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Ecstasy-Todesfälle: Der blaue Killer ist erneut unter uns


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Tagesanbruch
Der blaue Killer ist unter uns

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.06.2023Lesedauer: 6 Min.
Altentreptow wird von einem Drogentod erschüttert.Vergrößern des Bildes
Altentreptow wird von einem Drogentod erschüttert. (Quelle: Bernd Wüstneck/dpa)
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Wenn Sie eines haben, gibt es nichts Wichtigeres auf der Welt. Sie lieben es über alles, würden alles tun, damit es ihm gut geht. Sie haben es gefüttert, damals, als es klein und leicht in Ihren Armen lag. Haben seine ersten Schritte bejubelt und sein Lachen in Ihr Herz geschlossen. Die ersten Sätze waren ein Fest, kuriose Wortfolgen, die bei genauem Hinhören durchaus Sinn ergaben. Später der erste Schultag: ein Feiertag für die ganze Familie! Sie waren so stolz auf Ihren Schatz.

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Sicher, da waren auch die nervigen Momente: Das Gezeter vorm Zubettgehen, der Ketchup auf der weißen Hose, der Heulanfall, als es an der Supermarktkasse keinen Lolli gab. Aber das waren alles Kleinigkeiten im Vergleich zu dem riesengroßen Geschenk, das Sie jeden Tag aufs Neue bekamen: die Liebe Ihres Kindes. Sie erwiderten seine Zuneigung, sahen es aufwachsen und vom Kind zum Teenager reifen. Es begann, seiner eigenen Wege zu gehen, traf sich nun auch abends mal mit Freunden. Natürlich nicht zu lang, mit 13 Jahren ist man schließlich noch ein halbes Kind. Aber Sie wollten ja kein Spielverderber sein. Sie freuten sich ja, dass Ihr Schatz so neugierig in die Welt trat.

Und dann standen plötzlich die Polizisten vor Ihrer Haustür. Beamte mit ernsten Gesichtern und einer Nachricht, die Ihnen augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren ließ: Ihr Kind ist tot. Gestorben an einer Überdosis. Getötet von einer bestialischen Droge, die Sie hier in Ihrer Kleinstadt niemals vermutet hätten: "The Punisher" heißt das Zeug, "der Bestrafer". Die blauen Pillen enthalten bis zu 300 Milligramm eines synthetischen Wirkstoffs namens 3,4-Methylenedioxymethamphetamine – ein Wort, das man kaum lesen kann, geschweige denn verstehen. Was aber jeder versteht: Er wirkt dreimal stärker als herkömmliche Ecstasy-Pillen. Ein unberechenbarer Stoff, der den Körper Achterbahn fahren lässt. Wer kräftig ist, fühlt sich bärenstark, überglücklich, endlos wach. Wer schwächer ist, dreht durch: Augenzucken und Kiefermahlen, Schweißausbrüche wechseln sich mit Zitterschüben ab, die Muskeln krampfen, dann Halluzinationen, Schlafstörungen, Panikattacken. Das Herz rast, das Hirn scheint zu platzen. Und dann womöglich: Exitus. Es ist ein Albtraum, der nun auch hierzulande die ersten Familien heimgesucht hat.

Nach mehreren Todesfällen von Teenagern in Großbritannien sind zwei Jugendliche in Ostdeutschland gestorben, in beiden Fällen soll die neuartige Ecstasy-Pille schuld sein. Am Wochenende starb eine 15-Jährige in Brandenburg. Gestern starb eine 13-jährige Schülerin in Altentreptow in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre 15-jährige Freundin liegt im Krankenhaus. Eine 14-Jährige aus Neubrandenburg kämpft auf der Intensivstation um ihr Leben. In allen Fällen vermutet die Polizei das blaue Teufelszeug als Ursache. Gegen einen 37-jährigen Verdächtigen wurde Haftbefehl erlassen, er soll mit den Pillen gehandelt haben. Die Behörden gehen davon aus, dass noch haufenweise Tabletten in der Region im Umlauf sind, und warnt die Bevölkerung eindringlich vor der Droge: Schon eine einzige Pille kann tödlich sein.

Das Problem ist jedoch keinesfalls regional begrenzt und es betrifft auch nicht nur Randgruppen. Neben Heroin, Kokain und Crack überschwemmen immer mehr synthetische Drogen den illegalen deutschen Markt – und fordern immer mehr Opfer. Fast 2.000 Menschen starben im vergangenen Jahr an den Folgen des Drogenkonsums. Das sind fast neun Prozent mehr als im Vorjahr, der höchste Stand der letzten zwanzig Jahre. In der EU ist Deutschland damit der einsame Spitzenreiter.

Experten machen eine Vielzahl von Gründen dafür verantwortlich:

Immer mehr Menschen rutschen in wirtschaftliche Not und versuchen ihre Sorgen durch Weltflucht zu lindern.

Bei vielen jugendlichen Partygängern gelten die bunten Pillen als ungefährliche Aufputschmittel.

Lateinamerikanische Kartelle haben ihre Schmuggelwege nach Europa perfektioniert, vor allem der Hamburger Hafen gilt als Einfallstor für harte Drogen. Zoll und Polizei trotten dem Problem hinterher.

Mittlerweile produziert die Drogenmafia auch hier: "Ein beunruhigendes Beispiel ist die jüngste Beobachtung, dass mexikanische kriminelle Gruppen begonnen haben, synthetische Drogen in der Europäischen Union herzustellen", heißt es im Drogenbericht der EU-Kommission.

Die Taliban in Afghanistan haben den Opiumanbau kürzlich verboten. Nach Europa gelangt daher zwar weniger Heroin – umso schneller dürfte aber die Nachfrage nach synthetischen Stoffen wie Fentanyl und Ecstasy steigen.

So kommt es, dass auch Kleindealer immer öfter bunte Pillen anbieten. Gerade für junge Menschen mit noch nicht voll entwickelten Körpern stellen sie eine tödliche Gefahr dar. Drogenfahnder können das Problem vielleicht lindern, aber lösen können sie es nicht.

Auch die Politik sucht nach Lösungen: Mehrere Bundesländer wollen offenbar kostenlose Drogen-Prüfungen einführen. Hintergrund ist ein neues Gesetz, das solche Angebote bundesweit ermöglichen soll. In sogenannten Drug-Checking-Stationen können Konsumenten dann die Inhaltsstoffe ihrer gekauften Drogen untersuchen lassen. Aber ob auch Teenager das Angebot nutzen werden, ist fragwürdig.

Was es dringend braucht, ist mehr Aufklärung: in Schulen, im Fernsehen, in den sozialen Medien. Und natürlich zuallererst in den Familien. Falls Sie Kinder oder Enkel haben, die gern feiern gehen, ist es sicher eine gute Idee, ihnen von den bunten Pillen zu erzählen. Die so harmlos aussehen – und so brandgefährlich sind.


Ohrenschmaus


Glutofen Europa

Nach heftigen Unwettern im Frühjahr erlebt Südeuropa nun eine krasse Hitzewelle. In einigen Regionen ist es – halten Sie sich fest – 20 Grad wärmer als sonst zu dieser Jahreszeit. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind brutal und ereilen uns in Europa noch schneller als befürchtet. Meine Kollegin Theresa Crysmann gibt Ihnen den Überblick über die aktuellen Hotspots. In Süditalien haben Forscher Hinweise auf einen möglicherweise bevorstehenden Ausbruch des gefährlichsten Vulkans Europas gefunden: Die Eruption der "Phlegräischen Felder" könnte eine Katastrophe auslösen.

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Das Statistische Bundesamt legt heute neue Zahlen vor, wie viele Hitzetote es hierzulande seit 2001 gegeben hat. Es dürften Zehntausende sein. Vor allem alte und kranke Menschen haben ein erhöhtes Sterberisiko. Die Klimakrise ist überall auf dem Globus spürbar. Trotzdem verhalten sich die meisten Menschen immer noch so, als ginge sie das nichts an. In der Bibel wird die Geschichte von Sodom und Gomorrha erzählt. Durchaus möglich, dass sie bald eine moderne Fortsetzung bekommt.


Schwierige Visite

In Deutschland schwimmt er nach wie vor auf einer Popularitätswelle – aber wie manövriert er beim wichtigsten Verbündeten durch die Untiefen kritischer Fragen? Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) absolviert heute seinen Antrittsbesuch in Washington. Sein Amtskollege Lloyd Austin gilt als Freund von Klartext und scheut sich nicht, Nato-Partnern deren Versäumnisse um die Ohren zu hauen. Zu niedrige Verteidigungsausgaben zum Beispiel. Diesbezüglich hat Herr Pistorius eine offene Flanke: Zwar hat sich die Ampelregierung endlich auf ihren Haushalt für 2024 geeinigt. Doch mehr Geld für die Bundeswehr ist – abgesehen vom Inflationsausgleich für Gehälter – de facto nicht drin. Da ist die ganze (Aus)Redekunst des Gastes aus Berlin gefordert.


Schneller bezahlen

Ob im Supermarkt, Restaurant oder Zug: Immer mehr Menschen bezahlen mit Karte oder Smartphone statt Bargeld. Die EU-Kommission reagiert auf den Trend und stellt heute ihre Pläne für den digitalen Euro vor. Die virtuelle Gemeinschaftswährung könnte schon 2027 verfügbar sein und soll es noch einfacher machen, ohne Münzen und Scheine auszukommen.


Lesetipps

Die Ampelkoalition hat sich auf Details des Heizungsgesetzes geeinigt. Unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert geben Ihnen den Überblick.


Sind die Russen alle apathisch oder gibt es noch regimekritische Aktivisten? Meine Kollegin Clara Lipkowski hat eindrucksvolle Stimmen gesammelt.


Lange hat der Westen mit der Lieferung schwerer Waffen für Kiew gezögert. Trotzdem werden nun wahre Wunder von der ukrainischen Offensive erwartet. So läuft das aber nicht, mahnt unser Kolumnist Wladimir Kaminer.


Elon Musk hat 'ne Meise. Mark Zuckerberg auch. Das wussten wir bereits. Nun erwägen die beiden Meisenmänner ernsthaft, einen Faustkampf gegeneinander auszutragen. Mein Kollege David Digili erklärt Ihnen, was hinter dem Milliardärsspektakel steckt.


Zum Schluss

CDU-Chef Merz ist auf Abwegen.

Ich wünsche Ihnen einen gut orientierten Tag. Morgen schreibt David Schafbuch den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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