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Donald Trump: Amtsenthebung — "Das Lehrstück in politischer Heuchelei"


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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.02.2021Lesedauer: 7 Min.
Donald Trump unterwegs in Florida.Vergrößern des Bildes
Donald Trump unterwegs in Florida. (Quelle: imago images)

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WAS WAR?

Kennen Sie die Trompetensprache? Doch, die gibt es. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn etwas mehr oder weniger Gewöhnliches geschieht, das plötzlich gravierenden Einfluss auf unseren Alltag entwickelt. So wie das Wetter. Ist es sehr heiß oder sehr kalt, verfallen manche Berichterstatter in die Trompetensprache. Das Ergebnis ist meistens ziemlich laut, ziemlich schräg, und es gebiert sonderbare Stilblüten, die uns aus Fernsehgeräten, von Titelseiten und aus dem Internet entgegendröhnen.

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Der gestrige Montag war ein Höhepunkt der Trompetensprache. Da wurde der Wintereinbruch zur "Schneekatastrophe" hochgejazzt, die ganz Deutschland "fest im Griff" habe. Da "versanken Städte im Schnee", der mancherorts gar zum "Blutschnee" mutierte. Da wurde die "Kälte-Kralle" ersonnen und der "knackekalte Winter". Da herrschte "Chaos auf den Autobahnen", "Chaos im Zugverkehr" und womöglich auch Chaos im Kopf mancher Reporter, als sie "Schnee! Schnee! Schnee!" schlagzeilten und ein enttäuschtes "…aber bislang nur Blechschäden" hinterhertröteten. Angesichts der medialen Aufregung rund um das Wetter könnte man meinen, wir seien die ersten Zweibeiner, denen ein paar Flocken aufs Haupt rieseln. Gab es sowas nicht auch vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren schon? Und hat es nicht auch seine schönen Seiten, sogar für Journalisten? Oder, wie es mein geschätzter Kollege Carsten Werner gestern formulierte: Wir sollten zwar ausführlich über die Wetterlage berichten, uns aber sprachlich mäßigen. Recht hat er. Am schönsten ist die Trompete nämlich dann, wenn sie verstummt.


WAS STEHT AN?

Redlichkeit ist eine rare Tugend, erst recht in der Politik. Wer redlich ist, der tut, was er sagt – sogar das, was er vor Monaten gesagt hat. Er denkt zuerst an seine Mitbürger statt an seine Karriere. Er setzt Recht und Gesetz auch dann durch, wenn sie seinen persönlichen Interessen zuwiderlaufen.

Das Gegenteil der Redlichkeit ist die Heuchelei. Die ist in den Kreisen der Politik so allgegenwärtig, dass man sie manchmal gar nicht mehr wahrnimmt. Man hat sich längst daran gewöhnt, dass Politiker heute dies und morgen das sagen. Dass sie in Talkshows viele lange Sätze flechten, deren Kern eigentlich nur aus dem Wort ich! besteht. Dass sie mit glühendem Eifer Gesetze und Regeln propagieren, deren Effekte bei Lichte besehen oft ziemlich dünn sind. Wir haben uns daran gewöhnt, obgleich es nicht schön ist, aber in einer Demokratie hat ja jeder und jede die Chance, es besser zu machen. Es steht allen Bürgern frei, für ein politischen Amt zu kandidieren. Schwierig wird es allerdings, versucht man die Ideale von Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Gemeinsinn auch dann aufrechtzuerhalten, wenn man in die Mühlen der Parteiendemokratie gerät. Wenn um Posten und Pfründe geschachert und in Hinterzimmern um Einfluss gerungen wird, geben viele Amts- und Mandatsträger ihre hehren Prinzipien an der Garderobe ab. Je mehr jemand nicht nur für, sondern vor allem von der Politik lebt, desto biegsamer kann sein Rückgrat werden.

Ein besonders augenfälliges Beispiel politischer Prinzipienlosigkeit bekommen wir ab heute in Washington vorgeführt. Nachdem das Repräsentantenhaus mit der Mehrheit der demokratischen Abgeordneten den ehemaligen… ja was: Aufrührer? Putschisten? na ja, jedenfalls den Donald Trump angeklagt hat, muss nun der Senat entscheiden, ob der 45. Präsident der Vereinigten Staaten nachträglich des Amtes enthoben wird – gefolgt von dem Verbot, für öffentliche Ämter auf Bundesebene zu kandidieren, womit ihm das Weiße Haus für alle Zeiten versperrt bliebe. Eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Senatoren braucht es dafür. Vorausgesetzt, die 100 Damen und Herren versammeln sich vollzählig, müssten also nicht nur sämtliche 48 Demokraten und die beiden mit ihnen verbündeten Unabhängigen, sondern auch noch 17 Republikaner gegen den Angeklagten stimmen. Mit dem finalen Votum ist wohl erst in Tagen oder Wochen zu rechnen, aber schon heute beginnt das Lehrstück in politischer Heuchelei.

Dabei sind die Fakten eigentlich klar: Wer am 6. Januar gesehen hat, wie der Noch-Präsident seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol aufhetzte, wie die Randalierer das Zentrum der Demokratie schändeten, wie Vorstadtmilizionäre sich zu Morden an Abgeordneten zusammenrotteten, der kann eigentlich nur zu dem Urteil gelangen, dass hier ein Amtsträger seine vom Volk verliehene Macht missbraucht hat, um Recht und Gesetz zu brechen und sich zum Alleinherrscher aufzuschwingen. Nicht nur die demokratischen, auch viele republikanische Politiker sehen das so oder so ähnlich. Würden sie sich vom Gebot der Redlichkeit leiten lassen, verschwände Herr Trump also schnell von der politischen Bühne. Tatsächlich dürfte das Gegenteil geschehen: Die Ankläger werden die nötige Mehrheit verfehlen, der Ex-Präsident wird triumphieren und kann an seinem politischen Comeback basteln. Warum? Nur aus einem einzigen Grund: Weil viele republikanische Senatoren sich fürchten. Sie haben Angst vor dem Einfluss, den Herr Trump immer noch auf ihre Wähler hat. Sie haben Angst um ihre Karrieren.

Bis in die Neunzigerjahre hinein waren die Republikaner eine Partei, die sich dem Rechtsstaat, der Demokratie und dem Gemeinsinn verpflichtet fühlte. Dann kamen die Tea-Party-Bewegung und dubiose Parteispender, der Aufstieg der sozialen Medien und der Niedergang vieler Industriestädte, die Lügen und Kriegsabenteuer des jüngeren Bush und der Rassismus gegen Barack Obama. Die amerikanische Gesellschaft wurde immer vielfältiger, aber viele Republikaner reagierten darauf nicht mit Offenheit, sondern mit Vorurteilen. So ist die Partei zur Heimat von Extremisten, Ignoranten und Verschwörungsjüngern verkommen. Der bizarre QAnon-Kult erfreut sich in ihren Reihen großer Beliebtheit, hinzu kommen Waffennarren, militante Abtreibungsgegner und all jene, die in Steuern oder gar in Politikern per se das größte Übel auf Erden wähnen. Das sind nicht Tausende, sondern Millionen – und auf diese Leute hat Donald Trump immer noch erheblichen Einfluss. Ein Satz aus seinem Mund kann genügen, um eine Karriere zu zerstören. So kommt es, dass sich drei Wochen nach Joe Bidens Amtseinführung viele Senatoren immer noch nicht trauen, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl anzuerkennen. Es ist ein Tiefpunkt der amerikanischen Demokratie.

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Auf der einen Seite Extremisten wie Marjorie Taylor, auf der anderen Seite ein paar Traditionalisten wie Liz Cheney, dazwischen viele Opportunisten und Duckmäuser: Das ist die einst so stolze "grand old party" heute. "Trumps Saat zerreißt die Republikaner", schreibt unser Korrespondent Fabian Reinbold. "Der radikale Flügel wähnt sich im Aufwind." Wäre diese Entwicklung nicht so riskant, man könnte sich kopfschüttelnd abwenden. Doch in einem politischen System mit nur zwei Parteien behalten die Republikaner trotz des Machtwechsels in Washington wichtige Ämter – und die Chance, in vier Jahren das Weiße Haus zurückzuerobern.

Was können wir aus diesem Menetekel lernen? Amerika ist ganz anders als Deutschland, aber dort sehen wir, wie wichtig es ist, die Basis einer Demokratie zu pflegen: einen stabilen Rechtsstaat. Möglichst breite Partizipation der Bürger. Gleiche Chancen für alle. Unparteiische, differenziert berichtende Medien. Schranken gegen allzu viel Lobbyismus. Und redliche Politiker. Ohne den Einsatz couragierter Demokraten drohen Demokratien zu sterben. Nicht nur auf der anderen Seite des Atlantiks.


Apropos Politiker: Werden Angela Merkel und die Ministerpräsidenten den bis zum 14. Februar befristeten Lockdown morgen verlängern oder bekommen wir wieder einmal verfrühte Lockerungen, um dann im März Hals über Kopf in den dritten Lockdown zu stolpern? In Düsseldorf findet heute eine Sondersitzung des nordrhein-westfälischen Landtags statt, in der die Oppositionsfraktionen herausfinden möchten, wie sich der Regierungschef und CDU-Vorsitzende Armin Laschet bei der Konferenz mit der Kanzlerin positionieren wird. Die FDP-Bundestagsfraktion wiederum will einen bundesweiten Stufenplan zur Öffnung vorstellen.

Bei allem Verständnis für den immer sehnlicheren Wunsch nach Bewegungsfreiheit scheint jedoch klar: Größere Öffnungen werden Frau Merkel und die Länderchefs morgen nicht verkünden. Zu unwägbar sind die Risiken durch die Virusmutationen, zu langsam geht das Impfen, zu hoch ist immer noch die Sieben-Tage-Inzidenz. Die 50er-Marke wurde uns wochenlang in die Köpfe gehämmert – dabei zeigte schon der Herbst, dass es auch mit diesem Wert den Gesundheitsämtern kaum gelingt, die Neuinfektionen nachzuverfolgen. Ein verantwortungsbewusstes Pandemiekonzept drückt die Inzidenzzahl deshalb mindestens auf das Niveau des vergangenen Sommers: unter 10. Das gelingt, wenn der R-Wert auf 0,7 sinkt, also 10 Infizierte im Durchschnitt nur noch 7 weitere Personen anstecken, und davon sind wir gar nicht mehr so weit entfernt.

Natürlich ist es sinnvoll, sich Gedanken über die Prioritäten bei einer Wiederöffnung zu machen (Schulen! Kitas!). Aber das Schüren falscher Hoffnungen sollten sich die Entscheider besser verkneifen und stattdessen den Mut zur Ehrlichkeit aufbringen. Oder, wie es der Kollege Peter Fahrenholz in der "Süddeutschen Zeitung" formulierte: "Leute, wir können bald vieles lockern, aber vorher müssen wir noch mal für ein paar Wochen verschärfen."


WAS LESEN?

Die Corona-Warn-App gilt als wenig effektiv. Liegt das am Datenschutz? Mitnichten, sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber im Interview mit meiner Kollegin Laura Stresing.


"Wenn wir so weiterimpfen wie bisher, dann brauchen wir noch zwei, drei Jahre." Sagt nicht irgendwer, sondern einer, der die Lage in den Impfzentren kennt: Der Arzt Holger Röblitz beschreibt die Probleme im Interview mit meiner Kollegin Sandra Simonsen.


Ist Virenschutz wirklich das Einzige, das wir jetzt dringend brauchen? Nein, wir brauchen auch Bildung und Kultur, sonst verkümmern wir seelisch. Deshalb sollten Kinder sobald wie möglich wieder Museen besuchen, fordert die Kuratorin Insa Schrader. Eine interessante Idee.


Zu den wichtigsten Gremien in unserer Redaktion zählt der Leserbeirat: Regelmäßig lassen wir uns von Leserinnen und Lesern erzählen, wie sie unsere Arbeit wahrnehmen, was sie gut finden und was nicht. Worum es bei unserem jüngsten Treffen ging, berichtet Ihnen meine Kollegin Charlotte Janus.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wenn ich dieser Tage morgens in den Spiegel schaue, will ich am liebsten sofort zurück ins Bett huschen. Aber zum Glück bin ich nicht der Einzige, der ausschaut wie ein Bernhardiner.

Ich wünsche Ihnen Gelassenheit und ein warmes Plätzchen an diesem kalten Dienstag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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