.

Und die Krankheit betrifft viele: 10 bis 15 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter leiden unter Endometriose – schätzungsweise, denn eine eindeutige Diagnose wird selten und oft erst nach Jahren getroffen. Das liegt auch daran, dass eine Diagnose so schwierig ist: Bis zu welchem Punkt sind es normale Schmerzen, ab wann deuten sie auf die Krankheit hin? Bei einer Ultraschalluntersuchung bleiben die Endometrioseherde zudem oft unsichtbar.

Und es gibt noch einen weiteren Grund. Vielleicht haben auch Sie beim Lesen ein Unbehagen gefühlt. Das wäre nicht untypisch, denn alles rund um die Menstruation ist noch immer tabuisiert. Und hier liegt ein großes Problem: Weil eben kaum jemand darüber spricht, ist diese Krankheit so unbekannt, selbst bei Ärzten. Viele Betroffene leiden deswegen so lange – weil sie keine Ahnung haben, dass es Endometriose gibt, weil Ärzte nicht genügend auf ihre Beschwerden eingehen. Und häufig bekommen sie zu hören: Stell dich nicht so an, Schmerzen haben Frauen doch fast alle.

Ich durfte das selbst erleben. Jahrelang habe ich meinem Arzt über immer stärkere, immer unaushaltbarere Schmerzen im Unterleib berichtet. Da er aber auf dem Ultraschall nichts erkennen konnte, endete das Thema stets mit den Worten "Keine Auffälligkeiten". Das Stichwort "Endometriose" fiel nie.

Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: An besonders schlimmen Tagen nahm ich acht 500er-Schmerztabletten mit entkrampfenden Stoffen – mehr als die Tageshöchstdosis. Dennoch waren die Schmerzen teilweise so stark, dass ich weder aufstehen noch schlafen oder essen konnte. Das ging mal einen, mal zwei Tage so, dann flachten sie über eine Woche ab. Vier oder fünf Tabletten musste ich dennoch nehmen, um durch den Tag zu kommen. Das ist viel zu viel und viel zu lange. Doch ich dachte, es sei normal. Es gibt ja "keine Auffälligkeiten", andere Frauen schaffen das auch. Erst als ich zu einer anderen Ärztin wechselte, fragte sie genauer nach: Wie stark sind die Schmerzen, wie viele Tabletten nehmen Sie? Sie verwies mich direkt an ein Endometriosezentrum.

Doch selbst nach diesem Anfangsverdacht bleibt der Weg steinig. Denn eine zweifelsfreie Diagnose gibt es nur über eine Bauchspiegelung. Heißt: Vollnarkose, Schnitte im Bauch, Krankenhausaufenthalt. Dabei werden die Endometrioseherde entfernt, danach folgt eine hormonelle Behandlung, um eine erneute Ausbreitung zu verhindern.

Und die hat es in sich. Ein kurzer Abriss über die häufigsten Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Erbrechen, Migräne, Blutungen, Schmerzen, depressive Verstimmungen. Darauf kann man gern verzichten. Eine echte Wahl haben die Betroffenen allerdings nicht. Denn es gibt nur diese drei Behandlungswege: Schmerzmittel, OP, Hormone. Heilbar ist Endometriose auch nicht, die Beschwerden enden erst auf natürlichem Weg in den Wechseljahren. Für viele bedeutet das einen Leidensweg von mehr als 20 Jahren.

Ich selbst stehe noch am Anfang meiner medikamentösen Behandlung. Eine, die offen über die Krankheit mit allen ihren Folgen spricht, ist Autorin und Model Anna Wilken. Mit 19 wurde die Krankheit bei der heute 26-Jährigen diagnostiziert. Trotz Hormontherapie und Operationen leidet sie häufig weiter unter starken Schmerzen. "Wie Messerstiche" seien sie an schlimmen Tagen, erzählte sie in einem Interview mit der "Zeit".

Auf ihrem Instagram-Account klärt Wilken über die Krankheit auf, zeigt Bilder von Symptomen wie dem aufgeblähten "Endobelly" (Zusammensetzung aus Endometriose und dem englischen Wort für Bauch) und berichtet über ihren bislang unerfüllten Kinderwunsch. Erst kürzlich erlitt sie eine Fehlgeburt.

Dann ist da noch die 19-jährige Theresia Crone. Mit 14 war sie das erste Mal wegen der Schmerzen im Krankenhaus, konnte ohne Opiate weder schlafen noch essen, wie sie berichtet. Die "Fridays-for-Future"-Aktivistin hat nun eine Petition an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aufgesetzt. Ihre Forderung: Eine bundesweite Aufklärungskampagne, Fördergelder für die Forschung und einen Aktionsplan. Wie der aussehen könnte, hat die Endometriose-Vereinigung bereits ausformuliert: Hier können Sie ihn lesen.

Natürlich gibt es in Deutschland Forschung zu Endometriose, hier entstanden laut Charité beispielsweise die ersten zertifizierten Endometriosezentren. Für die Bundesregierung aber ist die Krankheit bisher kaum ein Thema – trotz ihrer massiven Auswirkungen. In der vergangenen Legislaturperiode förderte das Forschungsministerium kein einziges Projekt, wie eine Anfrage über "Frag den Staat" zeigte. Bis jetzt ist Endometriose nicht einmal als chronische Krankheit eingestuft. Und vieles ist eben noch unklar: Laut den Expertinnen der Charité gibt es nur "vage Hypothesen", warum einige Frauen daran erkranken und andere nicht.

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Unser Nachbarland Frankreich ist da weiter. Präsident Emmanuel Macron kündigte im Januar einen nationalen Kampf gegen Endometriose an: "Sie heißen Sandrine, Lola, Charlotte oder Enora", sagte er in einer Videoansprache. "Sie sind erschöpft, erschöpft von Schmerzen, die bis zur Ohnmacht führen können." Nun müsse eine umfassende Versorgung im ganzen Land errichtet werden, ausreichend Geld in die Wissenschaft fließen, um Ursachen und Behandlungen zu erforschen. Außerdem müsse die Krankheit endlich "in der Schule, an der Universität, zu Hause, im Büro und sogar in medizinischen Kreisen" bekannt gemacht werden.

Denn viele Frauen sammeln wegen Endometriose viele Krankheitstage an, werden im schlimmsten Fall gekündigt. Oder können sich in der Schule oder Universität nicht konzentrieren. Oder verzichten regelmäßig auf ihr soziales Leben. "Das ist kein Problem der Frauen, das ist ein Problem der Gesellschaft", sagte Macron. Ich glaube, ich muss Ihnen als Betroffene nicht erklären, wie gut es tat, das zu hören.

Vielleicht denken Sie jetzt: Schlimm, aber was ist denn mit Krebs? Daran sterben jedes Jahr mehr als 200.000 Menschen. Oder Arthrose – die verursacht auch Schmerzen, schränkt die Lebensqualität ein und ist nicht heilbar. Sie haben vollkommen recht, diese und viele weitere Krankheiten haben mehr Aufmerksamkeit verdient.

Aber zeigt dieser Fall nicht eben auch exemplarisch, wie wenig Beachtung die Politik solch weitverbreiteten, lebenseinschränkenden Krankheiten schenkt? Wie wenig in Forschung investiert wird, obwohl so viele Menschen leiden? Wie wenig Zeit Ärzte für die Beschwerden ihrer Patienten haben? Das darf in einem so reichen Land wie Deutschland nicht sein.

Der Fall der Corona-Impfstoffe hat gezeigt, wie schnell Forschung sein kann, wenn nur genug politischer Wille da ist. Natürlich, die Corona-Pandemie ist ein Ausnahmezustand und rechtfertigt, dass viele Ressourcen auf nur ein Thema gesetzt wurden. Das ist im Fall von Endometriose anders, sie konkurriert mit vielen anderen Erkrankungen um Mittel, Forschung, Aufmerksamkeit. Aber ein Zeichen, dass die Bundesregierung Endometriose ernst nimmt und etwas unternimmt, sollten die Betroffenen erwarten dürfen. Es wird Zeit.


Scholz sendet wichtiges Zeichen

Es gibt Staaten in der EU, auf die schauen wir oft: Wer gewinnt die Präsidentschaftswahl in Frankreich? Was treibt Viktor Orbán in Ungarn? Und in Italien wird schon wieder gewählt? Andere schaffen es so selten in unsere Nachrichten, dass man sie fast vergisst.

Wie die baltischen Staaten, deren Staats- und Regierungschefs gestern in Berlin bei Kanzler Olaf Scholz zu Gast waren. Für Estland, Litauen und Lettland sind die russischen Drohungen gegen die Ukraine nicht nur ein Problem in ihrer Nachbarschaft. Das Zurückdrängen russischer Aggressionen ist für sie Staatsräson. Denn die sowjetische Zeit ist in den baltischen Staaten noch omnipräsent. Schon seit dem russisch-georgischen Krieg sind die Ängste groß, Russland könnte auch sie angreifen.

Die baltischen Staaten blicken derzeit mit einer Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung auf Deutschland. Seit Jahren schon sorgt die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 für Ärger, vor allem bei der estnischen Regierung. Für sie ist es mitnichten ein wirtschaftliches Projekt, sondern ein geopolitisches. "Wenn man so verbunden ist, kann einen die andere Seite leicht verletzen, indem man den Hahn abstellt", sagte die estnische Premierministerin Kajas Kallas am Mittwochabend in den Tagesthemen.

Bundeskanzler Olaf Scholz tat deswegen gut daran, nun klar die deutsche Unterstützung zu formulieren. "Wir stehen an Eurer Seite", sagte er Kallas, dem Staatspräsidenten Litauens Gitanas Nausėda und dem lettischen Ministerpräsidenten Krišjānis Kariņš. "In dieser kritischen Situation sollte Russland die Einigkeit und Entschlossenheit nicht unterschätzen." Das sind nicht nur leere Worte, tatsächlich will die Bundeswehr ihr Kontingent von Nato-Soldaten in Litauen deutlich aufstocken.

Scholz' Worte sind umso wichtiger, weil aus Deutschland in den letzten Tagen auch andere Töne erklangen: Der Linken-Politiker Klaus Ernst forderte im ZDF, die Nato-Mitgliedschaften der baltischen Staaten zu beenden und in eine Art "neutralen Status" zu überführen – einem, der auch Russland mehr Sicherheit bieten würde. Gerade in Zeiten, in denen so viel über Deutschlands historische Verantwortung diskutiert wird, ist das mehr als geschichtsvergessen. Schließlich war es Nazideutschland, das die baltischen Staaten im Hitler-Stalin-Pakt erst als Verhandlungsmasse einsetzte und der UdSSR als eine Art "Geschenk" überreichte – und kurz darauf selbst einmarschierte.


Die Termine

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschäftigt auch das Bundesverfassungsgericht. Heute will es seine Entscheidung über einen Eilantrag dazu veröffentlichen.

Kanzler Scholz hält ab 9.30 Uhr seine erste Rede im Bundesrat ab. Danach berät das Gremium unter anderem über den Nachtragshaushalt.

Werden die Preise weiter so stark steigen? Um 8 Uhr gibt es darauf zumindest einen Hinweis: Dann gibt das Statistische Bundesamt die Inflationsrate für Januar bekannt.

Auch bei Olympia geht es weiter: Heute gibt es Medaillen im Biathlon, Eisschnelllauf, Shorttrack, Skeleton, Ski alpin, Skilanglauf und Snowboard. Unsere komplette Olympia-Berichterstattung finden Sie übrigens hier.

Neben all den Wettkämpfen in Peking soll natürlich auch die Bundesliga nicht in Vergessenheit geraten: Heute Abend trifft RB Leipzig zu Hause auf den 1. FC Köln.


Was lesen?

Große Teile Europas beherrschte die Wehrmacht Anfang 1941 bereits, dann marschierte sie auch in Nordafrika ein. Warum, das lesen Sie hier.


Kanzler Olaf Scholz kommuniziert in der Ukraine-Krise deutlicher als noch vor Kurzem. Nur der Begriff "Nord Stream 2" kommt ihm partout nicht über die Lippen – auch wenn er überall nach der Gaspipeline gefragt wird. Was dahintersteckt, erklären meine Kollegen Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold


Mit Jennifer Morgan sitzt bald eine weltbekannte Umweltaktivistin im Außenministerium. Ist das allein schon ein Skandal? Mitnichten. Doch es gibt einen anderen Grund, der gegen Morgan spricht, kommentiert meine Kollegin Theresa Crysmann.


Was mich amüsiert

Viele Köche verderben bekanntlich die Impfpflicht.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und dann einen guten Start ins Wochenende. Morgen hören Sie meine Kollegen Sebastian Späth, Florian Harms und Johannes Bebermeier im Podcast.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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