Entsetzen nach Messerattacke Ermittler werden in Wohnung des mutmaßlichen Täters fündig
Ein 28-jähriger Afghane sticht am helllichten Tag auf kleine Kinder ein. Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg suchen die Ermittler nach dem Motiv. Und werden fündig.
Es ist ein frostiger Mittwoch, die Sonne scheint. Doch um die Mittagszeit wird das fränkische Aschaffenburg jäh aus seinem Alltag gerissen. Mitten in einem beliebten Innenstadtpark attackiert ein womöglich psychisch labiler Mann nach ersten Polizeierkenntnissen mehrere Kinder mit einem Messer. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich nach "Spiegel"-Informationen um den 28-jährigen Afghanen Enamullah O. handeln.
Ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung stirbt und auch einem 41 Jahre alten Deutschen, der die Kinder wohl schützen will, können die Rettungskräfte nicht mehr helfen. Ein zweijähriges Mädchen aus Syrien und ein 72-jähriger Deutscher werden schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wie das Polizeipräsidium Unterfranken und die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mitteilen. Eine 59-jährige Erzieherin verletzt sich bei ihrer Flucht.
Der Tatablauf ist auch Stunden nach der Attacke nicht gesichert. Ob der Festgenommene sich schon zu der Tat geäußert hat, ist am Mittwochabend noch ungewiss. Er wird wahrscheinlich am Donnerstag einem Haftrichter vorgeführt.
Angriff wohl nicht islamistisch motiviert
Nach Worten von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gibt es bisher keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv. "Im Moment geht die Mutmaßung sehr stark in Richtung seiner offensichtlich psychischen Erkrankungen", sagt der CSU-Politiker am Abend in Aschaffenburg. In der Unterkunft des Afghanen seien entsprechende Medikamente gefunden worden. Als Extremist ist der Tatverdächtige nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass es bislang keine Hinweise auf eine radikale Gesinnung Enamullah O.s gebe.
O. war laut Herrmann ausreisepflichtig. "Es gab dann wohl ein sogenanntes Dublin-Verfahren, das aber nicht zeitgerecht abgeschlossen werden konnte." Das Dublin-Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Eine der Regelungen besagt, dass in vielen Fällen der Staat für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist, in dem der Geflüchtete zuerst EU-Boden betreten hat.
Zwar hatte der Tatverdächtige nach seiner Einreise im November 2022 einen Asylantrag gestellt. Doch sein Verfahren sei abgeschlossen worden, nachdem er selbst Anfang Dezember 2024 gegenüber den Behörden schriftlich angekündigt habe, ausreisen zu wollen. Laut Herrmann gab er dabei an, beim afghanischen Generalkonsulat die nötigen Papiere besorgen zu wollen. Daraufhin sei er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zur Ausreise aufgefordert worden.
Ausgereist sei er aber nicht. Offenbar war der 28-Jährige in der Vergangenheit schon dreimal wegen Gewalttaten aufgefallen. Deshalb sei er jeweils zur psychiatrischen Behandlung in Einrichtungen eingewiesen worden, dann aber wieder entlassen worden, so der bayerische Innenminister.
Bundesweites Entsetzen
Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf Aufklärung durch die Behörden. So solle der Frage nachgegangen werden, warum der Verdächtige immer noch in Deutschland war. "Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen", lässt der SPD-Politiker mitteilen. "Von Tätern, die eigentlich zu uns gekommen sind, um hier Schutz zu finden. Da ist falsch verstandene Toleranz völlig unangebracht."
Scholz drückt Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl aus und spricht von einer "unfassbaren Terror-Tat". "Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssen sofort Konsequenzen folgen, es reicht nicht zu reden."
Noch am Mittwochabend hat Scholz ein Gespräch mit den Chefs des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei im Kanzleramt anberaumt. An dem Gespräch nimmt nach Angaben aus Regierungskreisen auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teil.
Kritik an der Regierung kommt unterdessen aus Teilen der Bundespolitik. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht nimmt den tödlichen Messerangriff zum Anlass, erneut einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik zu fordern. "Dass nach Mannheim und Solingen nichts passiert ist, ist in erster Linie das Versagen des Kanzlers und seiner Innenministerin", sagt Wagenknecht dem Magazin "Politico". "Das macht sie politisch mitverantwortlich für jede weitere schreckliche Tat."
Söder spricht von "entsetzlichem Tag"
FDP-Fraktionschef Christian Dürr fordert schnellstmöglich eine Koordination auf Länderebene. "Die Politik muss darauf reagieren. Die Innenminister von Bund und Ländern müssen so schnell wie möglich zu einer Sonderkonferenz zusammenkommen", sagte Dürr dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spricht von einem "entsetzlichen Tag". "Die schrecklichen Nachrichten aus Aschaffenburg machen uns zutiefst betroffen. Wir trauern um die Opfer einer feigen und niederträchtigen Tat", teilt der CSU-Chef mit. "Wir trauern um ein kleines, unschuldiges Kind, das tödlich verletzt wurde. Wir trauern um einen Helfer, der seine Zivilcourage mit dem eigenen Leben bezahlt hat."
CDU-Chef Friedrich Merz fordert nach der Gewalttat von Aschaffenburg "politische, klare Antworten". "Wir werden darüber sprechen müssen, sobald die Umstände dieser schrecklichen Tat aufgeklärt sind", sagt der Kanzlerkandidat der Union beim Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz. Offensichtlich handele es sich bei dem Täter um einen ausreisepflichtigen Afghanen, sagte Merz und drückte den betroffenen Familien sein Mitgefühl aus.
Fußstreifen oft im Park unterwegs
Die Polizei war nach dem Angriff am Mittag rasch vor Ort, womöglich auch, weil Fußstreifen regelmäßig in dem Park unterwegs sind. Der Verdächtige wurde nach der Attacke von weiteren Passanten verfolgt und später von der Polizei festgenommen. Herrmann hebt hervor, dass durch das mutige Einschreiten dieser Menschen "weitere Kinder vor dem Tod bewahrt" wurden.
Es vergeht an diesem Mittwoch keine Stunde, da ist die Öffentlichkeit über die Attacke informiert. Polizisten riegeln den Park weiträumig ab, ein Hubschrauber ist im Einsatz. Schaulustigen bleibt der Blick auf den Tatort weitgehend versperrt, es wimmelt vor Polizisten. Hier und da ist Absperrband gespannt. Eine Gefahr für die Bevölkerung bestehe nicht, betonen die Beamten immer wieder.
Vermehrt Straftaten im Park
Aschaffenburg hat um die 70.000 Einwohner und liegt im bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken, nahe der Landesgrenze zu Hessen. Der Park namens Schöntal befindet sich in der Innenstadt.
In der jüngsten Vergangenheit kam es in dem Areal vermehrt zu Straftaten, wie die Aschaffenburger Polizei Ende 2024 dem "Main-Echo" sagt. Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) betont damals: "Die Beschwerden darüber, dass sich Menschen im Schöntal nicht mehr sicher fühlen, häufen sich." Nach der Gewalttat am Mittwoch bricht der OB seinen Urlaub ab und eilt zurück an den Untermain.
"Wir werden in den nächsten Tagen eine Möglichkeit schaffen, um innezuhalten und der gemeinsamen Trauer Ausdruck zu verleihen. Auch ein Gottesdienst wird stattfinden", kündigt Herzing an.
Messerattacke erinnert an Fall in Würzburg
Die Polizei bittet im Tagesverlauf um Hilfe möglicher Zeugen. "Wir bereiten gerade ein Portal vor, mit dem Ihr uns Eure sachdienlichen Bilder und Videos zusenden könnt", teilt das Polizeipräsidium Unterfranken auf X mit. Augenzeugen des Vorfalls sollten sich zudem beim Polizeinotruf 110 oder einer Polizeidienststelle melden.
Die Tat erinnert an einen tödlichen Messerangriff auf Passanten in Würzburg am 25. Juni 2021. Damals hatte ein psychisch kranker Mann arglose Menschen in der Innenstadt mit einem Messer attackiert. Drei Frauen starben, neun Menschen wurden verletzt und viele weitere traumatisiert. Das Landgericht Würzburg schickte den Flüchtling aus Somalia unbefristet in eine Psychiatrie. Er war zur Tatzeit einem Gutachten zufolge paranoid schizophren und hörte damals Stimmen, die ihm die Tat befohlen hätten.
- spiegel.de: Was über den Messerangriff auf eine Kindergartengruppe bekannt ist (kostenpflichtig)
- Nachrichtenagentur dpa