Tiere Der europäische Büffel kehrt zurück
Fast 100 Jahre lang galten die büffelartigen Wisente in Europa als fast ausgerottet. Doch ein ehrgeiziges Projekt in Nordrhein-Westfalen will den sanften Riesen jetzt wieder zu ihrem ursprünglichen Platz in Deutschlands Tierwelt verhelfen.
Wenn sich "Quelle" und ihr Halbbruder "Quattro" dem Zaun nähern, dann überkommt viele Besucher der "Wisent-Wildnis" in Bad Berleburg (Kreis Siegen-Wittgenstein) der spontane Streichelimpuls. Mit großen Augen schauen die beiden zotteligen Wiederkäuer die Zuschauer an. Wäre nicht der Elektrodraht, der die beiden junge Wisente zusätzlich zum Zaun auf Abstand hält, würden sie sich vor Streicheleinheiten wohl kaum retten können.
"Da sieht man, dass die beiden mit der Flasche großgezogen wurden und Menschen kennen. Ansonsten würden sie nie so nah kommen", sagt der erste Vorsitzende des Trägervereins Wisent-Welt-Wittgenstein, Bernd Fuhrmann, der in einem Abstand von nicht einmal zwei Metern von den Tieren entfernt steht.
"Novum in Westeuropa"
Bad Berleburg liegt zwar im äußerten Südosten von Nordrhein-Westfalen, doch mit ihrem Artenschutzprojekt für Wisente ist die Stadt europa- und auch weltweit in den Fokus des Interesses von Naturschützern, aber auch Tourismusmanagern gerückt.
Neben der "Wisent-Wildnis" - einem rund 20 Hektar großen Gelände und ihrer sechs Tiere zählenden Herde - gibt es auch ein etwa 88 Hektar großes Auswilderungsareal, in dem sich acht Tiere aufhalten. Diese Wisente sollen noch im Laufe des Frühjahrs - vermutlich in der Zeit um Ostern - freigesetzt und später komplett ausgewildert werden.
Ein weltweit einzigartiges Projekt, das "in Westeuropa ein absolutes Novum ist", sagt Landrat Paul Breuer, der zweite Vorsitzende des Trägervereins.
Royaler Wisent-Forst
Der künftige Wisent-Wald, in dem die imposanten Tiere über ein offenes Gelände von rund 4000 Hektar ziehen können, gehört Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein. Der Prinz hatte das Vorhaben 2003 aus der Taufe gehoben und das Gelände zur Verfügung gestellt.
Mit dem Projekt sollen die Tiere, die vor 100 Jahren in Europa beinahe ausgerottet waren, wieder angesiedelt werden. Die sanften Riesen sollen die Region zudem touristisch aufwerten. "Wir wollen Naturerlebnisse schaffen. Die Natur soll mit allen Sinnen erlebt werden können", sagt Fuhrmann, der erste Vorsitzende des Trägervereins, der im "normalen Leben" Bürgermeister von Bad Berleburg ist.
Der Vetter des Bisons
Landrat Breuer legt Wert darauf, mit dem Projekt zu beweisen, dass "sich Wirtschaft und Naturschutz nicht ausschließen". Der Wald, in dem die Wisente frei streifen können, sei ein Wirtschaftsbetrieb zur Gewinnung von Holz. "Wir sind und bleiben eine Wirtschaftsregion. Wir rufen hier jetzt nicht die totale Wildnis aus", erklärt der CDU-Politiker.
Dass die Ansiedlung des Wisents, der quasi der europäische Vetter des amerikanischen Bisons ist, als touristisches Alleinstellungsmerkmal vermarktet werden kann, spielt bei dem Engagement des Trägervereins aber durchaus auch eine Rolle.
Scheue Tiere
Wobei die Begeisterung für das Projekt zunächst nicht allumfassend war. Landwirte und Jäger hatten Bedenken, dass die Tiere die einheimische Fauna und Flora schädigen könnten.
Um die Auswirkungen der Wisente auf die Umwelt zu überprüfen, wird das Projekt durch Hochschulen betreut - Wissenschaftler von den Universitäten Siegen, Frankfurt am Main und Göttingen sind daran beteiligt. Zudem hatten manche Menschen auch Angst vor den sanftmütigen Riesen. "Wir mussten einigen erst einmal klar machen, dass die Tiere niemanden angreifen", erklärt Landrat Breuer.
Aufgrund der Größe des Wisent-Walds dürfte die Herde, die auf nicht mehr als 25 Tiere anwachsen soll, aber kaum auf Menschen treffen. Zudem gelten die Tiere - allesamt reine Pflanzenfresser - als sehr scheu.
Naturschützer befürworten das Projekt
Um die Wisente auch nach der Freisetzung weiter kontrollieren zu können, erhalten sie Sender um den Hals. "Für eine Übergangszeit sind die Tiere nicht herrenlos", betont Johannes Röhl, der Forstdirektor der Wittgenstein-Berleburgschen Rentkammer.
Überdies übernimmt der Trägerverein zunächst auch noch die Haftung in Fällen, wo die Tiere Unfälle verursachen oder Schäden an Bäumen anrichten. Nach einem Zeitraum von etwa zwei bis fünf Jahren sollen die Wisente dann komplett ausgewildert werden.
Bei den Naturschützern stößt das Vorhaben auf klare Unterstützung. "Wir begrüßen das Projekt rundum", sagt Helga Düben, Vorsitzende des Kreisverbandes Siegen-Wittgenstein beim Umweltverband NABU. "Wisente hat es früher ja schon hier gegeben. Von daher macht die Wiederansiedlung durchaus Sinn", betont sie.
Organisatoren sind zufrieden
Noch lebt das Projekt von Fördergeldern, doch mittelfristig soll sich das Vorhaben aus eigener Kraft tragen. Auf etwa 1,2 Millionen Euro sind die Investitionen bis 2014 beziffert. Die "Wisent-Wildnis am Rothaarsteig" soll durch Eintrittsgelder, Sponsoren und Spenden finanziert werden.
Mit der Resonanz in der Öffentlichkeit sind die Organisatoren bislang voll zufrieden. Im September 2012 wurde die "Wisent-Wildnis" eröffnet - bis zum Ende des Jahres kamen etwa 12.000 Besucher. "Und das in einer Jahreszeit, in der wegen des Wetters eigentlich weniger Menschen kommen", sagt Bürgermeister Fuhrmann.
Wegen des hohen Schnees und vereister Passagen ist der 3,7 Kilometer lange Weg durch die "Wisent-Wildnis" derzeit nur mit trittsicherem Schuhwerk zu empfehlen, dafür hat der Winter aber einen anderen Vorteil: Wegen des weißen Hintergrunds sind die braunen Wisente für die Besucher derzeit besser zu sehen als im Frühjahr oder im Sommer.