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Christo: Der Mann, der uns den Reichstag näher brachte


Meinung
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Nachruf auf einen großen Meister
Der Mann, der uns den Reichstag näher brachte

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

31.05.2020Lesedauer: 2 Min.
Christo Wladimirow Jawaschew: Der bulgarische Künstler ist im Alter von 84 Jahren verstorben.Vergrößern des Bildes
Christo Wladimirow Jawaschew: Der bulgarische Künstler ist im Alter von 84 Jahren verstorben. (Quelle: C.Hardt/Future Image/imago images)
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Gebäude, Brücken, ganze Stadtviertel mit Tüchern bedecken? Christo wurde mit seinen Installationen weltberühmt. Die Verhüllung des Berliner Reichstags markierte einen neuen Anfang des vereinten Deutschlands.

Im Juni 1995 schrieb der "Spiegel" eine Geschichte darüber, dass der Reichstag verhüllt werden sollte. Ich war Politik-Chef und hatte sie verantwortet. Hinterher dachte ich lässig, das wäre doch ein Grund, mal wieder ein Wochenende nach Berlin zu fahren. Zu viert bestiegen wir meinen alten VW-Käfer mit Blumenvase und Philips-Röhrenradio und zuckelten frohgemut los.

Von Christo wusste ich, dass er ganze Stadtviertel und Brücken mit Tuch verhüllte. Das waren Aktionen, denen ich wenig abgewinnen konnte, was auch daran lag, dass es mir schwer fiel, mir die Wirkung vorzustellen. Das änderte sich, als ich nachts den Reichstag zum ersten Mal sah, sorgsam eingehüllt in weißes feuerfestes Tuch wie ein Geschenk. Ich stand staunend da, wie so viele andere Menschen aus vielen Städten und Ländern, die genau so wie wir neugierig gekommen waren, ohne zu wissen, was sie erwartete, und nun beglückt sahen, was Christo und Jeanne-Claude sich für uns ausgedacht hatten.

Ein machtvolles Bauwerk, beladen mit deutscher Geschichte

Der Reichstag war für meine Generation ein finsteres Gebäude. In ihm spiegelte sich das große Scheitern der ersten deutschen Demokratie nach 1918. Hier war den Nazis das Land zum Fraß vorgeworfen worden, hier war Hitler Reichskanzler gewesen und hatte aus den Resten der Demokratie eine Diktatur geschmiedet. Als der Reichstag in der Nacht zum 28. Februar 1933 brannte, machte er daraus ein Fanal zur Unterdrückung der deutschen Linken.

Dieses machtvolle Bauwerk, beladen mit deutscher Geschichte, zu verhüllen, war ein genialer Gedanke. Es war wie eine Katharsis: Seht her, das ist nur Stein, der nicht verantwortlich für die Geschichte ist. Er trägt die Spuren der Vergangenheit, ist aber nicht schuld an ihr. Diese Wahrheit, um es pathetisch zu sagen, hat Christo uns durch Verhüllung offenbart.

Der Bundestag hatte seine Erlaubnis gegeben, gegen den Willen des Kanzlers Kohl. Das war ein einheitsstiftender Akt, denn die vielen Deutschen, die in jenen Tagen zum verhüllten Reichstag pilgerten, fanden es nicht mehr abwegig, dass Berlin wieder Hauptstadt werden sollte. Und der Umbau des Reichstags samt Kuppel war später dank Christo weitaus weniger umstritten, als er unter anderen Umständen gewesen wäre. Heute ist er ein Monument der deutschen Demokratie, was denn sonst.

Den Reichstag hat uns Christo nahe gebracht. Dafür gebührt ihm mehr als Dank. Nun ist dieser eigensinnige Weltbürger aus Bulgarien gestorben und bleibt doch unsterblich.

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