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Brexit-Wahl in Großbritannien – Die Ersten werden die Letzten sein


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Die Ersten werden die Letzten sein

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 12.12.2019Lesedauer: 6 Min.
Boris Johnson setzt im Wahlkampf nur auf ein Thema - Brexit! Brexit! Brexit!Vergrößern des Bildes
Boris Johnson setzt im Wahlkampf nur auf ein Thema - Brexit! Brexit! Brexit! (Quelle: Ben Stansall/ap)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Hast du dir die Zähne geputzt? Die Haare gekämmt? Nein, nicht mit der Schuhbürste! Wieso magst du die Marmelade jetzt plötzlich nicht mehr, die isst du doch jeden Morgen! Doch, irgendwas musst du essen, sonst bekommst du gleich in der ersten Schulstunde Hunger. Dann lass uns mal… wie, du hast deine Hausaufgaben nicht gemacht? Wir haben doch gestern…! Doch!! Ich hab dich doch dreimal gefragt, was du… Vorsicht!!! Pass doch auf, oh Mann, der ganze Fußboden voller Milch! Jetzt klingelt auch noch das Handy, was will denn der Chef so früh, und in zehn Minuten fährt die Bahn, wo ist dein Schulranzen, warum ist deine Mütze plötzlich weg, womit habe ich das alles verdient?

Ja, die lieben Kleinen. Sie sind meist zuckersüß, oft aber auch ziemlich anstrengend. Ausbaden müssen das: die Mütter und Väter. Fast 40 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern fühlen sich sehr häufig oder häufig gestresst, hat soeben eine Forsa-Umfrage ergeben. Stress-Auslöser ist neben Konflikten in den Familien vor allem die Arbeitsbelastung im Haushalt. Außerdem leiden viele Eltern unter dem Druck, ständig erreichbar sein zu müssen (oder zu wollen). Die Folgen sind gravierend: Verzweiflung, Erschöpfung, Burn-out. Und wenn sie dann in einer raren ruhigen Minute in die Zeitung gucken und einen weltfremden Kommentar zum Thema lesen, wie beispielsweise diesen hier in der “Süddeutschen Zeitung“, dann fühlen sich viele nicht nur gestresst, sondern auch noch veralbert.

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Ich übertreibe wohl nicht, wenn ich feststelle: Es gibt kaum eine Bevölkerungsgruppe, die so hohem Druck ausgesetzt ist wie berufstätige Eltern – Alleinerziehende erst recht, aber auch Paare. Sie sorgen mit ihrem Nachwuchs dafür, dass Deutschland eine Zukunft hat, sie erziehen die Kleinen, bringen ihnen Werte, Benehmen und Wissen bei, sie dirigieren die alltägliche Kakophonie – Hausaufgaben, Geburtstage, Sportverein, Musikunterricht, Elternabende, Krankheiten, Arztbesuche, Zipperlein, Liebeskummer, Pubertäts-Gehabe, und, und, und – und müssen zugleich auch noch im Job “performen“, wie es ebenso neudeutsch wie erbarmungslos heißt: Geld reinholen, Steuern blechen, irgendwie versuchen, nebenher fürs Alter vorzusorgen, und dann sind da vielleicht auch noch pflegebedürftige Angehörige. Schier übermenschliche Anforderungen. Kein Wunder, wenn da mancher dem Burn-out näher ist als der Glückseligkeit.

Was tut die Politik für Eltern? Ja, es gibt das Kindergeld und Kinderfreibeträge bei der Steuer. Ja, Ministerin Franziska Giffey von der SPD hat mehr Geld für Kitas und Familien organisiert. Dennoch: Im Verhältnis zur Leistung der Eltern und ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft gleichen all diese Maßnahmen dem Tropfen auf den heißen Stein. Deutschland ist ein familienunfreundliches Land, und es ist kein Wunder, dass immer mehr junge Menschen sich gegen das Kinderkriegen entscheiden. Eltern haben in Deutschland keine Lobby. Sie stehen ganz hinten in der Schlange. Auch deshalb, weil sie meist gar keine Zeit haben, für ihre Interessen zu lobbyieren. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch riskant. Wer, wenn nicht Familien mit mindestens zwei Kindern soll denn den Fortbestand dieses schönen Landes sichern? Nur Einwanderer? Das kann doch auch nicht die Lösung sein.

Es ist niemandem vorzuwerfen, wenn er keine Kinder haben möchte oder haben kann. Aber ein bisschen mehr Empathie, Solidarität und politische Unterstützung haben Eltern hierzulande schon verdient. Dabei fehlt es vielen Müttern und Vätern gar nicht nur an Geld, sondern vor allem an Zeit. Zwischen Job und Familie hetzen sie hin und her, strapazieren ihre Gesundheit, vernachlässigen ihr Sozialleben, fallen abends todmüde ins Bett – und mögen sich gelegentlich fragen: Warum lässt mich mein Staat im Stich?

Deshalb zum Abschluss dieses Lamentos ein kleiner, aber konstruktiver Gedanke: Wie wäre es denn, wenn jede Mutter und jeder Vater pro Kind zwei zusätzliche gesetzliche Urlaubstage bekäme? Das wäre doch mal was. Auch im Sinne der Unternehmen. Viele Firmen suchen händeringend Auszubildende und Nachwuchskräfte. Sie haben ein großes Interesse daran, dass Deutschland nicht vergreist. Was liegt also näher, als mehr für Familien zu tun? Eben. So, und nun schnell die Milch aufwischen und dann zur Bahn rennen.


WAS STEHT AN?

Die Ersten werden die Letzten sein. Das kann jedem blühen, der immer sofort dabei sein will, wenn etwas neu und schick ist. Zum Beispiel den Vorreitern bei der Zeitenwende auf den Straßen, die jetzt schon mit einem E-Auto unterwegs sind. Vorbildlich eigentlich, aber trotzdem werden zögerliche Zeitgenossen über die heutigen Karren nur milde lächeln, wenn auch sie irgendwann auf verbesserte, weiterentwickelte E-Autos umsteigen – während die Kisten der frühen Pioniere immer noch alle naslang an die Steckdose müssen. Ähnlich sieht’s beim Smart Home aus, dem vernetzten Zuhause: ein Trend, der die Nachzügler mit zuverlässiger Technik belohnt (bestimmt, irgendwann), während die Early Adopter auf überholten Geräten sitzen und mal wieder ihre Lichtschalter rebooten müssen.

Und so ist es auch bei der "Technologie" der Demokratie. Die Briten zum Beispiel waren bei dieser zivilisatorischen Errungenschaft vor Jahrhunderten ganz vorne mit dabei. Ihre weitreichende Mitbestimmung, zum Verdruss des Königs, war mal Weltklasse, ein Vorbild für Nationen rund um den Globus. Eben diese Vorreiterrolle hat ihnen aber auch ein paar Macken im System beschert, wie sie für erste Serienmodelle typisch sind.

"First past the post", der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt seinen Wahlkreis: So heißt das Prinzip, das ganz oben in der demokratischen Mängelliste steht und dringend mal ein Update bräuchte. Warum? Darum: Treten bei einer Wahl zum Beispiel fünf Bewerber an, von denen einer nur einen hauchdünnen Vorsprung vor den anderen vieren hat, kann für den Spitzenreiter schon wenig mehr als ein Fünftel der Stimmen zum Sieg im Wahlkreis reichen. Und die übrigen Stimmen? Landen im Mülleimer der Geschichte.

Es ist ein System, das die großen Parteien geradezu schamlos bevorzugt. Eines, das einer Partei die Mehrheit im Parlament verschaffen kann, obwohl sie nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde. Das altehrwürdige britische Verfahren wirkt einer Zersplitterung in viele kleine politische Parteien entgegen. Das mag man gut finden. Aber um das Meinungsbild der Bevölkerung angemessen im Parlament abzubilden, dazu taugt es nicht. Die sehr viel jüngere Demokratie bei uns in Deutschland muss sich mit diesem historisch gewachsenen Ballast nicht herumschlagen. Wir haben ein modernes Wahlsystem, bei dem die Kreuzchen der Wählenden recht exakt die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen. Darauf dürfen wir stolz sein.

Der Boris bei den Briten allerdings ist froh, dass die erbsenzählerisch genaue Repräsentation schön weit weg bei den Germans bleibt. Denn heute wird auf den Inseln gewählt, und es ist nicht irgendeine Abstimmung, sondern eine Schicksalswahl, die zugleich über den Brexit entscheiden dürfte, wie mein Kollege Stefan Rook aus London berichtet. Der Premier Johnson liegt in den Umfragen zwar vorn – aber für eine Mehrheit in der Bevölkerung reicht es wohl nicht. Da hilft ihm die Tradition: Die kleineren Parteien stutzt das Wahlrecht zurecht. Bei Wahlen nach dem deutschen System müsste er sich dagegen – wie es im Moment aussieht – einer Koalition seiner Gegner knapp geschlagen geben. Da würden ihm die Haare zu Berge stehen. Na okay, das tun sie ohnehin.


Die Briten ringen um den Brexit, die restlichen Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich in Brüssel. Sie disputieren über Klimaschutz und Geld: Wie sollen die Haushalte für die Jahre 2021 bis 2027 gestaltet sein, kann Ursula von der Leyen auf ihrem ersten Gipfel als EU-Kommissionschefin Pflöcke einschlagen? Sie will schnellen Klimaschutz, schnelle Digitalisierung, aber harte Kante gegen die amerikanischen Datenkraken Google, Facebook und Co. Sie will eine stabile Partnerschaft mit Afrika, um Armut, Terrorismus und Migration einzudämmen. Die Frau hat einen Plan. Bleibt die Frage, wie viel sie umsetzen kann.

Im Rahmen der Agenda 2010 hatte die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 den Meisterzwang für 53 Handwerke aufgehoben. Eine schlechte Entscheidung, in vielen Gewerken sank die Qualität. Heute will die schwarz-rote Koalition den Fehler korrigieren: Der Bundestag soll die Rückkehr zur Meisterpflicht in zwölf Berufen beschließen.

Ebenfalls im Bundestag trifft sich der Untersuchungsausschuss zum Pkw-Maut-Fiasko. Wer Fiaskominister Andreas Scheuer in diesen Tagen auf politischen Terminen erlebt, erlebt einen sehr einsamen Mann.


WAS LESEN?

Der Angriff auf einen Feuerwehrmann hat Augsburg erschüttert. Der Mann wurde an einem "gefährlichen Ort" erschlagen – so bezeichnet die Polizei den Tatort offiziell. Wo in Deutschland liegen weitere gefährliche Orte? Unser Kriminalreporter Dietmar Seher erklärt es Ihnen.


Was steckt nun drin in Ursula von der Leyens “Green Deal“ zum Schutz des Klimas und der Umwelt in Europa? Hier ist der Überblick.
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WAS AMÜSIERT MICH?

Sie sind mit dem Auto unterwegs, das Navi meldet sich. "Folgen Sie dem Verlauf der Straße. Biegen Sie nicht ab. Beachten Sie den Felsüberhang. Vorsicht, Mauerlücke! Biegen Sie nicht ab. Nie. Ignorieren Sie das Tempolimit. Hauptsache, Sie sind durch, bevor Ihnen ein Auto entgegenkommt. Ich habe Angst. Sind wir bald da?" So wird sich das anhören, wenn erst einmal künstliche Intelligenz ins Navi eingezogen ist. Die Straße dazu? Sieht so aus.

Ich wünsche Ihnen einen beherzten Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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