Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.So versteckt lebte Beckenbauer zuletzt Die Lichtgestalt erlosch im Schatten
Franz Beckenbauer (†78) hatte sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die einstige Lichtgestalt des Fußballs lebte vor seinem Tod ein Schattendasein.
Dass ausgerechnet Franz Beckenbauer das Treffen im Sommer 33 Jahre nach dem großen WM-Triumph verpasste, schmerzte die Weltmeisterhelden von 1990 besonders. "Diesen einmaligen Zusammenhalt in dieser Mannschaft hat Franz Beckenbauer geschaffen. Kein anderer. Ihm haben wir alles zu verdanken!", sagte Lothar Matthäus, der damalige Kapitän unter Teamchef Beckenbauer, der "Bild".
Beckenbauer ließ sich allerdings schweren Herzens von seiner Ehefrau Heidi entschuldigen. "Franz kann aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein. Es wäre einfach zu viel für ihn", sagte sie. Und so mussten die WM-Helden von 1990 im Luxushotel "Das Achental" in Grassau am Chiemsee ohne Beckenbauer in Erinnerungen schwelgen.
Dass das auch in Zukunft so bleiben wird, ist nun traurige Gewissheit. Es wird kein Weltmeistertreffen mehr gemeinsam mit Beckenbauer geben. Die Fußball-Legende ist am 7. Januar im Alter von 78 Jahren gestorben.
Aus der Öffentlichkeit hatte sich Beckenbauer schon seit Jahren nahezu komplett zurückgezogen. Eine große Ausnahme gab es noch im Januar 2023 als Beckenbauer erstmals nach der Corona-Pandemie wieder an eine Tradition anknüpfte und zum Karpfenessen in einem Hotel in Kitzbühel (Österreich) einlud. Dort präsentierte er sich mit Sohn Joel und Ehefrau Heidi als und empfing 100 geladene Gäste. (Mehr zu Beckenbauers letztem öffentlichem Auftritt lesen Sie hier.)
Auch seine Stadionbesuche wurden immer seltener. Sein allerletzter liegt bereits anderthalb Jahre zurück, als er im August 2022 auf der Tribüne gesichtet wurde. Beckenbauer weilte nicht etwa beim Topspiel des FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach (1:1) in der Münchner Arena – wo er zuletzt im März 2021 bei der Partie gegen Stuttgart (4:0) zu Gast war.
Stattdessen schaute er beim Heimspiel von 1899 Hoffenheim gegen den FC Augsburg (1:0) vorbei. Beckenbauer, der als Freund und Vertrauter von Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp galt, verfolgte die Partie in einer VIP-Loge an der Seite seines Sohnes Joel und präsentierte sich dort mit Sonnenbrille und weißem Bart.
Von der Lichtgestalt ins Schattendasein
Er wirkte auffällig schlank und hager, wie schon bei seinen bereits zuvor sehr seltenen gewordenen öffentlichen Auftritten. Die Zeiten, in denen der "Kaiser" noch als Organisationschef der Heim-Weltmeisterschaft 2006 mit dem Helikopter durchs gesamte Fußballreich wirbelte und nicht selten am selben Tag gleich in mehreren Stadien gesichtet wurde, waren schon längst Geschichte.
Die dunklen Schatten, die sich über dem vermeintlichen Sommermärchen ausbreiteten, hatten bekanntlich auch seine Strahlkraft erfasst. (Mehr zu den Vorwürfen an Beckenbauer im Zusammenhang mit der WM 2006 lesen Sie hier.) Die einstige Lichtgestalt des deutschen Fußballs führte vor seinem Tod ein Schattendasein. Er lebte nicht mehr in Kitzbühel, sondern zurückgezogen in Salzburg. Kommentare des früher noch omnipräsenten Cheferklärers der Fußballnation waren eine Rarität geworden.
Das Feuer der Begeisterung für seinen FC Bayern, den er als Spieler, Trainer und Präsident wie kein anderer geprägt hat, loderte aber noch immer in ihm. So war es auch kein Zufall, dass sich der Ehrenpräsident des Klubs ausgerechnet durch den furiosen Start der Münchner in der vergangenen Saison doch mal wieder aus seiner Abgeschiedenheit locken ließ.
Als die "Bild" ihn unmittelbar nach dem 6:1 der Bayern in Frankfurt mit einem Anruf überraschte, sagte er: "So eine Lust, so eine Leistung habe ich lange nicht gesehen. Die Erfolge mit Lewandowski sind die Vergangenheit, diese Mannschaft ist die Zukunft." Für einen kurzen Moment war da mal wieder der alte Beckenbauer zu erahnen, dessen Wort in Fußballdeutschland noch vor nicht allzu langer Zeit das höchstmögliche Gewicht hatte.
Beckenbauer trifft die Frauen-Nationalmannschaft
Sobald er doch mal wieder irgendwo erschien, stand er sofort unweigerlich im Mittelpunkt. Das war auch zu beobachten, als er Anfang Juni 2022 mehr oder weniger zufällig in Herzogenaurach im EM-Vorbereitungscamp der deutschen Frauen-Nationalmannschaft auftauchte.
Beckenbauer versprühte dabei seinen altbekannten Charme und ließ sich mit Hut, Sonnenbrille und rosa Polohemd für ein gemeinsames Foto mit Nationalspielerin Linda Dallmann ablichten.
Jeder, der zu Lebzeiten auf ihn getroffen sei, habe "natürlich erst mal Respekt vorm Franz" gehabt. Und sei "dann angenehm überrascht über seine Freundlichkeit und unglaubliche Herzlichkeit" gewesen, die er seinen Mitmenschen stets entgegenbrachte, erzählt Klaus Eder t-online.
Der 69-Jährige arbeitete von 1988 bis 2018 als Physiotherapeut der Nationalmannschaft für den DFB und war bis zuletzt sehr gut mit Beckenbauer befreundet. Beckenbauer habe "einem immer das Gefühl gegeben, sein allerbester Freund zu sein. Das war schon damals in Italien so, bei der Novanta". Und habe sich bis zuletzt fortgesetzt.
Enge Beziehung der 90er-Weltmeister
Mit der Novanta meint Eder den historischen WM-Triumph der deutschen Nationalmannschaft 1990 mit Beckenbauer als Teamchef. Ob man das Finale miterlebt hat oder nicht: Die Szene nach dem Spiel, in der Beckenbauer gedankenverloren, mit der Goldmedaille um seinen Hals baumelnd im römischen Stadio Olimpico allein über das Spielfeld spaziert, hat fast jeder vor Augen, als wäre er selbst dabei gewesen.
Mit der gesamten 90er-Mannschaft sei "eine ganz enge Beziehung entstanden", sagt Eder. "Der WM-Titel 1990 in Italien hat uns damals sehr eng miteinander verbunden", sagte Finaltorschütze Andreas Brehme zu t-online, "und das wird auch für immer so bleiben." (Was Brehme noch zum Tod von Beckenbauer sagt, lesen Sie hier.)
Zum 30-jährigen Jubiläum fand 2020 das bislang letzte Weltmeistertreffen statt, bei dem Beckenbauer dabei war – in einem italienischen Luxusressort in Il Pelagone.
Wegen gesundheitlicher Probleme nicht beim Seeler-Abschied
"Die 30 Jahre sind an keinem von uns spurlos vorübergegangen", erinnert sich Eder, "aber ansonsten war er fit und gut drauf. Wir haben zusammen Golf gespielt, viel gelacht und gefeiert."
Ähnlich erlebte Eder seinen alten Weggefährten auch wieder im Juli 2022 beim 33. Kaiser-Cup, dem vormals alljährlichen Golf-Charity-Turnier, dessen Einnahmen der Franz-Beckenbauer-Stiftung zugutekamen. Die am 15. Juli vergangenen Jahres geplante 34. Auflage des Turniers wurde dann abgesagt. "Franz Beckenbauer, der namensgebende Kaiser, muss kürzertreten", teilte der Veranstalter damals auf t-online-Anfrage mit.
Unmittelbar nach dem Kaiser Cup im vergangenen Jahr drehte sich Beckenbauers Gemütslage mit dem Tod von Uwe Seeler bereits ins Gegenteil. Zumal er seinem Freund aufgrund von gesundheitlichen Problemen die letzte Ehre nicht persönlich erweisen konnte. Stattdessen schrieb ihm Beckenbauer einen emotionalen offenen Brief zum Abschied.
"Er hat die Öffentlichkeit nie gesucht, es war genau umgekehrt"
An welchen körperlichen Beschwerden Beckenbauer zuletzt genau litt, ist nicht im Detail bekannt. Auch Eder hielt sich zu Beckenbauers Gesundheitszustand bedeckt. "Wir wissen ja alle, dass der Franz in letzter Zeit nicht mehr der Fitteste war", sagte er nur.
"So wie ich ihn kennengelernt habe, hat er noch nie die Öffentlichkeit gesucht, sondern es war immer genau umgekehrt." Zuletzt habe Beckenbauer "halt auch einen Grund gehabt", die Öffentlichkeit zu meiden.
2019 hatte Beckenbauer einen Eingriff an den Augen vornehmen lassen, zwei Jahre zuvor hatte er sich bereits zum zweiten Mal einer Herzoperation unterziehen müssen.
Anlässlich seines 75. Geburtstags sagte er 2020 der "Bild", dass es ihm "den Umständen entsprechend" gehe. Er gab aber zu: "Mit all den Operationen und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenommen."
Vorwürfe im Umfeld der WM 2006 setzen Beckenbauer zu
Die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit der Vergabe der Fußball-WM nach Deutschland im Raum standen, sind mittlerweile juristisch verjährt (Mehr dazu lesen Sie hier). Aber nicht vergessen.
"Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart", sagte Beckenbauer damals und wünschte sich deshalb "inzwischen mehr Ruhe".
Bei seinem Jubiläumsehrentag sei es das erste Mal gewesen, dass er anfangen habe, nachzudenken. "75 ist ein Alter, da kannst du das Ende erahnen", erzählte er offen: "Die Endlichkeit wird dir bewusst. Und das beschäftigt dich natürlich."
Die Leiden und Wehwehchen nahmen offenbar auch bei dem deutschen Fußballer des vergangenen Jahrhunderts, der auch als Spieler 1974 Weltmeister sowie 1972 Europameister geworden war, mit zunehmendem Alter zwangsläufig zu.
Kaiserliche Audienz für Weltmeister-Delegation
Den Abschied von Rudi Völler, der sich im Mai 2023 feierlich aus dem operativen Geschäft bei Bayer Leverkusen und damit aus dem Bundesligageschäft zurückzog, hatte Beckenbauer deshalb schon verpasst.
Stattdessen besuchten ihn die 1990er-Weltmeister Völler, Lothar Matthäus und Brehme anschließend in Salzburg. Solche Treffen fanden regelmäßig statt, wie eine der direkt daran beteiligten Personen t-online bestätigte. Zuletzt ließ Beckenbauers gesundheitlicher Zustand aber auch die nicht mehr zu.
Bereits im Jahr zuvor hatte sich mit den beiden 74er-Weltmeistern Uli Hoeneß und Paul Breitner sowie Karl-Heinz Rummenigge eine Bayern-Delegation zu einer ähnlichen kaiserlichen Audienz aufgemacht. Gute Freunde kann eben niemand trennen.
Rummenigge war es auch, der bei t-online forderte, "dass Franz den Stellenwert erhält, den er verdient. Er war als Spieler und als Trainer Weltmeister, er gehört in die Kategorie 'Top of the Tops', die jemals im Fußball existiert haben." Beckenbauers "Lebensleistung für den deutschen Fußball kann man nicht hoch genug einschätzen", so Rummenigge, "dementsprechend sollte auch der DFB diese gebührend würdigen."
Viel zu erzählen hätte Beckenbauer über all diese Dinge noch immer gehabt. Auf t-online-Anfrage teilte sein Management allerdings mehrfach mit, dass er dieser "bedauerlicherweise nicht nachkommen" könne. Die zunehmenden gesundheitlichen Probleme ließen das einfach nicht mehr zu.
Nächstes Weltmeistertreffen im Sommer 2025
Das galt nun auch für die Einladung zum Weltmeistertreffen. Die 90er-Helden hatten ohnehin vereinbart, den Zyklus dafür von zehn auf fünf Jahre zu verkürzen. Die nächste Zusammenkunft ist bereits wieder für Sommer 2025 geplant, nachdem es zum 33-jährigen Jubiläum einen zusätzlichen Termin gegeben hatte. "Der Franz hat gesagt: 'Wir müssen das noch ein bisschen verkürzen, uns nicht erst alle fünf Jahre treffen. Sondern müssen auch eine Schnapszahl dazu nutzen, um uns zu treffen'", sagte Weltmeister Olaf Thon zu t-online: "So ist er halt, der Franz."
Umso bedauerlicher, dass er sein eigenes Vorhaben aus gesundheitlichen Gründen doch nicht mehr in die Tat umsetzen konnte. In anderthalb Jahren werden sich die Weltmeisterhelden nun wieder treffen. In Gedanken wird Beckenbauer ganz sicher bei ihnen sein.
- Eigene Beobachtungen
- Telefongespräch mit Klaus Eder
- Weitere telefonische und persönliche Hintergrundgespräche
- bild.de: "Beckenbauer verweigert Gratulation"
- sportbild.de: "Die letzten Jahre waren hart"
- spiegel.de: "Verjährung verhindert Verfahren gegen Beckenbauer, Zwanziger und Schmidt"
- bild.de: "Beckenbauer bei unseren Fußball-Frauen aufgetaucht"