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US-Proteste für Floyd: Tief verwurzelter Rassismus trifft alltägliche Angst


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Was heute wichtig ist
Harte Zahlen zeigen: Diese Wut ist berechtigt

MeinungVon Carsten Werner

Aktualisiert am 02.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Demonstranten in Minneapolis: Die Tötung eines Schwarzen durch Polizisten hat die größte Protestwelle in den USA seit 1968 ausgelöst.Vergrößern des Bildes
Demonstranten in Minneapolis: Die Tötung eines Schwarzen durch Polizisten hat die größte Protestwelle in den USA seit 1968 ausgelöst. (Quelle: Lindsey Wasson/reuters)
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Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

Ich hoffe, Sie hatten ein schönes, langes Pfingstwochenende. Heute darf ich Florian Harms als Tagesanbruch-Autor vertreten und ich möchte Sie zunächst auf ein Gedankenexperiment einladen.

WAS WAR?

Stellen Sie sich bitte einmal Folgendes vor: In Ihrer Gegend wird jemand auf der Straße angehalten, drangsaliert, gedemütigt. Vielleicht aufgrund seines Aussehens, vielleicht, weil er sich irgendwie "verdächtig" verhalten hat oder weil der Angreifer gerade schlechte Laune hatte. Ein paar Tage später kommt es zu einem ähnlichen Vorfall, diesmal ist jemand ernsthaft verletzt worden. Und so geht es weiter, wochen-, monate- und jahrelang. Es gibt sogar Todesfälle. Und nun stellen Sie sich bitte vor, dass in jedem der Fälle die Täter bekannt sind und Opfer oder Angehörige Anzeige erstatten. Doch die Behörden stellen die Ermittlungen und Gerichtsverfahren fast immer ein oder sie enden mit einem Freispruch. Ich darf wohl annehmen, dass Sie das zutiefst beängstigend und frustrierend finden würden. Und dass Ihr Vertrauen in Polizei und Justiz erschüttert wäre. Wie wäre es wohl erst, wenn die Täter selbst Polizisten wären? Wie sicher könnten Sie sich dann noch fühlen? Hätten Sie nicht Sorge um Ihre Familie, Ihre Freunde und Mitmenschen? Hätten Sie nicht das Gefühl, etwas gegen die empfundene Willkür und Ungerechtigkeit tun zu müssen?

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Die geschilderte Situation ist keineswegs frei erfunden oder übertrieben. Millionen Menschen in den USA kennen sie gut. Es sind vor allem Schwarze, aber auch Hispanics, die bei manchen Polizisten unter Generalverdacht stehen. Sie werden häufiger auf der Straße angehalten und kontrolliert. Sie werden häufiger verhaftet, oft aufgrund von Nichtigkeiten. Sie werden von Polizisten oft härter angefasst als weiße Verdächtige, erfahren öfter Brutalität und Demütigung. Und es sind vor allem Schwarze, die bei Polizeieinsätzen ihr Leben verlieren. Menschen wie der 46-jährige George Floyd, der am Montag vor einer Woche starb, nachdem sich ein Polizist minutenlang auf das Genick des am Boden liegenden Mannes kniete, sodass er nicht mehr atmen konnte. "I can’t breathe" ("Ich kann nicht atmen"), sagte er immer wieder in Richtung der Polizisten, während Passanten die brutale Szene mit ihren Handys filmten und forderten, von dem wehrlosen Mann abzulassen. Selbst nachdem er das Bewusstsein verlor, ging es minutenlang so weiter. Noch am gleichen Tag verstarb Floyd im Krankenhaus.

Die Wut und das Entsetzen vieler Menschen über diesen neuesten Fall von sinnloser und tödlicher Polizeibrutalität sorgen in den USA für massive Proteste und Unruhen. In Dutzenden Städten gibt es Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus. Immer wieder kommt es zu Straßenschlachten, bei denen Protestierende und Polizisten verletzt werden. Mehrfach gab es auch Todesfälle. Bei den Ausschreitungen fliegen Steine und Molotowcocktails, Autos und Gebäude gehen in Flammen auf. Es kommt zu Plünderungen. Die Polizei feuert mit Gummigeschossen und Tränengas. Die Nationalgarde ist im Einsatz. Und in all diesem Chaos sorgt der US-Präsident ganz persönlich mit immer neuen Äußerungen und Tweets dafür, dass die Wut der Demonstranten zunimmt. Mal erklärt Donald Trump sie pauschal zu linksextremen, plündernden Kriminellen, mal fordert er implizit, notfalls auch mit scharfer Munition auf sie zu schießen. Verständnis für die Proteste zeigt Trump kaum. Bei einem Großteil seiner vorwiegend weißen Kernwählerschaft wird es ähnlich sein.

Laut Daten des Statistikportals mappingpoliceviolence.org starben im Jahr 2019 in den USA 1.099 Menschen durch Polizeigewalt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im Jahr davor 11 Menschen. Unter den getöteten Amerikanern waren Kriminelle, Verdächtige, Flüchtende und ganz normale, unbescholtene Bürger. Manche waren bei ihrem Tod bewaffnet, andere nicht. Alarmierend werden die Zahlen vor allem bei Berücksichtigung der Hautfarbe: Bei Schwarzen ist die Wahrscheinlichkeit, von Polizisten getötet zu werden, dreimal höher als bei Weißen. Bei schwarzen Jugendlichen ist dies sogar 21-mal so wahrscheinlich, wie ProPublica schon vor Jahren berichtete. Dabei sind die getöteten Schwarzen deutlich häufiger unbewaffnet. Mit ernsten Konsequenzen müssen Polizisten, die im Dienst töten, kaum rechnen. Laut mappingpoliceviolence.org bleibt dies in 99 Prozent aller Fälle folgenlos. Nur bei einem Prozent aller Todesfälle wird gegen die Beamten Anklage erhoben, nur wenige werden am Ende auch verurteilt – oft zu vergleichsweise milden Strafen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich will die gewalttätigen Unruhen in den USA, die Attacken gegen Polizisten und die Brandstiftungen keineswegs rechtfertigen. Ich glaube aber, dass man dieses Verhalten gut erklären kann. Und natürlich halte ich die Polizisten in den USA auch nicht für schießwütige Rassisten. Im Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten von ihnen gute Arbeit für die Sicherheit der Bürger leisten und dass sie dafür Anerkennung verdienen. Klar ist aber auch, dass der Tod von George Floyd kein Einzelfall ist. Es ist die neueste Episode einer langen Serie unnötiger Todesfälle durch Polizeigewalt und ein Resultat gravierender Mängel bei Polizei und Justiz in den USA. Dass die Todesfälle vor allem Schwarze betreffen und dass sie zudem in den allermeisten Fällen ungesühnt bleiben, lässt die Menschen an den Sicherheitsbehörden und am Rechtsstaat zweifeln. Es lässt sie gegen das als ungerecht und rassistisch empfundene System rebellieren, mit Sprechchören und Transparenten, aber auch mit Steinwürfen und Molotowcocktails.

"Die brennenden Städte sind Resultat eines über Jahrhunderte hinweg gelernten Verhaltens, das zu einem Grundkonflikt der USA zurückzuverfolgen ist. Es ist die hässliche Fratze des Landes, die jetzt wieder aufblitzt: Mit Beginn des Sklavenhandels vor mehr als 400 Jahren hat sich ein systematischer Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft etabliert, der bis heute zu spüren ist", analysiert mein Kollege Daniel Schmidt aus Washington. Ich befürchte, dieser Konflikt wird die USA noch sehr lange beschäftigen und Fälle, wie der Tod von George Floyd, wird es noch viel zu oft geben.

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Vertreter von Europäischer Union und Großbritannien verhandeln in dieser Woche wieder über die gegenseitigen Beziehungen nach dem Brexit. Vergangene Verhandlungsrunden kamen kaum voran, dabei drängt die Zeit. Am 31. Dezember endet die Übergangsfrist, in der die bisherigen Regularien im Wesentlichen weiter gelten. Danach tritt entweder ein mit der EU ausgehandelter Vertrag in Kraft oder es gibt doch noch den sogenannten harten Brexit, bei dem das Land keinerlei Bevorzugung durch die EU mehr erwarten könnte.


Am heutigen Dienstag wäre Marcel Reich-Ranicki 100 Jahre alt geworden. Viele Menschen in Deutschland – und nicht nur die Literaturliebhaber unter uns – werden bedauern, dass er diesen runden Geburtstag nicht mehr feiern kann. Generationen von Fernsehzuschauern war er bekannt als streitlustiger und treffsicherer Literaturkritiker, der virtuos und mit markantem Akzent auf seiner Wortklaviatur spielte. Mein Kollege Steven Sowa wirft gemeinsam mit Ihnen noch einmal einen Blick zurück auf das teilweise dramatische Leben und die wichtigsten Momente in der Karriere des deutschen Literaturpapstes.


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Am Wochenende musste sich die Welt von einem ganz besonderen Menschen verabschieden. Im Alter von 84 Jahren starb der bulgarische Künstler Christo, der vor allem als Verhüller von Wahrzeichen und anderen Objekten weltweit bekannt war. In Deutschland hatte er 1995 den Reichstag in Berlin in weißen Stoff verpackt. Die Kunstaktion war nicht nur ein Touristenmagnet für die wiedervereinte Hauptstadt, sie brachte den Deutschen auch ihr geschichtsträchtiges Parlamentsgebäude wieder näher, wie unser Kolumnist Gerhard Spörl schreibt, der damals selbst staunend vor dem riesigen Kunstwerk stand. Offenbar haben wir Deutschen Christo mehr zu verdanken als eine kurzlebige Touristenattraktion irgendwann in den Neunzigern.


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Keine Ehe, keine Kinder und trotzdem glücklich. Die Schauspielerin Katharina Wackernagel hat sich für einen Lebensweg entschieden, der von vielen Menschen immer noch kritisch beäugt wird. Frauen und Kinder, das gehört für die Mehrheit einfach zusammen. Meiner Kollegin Janna Halbroth hat Wackernagel erklärt, wie es sich anfühlt, sich ständig für eine intime Entscheidung zu rechtfertigen und wie sie auch in ihrem Beruf immer wieder Gelegenheiten nutzt, um auszubrechen und zu rebellieren.


WAS AMÜSIERT MICH?

Auch bei den Unruhen in den USA zeigt sich Donald Trumps ganz spezielle Logik.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in die Woche.

Ihr

Carsten Werner
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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