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Atomkraft: Robert Habeck schlachtet die heilige Kuh der Grünen


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Robert Habeck schlachtet die heilige Kuh der Grünen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.09.2022Lesedauer: 6 Min.
"Wenn die Entscheidung getroffen wird, die Atomkraftwerke werden gebraucht, dann werden sie gebraucht", meint Robert Habeck.Vergrößern des Bildes
"Wenn die Entscheidung getroffen wird, die Atomkraftwerke werden gebraucht, dann werden sie gebraucht", meint Robert Habeck. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es geht also doch! In Krisenzeiten hilft Pragmatismus eben mehr als Idealismus, da siegt die Vernunft über die Ideologie. Robert Habeck ist bei allem grünen Weltverbesserer-Ethos ein pragmatischer Mensch. War er immer schon. Ein Realo durch und durch. Deshalb hatte er keine Schwierigkeiten, nach Putins Angriff die Laufzeiten der Kohlekraftwerke zu verlängern und die Scheichs um Erdgas zu bitten. Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.

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Sogar heilige Kühe können dann geschlachtet werden. Seit Jahrzehnten ist die Ablehnung der Atomkraft das einigende Band, das die verschiedenen Milieus der Grünen zusammenhält: die Lehrer und die Umweltaktivisten, die Großstadtakademiker und die Ökobauern, die Traditionsbewussten und die Hedonisten. So unterschiedlich ihre Lebenswelten sind – wenn es gegen Kernkraftwerke geht, herrschte bislang Konsens: Die müssen weg. Fast hat es die Partei durch ihre jahrelange Anti-AKW-Politik geschafft, sämtlichen Meilern den Garaus zu machen. Ende dieses Jahres sollten die letzten drei vom Netz gehen – eigentlich.

Das ist seit gestern Abend passé. Der Wirtschaftsminister ist über seinen grünen Schatten gesprungen und hat in einer pragmatischen 180-Grad-Wende seinen Kurs korrigiert. Weil sich die Stimmung in der Bevölkerung rasant gedreht hat, weil es mittlerweile sogar Grünen-Vertretern schwerfällt, in den Talkshows Gründe zu erfinden, warum man die letzten Meiler nicht wenigstens noch ein bisschen länger laufen lässt, dreht Habeck bei. Es wurde auch Zeit.

In der jetzigen Lage braucht Deutschland jede Stromquelle. Um es sich nicht vollends mit der Grünenbasis zu verscherzen, wandte Habeck gestern Abend einen Kniff an: Erst betonte er, dass es beim Atomausstieg bleiben solle. Erst danach machte er den halben Schlenker rückwärts und kündigte an, die beiden süddeutschen AKW Isar 2 und Neckarwestheim bis Mitte April 2023 in Betrieb zu lassen. Nur der Reaktor im Emsland geht wie geplant am Ende des Jahres vom Netz. "Wir müssen als Regierung und ich als verantwortlicher Minister für die Versorgungssicherheit in Deutschland die richtige Entscheidung treffen. Und ich werde alles dafür Nötige tun, diese Versorgungssicherheit zu gewährleisten", sagte er. So klingt Pragmatismus.

Die gegenwärtige Krise verursacht viele Schäden – sie hat aber auch etwas Gutes: Ein heilsamer Realismus hält Einzug in der Politik. Ideologische Traumschlösser zerplatzen, jetzt zählen nur noch Ergebnisse. So wie die SPD das Scheitern ihrer pazifistischen Ostpolitik verdauen muss und die Union ihre Naivität beim Billiggas-Import aus Russland, so erleben die Grünen nun schmerzhaft, dass die ungeliebte Atomkraft eben doch noch gebraucht wird. Zumindest so lange, bis der vertrödelte Ausbau von Windkraft und Solaranlagen endlich vorangebracht ist.

Dass das bis April kommenden Jahres gelingt, ist die nächste Illusion, von der die Grünen sich verabschieden müssen. Robert Habeck traute sich gestern (noch) nicht, auch diese Realität auszusprechen, er serviert die Wahrheit lieber scheibchenweise. Sein Koalitionswidersacher Christian Lindner ist da schon weiter: Der FDP-Chef will die letzten Kernkraftwerke in jedem Fall weiterlaufen lassen. "In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren", meint er.

Wer wollte da widersprechen? Falls sich der Gasmangel im Winter verschärft und die Strompreise weiter irrlichtern, wird im Frühjahr niemand den Bürgern erklären wollen, dass man trotzdem die letzten AKW ausknipst, weil es die Grünen halt so wollen. "Die schwierige Entscheidung wird jetzt nur vertagt", schreiben unsere Reporter Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold. Das kann noch wild werden in der Ampelregierung.


Früher mitdenken

Apropos Atomkraft: Manchmal darf man ja auch als bescheidener Journalist von sich behaupten, Dinge früh gesehen zu haben. In zwei Tagesanbrüchen aus dem Jahr 2019 war das der Fall: Schauen Sie mal hier und hier.


Ein sehr großer Mann

Was für ein Mensch muss man sein, um eine derart gewaltige Leistung zu vollbringen? Es gibt nicht viele Quellen, die den Charakter dieses Mannes beschreiben. Aber ein bisschen was wissen wir: Pragmatisch war er, zielstrebig und zäh. Und hartnäckig, ja, sehr hartnäckig. Eigenschaften, die ihm halfen, eine der waghalsigsten Unternehmungen der Menschheitsgeschichte zu wagen. Eigentlich kam er ja gar nicht aus der Seefahrerei, dieser Portugiese namens Fernão de Magalhães, den wir als Ferdinand Magellan kennen. Eigentlich war er Kaufmann, dazu hatte er sich militärische Kenntnisse angeeignet. Auch nautisch und geografisch wusste er gut Bescheid.

Spanien verstand sich damals als Mittelpunkt der Welt. Also stach Magellan im Auftrag des mächtigen Königshauses am 20. September 1519 mit fünf Schiffen in See, um eine neue Route zu den Gewürzinseln zu finden: Gen Westen über den Atlantik, das war der Clou. Denn im Osten kontrollierten Venezianer, Osmanen, Perser und Inder die Routen. Pfeffer, Muskat und Nelken wurden mit Gold aufgewogen. Und tatsächlich, die Tollkühnheit glückte: Die Abenteurer entdeckten im südlichsten Zipfel Lateinamerikas eine Durchfahrt und überquerten als erste Europäer den Pazifik. Daraufhin wurde es schwierig. Während wochenlanger Flauten hungerten sie erbärmlich. Fraßen Würmer und Ratten, löffelten Suppe aus Sägespänen. Eine Meuterei ließ Magellan blutig niederschlagen.

Dann fand der Kapitän selbst seinen Richter: Auf den Philippinen fiel er im Kampf mit einheimischen Kriegern. Es heißt, ein vergifteter Pfeil habe seinen Oberschenkel durchbohrt; anschließend sei er erschlagen worden. Doch seine Mannschaft segelte weiter und gelangte tatsächlich um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika herum und wieder hinauf bis nach Spanien. Allerdings nur noch mit einem einzigen Schiff, auf dem noch 35 Mann ausharrten. Mehr als 200 weitere waren im Kampf gefallen, an Skorbut gestorben, als Meuterer hingerichtet worden, verhungert oder verschollen.

Heute vor 500 Jahren, am 6. September 1522, erreichte die "Victoria" wieder die Hafenstadt Sanlúcar südlich von Sevilla. Ein beispielloser Triumph. Die erste historisch belegte Weltumsegelung war gelungen. Sie erbrachte den letzten Beweis, dass die Erde tatsächlich eine Kugel ist und keine Scheibe.

In jüngster Zeit ist es an Universitäten in Mode gekommen, die berühmten Seefahrer in ein schlechtes Licht zu setzen: Sie waren getrieben von Gier, sie ermordeten Angehörige fremder Völker, sie bereiteten dem Kolonialismus den Boden. Mag alles sein. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Männer wie Ferdinand Magellan haben die Grenzen des Denkbaren gesprengt. Sie haben der Aufklärung gegen die verknöcherte Ideologie der Kirche zum Durchbruch verholfen und das Licht der Rationalität entzündet. Welch eine großartige Leistung!

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Hoher Besuch

Das Entlastungspaket ist beschlossen, nun geht es ums Eingemachte: Im Bundestag beginnt die Haushaltswoche, die Abgeordneten debattieren über den Etat für 2023. Den Auftakt machen heute das Familien-, das Bau-, das Verkehrs- und das Umweltministerium.

Vorher hält der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog eine Rede vor den Abgeordneten (das ZDF überträgt live). Nach einer Kranzniederlegung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Denkmal für die ermordeten Juden Europas besuchen die beiden Staatsoberhäupter dann die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Dort will Herzog Holocaustüberlebende treffen, mit Schülern diskutieren, das Grab von Anne Frank besuchen – und auch eine eigene Familientradition fortführen: Sein Vater Chaim Herzog, früher ebenfalls israelischer Staatspräsident, war als britischer Offizier unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrationslagers nach Bergen-Belsen gekommen und spendete dem Mahnmal 1987 einen Gedenkstein.


Glamour am Rhein

Düsseldorf erwartet ebenfalls Besuch: Ein gewisser Harry kommt aus London, und seine Gattin Meghan bringt er auch mit. Sie wollen für die paralympischen Wettkämpfe von Kriegsveteranen im kommenden Jahr werben. Nach dem Empfang im Rathaus und einer Rede des Prinzen geht es zum Schiffchenfahren auf dem Rhein.


Neue Frau, alte Probleme

Apropos London: Dort ernennt die Queen heute Liz Truss zur neuen Premierministerin. Anschließend wartet viel Arbeit auf die Nachfolgerin von Boris Johnson. Vom Brexit-Streit mit der EU über das marode Gesundheitssystem bis zu den horrenden Energiepreisen und der rapide verarmenden Bevölkerung: Der Politclown hat viel Arbeit liegen gelassen.


Zwischen Krieg und Königsklasse

RB Leipzig startet in die Champions-League-Saison und trifft auf Schachtjor Donezk. Moment mal, kommen nicht gerade aus der Donbass-Region wieder aktuelle Frontnachrichten? Tatsächlich betreibt der zehnmalige ukrainische Fußballmeister einen enormen Aufwand, um sein erstes internationales Spiel seit Beginn des russischen Angriffskriegs bestreiten zu können: Schon 2014 durch den Krieg in der Ostukraine aus der eigenen Arena vertrieben, war der Verein zwischenzeitlich in Lwiw und Charkiw zu Gast und hatte zuletzt in Kiew Asyl gefunden. Anfang August zog das Team weiter nach Warschau. "Es ist sehr wichtig für unsere Landsleute, dass wir auf dem Platz kämpfen wie sie zu Hause an der Front", beteuert der Trainer Igor Jovicevic.


Was lesen?

Was darf man noch sagen, schauen, hören? Die Winnetou-Debatte schlägt weiterhin hohe Wellen. Mein Kollege Steven Sowa zeigt, wie die Aufregung absichtlich geschürt wurde. Auch viele unserer Leserinnen und Leser haben Meinungen dazu, die Mario Thieme zusammenfasst.


Eine Frau wird von einem Axtmörder über den Flur eines Plattenbaus gejagt, rüttelt in Todesangst an den Wohnungstüren der Nachbarn – doch keiner macht auf. Dann schlägt er zu, sogar die herbeigeeilten Polizisten sind machtlos: Was unsere Berlin-Reporterin Antje Hildebrandt berichtet, lässt einem den Atem stocken.


Heizen, Essen, Kleider: Alles wird immer teurer. Meine Kollegin Jennifer Buchholz hat nützliche Spartipps zusammengetragen.


Was macht eigentlich Franz Beckenbauer? Unser Reporter Julian Buhl hat sich auf Spurensuche begeben.


Was amüsiert mich?

In diesen schwierigen Zeiten ist es gut, wenn man liebe Freunde hat. So wie diese drei Gesellen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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