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Ungeklärte Kriminalfälle: Raubmord-Serie – wer waren die "Killer von Brabant"?


Serie von Raubmorden
Wer waren die "Killer von Brabant"?

Aktualisiert am 04.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Belgien: Fahndungsplakat nach den "Killern von Brabant".Vergrößern des Bildes
Belgien: Fahndungsplakat nach den "Killern von Brabant". (Quelle: dpa)
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Sie erschossen bei ihren Überfällen wahllos Unschuldige, vor 33 Jahren tauchten die "Killer von Brabant" spurlos ab. Ein Anführer soll 2017 auf dem Sterbebett gestanden haben. Er war Polizist.

Ermittler kennen die Spur der letzten Reue. Den Mörder, der – ob gläubig oder nicht – kein belastetes Gewissen mit ins Grab nehmen will. Der die Schlussbilanz seines Lebens macht und den Mord, auch nach vielen Jahren, auf dem Sterbebett beichtet.

"Bruder", sagte Christiaan B. zu seinem engsten Verwandten, "Bruder, ich war bei der Bande von Nivelles". Das Geständnis von Christiaan B. aus Aalst wenige Wochen vor dem Tod am 14. Mai 2015, über das die Familie 2017 einem Privatsender berichtete, bewegt ganz Belgien. Das Land fragt sich: Ist der Mann "de Reus" gewesen, der Riese?"

28 unschuldige Tote

"De Reus" – das war einer von drei Anführern einer Gruppe von bislang unbekannt gebliebenen Gewalttätern. Sie haben zwischen 1982 und 1985 16 Überfälle begangen. Auf Supermärkte, Juwelierläden, auf Hotels und ein Taxi und sogar auf Polizeiwachen, alles in der Umgebung der Hauptstadt Brüssel. 28 unschuldige Menschen wurden getötet. Die materielle Beute fiel meist mager aus, so, als wäre das den Tätern egal gewesen. Ihre Brutalität erschien umso größer. Die Opfer, Männer, Frauen und Kinder, wurden beim Schieben des Einkaufswagens oder beim Anstehen an der Kasse von den Kugeln zerfetzt. Nie wurde jemand verurteilt. Das Motiv? Bleibt bis heute ein Rätsel.

Die "irren Mörder" starteten ihren Amoklauf im Sommer 1982. Sechs Wochen nach einem ersten Überfall – Beute: ein Gewehr – gab es den ersten Toten. An diesem 30. September plünderten sie ein Waffengeschäft und überfielen eine Polizeistation. Am Vortag von Heiligabend folterten und töteten sie den Concierge im Brüsseler Hotel "Chevalier". Ab dem Februar 1983 konzentrierte die Bande ihre Angriffe auf Supermärkte der Ketten Delhaize und Colruyt.

Bis zum Herbst 1985 – abgesehen von einer auffälligen, unerklärlichen eineinhalbjährigen Pause – steigerten sich die Opferzahlen von Aktion zu Aktion. 7. Oktober 1983, Beersel: Ein Toter, drei Verletzte. 1. Dezember 1983, Anderlues: Zwei Tote in einem Juwelierladen. 27. September 1985: Bei zwei Attacken auf Delhaize-Märkte in Braine l'Alleud und Oberijse, bei denen am Ende zusammen acht Tote auf dem Boden lagen, darunter die Kassiererin und ein 14-jähriges Kind.

"Kreislauf der Gewalt"

Am 9. November 1985, einem Samstagabend, kommt es zum dramatischen Finale. Wieder haben sie eine Delhaize-Filiale ausgesucht. Wieder liegt der Tatort nahe Brüssel, in Aalst in Flandern. Wieder kostet das Massaker acht Menschen das Leben.

Vor den Türen des Supermarktes stoppt ein anthrazitfarbener Golf GTI. Was folgt, spielt sich in nur vier Minuten ab. Blindwütig erschießt die mehrköpfige Bande, die wie immer von drei Anführern geleitet zu sein scheint, mit Sturmgewehren und Schrotflinten alle, die ins Visier laufen. Getötet werden Eltern und Tochter einer vierköpfigen Familie, nur der 9-jährige Sohn überlebt schwer verletzt.

Draußen, auf dem Parkplatz, werden ein Mann und seine kleine Tochter in ihrem Auto getroffen. "Unser Land", erklärt Belgiens Innenminister nach der Tat, "ist in den Kreislauf der Gewalt eingetreten". Doch die Bande von Nivelles, die sie auch die Killer von Brabant nennen, schlägt nicht mehr zu. Sie taucht einfach ab. Spurlos.

Handfeste Indizien

Christiaan B., der Mann, der im Mai 2015 seine Lebensbeichte ablegte und vielleicht "der Riese" war, der als Waffennarr, Alkoholiker und sozial isoliert galt, ist nur 61 Jahre alt geworden. Das Brisante: Er war Polizist – und gehörte zeitweise der Eliteeinheit "Diane" an, die nach dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München in Belgien entstand.

Handfeste Indizien sprechen für seine Täterschaft: Er war mit 1,90 Meter so groß wie in den Fernsehnachrichten immer erzählt. Er sah mit Maske und rechteckiger Sonnenbrille genauso aus, wie es Zeugen den Fahndern wieder und wieder beschrieben hatten. Er hat gehinkt wie "der Riese" zuletzt gehinkt hat. Vor allem: Ihm fehlte jedes Alibi. Die alten Dienstpläne ergaben, dass er genau dann dienstfrei hatte, wenn die Bande zuschlug.

Arsene Pint, der lange schon pensionierte Chef von "Diane", erinnert sich, er habe nach dem letzten Überfall in Aalst 1985 das Vorgehen der Gang mit der Ausbildung der eigenen Leute verglichen und viele Übereinstimmungen gefunden: "Verdammt, das werden doch wohl keine von uns gewesen sein?", habe er gedacht. Im Interview mit der Zeitung "Het laatste Nieuws" bekannte Pint nach dem Geständnis von B.: "Es sieht ganz so aus, als hätte ich eine Bande von Mördern ausgebildet."

"Strategie der Spannung"

Es sind diese Aussagen und Fakten, die die Belgier tief verunsichern. Zu lange haben sie wild über die Killer spekulieren müssen. Dass der tödliche Spuk, der in diesen Tagen vor 33 Jahren abrupt endete, eine geheim gehaltene Erpressung der Mafia gegen die Lebensmittelkette Delhaize war. Dass die Bande mit den "Rosa Balletts" in Verbindung stand, in der sich angeblich Mitglieder der feinen Gesellschaft mit Minderjährigen vergnügten.

Nie verstummt sind Gerüchte, dass rechtsextreme Gewalttäter in den finalen Zeiten des Kalten Krieges mit einer "Strategie der Spannung" gezielt Unruhe schüren und Stimmung gegen den Kommunismus machen wollten. Als "strategia della tensione" ist das in diesen unruhigen Jahren als Phänomen nur in Italien nachgewiesen, wo bei Attentaten auf den Bahnhof von Bologna oder die Piazza Fontana in Mailand insgesamt 140 Menschen starben.

"Unser Bruder war der Riese"

"Es hat Versuche gegeben, die Ermittlungen zu manipulieren", erklärte im letzten Jahr der Lütticher Generalstaatsanwalt Christian de Valkeneer, ohne weitere Details zu nennen. Das hat viele Flamen und Wallonen im Misstrauen gegenüber Politik und Behörden bestärkt. Ebenso wenig wie mit der Kindermörderaffäre Dutroux, die 1996 aufflog, kann die Psyche des Landes mit der blutigen Serie der Brabanter Bande abschließen. Das Parlament hat, die Stimmung spürend, die Verjährungsfrist in diesem Fall bis zum Jahr 2025 verlängert und die Gruppe der Ermittler personell aufgestockt.

Mag Christiaan B. auf dem Sterbebett gestanden haben – die anderen Mörder sind nach wie vor unbekannt und frei. Wer war "der Killer", wer "der alte Mann", die zwei übrigen aus dem Führungstrio? Leben sie noch? Belgien will das jetzt wissen. Als Polizeibehörden im Sommer erklärten, eine intensive Prüfung der Informationen habe ergeben, dass das Geständnis des Sterbenden falsch sein könnte, hat die Familie von Christiaan B. schnell und klar widersprochen: "Unser Bruder war der Riese."

Verwendete Quellen
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