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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Entscheidung für Vize-Kandidaten Er kann die Wahl für Harris nicht gewinnen
Mit Tim Walz trifft Kamala Harris auf den ersten Blick eine eher überraschende Entscheidung als möglichen Vizepräsidenten. Dabei geht Harris mit dieser Wahl das geringste Risiko ein.
Die Wahl schien fast schon entschieden zu sein: Wen anderes als Josh Shapiro, den Gouverneur von Pennsylvania, hätte Kamala Harris bei ihrer Tour durch die sechs Swing States der USA als Vizepräsidentschaftskandidaten präsentieren können? Schließlich startet Harris genau dort ihre Wahlkampftour durch die unentschlossenen, und damit wahlentscheidenden Bundesstaaten. Wäre jemand anderes als Josh Shapiro dem Publikum überhaupt vermittelbar?
Der 51-Jährige galt von Beginn an als der Favorit auf die Rolle von Harris' "Running Mate". Tim Walz dagegen hatte sich erst nach und nach in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Aufgrund dieser Ausgangslage mag Harris' Entscheidung für den Gouverneur von Minnesota als ihren Vizekandidaten zunächst überraschend wirken. Doch tatsächlich entscheidet sich die demokratische Präsidentschaftskandidatin für die Variante mit dem geringsten Risiko und damit für die beste Lösung.
Wenige Wähler sind entscheidend
Die US-Wahl entscheidet eben nicht das Publikum bei einer Wahlkampfveranstaltung der Demokraten in Pennsylvania. Sie wird sich vermutlich auch nicht alleine in diesem Bundesstaat entscheiden, obwohl es der Swing State mit den meisten Wahlleuten ist. Es geht um insgesamt sechs unentschlossene Bundesstaaten, in denen Kamala Harris oder Donald Trump möglichst viele Wähler überzeugen müssen, um ins Weiße Haus einziehen zu können. Walz könnte Harris in allen Staaten dabei helfen.
Der in seiner Heimat beliebte Shapiro hätte Harris' dort sicher einen Schub verliehen. Ob ihm das aber in allen Swing States gelungen wäre, ist fraglich: Die demokratische Partei ist etwa in ihrer Haltung zum Nahostkonflikt gespalten. Joe Biden wurde bereits in den Vorwahlen in Michigan von mehr als 100.000 registrierten demokratischen Wählern abgestraft, weil sie mit seiner Israel-Politik nicht einverstanden waren.
Es sind Dimensionen, die im November die Wahl in Michigan entscheiden können: 2016 gewann Trump den Staat mit 10.000 Stimmen Vorsprung, 2020 holte ihn Joe Biden mit etwa 150.000 Stimmen Abstand zurück. Harris wollte wohl nicht wissen, wie die dortige Wählerschaft auf einen Vizekandidaten reagiert hätte, der jüdischen Glaubens ist.
Ein doppeltes Gegengewicht
Shapiro wird schon länger auch aus dem linken Spektrum für seine Haltung zu Israel attackiert und etwa auf einer Website als "Genocide Josh" beschimpft. Man mag das als grobe Ungerechtigkeit empfinden. Am Ende kann aber jede Kontroverse, egal ob gerechtfertigt oder nicht, ein Grund sein, den man in einem Wahlkampf beachten sollte: Ein passender Vizekandidat ergänzt eine Präsidentschaftskampagne. Er kann ihr im Idealfall etwas hinzufügen, was der eigentliche Kandidat nicht hat. Gewinnen kann er die Wahl dagegen nicht. Eine falsche Entscheidung kann eine Kampagne allerdings ins Wanken bringen. Man erinnere sich etwa an die schrille Sarah Palin, die 2008 John McCains republikanischen Wahlkampf weiter auf die Verliererstrecke führte.
Ein solches Risiko stellt Walz, nach allem, was die Öffentlichkeit bisher über ihn weiß, nicht dar. Als Feindbild dient er bisher eher weniger. Als ehemaliger Lehrer, Football-Trainer und Nationalgardist aus dem mittleren Westen, noch dazu mit langer politischer Erfahrung, könnte Walz die perfekte Ergänzung für Harris sein. Denn er spricht vor allem eine Wählergruppe an, auf die es in den Swing States mit ankommen wird: die weiße Mittelschicht. Es ist genau die Gruppe, die Donald Trump und auch J. D. Vance immer wieder für sich beanspruchen und die wohl auch diesmal die Wahl in mehreren Bundesstaaten entscheiden wird.
Walz ist somit in doppelter Hinsicht ein Gegengewicht: Auf der einen Seite komplettiert er die Kampagne von Harris, auf der anderen Seite könnte er viele Wähler überzeugen, die sich ansonsten eher für Trump entschieden hätten. Am Ende aber wird Harris die Wahl nicht über ihren Vize, sondern über die richtigen Inhalte gewinnen müssen. Für sie geht die richtige Arbeit erst jetzt los.
- Eigene Recherche