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Igel wegen warmen Winter gefährdet: Darum verhungern die Tiere


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Klartext Klima
Das elendige Ende der Igel

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

01.03.2024Lesedauer: 5 Min.
Igelfamilie (Archivbild): Den Tieren droht Hunger, wenn die Insekten aussterben, die sie fressen.Vergrößern des Bildes
Igelfamilie (Archivbild): Den Tieren droht Hunger, wenn die Insekten aussterben, die sie fressen. (Quelle: Folkert Christoffers/imago-images-bilder)

Sonnenstrahlen, Schneeglöckchen, Vogelgezwitscher: Die frühlingshaften Temperaturen sind für viele Menschen ein Segen. Warum geht’s eigentlich den Igeln nicht gut damit?

Das vergangene Wochenende war das erste, das sich nach Frühling anfühlte. Ich habe auf dem Balkon gefrühstückt, war lange spazieren und habe die Sonne genossen. Aber sind Frühlingsgefühle im Februar eigentlich eine gute Sache? Und freuen sich Tiere genauso über die Wärme wie viele Menschen?

Normal ist dieses Wetter nicht. Dieser Februar war laut Deutschem Wetterdienst sogar dann zu warm, wenn er ein März gewesen wäre; sowohl weltweit als auch in Deutschland lagen die Temperaturen deutlich über den früheren Durchschnittswerten. Für heimische Pflanzen haben die ungewöhnlich warmen Temperaturen aktuell wohl noch keine negativen Folgen. Bei Tieren sieht das schon anders aus.

Auf einem meiner Spaziergänge bin ich an einem riesigen Plakat vorbeigekommen, von dem aus mich ein Igel anschaute. Er ist von der Deutschen Wildtierstiftung zum Tier des Jahres 2024 gewählt worden. Nicht, weil er besonders niedlich ist, sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass sein Lebensraum bedroht ist. Auf der sogenannten Roten Liste gefährdeter Säugetiere wurde der Braunbrustigel in Deutschland auf die "Vorwarnliste" gesetzt.

Warum immer mehr Landigel zu Stadtigeln werden

In Städten und Dörfern machen es Schottergärten und versiegelte Flächen für Igel immer schwieriger, ein Versteck zu finden. Autos und Mähroboter gefährden sie ebenso wie Häuserschächte, in die sie hineinfallen und nicht mehr von selbst hinauskommen. Dabei leben Schätzungen zufolge in Gärten und städtischen Grünanlagen mittlerweile bis zu neunmal so viele Igel wie auf dem Land.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

In den aufgeräumten Agrarlandschaften finden Igel erst recht keinen passenden Lebensraum mehr. Die früher üblichen Hecken, Sträucher und Büsche gibt es kaum noch. Auch sogenannte Magerwiesen werden immer seltener. Sie gedeihen auf nährstoffarmen Böden, die früher oft nicht bewirtschaftet wurden, und bieten mit ihrem Blütenmeer Insekten eine Heimat. Heute werden viele Flächen regelmäßig gedüngt und gemäht: gut für schnell wachsende Gräser und den Ertrag, aber nur für wenige Arten. Das ist nicht nur schlecht für Insekten, sondern auch für Insektenfresser wie den Igel.

Warum sich Igel um das Insektensterben scheren

Laut des Umweltinstituts München sind von ursprünglich 6800 Insektenarten in Deutschland über 2700 gefährdet oder bereits ausgestorben. Wir spüren es vor allem im Sommer. Nach einer langen Autofahrt kleben heute deutlich weniger Insekten auf der Frontscheibe als auf den Urlaubsfahrten meiner Kindheit. In mein Schlafzimmer in der Großstadt verirrt sich nur noch selten eine Mücke oder Fliege.

Auch der menschengemachte Klimawandel bedroht die Tiere. Normalerweise halten Igel in Deutschland etwa von November bis März oder April Winterschlaf. In dieser Zeit fahren sie ihren Stoffwechsel auf nur ein bis zwei Prozent des normalen Grundumsatzes herunter und überbrücken so den Winter, in dem Futter knapp ist. Steigen die Temperaturen, können sie aufwachen; ihr Stoffwechsel fährt hoch, aber noch finden sie kaum Nahrung. Sie verbrauchen ihre Reserven, das ist vor allem dann schlecht, wenn es noch mal länger kalt werden sollte. Für Igel bedeuten frühlingshafte Temperaturen im Winter also nicht ein paar schöne Tage, sondern im schlimmsten Fall Lebensgefahr.

Wir leben im sechsten Massenaussterben

Die Klimakrise ist nicht die einzige planetare Krise, in der wir leben. In der Erdgeschichte gab es bisher fünf große Massenaussterben, bei denen jeweils 75 Prozent oder mehr der vorhandenen Arten verschwanden. Das wohl bekannteste Beispiel ist das Aussterben der Dinosaurier vor circa 66 Millionen Jahren. Heute befinden wir uns im sechsten Massenaussterben und die Ursache für den schnellen und verheerenden Artenschwund ist dieses Mal keine Naturkatastrophe, sondern der Mensch.

Das Artensterben gefährdet unsere Lebensgrundlagen genauso akut wie die Klimakrise – es wird aber noch weniger darüber gesprochen. Ein extrem wichtiger Schritt im Kampf gegen das Artensterben ist das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das diese Woche im EU-Parlament verabschiedet wurde. Es zielt darauf ab, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU zu sanieren, bis 2050 sogar alle geschädigten Ökosysteme. Das ist nötig, weil 80 Prozent der Ökosysteme in Europa in einem schlechten Zustand sind, bestehende Naturräume zu schützen reicht allein nicht mehr aus.

Ziel: 30 Prozent der Erde unter Schutz stellen

Das Gesetz orientiert sich an den Beschlüssen des Weltnaturgipfels von Montreal, dort war 2022 vereinbart worden, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen und angegriffene Ökosysteme zu renaturieren. Für den Kampf gegen das sechste große Massenaussterben hat diese Vereinbarung eine ähnliche Bedeutung wie das Pariser Klimaabkommen, in dem beschlossen wurde, die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Dass es die Abkommen gibt, ermöglicht den unterschiedlichsten Akteuren, sich darauf zu beziehen und so Druck aufzubauen. Um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, ist entscheidend, ob und wie die Ziele umgesetzt werden.

Natur zu schützen, ist kein Selbstzweck. Nicht nur Igel brauchen Insekten, Regenwürmer und Asseln zum Überleben, sondern auch wir Menschen. Für unsere Lebensmittelversorgung brauchen wir Insekten, die Blüten bestäuben, und Würmer und Asseln, die den Boden auflockern. Für eine stabile Versorgung mit Trinkwasser brauchen wir gesunde Böden. Wälder sorgen für saubere Luft und speichern CO₂. Sie sind zentral dafür, die Klimaziele zu erreichen. Ein renaturierter Fluss wird bei Starkregen weniger stark über die Ufer treten. Naturschutz ist also auch wichtig für die Klimaanpassung.

Nicht nur exotische Arten sterben

Beim Artensterben habe auch ich lange vor allem an Eisbären oder Orang-Utans gedacht. Nicht daran, dass auch wir Menschen Teil der uns umgebenden Ökosysteme sind; dass wir in und von ihnen leben. Und dass wir es massiv spüren werden, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten.

Jede Tierart, die ausstirbt, hinterlässt für Jahrhunderte oder Jahrtausende ein Loch im Netz unserer Artenvielfalt, das sich schlimmstenfalls sogar wie eine Laufmasche vergrößert, weil für manche Tiere mit ihnen ihre Nahrung verschwindet, für andere der Fressfeind. Im Englischen wird in diesem Zusammenhang teilweise auch von "Loss of Life" gesprochen: Verlust des Lebens. Das trifft es sehr gut.

Um dem etwas entgegenzustellen, braucht es große und umfassende Veränderungen und genug Menschen, die sich dafür ein- und sie umsetzen. Für die Artenvielfalt können übrigens auch einzelne einfach und effektiv einen Beitrag leisten. Es hilft sowohl Insekten als auch Igeln, wenn Menschen ihren Rasen in eine Blühwiese umwandeln oder naturnahe Gärten anlegen. Jeder Quadratmeter zählt.

In Brandenburg, wo ich herkomme, sind nach 200 Jahren Wildkatzen wieder heimisch. Das reicht nicht aus, um dem Massenaussterben etwas entgegenzusetzen. Aber es zeigt, dass es anders geht. Wie beim Klimawandel gilt auch beim Artensterben: Wenn wir Menschen die Ursache sind, können wir es auch stoppen.

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