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Debatte um "Oma ist 'ne Umweltsau"-Lied: Herr Buhrow, wir müssen reden!


Meinung
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"Umweltsau"
Herr Buhrow, wir müssen reden!

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 02.01.2020Lesedauer: 6 Min.
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Quelle: Montage:t-online.de/imago-images-bilder

Selbst 2020 müssen wir frustriert feststellen, dass Medienprofis immer noch nicht verstehen, wie die (a)sozialen Medien ticken. Ein umgedichtetes Kinderlied legt offen, wie der WDR und sein Intendant im zentralen Zukunftsfeld ihrer Branche scheitern.

Die (a)sozialen Medien tun uns nicht gut. Insbesondere nicht dem WDR sowie dessen Mitarbeitern und Intendanten Tom Buhrow, aber auch nicht Politikern wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Liebe Leute, wir müssen miteinander reden! Bis heute verstehen nicht einmal die vermeintlichen Profis die Funktionsweisen und Auswirkungen (a)sozialer Medien.

Selbst der "Twittergott der CDU" (taz) Ruprecht Polenz greift daneben, wenn er erst den WDR fleißig mitkritisiert und dann, wenn Rechtsradikale vor einem öffentlich-rechtlichen Sender aufmarschieren, die Familie eines freien Journalisten bedrängen und der Mob einen Kinderchorleiter mit dem Tod bedroht, am Ende kleinlaut erkennt, wessen Wasser er da eigentlich getragen hat.

Man steht da und staunt, wie unsouverän, unprofessionell und inkompetent ausgerechnet Medienprofis die Causa "Umweltsau" verbockt haben. Tom Buhrow bereitet mit seiner haarsträubenden Überreaktion den Gegnern von freier Presse, GEZ-Hassern, rechten Hetzern, Rechtspopulisten und Neonazis verlängerte Festtage, indem er sich vor ihnen in den Staub wirft und geradezu servil um Entschuldigung ohne Wenn und Aber bittet. Und das wegen eines Kinderlieds. Konnte er wirklich glauben, dass der WDR damit besser dasteht? Solche öffentlichen Manöver bringen nichts, außer einer Stärkung der Empörungswellen und ihrer medialen Reichweite.

Rechte Aktivisten treiben den Sender vor sich her

Mit seinem Vorgehen gestattete und förderte Buhrow zudem, dass sein milliardenschwerer Sender von rechten Aktivisten vor sich hergetrieben wird. Sein Handeln strahlte auf sein Haus aus. Gleich mehrfach haben sich seine Redaktionen öffentlich von einem freien Mitarbeiter distanziert, der zwar die (a)sozialen Medien auch nicht verstanden hat und für seine Person völlig deplatzierte Sarkasmus-Tweets abgesetzt hatte, der aber dennoch ein einzelner schutzwürdiger Kollege ist. Am Tag darauf im Angesicht des Hasses auf den Kollegen geben die Redaktionen noch mal eine öffentliche Erklärung ab, wonach man sich selbstverständlich nicht von dem "Mitarbeiter als Mensch" distanziert habe und der explizite Hinweis auf seine bloß "freiberufliche" Beschäftigung natürlich nur so zu verstehen sei, dass er redaktionell keine Verantwortung trage. So etwas nennt man gemeinhin einen PR-GAU.

Beschimpfungen, Drohungen, veröffentlichte Privatadressen und Telefonnummern – die Causa Umweltsau besteht aus den seit langem bekannten klassischen Elementen eines rechten Shitstorms: Nichts. Daran. Ist. Neu. Nichts ungewöhnlich. Nichts unerwartet. Mag das gemeine Volk diese Mechanismen noch nicht kennen, ein Medienunternehmen und sein Chef müssen es inzwischen allemal. Jeder Medienkonsument in Deutschland darf sogar erwarten, dass ein Gigant wie der WDR so etwas antizipiert und über genau solche Mechanismen aufzuklären und beispielhaft damit umzugehen vermag. Doch Tom Buhrow vermag das offenkundig nicht. Er ist in dem zentralen Zukunftsfeld seines Hauses gescheitert und hat einen Offenbarungseid geleistet. Er ist mit dem Internet, den neuen Medien und der Bedrohung von rechts offenkundig überfordert und strahlt das auf seine Mitarbeiter aus. Dass auch er erst in einer zweiten Reaktion das Erschrecken über die Bedrohungen seiner Mitarbeiter kundtut, bestätigt nur diese Überforderung.

WDR-Chef hat keine Erfahrung mit Shitstorms

Buhrow ist in den (a)sozialen Medien nicht unterwegs, jedenfalls nicht wahrnehmbar. Das hat er mit vielen anderen Chefinnen und Chefs gemein. Buhrow hat nie selbst Erfahrungen mit digitalen Medien, Shitstorms gemacht, soll aber sein Haus weiter in die Digitale Welt führen – und das ab heute sogar in der Funktion des neuen ARD-Vorsitzenden. Kann das gutgehen? Man muss kein Digital-Native sein, aber vielleicht wäre es dennoch langsam an der Zeit für Generationenwechsel an den Spitzen großer Medienhäuser…

…und in unteren Leitungsebenen. Denn auch den Urhebern des Umweltsau-Lieds sollte man ein paar kritische Fragen stellen. Eine versierte Redaktion und eine Chorleitung, die Eltern und Kindern das Projekt eigenen Angaben zufolge zuvor erläutert haben, sind nicht in der Lage, ihr Tun zu überschauen. Wie können sie so naiv sein und die Sprengkraft einer solchen Darbietung nicht erkennen? Einer Darbietung, in der Kinder zur Melodie von "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" umgedichtete Textzeilen singen wie: "Meine Oma ist ne alte Umweltsau! Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor. Sie überfährt dabei zwei Opis mit Rollator?" Einer Darbietung, die gleich fünf Triggerpunkte enthält: deutsches Kulturgut, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Kinder, Klima, Verfremden. Wie können Redakteurinnen und Redakteure nicht sensibilisiert sein, wo doch nicht einmal eine Woche zuvor die Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" mit einem satirischen Tweet über die Großeltern für Empörung gesorgt hatte? Und wenn ihnen doch alles bewusst war, warum endet die Nummer dann in einem GAU?

Keine Frage, diese "Umweltsau"-Satire ist schlecht, geschmacklos und daneben, die Reaktionen darauf sind jedoch noch viel schlimmer. Sogar das Video von dem Lied wurde sofort vom WDR gelöscht – als gäbe es darin Straftaten. Dabei wurde nicht einmal eine Gruppe pauschal verunglimpft oder diskriminiert. Eine Oma, die im Hühnerstall Motorrad fährt, steht weder stellvertretend für die gesamte ältere Generation, noch kann sich die gesamte Gesellschaft durch sie angesprochen fühlen; das gilt im Übrigen für die "Tante aus Marokko" ebenso. Im Original ist eine rein fiktive Oma auf dem Zweirad unterwegs, während die "Umweltsau" allenfalls Assoziationen an die eigenen Omas weckt – was diese Variante eben schlecht macht. Satire arbeitet sich an den Mächtigen dieser Welt ab, nicht an Omas.

Löschen stellt Kinder an den Pranger

Aber warum muss man eine misslungene Satire gleich löschen? Es gibt so viel Schund, der nicht depubliziert wird. Und hat beim Löschen eigentlich mal irgendjemand an die Kinder vom Kinderchor gedacht? Mit dieser Löschung werde den Kindern praktisch gesagt: "Ihr habt etwas falsch gemacht", sagte der Sprecher des Deutschen Kinderhilfswerks, Uwe Kamp, zu "Watson".

Mit ihren Reaktionen haben Buhrow und auch Armin Laschet mitzuverantworten, dass sich Rechtsradikale vor dem WDR aufgebaut haben und die Grenze damit weiter verschoben wurde: In Zukunft ist nun damit zu rechnen, dass Shitstorms nicht mehr hinter dem Display enden, sondern vor der Haustür. Ebenso wie Tom Buhrow hätte Laschet die rechte Empörungskampagne in den (a)sozialen Medien erkennen und wissen müssen, dass er ihr Legitimität und Reichweite verschafft, wenn er in die Kritik einstimmt ("Der WDR hat … Grenzen des Stils und des Respekts gegenüber Älteren überschritten."). Wer sich mit den politischen Weihen des Ministerpräsidenten so einlässt, lässt zudem die rechte Filterblase platzen und sorgt dafür, dass sich deren Inhalt über andere ergießt. Die Meinung eines Amtsträgers erregt nun mal breiteres Interesse. Laschet ist kein Neuling. Nicht in der Politik und nicht im Netz. Und doch steht er dank der (a)sozialen Medien nun belämmert da. Wie gesagt: Sie tun uns nicht gut. Ruprecht Polenz hat am Ende immerhin verstanden und offen eingeräumt, in Kenntnis der weiteren Entwicklung hätte er die Satire nicht kritisiert.

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Was bleibt am Ende als Lehre: Durch einen Shitstorm muss man hindurch. Die wichtigste Eigenschaft dabei ist: Ruhe bewahren. Ein Unwetter zieht vorüber. Jede Reaktion kann es verlängern und das sollte daher wohl überlegt sein. Niemand würde sein Haus abreißen aus Angst, das Unwetter könnte es womöglich zerstören.

Eine Stellungnahme des WDR nach dem Motto "Verunglückte Satire" hätte es getan. Ein Ministerpräsident muss sich nicht zum umgedichteten Kinderlied eines Medienhauses äußeren – schon gar nicht zu einem so frühen Zeitpunkt. Haben wir nichts Besseres oder Wichtigeres zu tun?

Doch die Verantwortlichen werden nervös, weil sie bis heute nicht in der Lage sind, ein paar tausend Kommentare einzuordnen. In einem Land von 81 Millionen Menschen sind selbst Zehntausende Kommentare erstens nur ein Bruchteil. Zweitens kommen viele davon von ein und derselben Person, die gleichzeitig auf mehreren Plattformen aktiv ist. Viele Kommentare sind gesteuert, lanciert von bekannten Multiplikatoren oder Influencern. Manche kommen aus Trollfabriken. Sie werden aufgegriffen von einschlägig bekannten Politikerinnen und Medienvertretern, die das Netz ebenso wenig verstehen oder Interesse an der Richtung des Shitstorms haben oder sich zwischen den Jahren noch mal schnell ins Gespräch bringen und dabei Schönwetter bei AfD-Wählern machen wollen, obwohl diese spätestens morgen doch wieder "Altparteien" verteufeln und "Lügenpresse" brüllen, weil sie eben nur ein Ziel haben: Alles muss vollständig in ihrem Sinn ablaufen.

Steht endlich über solchen Dingen. Fangt endlich an, das Netz zu verstehen. Oder lasst die ans Ruder, die es verstehen. Es nervt.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e. V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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