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Wahl in Belarus: Polizei in Minsk geht brutal gegen Demonstranten vor


Proteste gegen Wahlausgang
Polizei in Belarus geht brutal gegen Demonstranten vor

Von afp, dpa, aj, dru

Aktualisiert am 10.08.2020Lesedauer: 5 Min.
Polizisten verhaften Demonstranten in Minsk: In Belarus ist es nach der Präsidentenwahl zu heftigen Ausschreitungen gekommen.Vergrößern des Bildes
Polizisten verhaften Demonstranten in Minsk: In Belarus ist es nach der Präsidentenwahl zu heftigen Ausschreitungen gekommen. (Quelle: Sergei Grits/ap)
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Staatschef Alexander Lukaschenko hat die Wahl in Belarus laut staatlichen Medien haushoch gewonnen. Die Opposition warf ihm Wahlbetrug vor. In der Hauptstadt eskalierte die Lage.

Nach der Präsidentenwahl in Belarus ist die politische Lage in der Ex-Sowjetrepublik angespannt. In der Nacht zum Montag demonstrierten landesweit Zehntausende Menschen gegen Wahlfälschung. Es kam zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Es gab viele Verletzte. In der Hauptstadt Minsk setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten ein.

Es wurde damit gerechnet, dass am Montag erste offizielle Wahlergebnisse vorliegen. Der Zeitpunkt war angesichts der Proteste aber ungewiss. Mit Spannung wird erwartet, ob sich Staatschef Alexander Lukaschenko äußern wird. Von ihm gab es zunächst keine Reaktionen. Geäußert hatte sich dagegen die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Auf ihr ruhen nun die Hoffnungen der Menschen.

Bisher liegen keine offiziellen Ergebnisse vor

Die 37-Jährige soll nach Prognosen staatlicher Meinungsforscher die von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl jedoch verloren – Staatschef Alexander Lukaschenko sie dagegen gewonnen haben. Die Wahlkommission veröffentlichten aber auch Stunden nach Schließung der Wahllokale keine ersten offiziellen Ergebnisse. Es war lediglich die Rede von einem Sieg Lukaschenkos. Die Internetseite der Wahlleitung war zunächst nicht abrufbar – wie viele andere Webseiten in Belarus.

Tichanowskaja wollte ihre Niederlage nicht einräumen: "Es kann keine Anerkennung eines solchen Wahlergebnisses geben", sagte Sprecherin Anna Krasulina. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die staatlichen Prognosen Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen zuschreiben würden. "Das ist fern jeder Realität." Von Lukaschenko gab es nach der Abstimmung keine Reaktion.

Stattdessen kam im Innenministerium ein Krisenstab zusammen. Die Lage sei unter Kontrolle, teilten die Behörden staatlichen Medien zufolge mit. Wie viele Menschen festgenommen wurden, teilten sie zunächst nicht mit. Die Menschenrechtsorganisation Wesna sprach in der Nacht von zunächst mehr als 50 Festnahmen allein Minsk. Landesweit sollen es 120 gewesen sein. Diese Zahl dürfte weiter steigen.

Videos zeigen brutales Vorgehen der Polizei

Augenzeugen beschrieben chaotische Szenen, Sirenen heulten und Autos hupten. Ein vom Sender Radio Liberty live übertragenes Video zeigte am Sonntagabend hunderte Bereitschaftspolizisten, die im Zentrum von Minsk Demonstranten gegenüberstanden und Schockgranaten abfeuerten, um die Menge auseinander zu treiben.

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Nach Angaben von Beobachtern sollen sich in der Hauptstadt bis zu 100.000 Menschen an den Demonstrationen beteiligt haben. Auf Videos war etwa zu sehen, wie Demonstranten aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. Menschenmassen zogen durch die Straßen – auch in anderen Städten des Landes. In sozialen Netzwerken wurden immer wieder Videos veröffentlicht, wie Polizisten brutal auf Menschen einprügelten. Auch Demonstranten attackierten Polizisten, um Festnahmen zu verhindern. Es gab viele Bilder von blutüberströmten Menschen.

Tichanowskaja rief die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Gewaltverzicht auf. "Ich möchte Polizei und Militär daran zu erinnern, dass sie Teil des Volkes sind", sagte sie nach Angaben ihres Wahlkampfstabs. An ihre Anhänger appellierte sie, Provokationen zu unterlassen. "Ich weiß, dass die Menschen in Belarus morgen in einem neuen Land aufwachen werden", meinte Tichanowskaja.

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In einzelnen Orten kam es auch zu ersten Siegesfeiern für die Oppositionskandidatin. Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen. In einzelnen Ortschaften habe die Polizei kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Portale im Internet, das landesweit zeitweise nicht funktionierte.

Wann offizielle Wahlergebnisse vorliegen, war zunächst nicht klar. Einzelne örtliche Wahlkommissionen traten am Abend vor die Menschenmengen und verkündeten Ergebnisse, nach denen Staatschef Lukaschenko eine schwere Niederlage erlitten habe. Teils kam Tichanowskaja demnach auf zwischen 80 bis 90 Prozent der Stimmen.

Oppositionskandidatin bot Lukaschenko die Stirn

Die Wahl am Sonntag fand in angespannter Atmosphäre statt. Auch andere Beobachter gingen bereits im Vorfeld davon aus, dass Lukaschenko seine Wiederwahl für eine sechste Amtszeit sichergestellt haben wird. Allerdings fühlte er sich durch Tichanowskaja, die in den Wochen vor der Wahl massiv an Zustimmung gewonnen hatte, offenkundig unter Druck gesetzt.

Vor den Wahllokalen hatten sich teils lange Warteschlangen von einigen Hundert Metern gebildet. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie. Nach Angaben der Wahlkommission stimmten 84 Prozent der Wahlberechtigten ab. Schon am Wahltag und in den Wochen davor gab es viele Festnahmen. Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. In Belarus wird noch die Todesstrafe vollstreckt.

Experten gingen bereits davon aus, dass Lukaschenko auch dieses Mal seinen Sieg mit Hilfe von Wahlfälschungen sichern wird. Zumal eine Rekordzahl von 41,7 Prozent der Wahlberechtigten nach Angaben der Wahlkommission von der Möglichkeit Gebrauch machten, schon Tage vorher ihre Stimmen abzugeben – und damit genügend Zeit für Manipulationen blieb.

Röttgen: "Innere Unruhen sind wahrscheinlich"

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen kritisierte das Ergebnis der Abstimmung bei t-online.de deutlich. "Der Ausgang der Präsidentschaftswahl überrascht mich nicht. Ob der Umgang mit Oppositionskandidaten, der Presse, Wahlbeobachtern oder Protestlern – schon im Vorfeld hat sich abgezeichnet, dass es sich nicht um eine freie und faire Wahl handeln wird", sagte Röttgen. Es sei klar gewesen, dass Lukaschenko sich wieder zum Sieger ernennen werde. "Das kennen wir von den vergangenen Wahlen in Belarus."

Röttgen erwartet unruhige Zeiten in Belarus. Fragwürdige Ergebnisse habe es schon früher gegeben, sagte er. "Diese Wahl unterscheidet sich jedoch von den bisherigen: Noch nie zuvor hat es die Opposition geschafft, so geeint, laut und stark aufzutreten. Das zeigt, wie groß das Aufbegehren nach Veränderung und die Unzufriedenheit in dem Land ist."

Die weitere Entwicklung hänge nun davon ab, "wie repressiv Lukaschenko mit der Opposition vorgehen und wie widerstandsfähig und beharrlich diese wiederum bleiben wird. Innere Unruhen sind wahrscheinlich." Lukaschenko müsse klar sein, dass weder die Verhinderung fairer Wahlen noch die Unterdrückung von Meinungen zur Verbesserung der Beziehungen zur EU beitragen würden.

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Mit ihrer Kandidatur hatte Tichanowskaja den 65-jährigen Lukaschenko vor unerwartete Herausforderungen gestellt. Die Englischlehrerin und Übersetzerin trat an, nachdem ihr Mann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen wurde. Sie wollte im Falle ihres Wahlsiegs neue, freie Wahlen ansetzen, an denen auch Kandidaten wie ihr Mann teilnehmen können, die inhaftiert oder nicht zugelassen wurden.

Bei ihrer Stimmabgabe in der Hauptstadt Minsk äußerte Tichanowskaja noch die Hoffnung auf eine faire Wahl. "Ich möchte wirklich, dass die Wahlen ehrlich sind. Wenn die Behörden nichts zu befürchten haben und alle Menschen für Alexander Lukaschenko sind, werden wir damit einverstanden sein", sagte sie.

Weiße Armbänder als Zeichen der Opposition

Tichanowskaja hatte ihre Anhänger aufgerufen, nicht von der vorzeitigen Stimmabgabe Gebrauch zu machen, sondern erst am Sonntag zu wählen, um Wahlfälschungen zu erschweren. Die Leiterin der Wahlkommission, Lidia Ermotschina, warf den "Protestwählern" vor, die Wahlkabinen absichtlich lange zu besetzen. Deshalb hätten sich lange Schlangen gebildet, sagte sie dem belarussischen Fernsehen.

Viele der Wähler trugen weiße Armbänder – das Erkennungszeichen der Anhänger Tichanowskajas. 26 Jahre Lukaschenko seien eine "sehr lange Zeit, wir brauchen frisches Blut", sagte eine 33-jährige Geschäftsfrau und fügte hinzu: "Ich habe für Tichanowskaja gestimmt." Obwohl die Behörden vor der Wahl massiv gegen die Opposition vorgingen, hatten Zehntausende an den Wahlkampfveranstaltungen der Oppositionskandidatin teilgenommen.

Sicherheitskräfte verbarrikadieren Regierungsgebäude

Zum Wahltag verschärften die Behörden die Sicherheitsvorkehrungen massiv. In ganz Minsk waren Polizeipatrouillen zu sehen, Regierungsgebäude wurden mit Metallbarrieren abgeriegelt. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP von gepanzerten Fahrzeugen und bewaffneten Soldaten an wichtigen Zufahrtsstraßen.

Einwohner berichteten von Problemen, auf die Internetseiten unabhängiger Medien zuzugreifen. Die Video-Plattform YouTube, verschlüsselte Messengerdienste wie Telegram und VPN-Verbindungen waren stark verlangsamt.

Bereits am Vortag war Tichanowskajas Wahlkampfleiterin Maria Moros festgenommen worden. Der Grund für die Festnahme war demnach zunächst unklar. Am Samstagabend wurde außerdem Tichanowskajas Mitstreiterin Maria Kolesnikowa kurzzeitig festgenommen. Eine weitere politische Verbündete Tichanowskajas, Weronika Zepkalo, flüchtete am Sonntag vorsichtshalber nach Russland.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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