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Präsidentschaftwahl in Frankreich: Ein Sieg, der kein richtiger ist


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Präsidentschaftswahl in Frankreich
Ein Sieg, der kein richtiger ist


Aktualisiert am 24.04.2022Lesedauer: 8 Min.
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Macron schlägt Le Pen: Der französische Präsident sprach mit seiner Frau vor seinen Anhängern. (Quelle: reuters)
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Die Umfragen prognostizierten ein enges Rennen, nun ist aber klar: Amtsinhaber Macron gewinnt deutlich gegen die Rechtspopulistin Le Pen. Doch das Land ist tief gespalten.

Es war eine bemerkenswerte Präsidentschaftswahl in Frankreich: In der entscheidenden Stichwahl traten nicht einfach nur zwei verschiedene Kandidaten gegeneinander an, sondern auch zwei Weltanschauungen und Politikstile, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. Hier der amtierende Präsident Emmanuel Macron, europäisch ausgerichtet, scharfsinnig, aber weit entfernt vom Alltag der "normalen Franzosen". Dort die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die die Volksnähe zum Kern ihres Wahlkampfes machte, der jetzigen EU feindlich gegenübersteht und auf eine radikal nationalistische Politik setzt.

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Nun hat Macron die Wahl laut ersten Zahlen deutlich gewonnen, mit rund 58 Prozent der Stimmen. Dennoch ist klar: Das Land ist tief gespalten. Fünf Erkenntnisse aus der Wahl:

1. Ein Sieg, der kein richtiger ist

Der Sieg fiel deutlicher aus, als noch in den letzten Umfragen vor der Wahl prognostiziert worden war. Die sahen Macron und Le Pen teilweise nur wenige Prozentpunkte auseinander. Doch schon mit der ersten Hochrechnung wird an diesem Sonntagabend klar, dass Macron die Präsidentschaftswahl deutlich für sich entscheidet. So eindeutig, wie der Sieg scheint, ist er aber nicht. Dass Macron nun für weitere fünf Jahre das Land regiert, hat auch viel mit seiner Gegnerin zu tun.

Eine Umfrage vor der Wahl zeigte: Fast 40 Prozent derjenigen, die bei der Stichwahl für ihn stimmen wollten, gaben an, das nur zu tun, um Le Pen zu verhindern. "Faire barrage", auf Deutsch: "blockieren", nennt sich in Frankreich, wenn die Wähler vieler Parteien für einen gemäßigten Kandidaten stimmen, um eine Extreme zu verhindern. Am Samstag riefen in einem ungewöhnlichen Schritt sogar zahlreiche Medien zur Wahl Macrons auf. Der Präsident, der vor allem vor der ersten Wahlrunde kaum im Wahlkampf präsent war, setzte ganz offensichtlich auf diesen Effekt.

Unter seinen Stammwählern ist Macron zwar beliebt, auch weil er seine versprochenen Reformen energisch vorantrieb, Frankreich wirtschaftlich voranbrachte und während seiner Amtszeit auch die Arbeitslosigkeit sank. In anderen Teilen der Gesellschaft hat sich allerdings ein regelrechter Hass gegen den früheren Investmentbanker aufgebaut, Macron sah sich mit Massenprotesten von links und rechts konfrontiert. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen haben sich noch mehr Wähler den politischen Extremen zugewendet, vor allem unter den Jüngeren ist die Frustration groß. Auch die Zahl der Nichtwähler ist gestiegen.

Darauf wird Macron in seiner zweiten Amtszeit eingehen müssen, um die Gräben in der Gesellschaft zu kitten. Am Wahlabend zeigte er sich demütig. Er wisse, dass viele nur für ihn gestimmt haben, um die Ideen der Rechtsextremen zu verhindern, sagte Macron in seiner ersten Ansprache am Fuß des Eiffelturms in Paris. Der Präsident richtete sich auch direkt an die Wähler von Le Pen. Auf ihre "Wut und ihre abweichenden Meinungen" müsse es "Antworten geben", sagte er und versprach: "Ich bin nicht mehr der Kandidat eines Lagers, sondern der Präsident aller".

Denn es stellt sich auch eine weitere große Frage: Wer folgt nach ihm? Macron wird nach seiner zweiten Amtszeit nicht noch einmal kandidieren dürfen, so sieht es das Gesetz vor. Es würde einen dunklen Schatten auf seine Präsidentschaft werfen, wenn bei der Wahl in fünf Jahren nur noch extreme Parteien in der Stichwahl stünden.

2. Extrem rechte Positionen bahnen ihren Weg in die Mitte

Auf den ersten Blick wirkte die Stichwahl wie eine Neuauflage von 2017, wieder stehen Macron und Le Pen in der Stichwahl. Damals allerdings galt noch der Spruch: "Wer auch immer in der Stichwahl gegen Le Pen antritt, gewinnt." Macron war mit Abstand der stärkere Kandidat, stellte Le Pens Unwissen in der TV-Debatte bloß, gewann die Wahl locker. Das war in diesem Jahr anders. Die Positionen ihrer extrem rechten Partei werden mittlerweile diskutiert wie alle anderen. Beobachter sprechen von einer Normalisierung und Verbürgerlichung rechtsextremer Positionen.

Das liegt auch an Le Pen selbst. Sie hat massiv an ihrem eigenen Image und dem ihrer Partei gearbeitet. Sie strich rassistisches Vokabular aus dem Repertoire, ließ ihren Vater Jean-Marie, Parteigründer und Holocaustleugner, ausschließen und benannte die Partei um. Aus der "Nationalen Front" (Front National) wurde die versöhnlicher klingende "Nationale Versammlung" (Rassemblement National). Ihre Positionen bleiben radikal, auch wenn sie nicht mehr einen EU-Austritt fordert. Sie will aber, dass nur noch Franzosen Sozialhilfe bekommen, andere in Frankreich lebende Menschen aber nicht – obwohl das sowohl der französischen Verfassung als auch dem EU-Recht widerspricht.

  • Im Video: So lief das TV-Duell zwischen Macron und Le Pen


Zudem greifen die extrem rechten Parteien Themen auf, die die anderen kaum angehen. "Das große Manko des politischen französischen Systems ist, dass die Sorgen vieler Franzosen um Migration, Integration und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen von der staatlichen Politik nicht aufgegriffen wurden", sagte der Politologe Dominique Reynié kürzlich dem Deutschlandfunk. "Man hat das Polemikern überlassen, die daraus ein politisches Projekt konstruieren." Le Pen, aber auch der bereits ausgeschiedene Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour, finden hier klare Antworten, auch wenn ihre Vorschläge radikal und teilweise nicht umsetzbar sind.

Sie propagieren die Idee, Frankreich werde überfremdet, und haben die Themen Migration und Kriminalität fast untrennbar miteinander verbunden. Die Losung der Rechten lautet: Grenzen schließen, Migration verbieten und abschieben. Und sie finden großen Widerhall: Mehr als die Hälfte der Franzosen hat laut einer Umfrage des Instituts Elabe das Gefühl, nicht mehr im eigenen Land zu leben. 49 Prozent waren der Meinung, dass die Einwanderung zwar nicht die Ursache aller Probleme in Frankreich sei, diese aber verschärfe.

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3. Die Jugend ist frustriert

In den letzten fünf Jahren unter Macron hat sich die Frustration vor allem der jungen Menschen massiv vergrößert. Am 10. April, in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, gingen von den unter 25-Jährigen ganze 42 Prozent nicht wählen, bei den 25- bis 34-Jährigen waren es sogar 46 Prozent – also fast jeder Zweite. Auch 2017 war die Zahl der Nichtwähler unter den jungen Franzosen und Französinnen schon überdurchschnittlich hoch, lag aber noch knapp unter 30 Prozent.

Diejenigen wiederum, die wählen gingen, stimmten dabei eher für extremere Parteien als für einen Kurs der Mitte. Unter den 18- bis 24-Jährigen etwa haben knapp 31 Prozent für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon gestimmt, insgesamt 34 Prozent für die beiden Rechtsaußen-Kandidaten Le Pen und Zemmour.

Woher kommt diese Frustration? Der Soziologe Olivier Galland hat versucht, Antworten zu finden und eine Umfrage unter 8.000 jungen Menschen durchgeführt. Seine Bilanz: "Was die Jugend auszeichnet, ist politische Distanziertheit", sagte er der Zeitung "Les Echos". Dabei gebe es nicht den einen Grund, weshalb die Menschen nicht wählen gehen. 34 Prozent der Befragten glaubten etwa, dass Wählen nicht sehr sinnvoll sei, weil Politiker den Willen des Volkes nicht berücksichtigten. Mehr als die Hälfte fühle sich keiner Partei verbunden. "Sie machen sich Sorgen über Ökologie, Gewalt gegen Frauen, Terrorismus oder Ungleichheiten. Aber das lässt sich nicht in eine politische Form übersetzen."

Der Soziologe Laurent Lardeux hingegen sieht die Jugend in diesem Jahr in einer speziellen Situation: Durch die Corona-Krise seien in dieser Generation viele in prekäre Verhältnisse gerutscht. Dazu komme, dass viele besonders sensibel auf Fragen der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit reagierten, sagte er der Zeitung "Le Monde". Vor allem Letzteres spielt in den Wahlprogrammen von Mélenchon und Le Pen eine große Rolle. Lardeux warnt deswegen vor einer vorschnellen Überinterpretation, ist sich aber sicher: "Die Kluft zwischen den Erwartungen junger Menschen und den ihnen unterbreiteten politischen Vorschlägen ist eine echte demokratische Herausforderung."

4. Der Hass ist zurück in der politischen Debatte

Marine Le Pens Vater Jean-Marie war dafür bekannt, seine politischen Gegner zu bepöbeln und zu beschimpfen und dafür, offen rassistische Theorien zu äußern. Seine Tochter bewegte die Partei in den vergangenen Jahren weg von dieser aggressiven Rhetorik. In diesem Wahlkampf aber trat eine neue rechte Kraft auf den Plan, die sich genau dieser bedient: der TV-Moderator Zemmour. Er lag in den Umfragen zwischenzeitlich sogar vor Le Pen, musste sich aber am Ende der ersten Runde mit sieben Prozent zufriedengeben. Man kann allerdings davon ausgehen, dass einige seiner Anhänger kurzfristig doch für die aussichtsreichere Kandidatin Le Pen gestimmt haben.

Zemmours Partei "Reconquête" hat kein Problem damit, ihre politischen Gegner als Feindbilder darzustellen, sie zu dämonisieren. Auf einer Veranstaltung für die Jugend-Bewegung der Partei hetzte ein Parteimitglied etwa gegen die Antifa, gegen die jungen Anhänger von Emmanuel Macron, gegen Jugendliche in Vorstädten, die Autos anzünden und mit Drogen handeln würden und bezeichnete diese als "Abschaum".

Nicht nur von rechts, auch von links schlägt dem Präsidenten Macron Hass entgegen. Vor allem in der sehr linken Szene wurde vor der Wahl mit dem Slogan "Weder Macron noch Le Pen" mobilgemacht und zur Enthaltung bei der Wahl aufgerufen. In ihren Augen hat Macron der extrem Rechten mit einer unsozialen Politik und einer Normalisierung rechter Positionen den Weg gepflastert. Hier lesen Sie mehr dazu. Ihm haftet zudem der Ruf an, er sei der "Präsident der Reichen", seitdem er zu Beginn seiner Amtszeit gleichzeitig die Solidaritätssteuer auf Vermögen abschaffte und die Wohnungshilfe reduzierte. Es ist eine klare Botschaft an Macron: Selbst die Gefahr einer extrem rechten Regierung bringt uns nicht dazu, Macron zu wählen.

Die Journalisten Maurice Szafran und Nicolas Domenach haben ein Buch darüber verfasst und sind sich sicher: Kein Präsident vorher wurde so sehr gehasst wie Macron. "Wir lesen es im Internet, mit der Heftigkeit persönlicher Angriffe. Wir haben es bei den Demonstrationen der "Gelbwesten" auf der Straße gesehen, mit (...) einer von Kindern getragenen Guillotine", berichtete Szafran in einem Interview mit "Le Figaro". Dazu kämen antisemitische Untertöne, weil Macron zuvor bei der Rothschild-Bank tätig gewesen ist, die einer jüdischen Familie gehört. Die Wut mancher bekam Macron auch körperlich zu spüren, musste sich ohrfeigen und mit einem Ei bewerfen lassen.

Szafran und Domenach sehen die aggressiver werdende Stimmung nicht nur bei bestimmten Gruppen, sondern als generelles Problem: "Selbst große Intellektuelle sind in einen aggressiven Rückzug verfallen und trauen sich nicht mehr, das republikanische Motto Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu verteidigen. Als ob das eine Schande wäre", sagte Szafran "Le Figaro".

5. Das klassische Parteiensystem ist am Ende – zumindest bei der Präsidentschaftswahl

Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen war auch eine massive Niederlage für die traditionellen Parteien. Die Parti Socialiste, die noch vor Macron mit François Hollande den Präsidenten stellte, war schon 2017 massiv abgestürzt. In diesem Jahr kam die Schwesterpartei der SPD auf nicht einmal mehr zwei Prozent. Die konservativen Republikaner, Partei der ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac, ereilte dasselbe Schicksal. Ihre Kandidatin Valérie Pécresse holte knapp weniger als fünf Prozent. Zum Vergleich: Die rechtsaußen und rechtspopulistischen Parteien kam zusammen auf mehr als 32 Prozent, die linksextremen und -populistischen auf mehr als 25 Prozent.

Für das Scheitern gibt es viele Gründe: Die Spitzenkandidaten waren für die Wähler nicht interessant genug, die Parteien sprechen sie mit ihren moderateren Positionen offenbar nicht mehr ausreichend an. Hollande etwa war einer der unbeliebtesten Präsidenten der Fünften Französischen Republik, verzichtete gar darauf, ein zweites Mal anzutreten. Aber auch Macron trägt eine Mitschuld. Mit seiner Bewegung "La République en marche" hat er die politische Mitte für sich vereinnahmt, bedient sich bei beiden Seiten an Ideen – und hat Mitte-Links und Mitte-Rechts damit fast überflüssig gemacht.

Allerdings gilt das bislang nur für die Präsidentschaftswahlen. Denn bei den Parlamentswahlen und Kommunalwahlen haben die traditionellen Parteien noch immer Chancen, Stimmen zu sammeln. Im Parlament sind sie derzeit breit vertreten und bei den Kommunalwahlen 2020 zeichnete sich sogar ein Linksruck ab: Die Grünen und die Parti Socialiste gingen aus den Wahlen als große Gewinner heraus.

Schon im Juni soll das Unterhaus des Parlaments neu gewählt werden. Dann entscheidet sich auch, wie viel Unterstützung Macron dort für seinen Kurs bekommt – und wie vielen Parteien er Zugeständnisse machen muss. Die unterlegene Le Pen schwor ihre Anhänger noch am Wahlabend ein: An diesem Abend beginne die große Schlacht um die Parlamentswahlen, sagte sie. Ihre Partei sei offen für alle, die sich gegen Macron verbünden wollten.

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