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Wladimir Putin und der Ukraine-Krieg: Der Mann in Moskau tobt


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Tagesanbruch
Der Staatsterrorist

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 13.10.2022Lesedauer: 6 Min.
Kremlchef Putin mit den Anführern der annektierten ukrainischen Gebiete.Vergrößern des Bildes
Kremlchef Putin mit den Anführern der annektierten ukrainischen Gebiete. (Quelle: Grigory Sysoev / Sputnik Moscow Russia)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wir können nicht hinter die dicken Kremlmauern blicken, aber man kann erahnen: Der Mann in Moskau tobt.

Die russische Führung hat umgerechnet rund 300 Millionen US-Dollar investiert, um mehr als 100 Raketen und Kamikaze-Drohnen auf ukrainische Städte zu schießen. Drei Wellen Feuer und Vernichtung schickte der Kreml Anfang der Woche auf Kiew, Lwiw und andere Orte. Die größte russische Luftoperation seit Kriegsbeginn.

Es war ein Akt der Barbarei, der mindestens 19 Menschen das Leben kostete und die ukrainische Energieversorgung empfindlich traf. Das Ziel: die Zivilbevölkerung terrorisieren und den ukrainischen Widerstand brechen.

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Doch der Kreml-Tyrann fuhr die nächste Niederlage ein: In Lwiw trotzten die Menschen tanzend dem Terror, in Kiew tilgten Bagger die Einschläge schon tags darauf aus dem Stadtbild. Entsprechende Videos und Fotos verbreiteten sich schnell im Netz, die Botschaft: Du kriegst uns nicht unter.

Auch international sorgte Russlands Präsident einmal mehr dafür, dass seine Gegner näher zusammenrückten: Der Westen verurteilte die Raketenangriffe aufs Schärfste, selbst Indien, ein wichtiger Abnehmer für russisches Öl, zeigte sich plötzlich "zutiefst besorgt" über Moskau.

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Neben warmen Worten schickte der Westen weitere schwere Waffen nach Kiew: Nicht nur landete das erste der vier lang angekündigten Flugabwehrsysteme Iris-T aus Deutschland in der Ukraine. Auch die USA kündigten die Lieferung "fortschrittlicher Luftabwehrsysteme" als Reaktion auf den russischen Bombenterror an. Dazu will Großbritannien dem Land Luftabwehrraketen zur Verteidigung liefern. Wenn Putin Pech hat, könnte die Ukraine bald auf dem effektivsten Luftverteidigungssystem Europas sitzen.

Putin, so scheint es, hat sich ein weiteres Mal verkalkuliert.

Offiziell rechtfertigte die russische Führung die Raketenangriffe mit der Explosion auf der Krim-Brücke, die Putin seinerseits als ukrainischen "Terrorakt" bezeichnete. Der Kreml-Despot wollte Vergeltung für den empfindlichen Schlag auf eine wichtige Versorgungslinie der russischen Armee. Doch was für eine Vergeltung soll das sein?

Denn wollte Russland wirklich Vergeltung üben, also der Ukraine ernsthaft schaden, würde es eine neue Offensive starten oder wenigstens die frisch annektierten ukrainischen Gebiete erobern, die nach Kreml-Lesart nun zur Russischen Föderation gehören. Aber dazu ist die russische Armee derzeit nicht in der Lage. Seit Monaten kann sie keine militärischen Erfolge vorweisen. Munitions- und Ausrüstungsmängel, demoralisierte Truppen und Verluste von bis zu 90.000 Soldaten machen die ehemals zweitstärkste Armee der Welt zu einem Schatten ihrer selbst.

Deswegen greift Putin zu grausamen, aber militärisch sinnlosen Maßnahmen.

Russlands Raketenterror ist damit ein Eingeständnis der Schwäche. Terror ist eine Taktik, die nicht auf die eigene Stärke vertraut, sondern darauf angewiesen ist, dass der Gegner sein Verhalten ändert: einknickt, sich zurückzieht, aufgibt. Die russische Führung greift zu staatsterroristischen Methoden, weil sie sich anders nicht zu helfen weiß. Sie hat der Welt ihre eigene Verwundbarkeit offengelegt.

Was er auf dem Schlachtfeld nicht erreicht, versucht Putin nun politisch: Der Kremlchef, der sich vor Monaten noch mit Peter dem Großen verglich und von einem russischen Imperium träumte, ist plötzlich verhandlungsbereit. Für Russlands Präsident beginnt nun eine neue Phase des Krieges, in der er seine Kriegsbeute international absichern will.

Man sei für Gespräche mit den USA bereit, ließ Russlands Außenminister Sergej Lawrow kürzlich verlauten. Ein Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der bereits erfolgreich zwischen Kiew und Moskau vermittelte, ist schon am heutigen Donnerstag geplant. Plötzlich kann es nicht schnell genug gehen. Das ukrainische Militär klopft schon an den Toren Chersons.

Wie die Gespräche jedoch ablaufen sollen, ist völlig unklar. Russland hat seine Kriegsziele nicht geändert und die Ukraine, auf dem Schlachtfeld in der Initiative, zeigt keine Bereitschaft, darauf einzugehen.

Um seine Feinde weichzuklopfen, greift Russland daher verstärkt zu Mitteln der hybriden Kriegsführung: gezielte Angriffe auf Zivilisten, die Drohung mit dem Gasknüppel und dem "Frieren ganzer Städte in Europa" (Gazprom-Chef Miller), Cyberattacken und Angriffe auf kritische Infrastruktur.

Moskaus größter Trumpf im Bestreben, den Westen zu destabilisieren, ist allerdings die nukleare Erpressung. "Wir werden unser Land mit allen Mitteln verteidigen", sagte der Kremlchef nach der Annexion der vier Gebiete in der Süd- und Ostukraine.

Die Hand reichen – und zugleich mit atomarer Vernichtung drohen: russisches Zuckerbrot mit Peitsche. Dazu passt, dass Putin am Dienstag auch die Öffnung der letzten intakten Leitung von Nord Stream 2 in Aussicht stellte – wohl wissend, wen er damit in Deutschland erreicht. Putins Pläne sind durchschaubar, aber nicht dumm.

Denn er registriert Bewegung im politischen Diskurs im Westen: In Deutschland, aber auch in den USA, fordern immer mehr Menschen, der Westen solle den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Verhandlungen drängen. Deutsche Intellektuelle und Politiker fordern eine "diplomatische Offensive", einen Waffenstillstand.

Damit ist meist gemeint, die Ukraine solle Gebiete abtreten, um Russland von der nuklearen Eskalation abzubringen. Leider besitzen nur wenige den Mut, das auch offen auszusprechen, man versteckt sich lieber hinter der Losung "Waffenstillstand jetzt!".

Das wäre ganz in Putins Sinne, der sich die annektierten Regionen international absichern lassen will, bevor die Ukraine noch weitere Geländegewinne macht.

Doch eine Unterwerfung unter Putins nukleare Erpressung wäre kurzsichtig und würde nur auf den ersten Blick die Risiken mindern. Denn käme Putin damit durch, wäre die Welt eine andere. Dann hätte sich ein Aggressor mittels nuklearer Erpressung fremdes Staatsgebiet einverleibt – belohnt mit dem Stempel internationaler Anerkennung.

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Das Signal wäre verheerend: Plötzlich dürften sich auch andere Atommächte dazu ermutigt fühlen, ihre Grenzen zu Lasten ihrer Nachbarn auszudehnen.

Was würde Nordkorea davon abhalten, Südkorea mit dem roten Knopf zu drohen, um seine Grenze ein Stück nach Süden zu verlegen? Warum sollte der chinesische Präsident Xi Jinping weiter warten mit seinen Plänen, Taiwan endlich einzunehmen? Und das iranische Regime würde noch intensiver daran arbeiten, eine Atombombe zu entwickeln.

Die Welt wäre ein sehr viel gefährlicherer Ort. Ein dunkles Zeitalter würde anbrechen, in dem Autokraten mit dem roten Knopf drohen, um kleinere Staaten zu zerdrücken oder sich anderweitig Vorteile zu verschaffen. Wir würden plötzlich in einer anderen Welt leben.

Wer angesichts von Putins Atomdrohung jetzt ein Zugehen auf Russland fordert, sollte sich dessen bewusst sein.


Was steht an?

Am Donnerstag berät der Bundestag eine Reihe zentraler Gesetzesvorhaben der Ampel: Es geht um die Energiepreispauschale für Rentner in Höhe von 300 Euro, die Erhöhung des Wohngeldes und Heizkostenzuschüsse. Die Maßnahmen sind Teil des dritten Entlastungspakets, mit dem die Bundesregierung die Folgen der Energiekrise abmildern will. Auch das Gesetz zum Bürgergeld, das Hartz IV ab Januar 2023 ablösen soll, wird erstmals im Parlament besprochen.

Vier Tage nach der Landtagswahl in Niedersachsen starten Sozialdemokraten und Grüne am Donnerstag Gespräche zur möglichen Regierungsbildung. Dass es zu einer Neuauflage einer rot-grünen Koalition kommen soll, war eigentlich eine ausgemachte Sache. Schon im Wahlkampf betonte man Gemeinsamkeiten, jetzt soll es ganz schnell gehen: diese Woche sondieren, nächste Woche Koalitionsgespräche. Das Pokern um Posten hat hinter den Kulissen bereits begonnen. Wer darf künftig auf der Regierungsbank sitzen, wer wird abserviert? Man darf gespannt sein.

Schulter an Schulter gegen China: Die US-Marine hält gemeinsame Militärübungen mit den philippinischen Seestreitkräften im Südchinesischen Meer ab. Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos lobte das Manöver als Beitrag zum "Frieden in der Region". Der Inselstaat fühlt sich zunehmend bedroht durch China. Denn Peking lässt weiter seine Muskeln in der Region spielen – nicht nur gegenüber Taiwan. Die aufsteigende chinesische Großmacht reklamiert fast das gesamte Südchinesische Meer für sich.


Was lesen oder hören?

Als eine Art neuer Peter der Große wollte Wladimir Putin seinen Platz in den Geschichtsbüchern einnehmen. Doch eigentlich gleicht er eher Iwan dem Schrecklichen. Warum das so ist und wie die Zeit nach Putin aussehen könnte, erklärt der Historiker und Russland-Kenner Mark Galeotti meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Im neuen Podcast "Die Zeitraffer" von t-online spricht der Journalist Richard Gutjahr mit prominenten Gästen über den digitalen Wandel. In Folge 1 ist Fernsehmoderator Claus Kleber zu Gast. Es geht um die großen Tech-Konzerne und ihre Kritiker. Welche Voraussetzungen brauchen wir, um in der digitalen Welt von morgen zu bestehen?


Früher Musterschüler, heute Sorgenkind: Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind schlecht. Meine Kollegin Frederike Holewick hat recherchiert, warum die Energiekrise die Bundesrepublik besonders stark trifft.


Was amüsiert mich?

Der nächste mysteriöse Anschlag auf russische kritische Infrastruktur.

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Kommen Sie gut durch den Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle unser stellvertretender Chefredakteur Peter Schink für Sie.

Herzliche Grüße,

Ihr

Daniel Mützel

Stellvertretender Ressortleiter Politik
Twitter: @DanielMuetzel

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Mit Material von dpa.

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