Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Erschreckende Parallelen
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
es gibt Daten, die sich in das Gedächtnis der Menschheit einbrennen. Viele von uns wissen noch heute, wo sie waren und was sie taten, als am 11. September 2001 Flugzeuge in das New Yorker World Trade Center krachten – oder als am 9. November 1989 die Mauer fiel. Vermutlich haben wir erst vor Kurzem wieder so ein Datum erlebt: Am 24. Februar 2022 verkündete der russische Präsident Wladimir Putin eine "Militäroperation" in der Ukraine. Krieg ist allerdings der treffendere Begriff für das, was wir seitdem jeden Tag erleben müssen.
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Der 15. März 2011 ist kein solcher Tag. Oder können Sie sich noch daran erinnern, was Sie heute vor genau elf Jahren getan haben – geschweige denn, was damals passiert ist? Doch es ist ein Datum in der Weltgeschichte, das vermutlich eine ähnlich große Bedeutung hat wie der 11. September oder der 9. November – und trotzdem in Vergessenheit geraten ist.
"Hunderte von Syrern haben in der Hauptstadt Damaskus eine seltene Protestaktion durchgeführt und demokratische Reformen sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert", berichtete die BBC damals. Es begann als hoffnungsvolle Zeit, der Startschuss zum sogenannten arabischen Frühling in Syrien. Elf Jahre später allerdings markiert dieser Tag den Beginn von gewaltsamen Niederschlagungen der Proteste durch den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Daraus entwickelte sich ein grausamer Krieg, den Assad bis zum heutigen Tag gegen sein eigenes Volk führt.
Wir sollten diesen Krieg nicht vergessen. Denn seine vorläufige Bilanz ist erschütternd. Die Vereinten Nationen gingen im vergangenen September davon aus, dass durch ihn bisher mindestens 350.000 Menschen gestorben sind. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Opfer, die eindeutig identifiziert werden konnten. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht dagegen von einer halben Million Toten. Zudem untersucht die Organisation weitere 200.000 ungeklärte Fälle. Auch trat der Krieg eine bis dahin beispiellose Fluchtbewegung los: Laut UNHCR befinden sich aktuell 5,7 Millionen syrische Menschen auf der Flucht.
Assad lässt die Menschen in Syrien auf grauenvollste Art umbringen: Sie werden in Gefängnisse geworfen und zu Tode gefoltert, im Schlaf von Giftgasbomben überrascht oder so lange von der Außenwelt abgeschnitten, bis sie verhungern. Doch er hält sich bis heute an der Macht – Deutschland und der Westen setzten den Kriegsverbrechen bislang wenig entgegen.
Anfang des Jahres starben mehr als 330 Menschen bei einem Angriff von IS-Terroristen auf ein Gefängnis. Allein im vergangenen Monat sollen 45 Menschen durch Gefolgsleute von Assad zu Tode gefoltert worden sein, viele von ihnen waren zuvor jahrelang eingesperrt. Wir nehmen diese schrecklichen Ereignisse nur noch am Rande wahr, wenn überhaupt. Es sind Meldungen, die bei vielen von uns einfach so durchrauschen – Journalisten geht es dabei häufig nicht anders als den Lesern oder Zuschauern.
All diese Ereignisse sollten eigentlich genügen, um wieder genauer hinzuschauen. Doch es gibt mittlerweile noch einen weiteren Grund. Denn der Krieg in Syrien ist nicht nur Assads Krieg gegen sein eigenes Volk. Er ist auch Putins Krieg. Der russische Präsident ist seit 2015 ein Verbündeter des syrischen Regimes: Russische Soldaten sollen bisher etwa 39.000 Militärschläge in Syrien verübt haben. Städte wie Aleppo wurden auch mit Hilfe russischer Kampfjets nahezu vollständig zerstört. Vor Krankenhäusern und anderen zivilen Einrichtungen macht das Militär ebenfalls nicht Halt.
Es sind erschreckende Parallelen zu den Bildern, die wir jetzt tagtäglich aus der Ukraine sehen. Auch in der Hafenstadt Mariupol soll zuletzt eine Geburtsklinik beschossen worden sein. "Ich weiß nicht, wie ich die Zerstörungen in unserer Stadt beschreiben soll. Die Stadt existiert eigentlich nicht mehr", sagte der stellvertretende Bürgermeister der Stadt zuletzt der ARD. Er fühle sich erinnert an Bilder von Aleppo. Auch in Mariupol sollen die Lebensmittel knapper werden.
Man mag sich nicht vorstellen, was in der Ukraine noch passieren könnte, sollte der Krieg dort einen ähnlichen Verlauf wie in Syrien nehmen. In der Ukraine besteht wohl noch die Chance, den Krieg schneller zu beenden. Die Lösung darf deshalb aber nicht lauten, dass die Ukrainer die Waffen strecken. Das Land muss gemeinsam mit dem Westen den Druck auf Russland weiter hochhalten, und zwar auf verschiedenen Ebenen: diplomatisch, mit harten Sanktionen, aber eben auch militärisch. Denn sonst wird Putin immer weitermachen. Der Krieg in Syrien ist dafür ein trauriges Beispiel.
Letzter Aufruf zum Impfen
Die allgemeine Impfpflicht steht in Deutschland weiter auf wackligen Beinen. Für einzelne Berufsgruppen – etwa im Gesundheits- und Pflegebereich – ist sie allerdings schon in Kraft getreten. Heute ist der letzte Tag, an dem Pfleger oder medizinisches Personal ihrem Arbeitgeber entweder Impfung oder Genesung nachweisen müssen. Andernfalls drohen ab Mittwoch Konsequenzen wie ein Betretungsverbot der Arbeitsstelle oder ein Bußgeld. Einziger Ausweg wäre ein Attest, dass eine Impfung gegen das Coronavirus nicht möglich ist.
Doch schon dort beginnen die Probleme: Welche genauen Folgen eine fehlende Impfung hat, entscheiden die ohnehin stark beanspruchten Gesundheitsämter. Dadurch ist wohl davon auszugehen, dass die Regelung je nach Region unterschiedlich hart durchgesetzt wird. In Sachsen heißt es beispielsweise, dass die Entscheidungen mehrere Monate dauern könnten.
Was steht an?
Weitere Entwicklungen im Ukraine-Krieg: Die Sorge über eine Ausweitung des Kriegs ist in der Weltöffentlichkeit groß. Allerdings ist sie im Baltikum und in Skandinavien besonders ausgeprägt: Lettland, Estland und Litauen gehören zwar der Nato an, sind aber wie die Ukraine ehemalige Sowjetrepubliken. Finnland teilt eine lange Grenze mit Russland und gehört dem Verteidigungsbündnis nicht an. Die Staats- und Regierungschefs beraten sich deswegen heute mit weiteren Ländern in London. Zudem wollen Unterhändler aus Russland und der Ukraine per Videoschalte ihre Verhandlungen fortsetzen.
Umweltbundesamt veröffentlicht Emissionsbericht: Wie viele klimaschädliche Treibhausgase hat Deutschland im vergangenen Jahr ausgestoßen? Dazu stellt das Umweltbundesamt heute eine vorläufige Prognose vor. Durch die Corona-Krise ging der Ausstoß 2020 zurück. Die Nachrichtenagentur Reuters will schon wissen: Die Zahlen gehen wieder nach oben – vor allem bei Verkehr und Wohnen wurden die eigenen Vorgaben nicht erfüllt.
Faeser stellt Aktionsplan gegen rechts vor: Der Kampf gegen Rechtsextremismus hat für Nancy Faeser (SPD) besondere Priorität. Das hat die Innenministerin immer wieder betont. Wie sie die Extremisten stärker bekämpfen will, erklärt Faeser heute. Unterstützt wird sie dabei von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, BKA-Chef Holger Münch und dem Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger.
Was lesen?
Beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Scholz in der Türkei war die Ukraine das beherrschende Thema. Für den Westen ist die neue Vermittlerrolle Erdoğans eine heikle Angelegenheit. Meine Kollegin Miriam Hollstein berichtet aus Ankara.
Mit Finanzminister Christian Lindner plant ausgerechnet ein Liberaler die Super-Subvention für Autofahrer: Ein Tankrabatt soll her, damit Benzin und Diesel wieder billiger werden. Warum das der falsche Weg ist, erläutert mein Kollege Florian Schmidt in seinem Kommentar.
Russland attackiert Kiew von mehreren Seiten. Der erfahrene Kriegsreporter Kurt Pelda hält sich derzeit in der ukrainischen Hauptstadt auf. Sophie Loelke, Nora Schiemann und Arno Wölk haben seine eindrücklichen Schilderungen im Video-Interview festgehalten. Pelda beschreibt darin, wie die Lage in Kiew ist, wie sich die Bewohner vor den Angriffen schützen und auch wehren.
Was amüsiert mich?
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag. Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Peter Schink für Sie.
Ihr
David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
Twitter @Schubfach
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Mit Material von dpa.
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