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Wald, Landwirtschaft, Hochofen: Diese Alltagshelden verdienen mehr Respekt


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Alltagshelden verdienen mehr Respekt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.08.2020Lesedauer: 7 Min.
1.500 Grad heißer Stahl: Ein Arbeiter kontrolliert im Hochofen von Eisenhüttenstadt die Temperatur.Vergrößern des Bildes
1.500 Grad heißer Stahl: Ein Arbeiter kontrolliert im Hochofen von Eisenhüttenstadt die Temperatur. (Quelle: Florian Harms)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Aufmerksamkeit ist ein rares Gut. Und nicht immer wird sie jenen zuteil, die sie verdienen. In unseren aufgeregten Zeiten sind es meistens dieselben Leute, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und Mikrofone unter die Nase gehalten bekommen. Die Spitzenpolitiker natürlich, die die Geschicke unseres Landes lenken. Die Wenigerspitzenpolitiker, die ebenfalls gehört werden wollen und daher zu allem und jedem etwas sagen. Die Wirtschaftsvertreter, die Branchenlobbyisten, die Sportler, die großen und kleinen Künstler, Promis, Stars und Sternchen: Sie alle drängen in die Nachrichten, Talkshows und Schlagzeilen. Auch die Spinner bekommen derzeit viel Aufmerksamkeit, selbst wenn ihre einzige Botschaft darin besteht, Verschwörungstheorien in die Welt zu krähen oder ihren Abstieg vom Vegan-Koch zum Neonazi zu zelebrieren.

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Viele andere Menschen bekommen kaum öffentliche Aufmerksamkeit, und in vielen Fällen erhalten sie auch nur wenig Respekt – dabei sind sie es, die unser Land Tag für Tag am Laufen halten. Sie sind die heimlichen Helden des Alltags, aber viele von ihnen haben den Eindruck, dass sie in unserer Erregungsmediokratie kaum gehört werden. Ich finde das bedenklich und glaube, dass wir alle gut daran täten, unseren Horizont zu erweitern, indem wir öfter Leuten zuhören, die andere Erfahrungen machen und eine andere Sicht auf das Leben haben als wir selbst. Deshalb habe ich drei Menschen besucht, die es verdienen, gehört zu werden:

Da ist erstens Thekla Thielemann. Die 48-jährige Försterin betreut das Revier Flottstelle in Brandenburg südwestlich von Potsdam. Auf 1.600 Hektar kümmert sie sich um den Wald und versucht, die Monokultur mit natürlichen Methoden durch zahlreiche Baumarten aufzulockern. Sie sagt:

"Viele Städter haben eine völlig falsche Vorstellung vom Wald. Sie sitzen zwar gerne mit ihrem Hintern auf einem Holzstuhl, wollen aber nicht, dass Bäume gefällt werden. Dabei braucht der Wald das, er muss ja gepflegt werden! Durch Corona hat sich die Ignoranz verstärkt: Viele Leute verbringen nun zwar mehr Zeit in der Natur, lassen es aber am nötigen Respekt mangeln. Sie fahren mit ihrem Auto durchs Gelände, jagen ihre Hunde herum, campen wild und lassen ihren Müll da. Dabei ist der Wald ohnehin gefährdet. Die Folgen der Trockenheit in den Jahren 2018 und 2019 können wir noch gar nicht überblicken, mancherorts sterben ganze Bestände. Unser Hauptproblem ist aber das Wild: Die Tiere fressen uns die jungen Triebe weg. Schon mehr als die Hälfte aller jungen Bäume in Brandenburg hat Verbissschäden, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Man müsste viel mehr jagen! Leider fehlen dafür oft die Bereitschaft und das Verständnis – bei privaten Waldbesitzern, aber auch in der Gesellschaft. Wir brauchen aber widerstandsfähige Wälder aus verschiedenen Baumarten, nur dann werden wir mit dem Klimawandel klarkommen. Aufhalten können wir ihn eh nicht mehr."

In Groß Kreutz an der Havel traf ich den Bauern Marco Hintze. Er hat seinen 30 Jahre alten Familienbetrieb Schritt für Schritt ausgebaut, bewirtschaftet mit vier Angestellten und einem Lehrling 600 Hektar Land und verkauft Fleisch aus nachhaltiger Produktion: Das Futter für seine 180 Rinder stammt ausschließlich aus eigenem Anbau, nix mit Soja und Genmais aus Südamerika. Die Tiere sind nicht in engen Ställen eingepfercht, sondern grasen meistens auf der Weide. Gesund sehen sie aus, wie aus dem Bilderbuch. In seiner Jugend hat Hintze ein Jahr in Amerika verbracht und von dort die Selfmade-Mentalität und einen großen Cowboyhut mitgebracht. Er ist Präsident des Bauernbundes Brandenburg und Gründer des Bundes freier Bauern, der bundesweit die Interessen von Landwirten vertritt. Er sagt:

"Nachhaltigkeit bedeutet für mich, dass wir den schönen Brandenburger Boden auch für künftige Generationen erhalten, statt ihn für den maximalen Profit auszubeuten, wie es die Agrarkonzerne tun. Diese Konzerne gefährden die Existenz von Familienbetrieben wie unserem. Sie kaufen immer mehr Land und überdüngen es." Mit seiner Kritik trifft er einen wunden Punkt: Tatsächlich spekulieren immer mehr Investmentfonds und Konzerne mit deutschem Agrarland, lassen mit Chemikalien das Maximum aus den Böden herauspressen und kassieren dafür auch noch Agrarsubventionen von der EU: eine absurde Entwicklung. Die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen in Deutschland haben sich deshalb seit 2005 verdoppelt.

"Die Politik müsste uns viel stärker unterstützen", sagt Marco Hintze, der mit Hunderten anderen Bauern im Januar zur Protestfahrt nach Berlin getuckert ist. "Wir waren auch bei Frau Klöckner im Ministerium, aber bisher vermissen wir die versprochenen Handlungen. Es heißt immer, die EU sei verantwortlich, aber dann müsste die Bundesregierung eben in Brüssel mehr Druck machen! Sonst treibt die Sucht nach Höchstgewinnen uns in den Ruin. Diese Entwicklung führt außerdem dazu, dass wir kleinen Bauern mit viel zu vielen Vorschriften konfrontiert sind; die Bürokratie nimmt überhand. Ich sitze mehr am Schreibtisch als auf dem Trecker. Dabei haben wir eigentlich mehr zu tun als je zuvor: Corona hat dazu geführt, dass sich mehr Leute für regionale Produkte interessieren. Aber wir können die nur anbieten, wenn man uns lässt."

In Eisenhüttenstadt besuchte ich das Stahlwerk, das zu DDR-Zeiten Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) hieß, nach der Wende in EKO Stahl AG beziehungsweise GmbH umbenannt wurde und heute zum Weltkonzern Arcelor Mittal gehört. 2.700 Beschäftigte produzieren hier täglich 5.200 Tonnen Qualitätsstahl für Autokarossen, Haushaltsmaschinen und Gebäudefassaden. In der Stadt sagt man: Gäbe es das Werk nicht mehr, gäbe es auch Eisenhüttenstadt nicht mehr. Seit Ende der Achtzigerjahre hat die Stadt die Hälfte ihrer Einwohner verloren, heute sind es keine 25.000 mehr. Mit Jörg Richter bin ich in schwindelerregende Höhen auf den Hochofenturm geklettert, anschließend nahm er mich mit zum Kessel, wo der Stahl bei mehr als 1.500 Grad Celsius kocht. Der 60-Jährige sagt:

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"Ich arbeite gerne hier, aber die Gesellschaft bringt uns Hochöfnern immer weniger Respekt entgegen. Wir brauchen in unserem Industrieland die Metallogie, genauso wie die Chemie- und die Bauindustrie. Wir dürfen nicht alle technischen Prozesse verteufeln, wenn wir nicht völlig abhängig von China werden wollen. Schon heute produzieren die Chinesen die Hälfte des weltweiten Stahls, das ist doch nicht gesund! Wir müssen in Deutschland eigenständig bleiben. Unsere Umweltgesetze sind aber sehr drastisch. Ich bin auch dafür, die Umwelt zu schützen, aber das machen wir hier doch schon: Die Filtertechnologie unseres Werkes ist hochmodern. Das wird von vielen Menschen leider nicht anerkannt. Viele Intellektuelle wollen ihr Leben am liebsten auf der grünen Wiese verbringen – vergessen dabei aber, dass der Stahl für ihren Kühlschrank und ihr Smartphone ja irgendwo herkommen muss."

Die Försterin, der Bauer, der Hochöfner: Drei Stimmen, die einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Lebenswelten in unserem Land repräsentieren. Ob Sie sich davon zum Nachdenken anregen lassen, dürfen Sie selbst entscheiden. Aber gehört werden sollten sie, finde ich.


WAS STEHT AN?

Deutschland befindet sich in einem seltsamen Schwebezustand: Der Süden macht noch Urlaub, der Norden kehrt in den Alltag zurück, heute beginnt in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein die Schule. Zeitgleich wächst das Corona-Risiko wieder, in den vergangenen sieben Tagen wurden täglich mehr als 800 Neuinfektionen gezählt. Hektisch bessern Schulen, Behörden und Betriebe ihre Sicherheitsregeln nach, vieles wirkt konfus.

Was macht das mit unserem Land? Das haben mein Kollege Tim Kummert und ich Friedrich Merz gefragt. In unserem Interview spricht der Kandidat für den CDU-Vorsitz offen über seine eigene Corona-Erkrankung und darüber, wie der Umgang mit dem Virus Deutschland verändert hat. Er benennt die Defizite der Bundesregierung, äußert Verständnis für die Kritiker der Corona-Maßnahmen und kritisiert den Umgang mit Wissenschaftlern: "Wenn Virologen wie Popstars durch die Medien gereicht werden, um die politischen Entscheidungen zu erklären, dann stimmt da etwas in der Aufgabenverteilung nicht mehr." Es ist ein bemerkenswertes Gespräch geworden. Aber lesen Sie selbst.


Wird der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko heute seinen "haushohen Sieg" bei der Präsidentschaftswahl verkünden – und unabhängige Nachwahlbefragungen, wonach seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja 71 Prozent der Stimmen gewonnen hat, als "Lüge" schmähen? Die Nacht nach den Wahlen in Minsk endete in Massenprotesten, die Polizei ging brutal gegen die Demonstranten vor. Der CDU-Außenpolitikexperte Norbert Röttgen hat uns gesagt, "innere Unruhen" in Belarus seien nun wahrscheinlich. An der EU-Ostgrenze braut sich etwas zusammen.


Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch legt heute ihren Bericht zu Killer-Robotern vor. Sie verlangt, dass alle Staaten den Einsatz der Höllenmaschinen begrenzen.


In Köln beginnt der Prozess gegen einen 43-Jährigen aus Bergisch Gladbach wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stieß die Polizei auf riesige Mengen kinderpornografischen Materials. Es war der Ausgangspunkt für die Ermittlungen zum bundesweiten Missbrauchskomplex mit zahlreichen Beschuldigten und Opfern.


WAS LESEN?

Nicht jeder, der Kritik an den Corona-Maßnahmen äußert, ist ein Verschwörungstheoretiker – aber viele derjenigen, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, haben ein seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit. Wie man adäquat mit den Demonstranten reden kann, hat jetzt der Kabarettist Florian Schroeder gezeigt: Er hielt auf einer Versammlung in Stuttgart eine denkwürdige Rede.


Corona hat die Klimakrise aus den Schlagzeilen verdrängt – zu Unrecht. Im Interview mit meinem Kollegen Tim Blumenstein erklärt der Klimaforscher Manfred Fischedick, warum die Pandemie eine Chance für den Kampf gegen den Klimawandel ist.


Wir erleben die heißesten Tage des Jahres, viele Leute springen in die Badeseen oder stürzen sich ins Strandleben. Halten sich alle an die Corona-Regeln? Meine Kollegin Madeleine Janssen hat sich in Berliner Strandbädern umgesehen – und einen Ort gefunden, von dem wir etwas lernen können.


Salmonellen in der Mettwurst, Glasstücke im Reis: Immer häufiger werden Lebensmittel zurückgerufen. In einer Produktkategorie stieg die Zahl der Warnmeldungen besonders stark, berichtet meine Kollegin Claudia Zehrfeld.


WAS AMÜSIERT MICH?

Jeder hat ja so seine Methoden.

Ich wünsche Ihnen einen ersprießlichen Wochenstart.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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