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Insolvenzen in Deutschland: Galeria, FTI, Esprit – der große Ausverkauf?


Tagesanbruch
Der große Ausverkauf läuft

MeinungVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 03.08.2024Lesedauer: 8 Min.
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Menschen in der Münchner Fußgängerzone (Symbolbild): Es braucht ein reinigendes Gewitter. (Quelle: IMAGO/Wolfgang Maria Weber/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

erinnern Sie sich noch an Ihren letzten Besuch in einem Kaufhaus? Vielleicht haben Sie Bettwäsche gekauft, einen Kochtopf oder ein Parfum? Ich jedenfalls bin vergangenes Jahr im Mai eines der letzten Male in einem Galeria Karstadt gewesen: Ich brauchte kurzfristig einen Koffer für eine Reise nach New York City.

Doch das Einkaufserlebnis war alles andere als erfreulich. Nach langem Suchen in endlosen Gängen fand ich zwar einen schönen Koffer. Ich hatte aber noch eine Frage zu dem ausgewählten Modell – die mir der zuständige Mitarbeiter dann aber nicht beantworten konnte. Der Mehrwert des Vor-Ort-Geschäfts: null.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil das Kaufhaus mittlerweile dicht ist. Kürzlich bin ich beim Joggen noch einmal daran vorbeigelaufen. Die Türen waren verrammelt, auf einem kleinen Schild der Hinweis: Das Gebäude wurde verkauft, wie so viele Geschäfte der Galeria-Gruppe.

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Nach drei Insolvenzen blieb vom einst stolzen Kaufhauskonzern nur ein Schatten seiner selbst übrig. Noch gibt es 92 Kaufhof- oder Karstadt-Filialen in Deutschland, bis Anfang September soll diese Zahl aber auf 83 sinken. Noch vor vier Jahren waren es mehr als doppelt so viele.

So wie Galeria geht es aktuell Hunderten, Tausenden Firmen: FTI, Esprit, Opti-Wohnwelt, die Liste ließe sich verlängern. Eine Pleitewelle rollt durch Deutschland. Das ist in vielen Fällen sehr tragisch, für die Mitarbeiter und auch für die Kunden.

Doch volkswirtschaftlich betrachtet ist es notwendig. Es braucht ein reinigendes Gewitter.

Um das zu verstehen, lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Statistik werfen: Im ersten Halbjahr 2024 sind rund 11.000 große, mittlere und kleine Firmen pleitegegangen, berichtet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Fast 30 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr.

Experten sind zwar zurückhaltend mit dem Begriff "Insolvenzwelle". Steffen Müller, Professor an der Uni Magdeburg und Insolvenzforscher am IWH Halle, sagt, er sehe "durchaus ein erhöhtes Niveau". Von einer "dramatischen Insolvenzwelle" will er indes nicht sprechen. Aber, so der Experte zu t-online: "Die Gesamtzahl der betroffenen Jobs ist erheblich." Im Gegensatz zu Creditreform lässt Müller in seinen Statistiken die Kleinstfirmen heraus.

"Große Unternehmen gehen nur sehr selten in die Insolvenz, weil sie sich häufig ohne das Verfahren sanieren können", erläutert Insolvenzforscher Müller weiter. "In der Regel arbeiten sie intensiv mit Insolvenz- und Restrukturierungsexperten zusammen. Doch in Krisen gehen solche Sanierungskonzepte oftmals nicht auf. Daher ballen sich derzeit die Insolvenzen großer Namen."

Und eine solche Krise erleben wir aktuell. Ihr wichtigster Auslöser: die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) im Sommer 2022. Nachdem die Inflation in den Monaten zuvor stark gestiegen war – auch bedingt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine –, mussten unsere Währungshüter handeln. Die Geldpolitiker setzten den Leitzins deutlich nach oben: In zehn Erhöhungsrunden ging es zeitweise bis auf einen Satz von 4,5 Prozent hoch. Viele Unternehmen bekamen in der Folge Finanzprobleme.

Denn: Geld kostet nun mal Geld. Auch wenn das viele Unternehmen in den rund zehn Jahren des Wirtschaftsaufschwungs nach der Finanzkrise vergessen haben mögen. Neben den Finanzierungskosten spielen auch andere Kosten eine Rolle. Alles wurde teurer – besonders Energie und Personal.

Experten nennen einen weiteren Grund für die aktuell hohe Zahl an Insolvenzen. Der ist eher technischer Natur – und reicht zurück in eine Zeit, in der wir Masken getragen und uns darüber Gedanken gemacht haben, mit wie vielen Leuten wir uns eigentlich gerade in einem Raum aufhalten dürfen. In Pandemie-Zeiten hatte die alte Bundesregierung, in der unser derzeitiger Kanzler übrigens Finanzminister war, eine Vielzahl von Corona-Ausnahmeregeln geschaffen. Sie griff zudem Zehntausenden Firmen über Corona-Zahlungen und Kredite unter die Arme. Diese Zahlungen will der deutsche Staat zu Recht jetzt zurückhaben.

Viele Unternehmen hatten sich also von der Corona-Krise kaum erholt – und stolperten bereits in die nächste Krise. Eine explosive Mischung.

Wie aber geht es weiter? Im Juli sind die Insolvenzen um rund 20 Prozent im Vergleich zum Vormonat angestiegen, verriet mir vorab Insolvenzforscher Müller. Für August und September geht der Experte davon aus, dass die Zahl der Pleiten weiter anzieht.

Wie es anschließend aussieht, ist noch offen – und hängt maßgeblich von drei Faktoren ab:

Erstens: Wie hoch ist noch der Rückstau aus der Corona-Krise? Zweitens: Wann geht die EZB einen weiteren Zinsschritt nach unten, wann wird sie dauerhaft die Zinsen senken? Und drittens: Wann wird sich die allgemeine Wirtschaftslage wieder erholt haben?

Bis jetzt kam die Ampelregierung noch gar nicht vor in der Misere. Tatsächlich – und das bestätigen mir auch Experten – kann sie für die aktuelle Insolvenzwelle wenig bis gar nichts. Ausnahmsweise kann man also nicht auf Robert Habeck, Christian Lindner oder Olaf Scholz schimpfen. Sie könnten zwar versuchen, die Wirtschaft anzukurbeln. Mit dem aktuellen Wachstumspaket geschieht das derweil kaum, betont etwa Ökonomin Monika Schnitzer.

Entscheidend ist – in Bezug auf die steigenden Insolvenzen –, jetzt aber nicht in Aktionismus zu verfallen. Jeder Eingriff der Politik in das Insolvenzgeschehen sollte sehr gut begründet sein. Ein Ratschlag an die Politik, den man nur selten hört: Einfach mal nichts machen, sondern die Füße stillhalten.

Denn zum einen schadet die Rettung eines Pleitegeiers zwangsläufig den Konkurrenzfirmen, die schnell in die Defensive geraten. Zum anderen verschärft die Politik mit solchen Eingriffen das Fachkräfteproblem. Geht eine Firma bankrott und werden Stellen gestrichen, finden Mitarbeiter oft schneller einen Job als noch früher. Der Arbeitgebermarkt hat sich radikal zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt.

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Und vor allem – jetzt komme ich auf den eingangs erwähnten Punkt zurück: In einer Volkswirtschaft sind Marktaustritte nötig. So hart das im Einzelfall ist. Etwa, wenn plötzlich Tausende Menschen auf die Straße gesetzt werden oder ein Firmenchef vor den Trümmern seines Daseins steht.

Aber nur so wird Platz für neue, innovative Unternehmen geschaffen. Man kann nicht ewig vor sich hin wurschteln und hoffen, dass sich die Zeiten wieder zum Guten ändern. Das ökonomische Grundprinzip von Angebot und Nachfrage stellt viele Firmenchefs früher oder später vor die Wahl: anpassen oder weichen. Das ist das unternehmerische Risiko, mit dem Manager umgehen müssen.

Nur in den allerseltensten Fällen geraten Unternehmen vollkommen unverschuldet in die Pleite.

"Managementversagen spielt am Ende häufig auch eine entscheidende Rolle, wenn es zur Insolvenz kommt", sagt einer, der es wissen muss: Insolvenzverwalter Sven-Holger Undritz. Immerhin hat er Dutzende Pleitefirmen begleitet und sturköpfige Unternehmenschefs beraten. Es gelte: "Für die Erfolge der Vergangenheit bekommt man nichts", wie mir der Experte im Interview verriet.

Das führt uns wieder zum Beispiel des Anfangs: Galeria. Mit Wirkung zum 1. August hob das Essener Amtsgericht das im Januar begonnene Insolvenzverfahren auf. Damit soll dem angeschlagenen Unternehmen der Neustart ermöglicht werden. Die Firma heißt ab sofort nur noch Galeria, früher trugen die Kaufhäuser den Namen Galeria Karstadt Kaufhof.

Einen Neustart aber wird das Unternehmen wohl kaum mehr hinbekommen. Es wurde viel zu lange an verkrusteten Strukturen festgehalten, an einem Modell, das in Zeiten von Amazon und Co. nicht mehr tragfähig ist. Um im Bild einer "Insolvenzwelle" zu bleiben: Wenn sich die Flut zurückgezogen hat, sehen wir, was übrigbleibt. Und im Zweifelsfall ist das nicht allzu viel. Das gehört zur Wahrheit dazu.


Im Zweifel für die Freiheit

Es dürfte der größte Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg sein: Russland, die USA, Deutschland und weitere Länder tauschen 26 Gefangene aus. Russland ließ nach Vermittlung des türkischen Geheimdienstes unter anderem die wegen Spionage verurteilten US-Amerikaner Evan Gershkovich und Paul Whelan sowie zahlreiche Kremlkritiker frei. In Freiheit kam auch der nach einem Todesurteil begnadigte Deutsche Rico K. in Belarus.

Im Gegenzug muss Deutschland eine bittere Pille schlucken – und Wadim Krasikow freilassen, der hier in Haft saß. Er ist besser bekannt als "Tiergartenmörder": Er tötete im Jahr 2019 in der Parkanlage einen Georgier, der in Deutschland Schutz gesucht hatte.

In Russland braucht Krasikow keine Bestrafung durch Wladimir Putin zu befürchten. Im Gegenteil: Er wurde vom Kremldespoten gar mit einer Umarmung am Rollfeld empfangen. Bei aller Freude über die Entlassenen stellt sich eine moralische Frage: Sollte man einen Mörder freilassen – um Journalisten und Regierungskritiker zu retten, die einem Verbrecherregime unliebsam sind?

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Immerhin musste er eine Aussetzung der Strafvollstreckung bei Generalbundesanwalt Jens Rommel anweisen. "Abzuwägen war das gewichtige Interesse an der Vollstreckung der Strafe gegen die Freiheit von 16 Menschen, die teilweise nur deshalb in Haft saßen, weil sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben", erklärte Buschmann sein Dilemma. Für ihn sei das Prinzip "Im Zweifel für die Freiheit" entscheidend gewesen. Kanzler Scholz sagte, nachdem er sich am Flughafen Köln/Bonn mit mehreren Freigelassenen getroffen hat: "Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet."

Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew und heutige Vize-Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats zeigte indes einmal mehr seine moralische Verrottung. Er empfahl den "Verrätern", sich neue Namen zuzulegen und sich "aktiv im Rahmen des Zeugenschutzprogramms zu tarnen". Damit deutete er an, dass Moskau die freigelassenen Kremlkritiker im Ausland verfolgen könnte.


Wann kommt der Nahe Osten endlich zur Ruhe?

Sie werden keine Antwort von mir auf diese Frage erhalten, nur eine traurige Vermutung: auf absehbare Zeit wohl nicht. Die Bundesregierung warnt aktuell vor einem Flächenbrand in der Region, nachdem mehrere Hamas- und Hisbollah-Terroristen "ausgeschaltet" wurden, wie es in Militärsprache heißt.

Israel befindet sich nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in höchster Alarmbereitschaft. In der Regierung in Jerusalem wird es für wahrscheinlich gehalten, dass Vergeltungsmaßnahmen für die Tötung führender Mitglieder von Hamas und Hisbollah noch in dieser Woche erfolgen werden. "Israel ist auf jedes Szenario sehr gut vorbereitet – sowohl defensiv als auch offensiv", so Netanjahu. Israel warnt zudem seine Staatsbürger im Ausland vor möglichen Anschlägen.

Aus Sicherheitsgründen streicht die Lufthansa für die kommenden Tage ihre Flüge nach Beirut und Tel Aviv. Bereits am Donnerstagabend wurden Dutzende Raketen aus dem Libanon auf Israel abgefeuert, die meisten konnten abgefangen werden. Für die Menschen im Norden des Landes ist der Dauerbeschuss leider der Normalzustand.

Wenn Sie an allen aktuellen Entwicklungen interessiert sind, empfehle ich Ihnen unseren Newsblog zur Lage in Nahost.


Das historische Bild

2000 kam es zu einem Inferno in der niederländischen Stadt Enschede. Mehr lesen Sie hier.


Lesetipps

Russlands Truppen haben sich in der Ukraine festgesetzt, die Hoffnung auf eine Niederlage des Putin-Regimes ist derzeit gering. Jörg Baberowski hat diese Entwicklung früh vorausgesagt. Im Interview mit meinen Kollegen Florian Harms und Marc von Lüpke erklärt der Historiker, warum Russland stabiler ist, als manche meinen.


Rückschlag für die Ampel: Das FDP-geführte Finanzministerium hält Nachverhandlungen zum Haushalt für nötig. Mein Kollege Florian Schmidt kennt die Details.


Vor 80 Jahren ermordeten die Nationalsozialisten die letzten Sinti und Roma im Vernichtungslager Auschwitz. Mehr als 4.300 Kinder, Frauen und Männer wurden vergast. Am 2. August begeht man daher den Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. In Berlin plant die Deutsche Bahn derweil einen neuen S-Bahn-Tunnel, der ausgerechnet unter dem Roma-Denkmal vorbeiführen soll. Betroffeneninitiativen sind empört, schreiben die Kollegen der "taz".


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag – und einen guten Start ins Wochenende.

Ihr

Mauritius Kloft
Leitender Redakteur Nachrichten & Planung
X: @Inselkloft

PS: Übrigens, dies war mein erster Tagesanbruch. Wenn Sie Feedback dazu haben, schicken Sie es gerne per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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