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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Spitzenkandidatur Wird dieser Mann zur Gefahr für die AfD?
Die AfD wählt an diesem Wochenende ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl. Die Konkurrenz ist groß, Tumulte nicht ausgeschlossen. Denn ein aussichtsreicher Kandidat ist besonders umstritten.
Wenn Maximilian Krah über die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union spricht, dann benutzt er eindrückliche Bilder: "Ich vergleiche das immer mit einer Frau, die zu Hause geschlagen wird", sagt er zum Beispiel. "Die geht auch nicht freiwillig, in der Regel muss man ihr helfen, eine Alternative aufzeigen."
Die Botschaft: Deutschland muss den Staatenbund verlassen. Noch läuft es schlecht mit dem Plan von Krah. Seit 2019 sitzt er für die AfD im Europaparlament – und die Bundesrepublik macht noch immer keine Anstalten, es Großbritannien nachzutun.
Deshalb hat Krah seinen Ehrgeiz reduziert, peilt ein realistischeres Ziel an. Am Wochenende treffen sich 600 Delegierte in Magdeburg, um die AfD-Wahlliste für die Europawahl im nächsten Jahr zu bestimmen. Und der Dresdner Krah will ganz nach oben. "Ich werde von vielen als Spitzenkandidat gewollt und stehe bereit", sagte er t-online. "Wir machen vor dem Parteitag aber noch mal eine Risikoanalyse."
Moderner Rechter
Die "Risikoanalyse" zeigt: Krahs Wunsch umzusetzen, ist alles andere als ein Selbstläufer. Denn anstatt als Hoffnungsträger sehen ihn viele in der AfD als mögliche Gefahr für die Partei – gerade jetzt, und dann noch auf dem wichtigen Posten als Spitzenkandidat.
Denn zurzeit läuft es richtig gut für die AfD. Ihre Umfragewerte waren nie besser, ihre Parteichefs zieren die Titelseiten von Magazinen, die anderen Parteien wirken nicht zuletzt angesichts der Wahlerfolge auf kommunaler Ebene hilflos. So prima soll es bleiben. Deshalb gilt die Devise: nur keine Skandale. Und schon gar nicht jetzt.
Ob Krah das kann? Daran zweifeln viele.
Zwar gilt er als charismatisch, als klug, als besonders im rechtsextremen Flügel der Partei gut vernetzt. Schon 2022 kandidierte er als Oberbürgermeister von Dresden. Als Rechtsanwalt vertrat er den "Hutbürger" und Pegida-Demonstranten Maik G. ebenso wie die Männer, die einen irakischen Flüchtling an einen Baum fesselten. Auf sozialen Plattformen erklärt er einer jungen, männlichen Zielgruppe per Video, dass sie keine Pornos schauen und bloß nicht nett sein und grün wählen sollen. "Echte Männer sind rechts", sagt er in die Kamera.
Beim vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Antaios-Verlag von Götz Kubitschek ist gerade Krahs Buch "Politik von rechts" erschienen. Die erste Auflage ist bereits vergriffen. In Verfassungsschutzgutachten, die untersuchen, wie gefährlich die AfD für die Demokratie ist, taucht Krah an mehreren Stellen auf.
Das ist für eine Karriere in der AfD 2023 alles kein Nach-, sondern eher ein Vorteil. Und Krah hat mächtige Freunde: Parteichef Tino Chrupalla, der wie Krah aus dem sächsischen Landesverband kommt, gilt als einer seiner größten Konkurrenten und Unterstützer zugleich. Lieber als in Dresden oder Berlin wolle Chrupalla Krah in Brüssel wissen, heißt es. Hauptsache weit weg von der Macht, von seiner Macht.
Maximal angreifbar
Doch Krah gilt eben auch als Querschläger, der nur schwer zu kontrollieren ist. "Angreifbar" ist das Wort, das Freunde wie Feinde am häufigsten verwenden, wenn es um ihn als möglichen Spitzenkandidaten geht. Die Liste seiner Angriffspunkte ist lang: Zurzeit ist er aus der Fraktion "Identität und Demokratie" (ID), der die AfD im Europaparlament angehört, wegen Betrugsvorwürfen suspendiert. Krah bestreitet die Vorwürfe.
Trotzdem ist im Parteivorstand die Skepsis gegenüber ihm deswegen groß. Wer weiß schon, was da noch alles kommt?
Zumal die Suspendierung nicht Krahs erste ist. Bereits 2022 wurde er für mehrere Monate aus der Fraktion ausgeschlossen. Damals wurde ihm vorgeworfen, im französischen Wahlkampf nicht die zur ID-Fraktion gehörende Marine Le Pen, sondern ihren rechtsextremen Konkurrenten Éric Zemmour unterstützt zu haben.
Kritiker werfen Krah außerdem vor, dass er China, dem chinesischen Konzern Huawei sowie Russland zu nahe steht und bei Abstimmungen im Parlament immer wieder entgegen der eigenen Parteilinie entscheidet. Der "Spiegel" berichtete 2022 über Treffen von Krah mit russischen Hardlinern, die den Krieg in der Ukraine antreiben und mit Sanktionen belegt sind.
Auch die privaten Umtriebe des 46-Jährigen sind einigen in der AfD ein Dorn im Auge: Krah bezeichne sich selbst stets als tiefreligiösen Katholiken, habe aber sieben Kinder von drei Frauen, erzählt man sich. Und fragt, wie das denn bitteschön zusammenpasse?
Gegenkandidaten stellen sich auf
Ob Krah bei der Aufstellung der Liste für die Europawahl am Samstag tatsächlich für Platz 1 kandidiert und ihn auch tatsächlich bekommt, ist deswegen noch lange nicht ausgemacht. Schon jetzt wird eine ganze Reihe möglicher Gegenkandidaten gehandelt. Und der Parteivorstand wird, entgegen den Gepflogenheiten anderer Parteien, keine Empfehlung aussprechen.
Unter Krahs Konkurrenten ist der Thüringer Landtagsabgeordnete René Aust, der wohl auf die Unterstützung von Björn Höcke zählen kann. Der 36-Jährige war bis 2019 Vize-Chef der Jungen Alternative in Thüringen, zog dann per Direktmandat ins Landesparlament ein. Auch der Bundestagsabgeordnete Marc Jongen, der als "Chefideologe" der AfD gilt, und der sächsische Abgeordnete Carsten Hütter werden als mögliche Kandidaten für den Spitzenplatz auf der Liste genannt. Der außenpolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Petr Bystron, will ebenfalls nach Brüssel, dürfte aber eher für Platz 2 kandidieren.
Die härteste Konkurrenz dürfte Krah von Norbert Kleinwächter drohen, dem stellvertretenden Chef der AfD-Fraktion im Bundestag. Kleinwächter ist für Europapolitik zuständig und ein deutlicher Krah-Kritiker. "Ich halte mir die Kandidatur bis zur letzten Minute offen", sagte Kleinwächter t-online.
Kleinwächter zählt zum wirtschaftsliberalen Flügel der AfD und ist damit eigentlich auf dem absteigenden Ast. Rechtsnationale wie Krah und Höcke geben aktuell den Ton an, ihre Landesverbände in Ostdeutschland sind besonders stark und bei vielen Themen geschlossen. Kleinwächter aber ist ein guter Redner, er teilt scharf und pointiert aus, hat sich so gerade bei Parteitagen Respekt auch im anderen Lager erarbeitet. Beim Bundesparteitag in Riesa kandidierte er als Parteichef und schnitt wesentlich besser ab, als viele erwartet hatten.
Kandidaten wie Kleinwächter könnte in die Karten spielen, dass es bei diesem Parteitag hinter den Kulissen wohl keine größeren Absprachen zwischen den Landesverbänden geben soll. Die sonst oft geschlossen stimmenden Ostverbände haben sich in der Vorbereitung auf den Parteitag Magdeburg angeblich zum Teil zerstritten. Nun gilt: Jeder Verband kämpft für sich allein und versucht, seine Kandidaten durchzudrücken.
Am Ende wird es ganz auf die 600 Delegierten in Magdeburg ankommen. Tumulte sind dabei nicht ausgeschlossen, beim letzten Mal wurde der Parteitag in Riesa frühzeitig abgebrochen. Funktionäre erwarten auch jetzt schon ein Spektakel: Es werde "mindestens spannend, vermutlich unterhaltsam".
- Eigene Recherchen und Beobachtungen