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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Direktor Bierhoff Gehaltsobergrenze? "Wir reden nicht über eine Million Euro"
Wie verändert sich der Fußball durch die Corona-Krise? Der DFB-Direktor skizziert die Zukunft und spricht über die Möglichkeit der Einführung einer Gehaltsobergrenze für Profis. Dabei unterscheidet er zwischen Spielern.
Vor 24 Jahren schoss Oliver Bierhoff die Nationalmannschaft zum EM-Titel, 2014 wurde er in Brasilien als Teammanager mit dem DFB Weltmeister, um 2018 bei der WM in Russland ein böses Erwachen zu erleben.
Nun will der DFB-Direktor trotz der Corona-Krise weiter die Weichen für die Zukunft des deutschen Fußballs stellen. Im Interview mit t-online.de spricht Bierhoff über die Zukunft des DFB-Nachwuchses, die Gefahren der Corona-Krise für unsere Gesellschaft und er verrät, wie er zum Vorstoß von Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge und DFB-Präsident Fritz Keller steht. Die beiden plädieren für eine europäische Gehaltsobergrenze.
t-online.de: Herr Bierhoff, wir sprechen in Deutschland aktuell über die Bundesliga, die Champions League und die Premier League. Nur die Nationalmannschaft ist kaum ein Thema. Wird es Ihrer Meinung nach in diesem Jahr noch Länderspiele geben?
Oliver Bierhoff: Wir sind bewusst einen Schritt zurückgetreten, weil wir verstehen, dass zuerst die nationalen Ligen und internationalen Klubwettbewerbe beendet werden müssen. Im Herbst möchten wir mit unserer Nationalmannschaft wieder sportliche und emotionale Impulse setzen. Auch für die Weiterentwicklung unseres jungen Teams ist das enorm wichtig. Zudem hat unser Schatzmeister Stephan Osnabrügge beim Außerordentlichen DFB-Bundestag am Montag vor einer Woche betont, wie wichtig die Länderspiele auch aus wirtschaftlicher Sicht sind, damit der DFB seinen gemeinnützigen Aufgaben nachkommen kann. Ich werde alles dafür tun, damit die Nationalmannschaft den Menschen im Herbst wieder Freude macht.
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Mit welchen Einschränkungen rechnen Sie?
Wir bereiten derzeit den Restart der Länderspiele vor, sind auch mit der Uefa im engen Kontakt. Uns hilft natürlich, dass wir gemeinsam mit der DFL das Hygienekonzept entwickelt haben, das in der Bundesliga und der 2. Liga derzeit greift. Unser Mannschaftsarzt Tim Meyer und die DFB-Organisationsabteilung haben daran maßgeblich mitgewirkt. Der deutsche Fußball hat eine weltweite Pionierrolle eingenommen. Aber natürlich ist zum jetzigen Zeitpunkt noch immer schwer vorstellbar, dass Mannschaften quer durch Europa fliegen. Vielleicht werden wir die Spiele also auch örtlich bündeln müssen, vielleicht müssen wir über längere und in der Summe wenigere Abstellungsperioden nachdenken. Um diese Fragen konkret zu beantworten, ist es aber noch zu früh.
Mit Sané und Süle waren Leistungsträger verletzt, zudem befindet sich die junge Nationalelf im Umbruch. War die EM-Verschiebung aus sportlicher Sicht das Beste, was passieren konnte?
Es ist für uns zumindest kein Nachteil. Einige Spieler fielen durch Verletzungen länger aus, das stimmt. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die nun noch weiter reifen kann, auch das ist wahr. Die Frage lautet jetzt: Bekommen wir die notwendige Zeit im Herbst? Wenn wir dort nicht die Chance haben, uns weiter einzuspielen, wäre das für die Entwicklung dieser Mannschaft ein Risiko. Und ich sehe terminliche Probleme im kommenden Jahr auf uns zukommen. Wer weiß, ob wir vor der EM eine normale Vorbereitungszeit von mehreren Wochen bekommen?
Hat der deutsche Fußball durch die schnelle Fortsetzung der Bundesliga einen Vorteil?
Ja, das denke ich schon. Die anderen Ligen werden in diesem Sommer voraussichtlich Terminkonflikte zwischen nationalen Ligen und den internationalen Klubwettbewerben lösen müssen. Da können sich die Bundesliga-Klubs womöglich mehr Pausen gönnen. Von unseren Nationalspielern höre ich aber auch, dass die Spieler in der Bundesliga weitaus intensiver während des Lockdowns gecoacht worden sind. Das war bei manchen Spielern im Ausland weniger der Fall. Die Fürsorge der Bundesliga-Klubs war also auch unabhängig vom schnellen Neustart beispielhaft.
Was wird sich dauerhaft im Fußball durch die Corona-Krise verändern?
Aus jeder Krise sollte man auch etwas Positives ziehen. Auch im Fußball werden wir uns zwangsläufig Gedanken machen müssen, wo wir nachjustieren können.
Was genau meinen Sie mit "nachjustieren"?
Es ist kein gutes Gefühl, wenn es zwar ein großes Wachstum in einem Bereich wie dem Fußball gibt, doch jeder immer nur mehr vom Kuchen greifen will. Es ist gut, nun auch mal wieder die Sache mehr in den Vordergrund zu rücken.
Welche Bereiche haben Sie da speziell im Auge?
Natürlich wollen wir im Fußball immer die Besten sein. Das Streben nach dem Gewinnen treibt uns an. Aber wir sollten schon überlegen, wie wir beispielsweise Ablösesummen, Gehälter oder Beraterhonorare eindämmen können. Das macht im Sinne der Wettbewerbsgleichheit allerdings nur Sinn, wenn sich europaweit dazu an einen Tisch gesetzt wird.
- Ex-DFB-Spieler Ede: "Es hat mich so angewidert"
Ist die neue Bescheidenheit des Profifußballs nicht nur eine Illusion? Bei einer repräsentativen Umfrage auf t-online.de haben wir Sportinteressierte gefragt, ob sie daran glauben, dass sich die Bundesliga-Vereine durch die Corona-Krise künftig bescheidener und gemäßigter verhalten werden. 73,5 Prozent haben das verneint.
Wir haben schon 1990 darüber diskutiert, welche Ablösesummen in Italien gezahlt werden und welche Gehälter zum Beispiel für Spitzenspieler wie Lothar Matthäus oder Andreas Brehme dort möglich waren. Als ich 1991 nach Italien kam, wurden wenig später alle Schwarzgeld-Flüsse in der Wirtschaft von der Politik unterbunden. Da sind die meisten Fußballergehälter ruckzuck um 50 Prozent gefallen. Das geht sehr schnell. Und trotzdem waren die Spieler mit diesen Gehältern zufrieden.
Die Fußballfans hätten so weniger Grund, die Profis für übertriebene Gehälter zu kritisieren.
Ich glaube nicht, dass der Topverdiener für Fans das Problem ist – so paradox sich das auch anhört. Messi, Cristiano Ronaldo oder Jo Kimmich sind nicht das Problem. An ihnen erfreuen sich die Menschen, kaufen ihre Trikots und gehen wegen dieser Spieler auch ins Stadion. Das Problem ist die Masse an Mittelmaß, die in diesem Sog mitschwimmt und in Anführungszeichen "überbezahlt" ist.
Lässt sich diese Sogwirkung verhindern?
Es wird immer wieder Bereinigungen des Marktes geben – was gut und zyklisch ist. Ein mittelmäßiger Bundesliga-Profi wird damit rechnen müssen, dass er demnächst weniger vom Verein angeboten bekommt. Trotzdem bin ich kein Freund davon, jetzt – salopp gesagt – die Dächer von den Stadien abzunehmen und nur noch Bockwurst auszufahren. Das ist auch nicht die Lösung. Es bedarf eines Nachhaltigkeitsdenkens und kaufmännischer Sorgfalt.
Stellen Sie sich vor, Sie wären im Fußball allmächtig. Was würden Sie sofort verändern?
Ich würde die finanziellen Diskrepanzen zwischen Champions League und nationaler Meisterschaft – teilweise auch zwischen nationalen Ligen – verringern. In Deutschland werden sich rund um den Verteilerschlüssel kluge Gedanken gemacht, es wird auch sozialer gedacht als in anderen Ländern. Aber natürlich ist es ambitioniert, sich als Verein das Ziel zu setzen, die Champions League zu erreichen. Das finanzielle Risiko, das man dafür eingeht, ist hoch.
Was muss passieren, um das zu ändern?
Die Frage lautet: Schaffen wir es, die finanziellen Unterschiede der Vereine wieder etwas mehr anzugleichen, sodass der internationale Wettbewerb nicht zu einer geschlossenen Gesellschaft der Topklubs wird? Ein Instrument ist die Verteilung der TV-Gelder auf nationaler Ebene, da gehen wir in Deutschland schon einen recht sozialen Weg. Aber eben auch auf europäischer Ebene wäre mehr Ausgeglichenheit möglich. Findet man Regeln, um für noch mehr Abwechslung innerhalb der Wettbewerbe zu sorgen?
Unterstützen Sie denn den Vorstoß von Karl-Heinz Rummenigge und Fritz Keller bezüglich der Einführung einer Gehaltsobergrenze für Spieler?
Wenn es rechtlich umsetzbar ist und sich auch europaweit gemeinsam dazu Gedanken gemacht werden – ja. Denn am Ende sollte es unser aller Interesse sein, dass wir einen interessanten, gut funktionierenden Wettbewerb haben. Es ist ein Moment gekommen, an dem viele dazu bereit sind, zumindest darüber zu diskutieren – auch die, die es vor der Krise nicht waren. Speziell von den großen Vereinen in Spanien, England und Frankreich.
Besteht nicht aber auch die Gefahr, dass man mit der Einführung einer europäischen Gehaltsobergrenze Superstars der Kategorie Messi und Ronaldo aus Europa vertreibt?
Man weiß nie, wie die Welt in zehn oder fünfzehn Jahren aussieht. Aber wenn wir von einer Gehaltsobergrenze im Fußball sprechen, sprechen wir sicher nicht von 500.000 Euro oder einer Million. Die Grenze wird marktgerecht bewertet.
Viele Klubs in Deutschland haben durch die Corona-Krise finanzielle Probleme. Was bedeutet das für den Fußball?
Die Talentausbildung wird weiter an Bedeutung gewinnen. Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm, deshalb werden die Vereine sparen müssen. Da kann es ein Schlüssel sein, auf die eigene Jugend zu setzen, um weniger Ablösesummen zahlen zu müssen. Wir als DFB wollen den Rahmen für eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball schaffen. Deshalb beschäftige ich mich in meiner Direktion Nationalmannschaften und Akademie mit der Frage: Welche Weichen müssen wir heute stellen, damit die besten Fußballer auch in fünf oder zehn Jahren in Deutschland ausgebildet werden?
Was ist Ihre Antwort?
Wir haben uns dazu viel ausgetauscht, unter anderem mit Managern und Sportdirektoren aus der Bundesliga, mit Trainern, mit internationalen Experten. Ganz deutlich ist dabei geworden, dass wir in der Ausbildung wieder mehr Wert auf Individualität legen müssen – die Bolzplatzmentalität müssen wir fördern, nicht bremsen. Wir müssen aber auch besser werden im individuellen Coaching, in der Förderung von Kreativität, der Vermittlung von klaren Werten. In den vergangenen Jahren waren wir zu sehr auf Taktik fokussiert. Deshalb haben wir gemeinsam mit der DFL das "Projekt Zukunft" initiiert.
Inwieweit leidet dieser Umbruch aktuell unter der Corona-Krise?
Wir profitieren derzeit von Projekten, die wir mit der DFB-Akademie vor Monaten schon angestoßen haben. Wir haben unsere Trainer-Ausbildungslehrgänge teils digitalisiert und ein digitales Performance-Center für die Nationalmannschaften aufgebaut. Dort können im ersten Schritt die Nationalspieler unter anderem auf das gesammelte Wissen unserer Experten zu Trainingsmethoden, Psychologie, Physis und Ernährung zugreifen. Zudem haben wir die Plattform "Akademiewelten" eröffnet, wo Trainer aus ganz Deutschland und auch Experten aus den Leistungszentren fußballspezifische Inhalte nutzen können. Das macht die DFB-Akademie einzigartig auf der Welt: Unsere Wissenschaft dient der Praxis.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Marcus Sorg, der Co-Trainer der Nationalmannschaft, hat vor einigen Monaten intern die Frage aufgeworfen: Wie kann der FC Liverpool mit so hohen Belastungen und so einer intensiven Spielweise alle drei Tage erfolgreich sein? Das untersuchen wir aktuell, dabei hilft uns unter anderem natürlich das gute Verhältnis zu Jürgen Klopp und Liverpools Ernährungsberaterin Mona Nemmer. Die wissenschaftlich belegten Fakten können wir dann für unsere Praxis nutzen.
In der Gesellschaft hat die Wissenschaft in der Corona-Krise enorm an Stellenwert gewonnen. Steht uns auch im Fußball das Jahrzehnt der Wissenschaft bevor?
Ich glaube, die Zeit der Wissenschaft im Fußball hat längst begonnen – deshalb haben wir eine Institution wie die DFB-Akademie gegründet. Die Herausforderung ist jetzt, die Wissenschaft auch richtig zu nutzen. Deswegen verzahnen wir sie ganz eng mit der Praxis, sie sollen sich gegenseitig befördern. Wir haben in den vergangenen Jahren teilweise zu schematisch und zu analytisch den Fußball betrachtet. Er besteht eben nicht nur aus Statistiken und Grafiken. Wir müssen den Menschen – den Trainer, den Spieler – in den Vordergrund stellen, und ihm mit Forschung und Innovation in seiner Arbeit helfen. Wie gut und schnell neues Wissen auf dem Platz angewendet wird, das wird im Fußball entscheidend.
Der Nachwuchsfußball leidet wohl noch deutlich länger unter den Corona-Einschränkungen als die Profis. Die Junioren-Bundesligen wurden abgebrochen. Wie helfen Sie Ihren Talenten?
So paradox es klingen mag, aber den jungen Spielern kann es durchaus auch mal guttun, zwei bis drei Monate das Hamsterrad Leistungsfußball zu verlassen. Wichtig ist, wie ich die gewonnene Zeit nutze. Das eine oder andere Talent wird individuell trainieren. Stärken ausbauen, Schwächen abstellen. Im mitunter taktisch geprägten Mannschaftstraining ist das nicht immer so einfach möglich. Natürlich sind wir in unseren U-Nationalmannschaften auch für die Spieler da. Unsere U-Trainer haben regelmäßig Kontakt mit den Jungs und in zusätzlichen Videokonferenzen neue Impulse gesetzt. Da ging es etwa auch um Ernährung, Social Media oder ein bekannter Spieler hat von seinem Weg aus dem Nachwuchs zu den Profis erzählt. Außerdem ist jede DFB-Mannschaft mit einem Sportpsychologen ausgestattet. Sie haben ihre Tipps für den richtigen Umgang mit der Krise gebündelt und den Trainern und Spielern zur Verfügung gestellt.
- Faktencheck: Das ist dran an Ken Jebsens Gates-Verschwörung
Wir bemerken in der Gesellschaft derzeit, dass sich Verschwörungstheorien rasend schnell ausbreiten, auch unter jungen Menschen und Fußballern. Wie gehen Sie mit dem Thema um? Klären Sie Ihre Spieler auf?
Erst kürzlich habe ich mich dazu mit einem unserer Spieler unterhalten. Solche Verschwörungsgeschichten kommen zum Teil auch bei ihnen an. Wir müssen gemeinsam wachsam sein. Ich sehe es als unsere Aufgabe, immer wieder Themen mit unseren Spielern zu besprechen, die wichtig für die Gesellschaft sind. Das machen wir mitunter in Form von Vorträgen oder Diskussionen bei Länderspiel-Lehrgängen oder indem wir auch mal einen journalistischen Artikel in einen Chat posten. Wenn unsere Mannschaften demnächst wieder zusammenkommen, könnte das auch ein Thema sein. Grundsätzlich haben wir als DFB einen Wertekodex, der unter anderem gegenseitigen Respekt, Toleranz und Solidarität beinhaltet. Das ist mit Verschwörungs-Schwachsinn unvereinbar.