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Tagesanbruch: Iran-Konflikt der USA – die Kriegserklärung


Meinung
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Was heute wichtig ist
Die Kriegserklärung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.01.2020Lesedauer: 8 Min.
We vow revenge - Wir schwören Rache. Kundgebung der Iran-treuen Hisbollah im Libanon zu Ehren des getöteten Generals Soleimani.Vergrößern des Bildes
We vow revenge - Wir schwören Rache. Kundgebung der Iran-treuen Hisbollah im Libanon zu Ehren des getöteten Generals Soleimani. (Quelle: Marwan Naamani dpa/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen! Hier ist er wieder, der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Spanne zwischen Weihnachten und Silvester und die ersten Tage eines neuen Jahres gelten gemeinhin als Zeit der Ruhe. Politik und Wirtschaft machen Pause, Familien genießen gemeinsame Stunden, erholen sich zu Hause, im Schnee oder in der Sonne. Unterm Weihnachtsbaum, im Freundeskreis oder bei ausgedehnten Spaziergängen mögen wir die Muße gefunden haben, die uns sonst so häufig fehlt. Aber friedlich? Nein, friedlich war die Welt beileibe nicht. Ein Überblick:

Die Amerikaner ermorden einen der gefährlichsten Mörder des Nahen Ostens und hoffen, so den wachsenden Einfluss Irans in der Region einzudämmen. Doch einen Plan, wie die Brandherde im Irak, in Syrien, im Libanon, in Palästina und im Jemen zu befrieden wären, haben sie offenkundig nicht. So könnte sich eine Warnung bewahrheiten, die der getötete General Qassim Soleimani vor zwei Jahren an US-Präsident Trump geschickt hatte: “Sie können vielleicht den Krieg beginnen, aber wir werden diejenigen sein, die sein Ende bestimmen.“ Die jüngsten Reaktionen der iranischen Regierung deuten darauf hin, dass sie das amerikanische Attentat genau als das auffasst: als eine Kriegserklärung. Gestern Abend kündigte sie an, das Wiener Atomabkommen ab sofort nicht mehr zu befolgen und stattdessen wieder unbegrenzt Uran anzureichern. Kurz darauf schlugen mehrere Raketen in der hoch gesicherten “Grünen Zone“ in Bagdad ein, wo die US-Botschaft liegt. Dem Nahen Osten stehen – wieder einmal – wilde Monate bevor. Anschläge, Luftschläge, diplomatische Rückschläge: Es ist nicht schwer, sich die weitere Eskalation vorzustellen. Sie könnte die instabilen Staaten weiter schwächen und noch mehr Menschen ins Elend oder zur Flucht gen Europa treiben. Eine schlüssige Strategie, wie sie darauf reagieren sollen, haben die EU-Staaten bisher nicht.

Die Australier kämpfen derweil mit den Buschfeuern, schon eine Fläche von der Größe Belgiens ist verbrannt. So langsam dämmert auch den notorisch optimistischen Aussies, dass die klimafeindliche Politik ihrer Regierung sehr, sehr dunkle Schattenseiten hat.

Annegret Kramp-Karrenbauer will wieder einmal in fremde Länder einmarschieren, diesmal in afrikanische Gefilde. Ja, das ist jetzt überspitzt formuliert, aber nicht sehr. Die Sahelzone braucht sicher vieles: humanitäre Hilfe, Bildungs- und Wirtschaftsförderung, Rechtssicherheit – aber auch mehr deutsche Soldaten? Wieder einmal hat die Verteidigungsministerin ihren Vorstoß nicht mit dem Außenminister abgestimmt. Soll man das noch Alleingang nennen oder schon Blindflug?

Der zwielichtige Automanager Carlos Ghosn flüchtet aus dem japanischen Hausarrest in den Libanon – und wird dort wie ein König empfangen. Nach und nach sickern die Details seiner abenteuerlichen Flucht durch.

Der Brand im Krefelder Affenhaus erschüttert nicht nur Tierfreunde, sondern auch Wissenschaftler – denn die Wildtiere erlauben uns einen tiefen Einblick in unser soziales Wesen, wie die “FAZ“ beschreibt.

Und dann war da noch die absurde Aufregung über die Kinderchor-Posse des Westdeutschen Rundfunks – und die Erkenntnis, dass erstens einem öffentlich-rechtlichen Intendanten das Rückgrat fehlt, Satire zu verteidigen, dass zweitens rechte Stimmungsmacher inzwischen einen beunruhigend großen Einfluss haben, und dass drittens erschreckend wenig Menschen die Gelassenheit besitzen, einen misslungenen, aber harmlosen Scherz als misslungenen, aber harmlosen Scherz wegzulächeln. Das lässt für kommende Debatten nichts Gutes erahnen.

Unterm Strich: Erregte Tage, unruhige Tage. Vielleicht sollten wir den Baum etwas länger als sonst im Wohnzimmer stehen lassen, die Kerzen noch ein paar Mal anzünden und tief durchatmen, bevor das neue Jahr richtig in Fahrt kommt.


Was sind die idealen Voraussetzungen, um möglichst wenig Interesse zu erregen, wenn man halbseidene Geschäfte macht und mit seiner Tätigkeit das Licht des Tages scheut? Ein dröges Geschäftsfeld hilft da beispielsweise enorm. Am besten ist es auch noch kompliziert und unübersichtlich. Hat mit Technik zu tun oder komplexen Rechtsfragen. Und als Sahnehäubchen: Man betätigt sich in einem Bereich, in dem selbst die größten Skandale immer irgendwie gleich erscheinen. Eine zu Tode gelangweilte Öffentlichkeit wird froh sein, sich damit nicht mehr als unbedingt nötig befassen zu müssen.

Tief hinein in diese Kategorie gehört Cambridge Analytica. Die britische Firma hat millionenfach illegal Nutzerdaten von Facebook abgesaugt (das sich darum nicht besonders scherte) und mit diesem Wissensschatz Donald Trumps Wahlkampf und auch die Brexit-Kampagne beflügelt. Schlimm, ja, aber schon beim Wörtchen "Nutzerdaten" überkommt uns eine leichte Müdigkeit. Schnell noch "Datenschutzverletzung" hinterher, und unsere Atemzüge werden tief und gleichmäßig.

Doch jetzt sind neue Unterlagen aufgetaucht, die den Umtrieben der Firma eine völlig neue Dimension geben. Die USA und Großbritannien? Waren nur die Spitze des Eisbergs. Von Operationen zur Manipulation der öffentlichen Meinung rund um den Globus ist die Rede, in Brasilien zum Beispiel, wo jetzt der rechtsradikale Bolsonaro regiert und Brände im Regenwald ganz gut findet. Oder in Kenia. Oder in Malaysia. Oder, oder, oder. 68 Staaten umfasst die Liste. Ein Drittel der Welt.

Cambridge Analytica selbst ist nur ein Symptom. Die Firma ist dem Skandal schon längst zum Opfer gefallen und musste ihre Türen schließen. Doch Facebooks Datenberge, derer sie sich bediente, wachsen unvermindert. Die Röntgenaugen des Zuckerberg-Konzerns und auch die seines Konkurrenten Google reichen bis in die letzten Winkel der Privatsphäre. Die genaue Kenntnis des Netzwerks der Freunde und Kollegen, des typischen Tagesablaufs und Aufenthaltsorts sowie jeder im Internet gestellten Suchanfrage erlaubt es, so man es denn will, jeden einzelnen von uns politisch zu manipulieren. In den falschen Händen lassen sich damit ganze Demokratien zersetzen. Es ist unser Glück, dass das Kerngeschäft der großen Datenkraken nur die Werbung ist, nicht die Politik – bisher.

Cambridge Analytica hat das Betätigungsfeld aber schon mal ausgelotet. Deshalb wissen wir inzwischen, was uns blüht: Der zahlenden Kundschaft sollte der Weg eröffnet werden, sich an die Macht zu manipulieren. Anstatt die freie Willensbildung informierter Wähler mit Überzeugungsarbeit zu beeinflussen oder mit eindeutig erkennbarer Werbung, sollte der geneigte Politiker die präzise Irreführung des Stimmviehs als Service buchen können. Cambridge Analytica hat dieses Feld nicht allein bestellt. Russische Bots und populistische Desinformationskampagnen ziehen am selben Strang. Wir erleben frühe Schritte auf diesem Weg, nicht immer zielführend, manches klappt noch nicht so recht, ist ineffektiv, fliegt auf. Das ist zu Anfang immer so. Aber Übung macht den Meister. Cambridge Analytica wurde geschlossen, aber das Team und seine Hintermänner sind mit neuem Firmenschild längst wieder da. Sie werden darauf hoffen, dass wir das ganze Datenthema auch weiterhin gähnend langweilig finden. Nichts wäre gefährlicher.


WAS STEHT AN?

Die Grünen treffen sich in einem Hipster-Hotel nahe der Hamburger Reeperbahn, die CSU zieht es ins Chiemgau-Kloster Seeon, die FDP nimmt das Stuttgarter Opernhaus in Beschlag. Bei den einen heißt es Jahresauftakt-Klausur, bei den anderen Winterklausur, bei den dritten Dreikönigstreffen – aber überall geht es um dasselbe: Die Parteichefs schwören ihre treuesten Gefährten auf die kommenden politischen Auseinandersetzungen ein, setzen Impulse und Leitplanken. Zugleich müssen die Vorsitzenden auf der Bühne, im Stuhlkreis und abends an der Bar beweisen, dass sie zu Recht die Chefs ihrer Truppen sind. Annalena Baerbock, Robert Habeck und Markus Söder dürfte das eher leicht, Christian Lindner etwas schwerer fallen.

Denn bisher kann die FDP von der Schwäche der CDU und der SPD nicht profitieren, daher mehren sich die kritischen Stimmen in den Reihen hinter Lindner. Der Ober-Liberale muss versuchen, neue Wählergruppen zu gewinnen. Viele Wirtschaftsbosse haben sich von ihm abgewandt, nachdem er vor zwei Jahren die schwarz-grün-gelben Sondierungsgespräche platzen ließ, deshalb setzt Lindner nun ein paar Gehaltsstufen weiter unten an und nimmt Facharbeiter in den Fokus: jene gut qualifizierten und tüchtigen Arbeitnehmer, die nicht nur viele Steuern, sondern nun auch noch eine CO2-Abgabe berappen müssen. Von der nach links rückenden SPD fühlten sich viele dieser Leute nicht mehr vertreten, meint Lindner, und wittert neue FDP-Anhänger in den Belegschaften von Dax-Konzernen und dem Mittelstand. Der Gedanke ist schlau – aber ist er auch klug? Noch größer als der Wunsch nach profilstarken Parteien scheint doch bei vielen Bürgern die Sehnsucht nach authentischen Politikern zu sein, deren Argumente nicht taktischer Berechnung geschuldet sind – sondern echter Überzeugung.


Die Tötung des iranischen Generals durch die USA versetzt den Nahen Osten in Aufruhr – auch deshalb, weil die Hardliner unter den Mullahs sie nach allen Regeln der propagandistischen Kunst ausschlachten. Heute Morgen wird die Leiche in der Universität Teheran zur Schau gestellt, anschließend durch die Straßen getragen und schließlich in ein Mausoleum in der schiitischen Pilgerstadt Ghom überführt. Wir werden viele Trauernde sehen, brennende USA-Fahnen und Rache schwörende Milizionäre. Was in ihrem Geschrei vermutlich untergehen wird: Dass viele regimekritische Iraker und Iraner ebenfalls zutiefst bestürzt sind. Denn der neu entflammte Rache-Patriotismus übertönt ihre Rufe nach Reformen – und schwächt so die Kritiker der Hardliner. Ob Herr Trump das bedacht hat, als er den Tötungsbefehl gab?


In New York beginnt heute der Strafprozess gegen den ehemaligen Filmmogul Harvey Weinstein. Mehr als 80 Frauen haben dem 67-Jährigen sexuelle Gewalt vorgeworfen, darunter namhafte Schauspielerinnen. Bei der Anklage geht es allerdings nur um zwei Fälle aus den Jahren 2006 und 2013.


Falls Sie dachten: Rowan Atkinson, das ist doch dieser alberne englische Komiker, dessen alberne Scherze als alberner Mr. Bean echt total albern sind, darf ich Sie eines Besseren belehren. Es gab einmal eine Zeit, da war Herr Atkinson richtig lustig. Also gönnen wir uns, nachdem wir ihm hiermit zu seinem 65. Geburtstag gratuliert haben, ein paar Minuten in einem ganz normalen englischen Schwimmbad: Oh, da kommt er schon!


WAS LESEN?

Schmelzendes Eis an Nord- und Südpol, Wirbelstürme in der Karibik, Buschfeuer in Australien, Dürren und seltsam milde Winter in Europa: Die Klimakrise macht auch deshalb so vielen Menschen Angst, weil sie scheinbar keinen Ausweg lässt. Umso wichtiger sind Artikel wie dieser: Meine Kollegen Sophie Loelke und Tim Blumenstein stellen zehn Ideen vor, die vielleicht die Welt retten könnten.


Martin Sonneborn gilt vielen als Satiriker – aber er ist längst viel mehr als das. Wachrüttler, Unangenehme-Wahrheiten-Aussprecher, Finger-in-die-Wunden-Leger: Der ehemalige "Titanic“-Chef und heutige Europaparlamentarier kann präzise erklären, was in der Politik schief läuft. Falls Sie also das Interview meiner Kollegen Patrick Diekmann und Daniel Schreckenberg mit Herrn Sonneborn noch nicht gelesen haben, sollten Sie das nachholen.


Richard Gutjahr zählt zu den profiliertesten Digitaljournalisten. Weil er sich zweimal zufällig am Ort eines Anschlags aufhielt – in Nizza und in München – wird er von Verschwörungstheoretikern und Neonazis verleumdet und bedroht. Schlimmer wird das Ganze noch dadurch, dass Gutjahrs bisheriger Arbeitgeber, der Bayerische Rundfunk, es nicht für nötig erachtete, seinen Mitarbeiter zu unterstützen. Jetzt hat Gutjahr mit dem BR und dessen Intendanten Ulrich Wilhelm abgerechnet.

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