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Tagesanbruch: Gier, Selbstherrlichkeit und Ausbeutung im Schlecker-Imperium


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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.04.2019Lesedauer: 7 Min.
Chinesische Hochgeschwindigkeitszüge.Vergrößern des Bildes
Chinesische Hochgeschwindigkeitszüge. (Quelle: Darley Shen/reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die geplatzte Fusion zweier Krisenbanken, Herrn Bidens Versuch, ins Weiße Haus zurückzukehren, die erschreckenden Details der "Mitte-Studie", der Wirbel um einen Bayern-Elfmeter, Putin und Kim: Der Donnerstag bescherte uns viele bemerkenswerte Geschichten. Aber ich lasse sie an dieser Stelle alle links liegen, um mich der Moral von der Geschichte zu widmen. Der einer ganz anderen Geschichte.

Diese Geschichte handelt von kleinen Leuten. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen, lautet ein deutscher Lehrspruch, dessen Hintersinn sich seit Jahrhunderten wieder und wieder bewahrheitet hat. Am 25. April 2019 nicht. Dieser Tag verschafft den kleinen Leuten Genugtuung.

Die kleinen Leute schufteten jahrelang für mickrige Stundenlöhne. Um die 10 Mark waren es einst, später 6,50 Euro. Dafür mussten sie angelieferte Waren auspacken, einräumen und verkaufen, nicht selten auch den Boden wischen, den Tagesgewinn ohne Geleitschutz zur Bank bringen, sich hinter Trennwände stellen, um heimlich Kunden zu observieren, die ja Produkte stehlen könnten – und wenn unangemeldet ein Kontrolleur oder gar Firmengründer Anton Schlecker persönlich in die Filiale platzte und nicht alle Regale perfekt "gespiegelt" – also alle Produkte zentimetergenau an die Kanten gerückt – waren, dann konnten sie aber was erleben. Arbeitnehmerrechte betrachtete man im Hause Schlecker jahrelang als Firlefanz.

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Im Jahr 2012 schlitterte die Drogeriekette in die Insolvenz. Deren Begleitumstände beschäftigten die Gerichte bis jetzt. Nicht, weil sie 25.000 Angestellte um ihren Arbeitsplatz brachte, sondern weil der Firmenpatriarch und seine beiden Kinder systematisch Gesetze gebrochen haben sollen: Auf Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott lauteten die Anklagen. Gestern hat der Bundesgerichtshof final bestätigt: Meike und Lars Schlecker müssen deshalb ins Gefängnis. Das Stuttgarter Landgericht war zuvor zu der Überzeugung gelangt, dass die beiden sich selbst sieben Millionen Euro aus einer Tochterfirma des Konzerns ausgezahlt hatten – nur wenige Tage vor der Insolvenz. Papa hatte ihnen obendrein einen Karibikurlaub spendiert; auch da muss er schon von der bevorstehenden Pleite gewusst haben.

Gier, Selbstherrlichkeit und die Ausbeutung von Mitarbeitern waren im Schlecker-Imperium so selbstverständlich, dass jahrzehntelang kaum jemand auf die Idee kam, sie infrage zu stellen. Am wenigsten die Täter selbst. Weder Anton noch Lars noch Meike Schlecker haben sich jemals für ihre Missetaten entschuldigt. Es gibt noch einen deutschen Lehrspruch: Ihr solltet euch was schämen! Die Schlecker-Geschwister werden nun hinter Gittern ausgiebig Zeit haben, darüber nachzudenken. Das ist ein Verdienst der deutschen Rechtsprechung, vielleicht ein kleiner Trost für die kleinen Leute – und die Moral von der Geschichte.


WAS STEHT AN?

Die Volkswirtschaftslehre lehrt uns mancherlei Kompliziertes, aber ein paar einfache Botschaften bekommen auch die ersten Semester schon beigebracht. Eine davon: Internationaler Handel ist super – für alle Beteiligten. Er fördert den Wohlstand der schwächeren Partner ebenso wie den der Wirtschaftsriesen. Kontrovers ist an dieser Lehrmeinung erst einmal nichts. Aber wenn der Wirtschaftsriese China heißt, zieht man in den Hochburgen des Kapitalismus die Augenbrauen hoch.

"Neue Seidenstraße" lautet einer der Namen für das Großprojekt, mit dem China sich ins Zentrum des internationalen Handels katapultieren will. Der Begriff ist irreführend, denn die historische Seidenstraße war ein schmalspuriger Pfad im Vergleich zu dem, was die Planer in Peking nun rund um den Globus klotzen. Asien, Europa, Afrika, selbst Südamerika umschlingt ihre globale Initiative. Sie versprechen den Ausbau der Infrastruktur, all der Straßen, Häfen, Schienen, auf denen die Güter hin- und herflitzen und der Handel blühen soll. Sie versprechen Investitionen. Am Ende werden Wohlstand und der Warenaustausch zum Wohle aller stehen. Also genau das, was uns auch die Ökonomen im ersten Semester versprochen haben.

In Washington jedoch befürchtet man das Schlimmste, und das braucht uns nicht zu überraschen. Gerade erst hat Herr Trump einen Handelskrieg mit China geführt. Die Amerikaner haben das Reich der Mitte als Hauptgegner ausgemacht, als die einzige Macht in irdischen Gefilden, die die USA von ihrem Sockel stoßen und als globale Nummer eins verdrängen könnte. Vizepräsident Pence greift gar zum Binnenreim und ätzt über die "debt diplomacy", Diplomatie mit der Schuldenfalle. Er meint damit, dass Peking arglose Nationen erst in die Verschuldung treibe und sie dann an sich binde wie überfettete Insekten auf dem Fliegenpapier. Mit diesem Verdacht steht er nicht allein, auch in Europa ist die Skepsis groß. Und spätestens an dieser Stelle fällt irgendwann der Name Hambantota.

Hambantota ist ein Hafen in Sri Lanka und eine Parabel über die Fallstricke des Größenwahns. Der einstmalige Präsident Sri Lankas, ein Mann mit dem wohlklingenden Namen Mahinda Rajapaksa, hatte sich mit dem maritimen Großprojekt ein Denkmal setzen wollen. Gebaut von den Chinesen, bezahlt mit Geld aus Krediten der Chinesen, umgesetzt mit chinesischen Arbeitern im Dienste chinesischer Firmen, die das geliehene chinesische Geld gleich wieder kassierten. So kam Sri Lanka zu einem Hafen, der kommerziell floppte und riesige Verluste aufhäufte. Um dem Leid ein Ende zu machen, überließ das Land die Nutzungsrechte am Hafen schließlich ... genau: den Chinesen. Es ist nicht schwer, hier den Gewinner zu erkennen. Den alleinigen Gewinner, wohlgemerkt.

Seit gestern läuft in Peking nun eine dreitägige Mega-Konferenz, die dem chinesischen Traum von der weltweiten Seidenstraße ein freundlicheres Gesicht geben soll. Denn selbst altgediente Kooperationspartner wie Pakistan und, genau, Sri Lanka äußern sich inzwischen besorgt über die Schattenseiten der erdrückenden Umarmung. Diese Ängste möchte man in Peking abbauen, oder anders gesagt: China will sein strategisches Ziel, ein globales Handelsnetzwerk aufzubauen, nicht dadurch gefährden, dass es die Juniorpartner für den kurzfristigen Gewinn über den Tisch zieht. Viel ist nun von Transparenz die Rede, und es bleibt nicht bei Rhetorik. Neuere Projekte, etwa der Bau einer Eisenbahnlinie durch Laos, werden zu freundlichen Konditionen abgewickelt, die jenen der Weltbank ebenbürtig sind.

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Aber egal, wie zahm Peking sich gibt: Im Handelssystem, das China sich erschafft, kreisen die Planeten nur um eine Sonne. Und die erstrahlt im Osten. Uns Europäern wird unwohl bei dem Gedanken, den Amerikanern sowieso. Doch in Afrika zum Beispiel hat man noch nicht vergessen, wie gerne westliche Konzerne den Kontinent als Rohstofflager geplündert, als Müllhalde für giftigen Elektroschrott missbraucht und allenfalls noch als Absatzmarkt geschätzt haben. China konkurriert nicht mit einem strahlenden Idealbild fairen Handels, es konkurriert mit uns. In den Entwicklungsländern weiß man inzwischen auch, dass Peking nichts verschenkt. Aber am Versprechen, dass vom Welthandel alle profitieren, könnte ja dennoch etwas dran sein. Sagen die Ökonomen. Und sagt der Kommunist Xi Jinping.


Suchte man nach den größten Egos in der Bundespolitik, würde man im Finanzministerium schnell fündig. Olaf Scholz macht selten einen Hehl daraus, dass er sich nicht nur für den klügsten Genossen, sondern eigentlich auch für den besseren Kanzler hält. Wochenlang trieb er die Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank voran, obwohl Aktionäre, Gewerkschaften und Analysten sich längst querstellten. Nun ist der Zusammenschluss gescheitert und der Minister steht blamiert da. Kratzt ihn das? Ziemlich viele andere kratzt es jedenfalls sehr: Mit Kopfschütteln sind die Reaktionen im Regierungsviertel über den ungeschickten Vizekanzler noch vorsichtig umschrieben. Bei den verbliebenen SPD-Wählern kam der Banken-Deal erst recht schlecht an. Schadet er der Partei im Europawahlkampf? Meine Kollegen in unserem Politikressort werden ein Auge darauf haben.


Vor dem AKW Neckarwestheim halten Atomkraftgegner heute eine Mahnwache ab und erinnern an die Katastrophe von Tschernobyl. Heute vor 33 Jahren explodierte das dortige AKW, die Umgebung wurde großflächig kontaminiert. Ich habe die Geisterstädte in der "Todeszone" vor einigen Jahren besucht und eine Reportage darüber geschrieben. Seither weiß ich: Man kann die Gefahren der Kernkraft gar nicht oft genug anmahnen.


Sie fallen sofort auf, wenn man den Raum betritt: Zwei große Bilder, die ein ansonsten nüchternes, bescheidenes Büro schmücken. Eines zeigt Schalke-Ikone Rudi Assauer, das andere den früheren S04-Spieler und langjährigen Bundesliga-Manager Rolf Rüssmann. Dazwischen sitzt leibhaftig Jochen Schneider. Meine Kollegen David Digili und Robert Hiersemann haben den neuen Schalker Sportvorstand besucht, um mit ihm über sein erstes Revierderby in Dortmund und die Krise der Königsblauen zu sprechen. Wie will er den Klub aus dem Keller hieven? Sein Rezept verrät er hier.


WAS LESEN UND ANSEHEN?

Terror zerstört nicht nur Menschenleben. Er untergräbt auch die Differenzierung in gesellschaftlichen Debatten. Wir sollten die Gewalttaten von Islamisten nicht mit der islamischen Religion gleichsetzen. Umgekehrt sollte man aber auch nicht behaupten, Terror im Namen Allahs wie in Sri Lanka habe nichts mit dem Islam zu tun. Hat er natürlich, erklärt unsere Kolumnistin Lamya Kaddor: in dem Sinne, dass Radikale die Religion missbrauchen. Deshalb fordert sie Muslime auf, sich endlich gegen die Gewalt zu erheben.


Und, hat Joe Biden nun realistische Chancen, Donald Trump bei der nächsten US-Präsidentschaftswahl zu besiegen? Er ist schon jetzt der Favorit unter den demokratischen Bewerbern, schreibt unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold in seiner Analyse. Wären da nicht diese Probleme …


Die Flughafenbaustelle BER, die künstlichen Inseln vor Dubai, die Regenwaldrodung in Brasilien: Das Antlitz unseres Planeten verändert sich an vielen Orten grundlegend. Das kann man wissen – und jetzt kann man es auch sehen: Google hat dafür ein neues Zeitraffer-Instrument gebaut. Faszinierend.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Tag. (Hat mir übrigens die Bundesregierung befohlen, dass ich das hier schreiben soll. Nee, Entschuldigung, es waren die Illuminaten.)

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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