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Ukraine-Krieg: Sie heirateten am Tag der Invasion, jetzt kämpfen sie


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Junges Paar kämpft gegen Putin
"Ich hoffe, ich werde vor ihm sterben"

Von Lisa Becke

Aktualisiert am 19.03.2022Lesedauer: 7 Min.
Fursin und Arieva: "Wir wollten nicht zu Hause sitzen und abwarten."Vergrößern des Bildes
Fursin und Arieva: "Wir wollten nicht zu Hause sitzen und abwarten." (Quelle: Mikhail Palinchak)
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Yaryna Arieva und Svyatoslav Fursin haben sich den Territorialen Verteidigungskräften angeschlossen. Seither ist das Ehepaar oft getrennt. Die Geschichte einer jungen Liebe, die plötzlich im Krieg ist.

An dem Tag, an dem der russische Präsident Wladimir Putin seine Soldaten in die Ukraine einmarschieren lässt, wachen Yaryna Arieva und Svyatoslav Fursin in unterschiedlichen Wohnungen auf. Sie telefonieren und beschließen: "Wir müssen heiraten."

Als sie nur wenige Stunden später in der ukrainischen Hauptstadt aus dem St. Michaelskloster mit den goldenen Kuppeln treten – sie sind jetzt Frau und Mann – tönen die Alarmsirenen. Sie suchen schnell Schutz.

In dem Moment, mit dem bunten Kranz auf dem Kopf, begreift die 21-Jährige zum ersten Mal, dass da um sie herum nun eine andere Wirklichkeit ist, so erzählt sie es. Dass der Krieg nun Realität ist.

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Am Tag darauf – Frischverheiratete in anderen Teilen der Welt würden jetzt wohl in die Flitterwochen aufbrechen – nehmen Arieva und Fursin ihre Waffen in Empfang. Sie schließen sich den Territorialen Verteidigungskräften an, gemeinsam mit vielen anderen Freiwilligen, die nun die zweite Verteidigungslinie hinter den ukrainischen Soldaten bilden. "Wir wollten nicht zu Hause sitzen und abwarten", sagt Arieva. Sie wollten die Ungewissheit nicht einfach über sich ergehen lassen.

"Mache ich genug?"

"Die Liebe wird gewinnen, nicht der Krieg", schreibt Arievas Mutter am Tag der Hochzeit bei Facebook. Es ist diese Hoffnung, die das junge ukrainische Paar verkörpert.

Doch was, wenn einer verletzt wird oder stirbt? Auch diese Gedanken sind da. Arieva sagt: "Ich will, dass wir gemeinsam ein Haus bauen und ein normales Familienleben beginnen." Aber gleichzeitig, so erzählt es Fursin, sei da auch die Frage: "Mache ich genug?" Das beschäftige sie beide am meisten. "Mache ich genug?", fragt auch Arieva. Genug, um das Land zu schützen? Denn wenn die Ukraine nicht mehr ist, ist alles nichts. "Wir tun alles, was wir können", sagt das junge Ehepaar.

Nun sitzen beide eng nebeneinander auf dem Boden und rücken den Laptop hin und her, bis beide auch gut im Bild zu sehen sind. Im Hintergrund stapeln sich Ordner, Bücher und lose Blätter auf einem Tisch.

Das Gebäude, in dem sie sitzen, dient den Territorialen Verteidigungskräften als Stützpunkt und befindet sich direkt im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt – in der Nähe des Parlaments, des Regierungssitzes, auch des Stadtrates, sagt Fursin. Da wäre seine Frau nun eigentlich und würde Tagesordnungspunkte abarbeiten. Die 21-Jährige ist die jüngste Abgeordnete in der Geschichte des Stadtrats von Kiew, vor zwei Jahren wurde die Politikstudentin gewählt.

"Niemand wird sich hier ergeben"

Noch Anfang Februar stand sie dort am Rednerpult und sprach zu einem ihr "wirklich wichtigen Thema", dem Erhalt der Kirche im Solomyanskyj-Bezirk im Westen der Stadt – die wäre fast abgerissen worden. Doch Bürgermeister Vitali Klitschko habe sich eingesetzt, die Abrissarbeiten wurden sodann untersagt. So schreibt sie es in einem Instagram-Post.

Jetzt hält der ehemalige Profiboxer Klitschko Videoansprachen, in denen er betont, dass in der ukrainischen Hauptstadt niemand weichen wird. "Niemand wird sich hier ergeben", sagen auch Arieva und Fursin. Jetzt geht es nicht mehr um den Erhalt einer Kirche, jetzt geht es um das ganze Land.

Die meisten ihrer Kollegen aus dem Stadtrat und fast alle ihrer Freunde hätten sich ebenfalls den lokalen Verteidigungsverbünden angeschlossen, sagt Arieva. Alle seien in einer sehr aggressiven Stimmung – motiviert, die russischen Truppen zu besiegen.

Erst seit Beginn des Jahres gehören die Territorialen Verteidigungskräfte offiziell zur ukrainischen Armee – die ersten Einheiten gründeten sich, als Russland 2014 die Halbinsel Krim besetzte. Die Idee dahinter: Freiwillige verteidigen ihre eigenen Städte und Dörfer.

Alle volljährigen Bürgerinnen und Bürger können sich bei einer Einheit ihrer Region registrieren lassen, vorausgesetzt sie sind gesund und nicht vorbestraft. Soweit verfügbar, werden sie dann mit Waffen ausgestattet. Auf lokaler Ebene sollen die Verbände beispielsweise die kritische Infrastruktur schützen oder Verkehrsknoten bewachen, so sehen es die staatlichen Verteidigungspläne vor.

Als sie sich kennenlernen, schaut er sie ungläubig an

Der Impuls, sich selbst für das Schicksal ihres Landes zu engagieren, führt Arieva und Fursin zusammen. Im Jahr 2019 begegnen sie sich zum ersten Mal. Im Zentrum von Kiew steht er direkt am Unabhängigkeitsdenkmal auf dem Maidan-Platz und schaut sie komisch an.

"Kapitulation", rufen zahlreiche Ukrainer um sie herum, demonstrieren gegen die sogenannte "Steinmeier-Formel", benannt nach dem ehemaligen deutschen Außenminister und jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Mit dieser soll endlich der Friedensprozess in der Ostukraine in Gang gebracht werden. Es sollen unter anderem Wahlen im Donbass abgehalten werden, am Ende sollen die Separatistengebiete Donezk und Luhansk weitgehend autonom sein.

Der damals frischgewählte Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hat seine Unterschrift daruntergesetzt. Die Demonstranten auf dem Maidan-Platz kritisieren, dass ihr Präsident zu große Zugeständnisse an Russland macht. "Das war eine Repression für die Ukraine", sagt Arieva.

Inmitten dieser Menge also sagt er seinen Namen: "Svyatoslav". Dann sagt sie ihren – und erntet einen ungläubigen Blick. Denn der Name, den er hört, ist der Name seiner Mutter. "Yaryna" sei ziemlich selten in der Ukraine.

"Ich war im Schock"

Drei Jahre später ist die Hochzeit bereits geplant. Im Mai 2022 soll es so weit sein. Aber die damals Verlobten besprechen bereits: "Wenn es zum Krieg kommt, heiraten wir – um zusammen zu sein." Und so kommt es dann, mehr als zwei Monate früher als geplant haben sie sich das Jawort gegeben. "Der Krieg hat seine Korrekturen gemacht", so nennt Arieva das.

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Sie erinnere sich nicht an alle Details der Hochzeit. "Ich war im Schock." Auf Bildern von diesem Tag ist zu sehen: Sie tragen traditionelle Kleidung, während der Zeremonie hat zwischenzeitlich jeder eine Krone auf dem Kopf. Sie tauschen Ringe aus Kupfer, andere waren auf die Schnelle nicht aufzutreiben.

Auch die Unterlagen nicht – doch der Priester habe sie auch ohne die entsprechenden Dokumente des Staates kirchlich getraut. "Das ist eine einmalige Situation, aber es ist ja auch Krieg", sagt Arieva. Wenn der vorbei ist, wollen sie ein richtiges Fest organisieren. "Aber zuerst werden wir unseren Sieg feiern", sagen sie.

"Es war der erste Tag des Kriegs, deshalb"

Bei dem richtigen Hochzeitsfest sollen dann auch mehr Gäste da sein. Denn am 24. Februar sind viele Freunde nicht in das St. Michaelskloster gekommen. Sie hätten spontan einige eingeladen – "aber es war der erste Tag des Kriegs, deshalb", sagt Arieva.

Da waren: Arievas Eltern, Fursins Mutter und sein Stiefvater. Seine Schwester und ein gemeinsamer Freund auch, in besonderer Funktion. Das Wort kennt sie nicht auf Deutsch, umschreibt aber ganz fehlerfrei, was der Sinn von Trauzeugen ist. "Ich weiß nicht, haben Sie das in Deutschland? Ich denke, ja." Während des Studiums hat sie die Sprache gelernt und spricht fließend. Trotzdem entschuldigt sie sich oft dafür.

Darum war die Hochzeit so wichtig

Manchmal, wenn ihr ein Wort nicht einfällt, dreht sie sich zu "Svyat", dann blitzt von ihrem Ärmel eine kleine ukrainische Flagge auf. Sie reden kurz, Fursin tippt etwas in sein Handy, zieht an seiner Zigarette – dann ist die Übersetzung da.

Jetzt, da sie verheiratet sind, fühlen sie sich noch verbundener. Deshalb sei die Hochzeit so wichtig gewesen. "Ich möchte ihm helfen, er möchte mir helfen", sagt Arieva.

Einen Tag während des Krieges sei es ihr besonders schlecht gegangen, sie habe einen starken Schmerz gespürt. Und sie habe Recht behalten, denn an diesem Tag gerieten ihr Mann und seine Einheit in Probleme. Sie bekamen fast kein Benzin, um zurück zum Stützpunkt zu kommen. Dass sie das so deutlich spürte, hat für sie auch mit einer besonderen Verbindung durch die Hochzeit zu tun. "Es hilft uns, uns besser zu verstehen, uns zu fühlen."

"Jede Stunde, jede Minute" Artilleriefeuer über dem Kopf

Seit sie offiziell Frau und Mann sind, waren sie viel getrennt. Fursin ist für Einsätze an der Grenze der Stadt eingeteilt. Mit seiner Truppe soll er etwa russische Saboteure aufspüren und töten, so beschreiben sie das. "Ich war einmal für fünf, einmal für drei Tage unterwegs", sagt Fursin. "Zweieinhalb", sagt Arieva. In diesen Tagen ist sie noch unruhiger als sowieso schon.

"Es ist sehr schwer, auf meinen Mann zu warten, wenn er auf Mission ist", sagt Arieva. "Er kann sein Handy nicht benutzen, ich bekomme keine Nachrichten von ihm, ich weiß nicht, wo er sich aufhält." Dann schreibt sie etwa auf Instagram: "Die Nacht war sehr schlimm für mich." Und: "Ich warte immer noch auf ihn."

Ist er wieder da, dann: "Er ist zurück. Lebend und unversehrt." Wenn er unterwegs sei, habe er "jede Stunde, jede Minute" Artilleriefeuer über dem Kopf, sagt ihr Mann, der eigentlich Software-Programmierer ist.

"Nicht so schwer, wie Deutsch zu lernen"

Arieva bleibt nur eins: Sich in die Arbeit zu stürzen. "Rumsitzen und warten, über schlechte Sachen nachdenken, ist schlecht. Das hilft mir nicht." Sie ist im Stützpunkt eingeteilt, wurde für medizinische Aufgaben geschult und hilft in der Küche bei der Nahrungszubereitung für die Freiwilligen und die Soldaten.

Auch sie trägt eine Waffe, für die sie die volle Verantwortung trägt und die sie deshalb nie ablegen könne. Den Umgang damit zu lernen, sei nicht so schwierig, wie man vielleicht denke, sagt die 21-Jährige. "Nicht so schwer, wie Deutsch zu lernen zum Beispiel."

Seit Kriegsbeginn ist Kiew immer wieder von russischen Raketen getroffen worden, immer öfter werden dabei zivile Ziele wie Wohngebiete getroffen. Die russischen Truppen versuchen, die Hauptstadt einzukesseln – im Nordwesten sind sie laut den USA etwa 15 bis 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, im Osten zwischen 20 und 30 Kilometer.

"Wir werden nicht weichen", sagen Arieva und Fursin, das sei keine Option. Nur eine Ausnahme gebe es – sollte eines der Atomkraftwerke explodieren. Sie sagt: "Du kannst dich vor Kugeln verstecken, du kannst dich vor Explosionen verstecken, du kannst dich vor Raketen verstecken – vielleicht treffen sie dich, vielleicht nicht. Aber radioaktive Strahlung wird dich töten."

"Früher hatte ich Angst vor der Dunkelheit"

Sie akzeptieren die Situation, wie sie ist. "Wir haben keine Zeit, uns selbst zu bemitleiden", sagt Fursin. Vielleicht sind sie in genau diesem Moment erwachsen geworden – das denkt zumindest Arievas Mutter. Zwei Tage nach dem Beginn der russischen Invasion schreibt sie das über ihre Tochter auf Facebook.

"Früher hatte ich Angst vor der Dunkelheit", sagt die. "Aber jetzt nicht mehr."

Die einzige Angst, die sie nun noch habe: dass sie Fursin verliert. So nah wie er stehe ihr sonst niemand in ihrem Leben. "Wenn es dazu kommen würde ... ich hoffe nicht ... ich werde nur ... ich kann nicht ...", sagt Arieva. "Ich hoffe, ich werde vor ihm sterben."

Fursin sagt: "Das finde ich nicht okay."

Das Interview wurde teils auf Deutsch, teils auf Englisch geführt – der englische Teil im Anschluss übersetzt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Yaryna Arieva und Svyatoslav Fursin per Videoanruf
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