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Scholz in der Türkei: So nutzt Erdoğan den Ukraine-Krieg für seine Zwecke


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Scholz in der Türkei
So nutzt Erdoğan den Ukraine-Krieg für seine Zwecke

Von Miriam Hollstein, Ankara

Aktualisiert am 14.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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"Mit jeder Bombe entfernt sich Russland weiter": So äußerte sich Scholz nach seinem Treffen mit Recep Tayyip Erdoğan, die beiden appellierten zudem an Putin. (Quelle: reuters)
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Beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Scholz in der Türkei war die Ukraine das beherrschende Thema. Für den Westen ist die neue Vermittlerrolle Erdoğans eine heikle Angelegenheit.

Olaf Scholz will reden. Der norddeutsch sozialisierte Kanzler, sonst nicht eben für ausgeprägte Gesprächsfreude bekannt, tut in diesen Tagen fast nichts anderes. Denn nur wer redet, verpasst nicht den Moment, der der Ukraine den Frieden bringen könnte. Davon ist Scholz überzeugt.

Am Montag ist der Kanzler deshalb nach Ankara gereist, um mit einem Mann zu sprechen, mit dem die Gespräche auch nicht immer einfach sind: dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ob Journalisten in Haft, eine zurechtgestutzte Justiz oder die fragwürdige türkische Rolle beim Kampf der Kurden gegen den sogenannten Islamischen Staat – Bezeichnungen wie "Putin vom Bosporus" kommen nicht von ungefähr.

Doch heute muss es vor allem um die Ukraine und Russland gehen. Und darum auch um die Frage, wie Europa bei der Energieversorgung unabhängiger werden kann. Auch die Türkei erhält einen Großteil ihres Erdgases über Pipelines aus Russland.

Der Krieg überdeckt die Differenzen

Die zwischen Ankara und der EU immer wieder herrschende Eiszeit wirkt heute wenig präsent. Der Ukraine-Krieg scheint der große Gleichmacher in der internationalen Politik sein. Was die Beziehungen belastete, ist in diesem Moment zweitrangig. Was zählt ist, wie gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann, damit das Töten vieler unschuldiger Menschen aufhört.

Zum Auftakt gibt es vor dem Präsidentenpalast in Ankara für Scholz das ganze Programm: Ehrengarde, Reiterstaffel, Kanonenböller und natürlich den roten Teppich, der hier türkis ist, die historische Farbe der Türkei.

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Mehr als drei Stunden reden beide Politiker miteinander, erst bei einem formellen Gespräch, dann noch einmal bei einem Abendessen.

Von Problemen im bilateralen Verhältnis ist bei der gemeinsamen Pressekonferenz zunächst keine Rede. Erdoğan spricht von einer "herzlichen Atmosphäre", lobt Scholz als "Freund und Verbündeten der Türkei" und betont die Bedeutung der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen. Deutschland sei Handelspartner Nummer eins bei den Exporten und an zweiter Stelle bei den Importen, das Handelsvolumen habe 2021 über 41 Milliarden Dollar betragen.

Die Regierungschefs haben sich darauf verständigt, dass dies noch weiter ausgebaut und dafür Gesprächsformate zur Weiterentwicklung geschaffen werden sollen.

Auch Scholz bedankt sich für den "freundlichen Austausch" und spricht von "guten bilateralen Beziehungen". Dies sei auch mit Blick auf die Gruppe der türkischstämmigen Deutschen wichtig. Das Potenzial der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wolle man voll ausschöpfen: "Da geht noch mehr."

Erkennbar ist es dem Bundeskanzler wichtig, bei diesem gemeinsamen Auftritt ein Zeichen der Geschlossenheit mit Blick auf die Ukraine zu setzen. Man sei sich "völlig einig in der Verurteilung des gewaltsamen Vorgehens in der Ukraine", betont er: "Mit jeder Bombe entfernt sich Russland mehr aus der Weltgemeinschaft."

Scholz' Signal an Putin: Er braucht nicht auf eine heimliche Unterstützung aus der Türkei zu hoffen; die Achse Berlin-Ankara hält. "Die Ukraine ist eine Nation und sie steht zusammen", sagt er und nennt die Schließung des Bosporus-Durchgangs für Kriegsschiffe einen "ganz wichtigen Beitrag" der Türkei mit Blick auf den Ukraine-Konflikt.

Die Türkei bleibt ein schwieriger Nato-Partner

Ein türkischer Journalist will wissen, ob Deutschland seine Weigerung, Waffen an die Türkei zu liefern, überdenken wird. Er nennt es ein "verdecktes Embargo". Doch da schwurbelt sich Scholz in jener Manier weg, die deutsche Journalisten gut kennen. "Wir arbeiten in der Nato eng zusammen", sagt er vage und, dass es "kein Embargo" gebe, sondern man jede Anfrage immer prüfe.

Ganz am Ende seines Statements gibt es dann doch noch ein paar klare Worte. Scholz erwähnt kurz die "Belastungen" des deutsch-türkischen Verhältnisses, insbesondere die in der Türkei inhaftierten Bundesbürger. Hier habe es "in letzter Zeit ein paar Bewegungen gegeben".

Erdoğan übt sich im diplomatischen Spagat

So klar, wie Scholz den Schulterschluss mit Erdoğan in Ankara mit Blick auf die Ukraine darstellt, ist es dann aber doch nicht.

Wie Chinas Präsident Xi Jinping spielt auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein Doppelspiel oder übt sich in einer Art diplomatischem Spagat (je nachdem, aus welcher Perspektive man es sieht):

Einerseits hat die Türkei wie die restliche Nato den Angriff auf die Ukraine verurteilt und bereits zuvor Kampfdrohnen an die dortige Arme geliefert.

Andererseits hat sich Ankara nicht dem Luftraumverbot der EU für russische Flugzeuge angeschlossen. Auch die anderen Sanktionen der EU will die türkische Regierung nicht mitmachen. Man wolle "die Tür offen halten", so die offizielle Begründung. Gesperrt hat die Türkei aber ihre Zufahrt zum Schwarzen Meer für alle ausländischen Kriegsschiffe. Damit können die Russen keine weiteren Kriegsschiffe vom Mittelmeer aus an die ukrainische Küste verlagern.

Seit Wochen bietet sich Erdoğan als Vermittler im Ukraine-Konflikt an. In Ankara ist man stolz, dass das bislang hochrangigste Vermittlungsgespräch – ein Gespräch zwischen dem ukrainischen Außenminister und seinem russischen Amtskollegen – in der Türkei stattfand. Das brachte zwar keinen Fortschritt, aber Erdoğans Kalkül ist aufgegangen: Die Türkei ist für den Westen kein Paria mehr, sondern ein ernstzunehmender Gesprächspartner.

Vergangenen Donnerstag meldete sich auch US-Präsident Joe Biden beim türkischen Präsidenten persönlich, um mit ihm die Lage in der Ukraine zu diskutieren. Einen Tag später trat der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim "Diplomatischen Forum" im türkischen Antalya auf, pries dort den Beitrag der Türkei zum Bündnis.

Erdoğan muss eine Wahl gewinnen

Für den Westen ist die Annäherung eine heikle Angelegenheit. Denn die Türkei, seit 1952 Mitglied der Nato, bereitet den anderen Bündnispartnern nicht nur innenpolitisch regelmäßig Kopfzerbrechen.

Vergangenen Sommer gab es sogar die Überlegung eines Ausschlusses, weil Ankara das russische Raketenabwehrsystem S 400 eingekauft hatte. Die USA fürchten, damit könnten die Russen an Informationen über Nato-Waffen herankommen, ließen einen Deal über die Lieferung von F53-Kampfflugzeugen an die Türkei platzen.

Kommt Erdoğan nun doch mit seiner militärischen Shopping-Tour in Russland durch, dürfte ihn das für künftige Aktionen dieser Art weiter ermutigen. Sein Auftritt als neuer Friedensstifter zielt aber in erster Linie nicht auf sein Ansehen bei den westlichen Partnern, sondern in der eigenen Bevölkerung ab. 2023 sind in der Türkei Präsidentschaftswahlen und derzeit sieht es für den Amtsinhaber eher schlecht aus.

Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die Inflation hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Erdoğan ist groß: In einer Umfrage im Januar landete er bei der Beliebtheit tatsächlich nur auf Platz vier, hinter Oppositionspolitikern wie dem Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu.

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Trotz des türkischen Doppelspiels steht nicht zu befürchten, dass zwischen Putin und Erdoğan eine große Männerfreundschaft ausbricht. Das Verhältnis war immer wieder von großen Spannungen geprägt. 2015 schoss das türkische Militär an der Grenze zu Syrien einen russischen Kampfjet ab, woraufhin Putin mit "ernsthaften Konsequenzen" drohte.

2020 wurde eine Gruppe von türkischen Soldaten in der Region Idlib im Nordwesten Syriens bei einem Luftangriff getötet. Ankara machte russische Kampfflugzeuge dafür verantwortlich. Russland stritt dies ab, rechtfertigte aber den Angriff. Die Soldaten seien mit einer Islamisten-Miliz unterwegs gewesen.

Die Probleme im Hintergrund

Für Deutschland im Speziellen bleibt die Türkei ein komplizierter Partner. Derzeit sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in der Türkei 53 Bundesbürger (Deutsche und Doppelstaatler) inhaftiert. Der Vorwurf lautet dabei oft, sie gehörten einer "Terrororganisation" an, ein sehr dehnbarer Begriff für die von Erdoğan zurechtgeschliffene türkische Justiz.

Zwei der prominentesten Fälle in der Vergangenheit waren der "Welt"-Journalist Deniz Yücel und die Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu. In 46 weiteren Fällen gibt es eine Ausreisesperre, wobei diese Zahl nicht verlässlich ist, da es keine Meldepflicht gibt.

Seit der Flüchtlingskrise von 2015 hat die Türkei außerdem eine Schlüsselposition. Das Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen, das die EU mit Erdoğan im März 2016 traf, reduzierte auch in Deutschland die Zahl der ankommenden Flüchtlinge deutlich. Gleichzeitig wurde es vom türkischen Präsidenten immer wieder benutzt, um mehr Geld zu fordern. Und nicht zuletzt leben in Deutschland rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken, darunter auch viele extrem nationalistisch eingestellte Erdoğan-Anhänger.

Bei einem normalen Antrittsbesuch hätte Scholz all diese Punkte sicherlich ausführlicher zur Sprache gebracht. Der Fokus hätte auf den deutsch-türkischen Beziehungen gelegen. Doch der Ukraine-Krieg überdeckt alles. Der deutsche Kanzler kann nur hoffen, dass die neue Rolle von Erdoğan diesen eher zu einer Annäherung an die EU animiert. Und am Ende nicht zu weiteren politischen Alleingängen verleitet.

Verwendete Quellen
  • Mitreise beim Staatsbesuch von Olaf Scholz am 14. März 2022
  • Eigene Recherchen
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