Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Deutschland steht jäh still
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Kennen Sie das? Man wacht morgens auf, tankt drei Tassen Kaffee und ist trotzdem nach einer Stunde wieder müde. Man robbt durch den Arbeitstag, hakt ein Meeting nach dem anderen ab und schielt in jedem auf die Uhr. Man lauscht der superspannenden, superkreativen und supersorgfältigen Präsentation einer Kollegin, dauernickt zustimmend und hofft insgeheim, dass sie endlich enden möge. Man zückt das piepende Handy, betrachtet vier Einladungen zu Premierenfeiern, Festen, Abendessen mit einem Stirnrunzeln und legt sich insgeheim schon mal Ausreden zurecht.
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Ja, so fühlt es sich an, wenn man urlaubsreif ist. Der Duden bietet uns für diesen Zustand auch den Komparativ urlaubsreifer und sogar den Superlativ am urlaubsreifsten an, und wenn ich Ihnen jetzt gestehe, dass ich letzteren für mich in Anspruch nehme, bin ich sicher nicht allein. Überall in unserem schönen, aber manchmal ganz schön stressigen Land sehnen sich Menschen nach Erholung, Ruhe, Abwechslung vom Alltag. Viele sind schon mittendrin in der Entspannung, der Rest folgt ab heute: Die Bayern haben an diesem Freitag ihren letzten Schultag, ab heute Abend sind dann alle Bundesländer im Ferienmodus.
Und wie das so ist, wenn alle zur Ruhe kommen wollen, drehen wir erst recht richtig auf: Auf Straßen, Bahnhöfen und Flughäfen wird es jetzt proppenvoll. Der ADAC erwartet das staureichste Wochenende der Saison – auch weil die Bundesbürger in diesem Jahr besonders reisefreudig seien. Nach Corona, Krieg und Klimaschock ist die Sehnsucht nach unbeschwerten Stunden an schönen Orten offensichtlich groß.
Auf den Flughäfen herrscht Hochbetrieb. Allein in München erwarten die Airport-Betreiber bis zu 1.000 Starts und Landungen pro Tag und im Verlauf der Ferienwochen mindestens 5,5 Millionen Passagiere. Sie haben zusätzliches Personal angeheuert, um des Ansturms Herr zu werden. Auf dem Flughafen Nürnberg müssen die Mitarbeiter pro Tag 10.000 Gepäckstücke verladen – mehr als je zuvor.
Auch die Bahn rüstet sich für die Reisewelle und warnt vorsorglich: Ohne Sitzplatzreservierung wird es eng. Sehr eng. Die üblichen Verspätungen dürften auf vielen Strecken zu Endlosfahrten ausufern – vor allem rund um Ballungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet, den Rhein-Neckar-Raum, Hamburg, Berlin, Stuttgart, München und den Ruhrpott.
Wer sich ins Auto setzt, braucht den fünften Gang gar nicht erst einzulegen: Ab heute Mittag wird es auf den Autobahnen und Bundesstraßen nicht nur im Süden knallvoll. Ebenso morgen und am Sonntag. Die Leute vom ADAC empfehlen, entweder sehr früh morgens aufzubrechen oder nachts zu fahren. Auch auf den Alpenrouten über die Tauern, den Fernpass, durchs Inntal, über den Brenner und den Gotthard werden die Blechkisten Stoßstange an Stoßstange stehen. In beiden Fahrtrichtungen übrigens, denn aus dem Süden kommen die ersten Urlaubserholten zurück: In NRW enden die Ferien in einer Woche schon wieder.
Das halbe Land ist unterwegs, alle drängeln von A nach B und wollen dabei möglichst wenig Zeit verlieren: Das ist ein heikler Zustand, erst recht, wenn man zur Gattung der am Urlaubsreifsten gehört. Ich habe deshalb rasch in Ratgeberfibeln geblättert, wie man hektische Situationen am besten übersteht und vermeidet, zum Opfer der eigenen Unruhe zu werden. Was ich da gelesen habe, ist keine Weltneuheit, aber hilfreich: Man soll …
- die Situation neutral beurteilen (alle stehen im Stau, also hilft es nichts, wenn ich mich aufrege).
- innerlich auf Abstand gehen (ja, das nervt jetzt, aber ich steh da drüber).
- die Perspektive wechseln (Staus sind doof, aber hey: Andere treten sich jetzt in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle auf dem Flughafen die Füße platt – wir dagegen sitzen hier entspannt bei Musik und Chips!).
- mit jemandem darüber sprechen (siehst du den Heini in dem Porsche da drüben, Schatz, sieht der nicht aus wie der Herr Kaiser ausm Supermarkt? … Nee, der von der Wursttheke! … Was weiß ich, warum der sich so nen Schlitten leisten kann? … Pass auf, ich geh mal rüber und frag ihn; wir stehen hier ja eh noch mindestens ne Stunde).
- Und der beste Tipp von allen: gute Musik hören, entspannen und den Moment genießen. Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, sich voll und ganz dem Ohrenschmaus hinzugeben? Eben. Deshalb lege ich nachher auf der A7 ganz relaxt diesen Song hier auf und summe fröhlich mit. Sapperlot, bin ich entspannt!
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Friedrich Merz sei Dank: Knapp eine Woche lang hat das Land nun infolge seines verkorksten Interviews über den angemessenen Umgang mit der AfD diskutiert. Von Pragmatismus-Forderungen (Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer) bis zu Brandmauer-Beschwörungen (Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein) war alles dabei. Heute rückt die Rechtsaußen-Partei schon wieder in den Fokus, denn sie kommt in Magdeburg zum Bundesparteitag zusammen. Sucht man auf der Tagesordnung nach politischen Inhalten, findet sich – wie so oft bei dieser sogenannten Alternative – erst mal: nichts. Es sollen Satzungsfragen erörtert und neue Mitglieder für das oberste Schiedsgericht der Partei gewählt werden.
Aufschlussreicher wird womöglich der Samstag, wenn die AfD damit beginnen will, ihre Kandidaten für die Europawahl 2024 aufzustellen. Zwar geht es auch dabei zunächst nicht ums Programm, sondern um die Personen. Aber die sprechen für sich: Als aussichtsreicher Bewerber um die Spitzenkandidatur für Brüssel gilt Maximilian Krah, der seit 2019 für die EU-Gegner im Europaparlament sitzt, derzeit allerdings wegen Betrugsvorwürfen aus seiner Fraktion suspendiert ist, wie unsere Reporterin Annika Leister berichtet.
Und natürlich wird es in Magdeburg auch Gegenproteste geben: Unter den Veranstaltern sind das lokale Bündnis Solidarisches Magdeburg, das bundesweite Bündnis Aufstehen gegen Rassismus und die Gruppe Omas gegen Rechts. Am Samstagmittag soll am Hauptbahnhof eine Großdemonstration mit Techno-Musik unter dem Motto "Nazis wegbassen 2.0" beginnen. Kreativer als das Alternativprogramm in der Halle ist sie allemal.
Wattenmeer in Gefahr
Äußerst angespannt ist die Lage vor der niederländischen Küste, wo seit Dienstagnacht ein mit fast 4.000 Autos beladener Frachter in Flammen steht. Die bei brennenden E-Auto-Batterien ohnehin schwierigen Löscharbeiten wurden gestern vorerst eingestellt, weil das zum Kühlen auf die Seitenwände gespritzte Seewasser auch ins Schiffsinnere hätte gelangen können. Das könnte den Frachter destabilisieren.
Das aber wäre das Worst-Case-Szenario: Sollte das 200 Meter lange Schiff sinken oder brechen, sollten Öl und Autos ins Wasser geraten, würden die Küsten und das Wattenmeer verseucht. Weil wegen der hohen Temperatur und des starken Rauchs auch keine Bergungskräfte an Bord gehen konnten, war es bislang unmöglich, den Frachter wegzuziehen. Insofern ist es denkbar, dass die Küstenwache zu dem Schluss kommt, das Schiff vollständig ausbrennen zu lassen und es erst danach zu bergen. Das allerdings könnte Wochen dauern. Meine Kollegin Sandra Simonsen beschreibt den dramatischen Prozess.
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Bundeswehrsoldaten plündern Wohnungen von Deutschen, um der Ukraine zu helfen? Ein offenbar aus Russland stammendes Propagandavideo verbreitet sich rasant, berichtet unser Rechercheur Lars Wienand.
Hätten deutsche Diplomaten den russischen Imperialismus nicht schon viel früher erkennen müssen? Der Historiker Stefan Creuzberger berichtet im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke von bemerkenswerten Vorfällen.
Wegen der Eskapaden seines Sohnes Hunter gerät Joe Biden immer stärker in Bredouille. Unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns erklärt Ihnen, warum der Fall so riskant für den US-Präsidenten ist.
Zum Schluss
Jede Technik hat ihre Tücken.
Ich wünsche Ihnen einen pannenfreien Tag. Morgen serviere ich Ihnen den Wochenend-Podcast, anschließend entschwinde ich in entspanntere Gefilde. Der Tagesanbruch flattert natürlich trotzdem allmorgendlich in ihr Postfach, meine lieben Kollegen sorgen dafür.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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