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Tagesanbruch zur Coronavirus-Krise: Diese drei Dinge machen Hoffnung


Was heute wichtig ist
Corona-Krise: Virologe macht Hoffnung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.04.2020Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Professor Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn, erforscht Auswege aus der Corona-Krise.Vergrößern des Bildes
Professor Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn, erforscht Auswege aus der Corona-Krise. (Quelle: Federico Gambarini/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

und herzlichen Dank für die vielen Zuschriften. Wer so nette Leser und vor allem Leserinnen hat, der kann ja gar nicht mit dem Schreiben aufhören. Also weiter wie gewohnt, hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

In angespannten Zeiten hilft ein Perspektivwechsel. Ein Blick von außen, ungetrübt vom Staub der Ereignisse. Stellen wir uns also für einen Moment vor, wir seien nicht der Herr Harms aus Hamburg oder die Frau Schuster aus Sindelfingen, sondern ein Außerirdischer im All. Wir säßen dort oben auf dem Mars und blickten auf die Erde hinunter, wo die Zweibeiner seit Jahrzehnten umeinander wuseln. Doch vor zweieinhalb Wochen hörten sie schlagartig auf mit dem Gewusel, plötzlich fror das Leben ein, alle zogen sich in ihren Bau zurück, nichts geht mehr. Ein exogener Schock hat die Zivilisation auf diesem Planeten erfasst, und als wir etwas länger durch unser Fernrohr schauen, sehen wir auch den Grund: Ein Virus ist aufgetreten, neu, gefährlich, hochansteckend. Kein Wunder, dass sich die Lebewesen auf dem Planeten da unten Hals über Kopf in ihre Behausungen flüchten, Tür und Tor verrammeln, jeden Kontakt zueinander kappen. Wenn es um Leib und Leben geht, ist keine Maßnahme zu scharf. Kein Wunder auch, dass die Cheflebewesen da unten entscheiden: Die Kontaktsperre zwischen allem, was wandelt und wuselt, kreucht und fleucht, bleibt mindestens bis zum 19. April bestehen.

Wir wiegen verständnisvoll mit dem Kopf, dort oben auf dem Mars, und schauen noch etwas länger durch unser Teleskop. So sehen wir, dass das Einbunkern da unten zwar zweifellos gegen das tückische Virus hilft – aber auch enormen Schaden anrichtet. Binnen Tagen schlittern unzählige Selbständige, Geschäfte, Konzerne, ganze Staaten an den Rand des Ruins, binnen Wochen gerät der globale Turbokapitalismus an seine Grenzen. Und wie immer in Krisen fallen auch jetzt die Masken, die Protagonisten entblößen ihr wahres Antlitz – im Guten wie im Schlechten.

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Da ist beispielsweise ein Typ wie der Adidas-Boss Kasper Rorsted, der vom Glücks- zum Raubritter herabsinkt und erst nach einem öffentlichen Proteststurm erkennt, dass es keine gute Idee ist, wenn ein Konzern mit Miliardengewinnen seine Mietzahlungen verweigert. Da ist aber auch ein Mann wie Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte, der früher als langweiliger Bürokrat belächelt wurde, jedoch in der Stunde der Not Umsicht und Entschlossenheit beweist. Der sich nicht zu schade ist, in einem Interview mit dem deutschen Fernsehen alle Bundesbürger um Hilfe zu bitten: Deutschland möge seinen Widerstand gegen gemeinsame Staatsanleihen aufgeben. Andernfalls, das ergänzen wir in Gedanken, könnte Italien bald in den Staatsbankrott schlittern – mit schlimmen Folgen für alle Euro-Länder. Und da ist leider auch ein Mann wie der Berliner AfD-Lautsprecher Georg Pazderski, der sich gern als Querdenker inszenierte, nun aber junge Klimaschützer für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich macht. Zum "Beweis" verbreitet er ein fünf Monate altes Video, in dem sich ein paar Jugendliche nacheinander denselben Lolli in den Mund steckten. Wäre es nicht so perfide und gäbe es nicht so viele Dösbaddel, die derlei Schwachsinn glauben, man könnte lauthals lachen. Doch zum Lachen ist uns bisher nicht zumute.

Wir schauen weiter durch unser Fernrohr, nun schon mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn, und halten Ausschau nach den Lichtblicken. Wenn alle Welt sich daheim verkriecht, Tür und Tor verrammelt, sind die gar nicht so einfach zu sehen – aber natürlich finden wir sie doch. Deshalb ist es ja so gut, dass wir hier oben auf dem Mars sitzen. Denn was die Leute da unten nun dringend brauchen, sind Hoffnungsschimmer. Drei entdecken wir:

Erstens arbeiten mehr als hundert Wissenschaftler unter Leitung des Robert Koch- und des Fraunhofer-Instituts an einer Smartphone-App, die Menschen automatisch warnt, wenn sie mit einer Corona-infizierten Person in Kontakt gekommen sind. Die Nutzung wäre freiwillig und risikolos, sogar Datenschützer sind angetan. Schon in wenigen Tagen könnte sie einsetzbar sein.

Zweitens arbeiten gleich mehrere Labore an einem Corona-Antikörper-Test, mit dessen Hilfe jedermann schnell Gewissheit hätte, ob er bereits gegen das Virus immun ist, also unbesorgt in den gewohnten Alltag zurückkehren kann.

Drittens macht uns eine groß angelegte Studie im nordrhein-westfälischen Heinsberg Hoffnung. Dort hatte das Coronavirus gleich zu Beginn gewütet, im Karneval steckten sich viele Menschen an. Der Virologe Hendrik Streeck erforscht nun mit einem Team vor Ort die Ausbreitung – und berichtet uns in einem "FAZ"-Interview von ersten bemerkenswerten Ergebnissen. Demnach deutet vieles darauf hin, dass die schlimmsten Corona-Ausbrüche tatsächlich immer nach Großereignissen auftreten: den Karnevalsfeiern in Heinsberg, der Après-Ski-Party in Ischgl, dem Fußballspiel in Bergamo, der Fete in einem Berliner Club. Zugleich zeigt sich: Die Virenspuren im Umfeld der Betroffenen – zum Beispiel auf Türklinken, Smartphones, TV-Fernbedienungen – waren ungefährlich und nicht mehr ansteckend. Auch wurde bislang keine Infektion bei flüchtigen Begegnungen zwischen Menschen nachgewiesen, etwa im Supermarkt oder im Bus.

Der Virologe formuliert daher ein vorsichtiges Zwischenfazit: "Einerseits sollten wir in den nächsten Wochen und Monaten Veranstaltungen mit vielen feiernden Menschen auf engem Raum unbedingt vermeiden. Denn wenn wir noch einmal solche Großausbrüche haben, dann wird es schwer für unser Gesundheitssystem. Auf der anderen Seite glaube ich, dass Restaurants, Geschäfte, Supermärkte und so weiter kein Infektionsrisiko darstellen."

Noch brauchen Herr Streeck und sein Team ein paar Tage Zeit. Doch sollte es ihnen gelingen, ihre Hypothese zu erhärten, ließen sich die Ausgangsbeschränkungen möglicherweise in absehbarer Zeit lockern. Auf Partys und Großveranstaltungen können wir doch sicher noch ein Weilchen verzichten, wenn wir dafür wieder unbesorgt in die Einkaufsstraße, zur Arbeit und zu Freunden dürfen.

Wenn das kein Lichtblick ist, was dann?, denken wir hoch droben auf dem Mars, und diktieren die Erkenntnis sogleich dem Tagesanbruch-Autor in den Block. Damit auch andere davon erfahren. Manchmal hilft ja ein Perspektivwechsel. Der Blick von außen, ungetrübt vom Staub der Ereignisse.


WAS STEHT AN?

In den Zeiten von Corona muss man zusammenhalten. Da lernt man auch die Nachbarn im Haus gleich ein bisschen besser kennen. Wir zum Beispiel wohnen in einem Mehrfamilienhaus, dessen Bewohner alle recht unterschiedlich sind – angefangen beim Lebensstil bis hin zu den finanziellen Verhältnissen. Manche haben wirklich sehr zu kämpfen und fast nix im Portemonnaie. Unser Nachbar direkt über den Flur zum Beispiel, der bereits erwähnte Giuseppe. Hat immer über seine Verhältnisse gelebt, aber auch ein paar Mal Pech gehabt im Leben. Hat Schulden gemacht, nicht zu knapp. Jetzt ist wegen Corona auf einmal der Job weg, die Kredite werden fällig, aber als er wegen einer Überbrückung bei der Bank war, haben die nur abgewinkt. Nur noch zu Wucherkonditionen kann er was bekommen, von irgendwelchen Geldgebern, die kein Risiko scheuen – sich das aber fürstlich entlohnen lassen. Netter Kerl, der Giuseppe, aber er sitzt echt tief in der Patsche.

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Die Dame, die über uns wohnt, könnte gegensätzlicher nicht sein. Hat hart gearbeitet und inzwischen mächtig was auf der hohen Kante. Ist immer sehr geschäftstüchtig gewesen, Geld kam zu Geld. Bei der ist allein der Teppich im Flur mehr wert, als der Giuseppe in seinem ganzen Leben verdient hat. Angela heißt sie. Wenn die zur Bank geht, begrüßt sie der persönliche Vermögensberater, lässt Kaffee bringen und redet mit sonorer Stimme über attraktive Vorzugskonditionen.

Die anderen im Haus sind ein ganz schöner Gemischtwarenladen, einige fast so arm dran wie der Giuseppe, anderen geht’s so lala, aber wegen der wirtschaftlichen Lage haben wir jetzt alle zu kämpfen. Nun hat der Giuseppe mal wieder einen Appell losgelassen. Dass es echt schwierig sei und ob wir uns zusammentun könnten. Wegen Hausgemeinschaft und Zusammenhalt und so. Er hätte gern, dass wir zusammen zur Bank gehen und gemeinsam, also als Hausgemeinschaft, einen ordentlichen Kredit aufnehmen. Dann kriegt er nämlich Geld ohne die Wucherzinsen. Alle bürgen für die Rückzahlung, und das Geld wird nach Bedürftigkeit aufgeteilt.

Ein paar im Haus fanden’s ganz gut, vor allem die, deren Portemonnaie fast genauso leer ist wie das vom Giuseppe. Die Angela hat gleich wieder Zustände gekriegt, weil sie Extrakohle von der Bank natürlich nicht braucht, und ihre schönen Vorzugskonditionen wären bei einem Deal fürs ganze Haus ja auch nicht drin. Aber vor allem hat sie Bammel, dass der Giuseppe es wieder versemmelt und sie dann für ihn die Schulden blechen muss. Dass er sich erst mal den neuesten Riesenfernseher in die Wohnung stellt, anstatt endlich wieder auf die Füße zu kommen. Und dass hinterher auch alle anderen angedackelt kommen, weil sie sehen, dass die Masche funktioniert hat und die Angela mit ihren Dukaten für die anderen die Kohlen aus dem Feuer holt. Geht gar nicht, sagt sie. Finden ihre Freunde im Haus auch. Die mit den dicken Portemonnaies.

Der Giuseppe und seine Verbündeten unter den Mietern sind mit ihrem Vorschlag schon öfter abgeblitzt. Haben sich jedes Mal ein schickes neues Wort dafür ausgedacht, "gemeinsame Schuldscheine" war wohl zu profan. "Bonds" haben sie es genannt, und davor packen sie dann gern noch ein anderes wohlklingendes Wort. Zusammen mit der Spanierin im Erdgeschoss und der griechischen Familie und noch ein paar anderen haben sie bis vor Kurzem noch "Eurobonds!" gerufen, weil wir da ja alle herkommen, aus Europa. Jetzt rufen sie plötzlich "Corona-Bonds!", weil wir da ja alle drinsitzen, in diesem Virus-Schlamassel.

Wissen Sie, ich war ja auch lang dagegen, und ich verstehe schon, was die Angela umtreibt. Aber die anderen sehen um die Augen herum inzwischen echt müde und abgekämpft aus. Die tiefen Sorgenfalten hat der Giuseppe früher nicht gehabt. Das elende Virus. Ich finde, diesmal könnten wir doch wenigstens ein bisschen helfen, alle zusammen, auch die Angela. Oder wie würden Sie entscheiden?


WAS LESEN?

Apropos Angela: In einem knapp zwei Stunden langen Telefonat hat sich die Kanzlerin gestern Nachmittag mit den Ministerpräsidenten darauf geeinigt, die Ausgangsbeschränkungen mindestens bis zum 19. April aufrechtzuerhalten. Der saarländische Regierungschef Tobias Hans hält es allerdings für möglich, dass wir noch länger zu Hause bleiben müssen. Warum, erklärt er im Interview mit unserem Reporter Tim Kummert.


Mit viel Geld versucht die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft in eine Art Corona-Koma zu versetzen. Doch wie geht es weiter, wenn die Unternehmen am Tag X wieder aufwachen sollen? Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, hat eine klare Meinung: Im Interview mit meinem Kollegen Florian Schmidt fordert er ein milliardenschweres Konjunkturprogramm.


Oder sollten sich lieber Vermögende viel stärker an den Kosten der Krise beteiligen? SPD-Chefin Saskia Esken findet: ja. Meine Kollegen Rebekka Wiese und Florian Schmidt nehmen den Ball auf und formulieren ein Pro und ein Kontra.


In den USA verschlimmert sich die Corona-Krise rapide. Gestern Abend wurden schon mehr als 200.000 Infizierte gemeldet, das Weiße Haus rechnet mit bis zu 240.000 Toten. Im Interview mit unserem Amerika-Korrespondenten Fabian Reinbold erklärt der Mediziner Jon Willen, in welchen Regionen die Lage eskalieren wird – und warum Donald Trumps Verlautbarungen so großen Schaden anrichteten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Frische Luft hat noch keinem geschadet.

Ich wünsche Ihnen einen erfrischenden Tag. Und ja, ich werde natürlich weiter für Sie schreiben. Der 1. April ist ja nun vorüber. Apropos: Wenn Sie den Tagesanbruch weiterempfehlen möchten, können Sie diesen Link verwenden.

Herzliche Grüße
Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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