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HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

Dauerstreiks und Arbeitsmüdigkeit: Was ist los im Powerhouse Deutschland?


Meinung
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Stoßseufzer zum Standort Deutschland
Deutschland: faul und verwöhnt?

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 12.03.2024Lesedauer: 4 Min.
Büro im Grünen: Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt ist es vielen Menschen möglich, auch ortsunabhängig ihrem Beruf nachzugehen.Vergrößern des Bildes
Hängematte immer in Reichweite: Die einst weltberühmten Arbeitstugenden Deutschlands sind Vergangenheit. (Quelle: laurentia/imago-images-bilder)
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Ist da jemand? Hallo, Außendienst, bitte melden. Kann mal einer ans Telefon gehen? Ach so, ihr streikt. Die Azubi ist gar nicht da? Szenen aus der Arbeitswelt. In dieser Welt war Deutschland mal Weltmeister.

Szene 1

Die Firma Krautkremer sucht einen Gerüstbauer. Er sollte "einigermaßen pünktlich und austherapiert" sein. "Wir bieten Aufstiegsmöglichkeiten von montags bis samstags", schreibt der Handwerksmeister in seiner Jobanzeige. Lustig, oder? Es gibt Leute, die sammeln solche Stellenangebote im Internet. Da sucht das "eingestaubte Familienunternehmen" aus dem Schwarzwald einen "Technischen Zwiedawurz", gemeint ist ein IT-Fachmann. Auch Grantler und Taugenichtse sind gefragt. Die Not muss groß sein.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Jeden Dienstag schreibt er bei t-online seine Kolumne "Elder Statesman".

Ist sie auch. Der Fachkräftemangel lähmt die deutsche Wirtschaft. Gesucht werden Installateure und Elektriker, Sozialpädagogen und Pflegekräfte, Sales Manager und Controller, Akademiker, Handwerker und alle, die irgendetwas können. Irgendetwas kann jeder.

Eine Arabeske am Rande: Die Bundesregierung hat es trotz Fachkräftemangel geschafft, den Personalbestand in ihren Ministerien deutlich aufzustocken. Sagen Sie also bitte nicht, die Ampel kriegt nichts auf die Reihe. Man braucht tatsächlich immer mehr Beamte, schon wegen der Entbürokratisierung.

Szene 2

Wissen Sie eigentlich, wer in dieser Woche streikt? Am besten, Sie machen sich immer sonntags einen Plan: Dienstag nicht mit dem Bus zur Arbeit, da streikt der Nahverkehr. Am Mittwoch lässt der Doktor seine Praxis zu. Donnerstag die Mülltonne erst gar nicht rausstellen, die wird sowieso nicht geleert. Und die Bahn: hoffnungslos. Weselsky, auch diese Woche.

Deutschland ist Streikland geworden. Das kannten wir früher von Italien oder Frankreich. Waren wir nicht mal stolz auf unsere Sozialpartnerschaft?

Szene 3

Bewerbungsgespräch mit Anna-Sophie. Sie soll um acht Uhr morgens im Büro sein? Nur ein Tag Homeoffice pro Woche? Mittwochs würde sie gern um 16.30 Uhr den Yogakurs schaffen. Julius ist nicht ganz so kompliziert. Allerdings kann er erst im Oktober anfangen. Er will erst noch ein paar Monate nach Thailand. Elefanten streicheln.

Personalchefs und Mittelständler erzählen diese Art von Geschichten über die Generation Z. Also über die Generation, die demnächst unseren Laden schmeißen soll. Die jungen Leute von heute: sehr anspruchsvoll, wenig belastbar, verlieren schnell die Lust und sind stets auf der Suche nach dem besseren Job.

Das ist natürlich Polemik, eine Ansammlung von Vorurteilen. Aber es stimmt schon, die Generation Z ist speziell.

Dringend gesucht: alle

Diese drei Szenen sind Symptome einer grundlegenden Veränderung unserer Arbeitsgesellschaft. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Babyboomer jetzt in den Ruhestand gehen. Und dass viel weniger junge Menschen nachkommen. Im 20. Jahrhundert war der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit vordringliches Ziel der Wirtschaftspolitik. Noch vor zehn Jahren hatte die "Generation Praktikum" große Schwierigkeiten, den Einstieg ins Berufsleben zu finden. Jetzt erleben wir eine 180-Grad-Wende auf dem Arbeitsmarkt.

Psychologisch steckt die Gesellschaft noch in der alten Arbeitswelt fest. Wenn Galeria Kaufhof pleite geht, sorgt man sich reflexartig um die Arbeitsplätze. Obwohl Peek & Cloppenburg, H&M, Rewe und Lidl händeringend Menschen mit Berufserfahrung im Einzelhandel suchen. Die Politik forciert die grüne Transformation, aber jeder Arbeitsplatz in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und bei der Chemie soll erhalten bleiben.

Alte Welt, altes Denken. Behörden, Weltkonzerne, Handwerksbetriebe und Start-ups konkurrieren um Führungskräfte, Fachkräfte und Hilfskräfte. Volkswirtschaftlich ist dieser Wettbewerb ein Nullsummenspiel.

Deutschland, faul und verwöhnt?

Es gibt Lösungsansätze für den Arbeitskräftemangel, der – neben Energiekosten und Bürokratie – zu den größten Problemen der deutschen Wirtschaft gehört. Drei Vorschläge folgen gleich, aber zunächst eine Warnung: Nein, es bringt überhaupt nichts, nur darüber zu klagen, dass die Deutschen nicht mehr arbeiten wollen, dass die jungen Menschen faul und verwöhnt seien.

Und damit zu den Vorschlägen. Erstens: Überall dort, wo Arbeit von Maschinen erledigt werden kann, brauchen wir keine Menschen. Beispiele aus dem öffentlichen Dienst: Haben Sie schon einmal versucht, Ihren Personalausweis online zu verlängern oder Ihr Auto im Internet umzumelden? Eben. Vor fünf Jahren haben Bund und Länder das Grundgesetz geändert, um gemeinsam einen "Digitalpakt" für die Schulen auf den Weg bringen zu können. Wann haben Sie zuletzt etwas davon gehört? In Lyon, Tokio und Kuala Lumpur verkehren U-Bahnen ohne Fahrer. Konsequent genutzt, könnte die Digitalisierung im alternden Deutschland Wachstum und Wohlstand mit weniger Arbeitskräften ermöglichen. Könnte.

Zweitens: Wir brauchen Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, das ist ja unstrittig. Ohne Ärzte aus Polen, Programmierer aus Indien und Eisenbieger aus der Türkei säßen schon heute ganze Branchen auf dem Trockenen. Seit vielen Jahren wird über die Anerkennung von Zeugnissen, die Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen, und andere bürokratische Hemmnisse diskutiert. Die Probleme sind bekannt, aber nicht gelöst.

Genügend Kitaplätze und ein warmes Mittagessen

Auch im Inland gibt es Menschen, die mehr arbeiten können und wollen. 50 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit, längst nicht alle freiwillig. Vor allem weil die Kinderbetreuung nicht funktioniert. Genügend Kita-Plätze und ein kostenloses warmes Mittagessen in der Schule wären für den Arbeitsmarkt sinnvoller als so mancher Kurs, in dem das Jobcenter die verbliebenen Arbeitslosen parkt.

Außerdem: die Rentner. Viele Boomer können und würden länger arbeiten, wenn das für sie attraktiv wäre. Es gibt den Vorschlag, 2.000 Euro monatlich neben der Rente steuerfrei zu stellen. Perfekt. Man muss es nur machen.

Machtverschiebung zugunsten der Arbeitnehmer

Drittens: Wenn Arbeitskräfte begehrt sind, muss man sie gut behandeln. Nicht nur das Büro mit Coffeebreak-Lounge und Kicker ausstatten, sondern auch materiell gute Bedingungen bieten – bezahlte Überstunden für die einen, Viertagewoche für die anderen, ordentliche Löhne und Gehälter für alle. Die Streiks, die wir gerade erleben, sind Zeichen einer Machtverschiebung: von Arbeitgebern und Aktionären zu Arbeitnehmern und Gewerkschaften. Arbeitskräfte sind knapp. Was knapp ist, ist teuer. Man nennt es Marktwirtschaft.

Weltmeister Deutschland? Ja, wenn es ums Beschreiben und ums Beklagen der Probleme geht. Kreisklasse, wenn's an die Lösungen geht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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