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Bahnstreik: Hat GDL-Chef Claus Weselsky recht?


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Tagesanbruch
Hat Weselsky doch recht?

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 12.03.2024Lesedauer: 6 Min.
GDL-Chef Claus Weselsky lässt sich von Lokführern für seinen harten Verhandlungskurs feiern.Vergrößern des Bildes
GDL-Chef Claus Weselsky lässt sich von Lokführern für seinen harten Verhandlungskurs feiern. (Quelle: Robert Michael/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

blicken Sie noch durch, wer gerade streikt? An einem Tag sind's die Busfahrer, am anderen die Pflegekräfte, dann die Müllmänner. Heute also die Leute von der Lufthansa – und die Lokführer, schon wieder! Seit letzter Nacht steht auch der Personenverkehr. Ein paar Ersatzzüge krebsen rum, bei Flixtrain klingelt die Kasse, ansonsten: Stillstand. Bahnfahren in Deutschland ist zum Lotteriespiel geworden. Ein pünktlicher Zug, in dem auch noch die Toiletten und das WLAN funktionieren, ist wie ein Sechser mit Zusatzzahl: ein Riesenglück, kommt aber nie vor.

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Verantwortlich für den Schlamassel, unter dem Millionen Reisende leiden, ist nach einhelliger Meinung Claus Weselsky. Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL verhandelt nicht, er erpresst: Solange die Gegenseite seine Forderungen nicht vollständig erfüllt, zickt er rum und streikt weiter. Noch nicht einmal das Geständnis einer peinlichen Falschaussage bringt ihn von seinem Rumpelstilzchen-Kurs ab. Vor seiner Pensionierung will er allen zeigen, wer der härteste Gewerkschafter im ganzen Land ist – wahnsinnig egoistisch! So oder ähnlich ist es vielerorts zu lesen, auch hier im Tagesanbruch.

Ich will diesen Mann und seine Methoden nicht entschuldigen, aber es gibt noch eine andere Sicht auf den Tarifkonflikt. Die liest man nur selten. Warum ist dieser Weselsky so bockig? Weil er es kann. Weil dem Bahnvorstand am Ende gar nichts anderes übrig bleiben wird, als ihm sehr, sehr weit entgegenzukommen.

Hart verhandeln kann nur, wer in einer starken Position ist. Die Manager der Deutschen Bahn sind das nicht, im Gegenteil: Jahrelang haben sie den Staatskonzern heruntergewirtschaftet, das Schienennetz kaputtgespart, das Personal ausgedünnt und die Jobs unattraktiv gemacht. Nicht, weil sie schlechte Manager sind (das vielleicht auch), sondern weil die Politik es so wollte. Das sollte beachten, wer heute über die Ampelregierung schimpft: Die Fehler sind früher gemacht worden, und zwar von drei CSU-Verkehrsministern. Sie hießen Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer. Während sie zig Milliarden Euro für Umgehungsstraßen in Bayern und für Autobahnen spendierten, ließen sie die Bahn verlottern.

So wurde die DB, was sie heute ist: ein Saftladen. In diesem Betrieb für ein unterdurchschnittliches Gehalt im Schichtdienst zu malochen, empfinden viele Lokführer als Zumutung. Deshalb wechseln sie den Job oder wandern in die Schweiz ab, wo sie mehr verdienen und Renommee genießen. Auch neue Bewerber kommen kaum nach. Deshalb sind hierzulande knapp 4.000 Lokführerstellen unbesetzt, deshalb fallen täglich Züge aus, auch ohne Streik.

Wie sich dieser Missstand beheben lässt? Indem Lokführer wieder ein attraktiver Beruf wird. Mit einer Bezahlung, die dem Schichtdienst und der großen Verantwortung für Tausende Reisende gerecht wird. Deshalb ist Herr Weselsky so stark. Und deshalb werden die Bahn-Manager am Ende wohl zu Kreuze kriechen.


Schranke gegen Verfassungsfeinde

Wochenlang sind Bürger im ganzen Bundesgebiet auf die Straßen gegangen: Die Demonstrationen gegen Rechtsextremisten haben ein starkes Zeichen für Pluralismus, Toleranz und Demokratie gesetzt. Nun liegt der Ball bei den Politikern der demokratischen Parteien. Sie müssen entscheiden, ob sie es bei Lippenbekenntnissen belassen oder die Verfassungsfeinde wirklich in die Schranken weisen: Am Umgang mit der AfD entscheidet sich die Wehrhaftigkeit des deutschen Rechtsstaats.

Die Fakten liegen auf dem Tisch: In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stufen die Landesverfassungsschutzämter die AfD-Verbände als gesichert extremistisch ein. Zitat aus dem Thüringer Verfassungsschutzbericht 2022: "Der AfD-Landesverband Thüringen ist eine erwiesen rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Landesverband vertritt seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richten."

In Brandenburg klingt es so: "Der AfD-Landesverband Brandenburg propagiert ein Politikkonzept, das primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet ist. Die Staatsbürgerschaft von muslimischen Deutschen wird infrage gestellt. Ihnen drohen bei konsequenter Umsetzung der von der Partei propagierten Positionen Massenabschiebungen. Dieses verletzt alle Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung."

Schwarz auf weiß: Rassismus, Angriffe auf Verfassung und Demokratie. Wohlgemerkt: Nicht alle Wähler der AfD sind so, natürlich nicht. Viele treibt der Frust in die Arme der Extremisten, was umso größerer Bemühungen der anderen Parteien bedarf, diese Menschen für den demokratischen Prozess zurückzugewinnen. Wer jedoch als Funktionär für die AfD in den genannten Bundesländern agiert, ist Teil einer staatsgefährdenden Truppe und muss entsprechend behandelt werden: mit nachrichtendienstlicher Überwachung, mit den Gesetzen des Strafgesetzbuchs – und im Zweifel auch mit einem Parteiverbot.

Moment, haben der Kanzler, die Innenministerin, auch der Oppositionsführer ein AfD-Verbot nicht ausgeschlossen? Bisher ja, weil sie das langwierige und juristisch heikle Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht fürchten. Das aber kann sich ändern, wenn auch auf Bundesebene glasklare Beweise für die staatsgefährdenden Umtriebe der AfD vorliegen. Und das könnte bald so weit sein: Der Bundesverfassungsschutz hat in jahrelanger Detailarbeit zahlreiche Belege gesammelt. Wie zu hören ist, will die Behörde nur noch einen Prozess abwarten, bevor sie ihr Konvolut veröffentlicht.

Dieser Prozess beginnt heute: Vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster klagt die AfD in einem Berufungsverfahren gegen ihre Einstufung durch den Verfassungsschutz. Konkret geht es um den AfD-"Flügel" des Faschisten Björn Höcke und um die radikale AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", die mittlerweile den Kurs der Partei bestimmen.

Drei Kategorien unterscheiden Behörden bei der Einstufung radikaler Organisationen: den Prüffall, den Verdachtsfall und die gesichert extremistische Bestrebung. Gegenwärtig wird die Bundes-AfD (noch) als Verdachtsfall geführt und klagt dagegen. Weisen die Richter die Klage nun zurück, werden die Verfassungsschützer wohl ihr Beweismaterial veröffentlichen. Wie zu hören ist, dürfte es ausreichen, um die gesamte AfD als gesichert extremistisch einzustufen. Dann ist es Zeit für eine ernsthafte Verbotsdebatte.


Ohrenschmaus

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Taurus dominiert alles

Der Taurus ist zum Fetisch der deutschen Ukraine-Politik geworden. Gestern beschäftigte sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags mit der Abhöraffäre, morgen steht die Regierungsbefragung im Parlament an, bei der Olaf Scholz Stellung beziehen muss. Und am Donnerstag wollen CDU und CSU erneut über einen Antrag abstimmen lassen, der die Bundesregierung auffordert, der Ukraine endlich die Marschflugkörper zu liefern. Dabei kann die Union auch auf Stimmen der Umfallerpartei FDP hoffen. Dass der Kanzler die Debatte mit seiner Absage per Machtwort ("Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das") abgeräumt hätte, lässt sich jedenfalls nicht behaupten. Seine Autorität muss man mit der Lupe suchen.

Zumal seit dem Ringtausch-Angebot des britischen Außenministers David Cameron eine weitere Option im Raum steht: Deutschland könnte Taurus-Exemplare an Großbritannien abgeben und London im Gegenzug Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow an die Ukraine liefern. Damit wären Bedenken hinsichtlich der großen Taurus-Reichweite und einer deutschen Beteiligung bei der Zielprogrammierung obsolet. Während Außenkriegsministerin Annalena Baerbock und weitere Grünen-Politiker Sympathien für die Idee äußern und CDU-Drängler Friedrich Merz sie als "zweitbeste Lösung" rühmt, sieht der Kanzler auch darin keinen gangbaren Weg: Es gebe in der Debatte keinen neuen Stand, verkündete sein Sprecher gestern knapp. Mehr am Donnerstag im Tagesanbruch.


Jetzt muss es schnell gehen

Überschwemmungen in Griechenland und Norditalien, Dauerdürre in Spanien, der wärmste Februar seit Beginn der Aufzeichnungen: Der Klimawandel trifft Europa härter als andere Kontinente – doch die EU-Staaten sind schlecht vorbereitet auf die Folgen. Zu diesem Schluss kommt die Europäische Umweltagentur in ihrem jüngsten Bericht über Klimarisiken. Als "letzten Weckruf" bezeichnet er die Auswertung der Experten.

Nun sind bekanntlich schon einige Weckrufe folgenlos verhallt, aber diesmal gibt es zumindest umgehend eine Reaktion: Die EU-Kommission will heute Pläne für eine bessere Klima-Resilienz in Europa vorstellen. Bereiche, in denen akuter Handlungsbedarf besteht, hat die Umweltagentur selbst benannt: etwa die Verbesserung der Katastrophenvorsorge bei Überflutungen und Waldbränden sowie die Verstärkung des Küstenschutzes bei steigendem Meeresspiegel.


Was lesen und schauen?

Viele Amerikaner finden Joe Biden zu alt, um das Land vier weitere Jahre als Präsident zu führen. Seine Vergess- und Gebrechlichkeit sind zum Wahlkampfthema geworden; deshalb war auch im Tagesanbruch vom "Tattergreis" die Rede (womit natürlich ausschließlich Mister Biden gemeint war). Der Bericht eines Sonderermittlers, der heute im Justizausschuss des Repräsentantenhauses zur Debatte steht, nennt Biden einen "gutmütigen älteren Herrn mit schlechtem Gedächtnis". Das kann der Kandidat der Demokratischen Partei nicht auf sich sitzen lassen: Seit seiner Rede zur Lage der Nation versucht Biden sich als kraftvoller, dynamischer und humorvoller Gegenpol zum stumpfsinnigen Donald Trump zu inszenieren. In seinem neuen Wahlkampfvideo gelingt das ziemlich gut (Ton bitte unten rechts anklicken).


Arbeitsmoral galt früher als deutsche Tugend. Heute ist das Land bequem, bürokratisch und lahm geworden, meint unser Kolumnist Uwe Vorkötter – und macht Vorschläge, was dagegen hilft.


Viele "Fußballexperten" plappern nur Phrasen daher. Robert Hiersemann und Florian Wichert wissen, wovon sie reden; ihr "Zweikampf der Woche" zählt zu den beliebtesten Kolumnen der Sportrepublik. Was sie zur bevorstehenden Europameisterschaft schreiben, bringt sogar Fußballmuffel weiter.


Zum Schluss

Sachen gibt's!

Ich wünsche Ihnen einen stressfreien Tag. Morgen greift David Schafbuch für Sie in die Tasten, ich am Donnerstag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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