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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experten zur Wahl des CDU-Chefs "Merz wird Brinkhaus politisch um die Ecke bringen"
Jetzt steht es fest: Friedrich Merz soll neuer Parteivorsitzender der CDU werden. Was bedeutet das für die Christdemokraten? Und greift Merz nun auch nach dem Fraktionsvorsitz? Das sagen Experten.
Das Votum der CDU-Mitglieder spricht eine deutliche Sprache: 62,1 Prozent wollen Friedrich Merz als neuen Parteichef der Christdemokraten sehen. Seine Mitbewerber Norbert Röttgen (25,8 Prozent) und Helge Braun (12,1 Prozent) lässt er damit deutlich hinter sich. Auf dem Parteitag im Januar soll Merz offiziell ins Amt gewählt werden. Welchen Kurs wird die CDU nun einschlagen? Welche Herausforderungen hat die Partei zu bewältigen – und übernimmt Merz jetzt auch den Fraktionsvorsitz?
t-online hat die Experten Andreas Rödder und Albrecht von Lucke befragt. Rödder ist Professor an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und selbst Mitglied der CDU. Von Lucke, Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik". Er blickt von außen auf die Partei.
t-online: Herr Rödder, die CDU-Mitglieder haben ein deutliches Votum abgegeben. Friedrich Merz soll der neue Parteivorsitzende werden. Was bedeutet das jetzt für den Kurs der CDU?
Andreas Rödder: Friedrich Merz hat ein starkes Mandat bekommen. Fast zwei Drittel der Mitglieder haben sich für ihn ausgesprochen, und das bei einer hohen Wahlbeteiligung. Seine große Aufgabe wird sein, der Partei Profil zu geben und sie wieder zusammenzuführen.
Klingt nach einer Herausforderung.
In der Tat. Die Abstimmung hat zwar ein eindeutiges Ergebnis erbracht, aber zugleich gezeigt, wie gespalten die CDU ist. Denn es hat sich ja bewahrheitet, dass Friedrich Merz immer der Kandidat der Mitglieder gewesen ist. Das heißt: die Parteiführung hat über Jahre gegen die Parteibasis gehandelt. Die Wahl von Friedrich Merz bietet die große Chance, den dadurch entstandenen Riss zu überwinden und die Partei wieder mit sich selbst zu versöhnen.
Aber das Votum der Mitglieder zeigt doch: Die Basis ist überwiegend konservativ. Wie soll Merz diesem Wunsch gerecht werden, wenn er die Partei zusammenführen will? Dann müsste er doch zwischen den Lagern vermitteln.
Die CDU hat sich überhaupt keinen Gefallen damit getan, in den letzten Jahren immer wieder "die Konservativen" gegen "die Modernisierer" auszuspielen und das Etikett "konservativ" als Stigma zu verwenden. Die Christdemokratie lebt davon, dass sie christlich-soziale, liberale und konservative Strömungen zu etwas ganz Eigenem verbindet. Darum geht es, nicht darum, ob die Union "linker" oder "rechter" wird – das sind Schlagworte, die inhaltlich nichts aussagen. Sie muss wieder christdemokratischer werden. Denn sie hat nur dann eine Chance, wenn sie aus ihrem eigenen Wertefundament heraus eigene politische Antworten findet.
Andreas Rödder (* 11. Juli 1967 in Wissen) ist ein deutscher Historiker und Mitglied der CDU. Während des Landtagswahlkampfs 2011 und des Landtagswahlkampfs 2016 in Rheinland-Pfalz war Rödder im Schattenkabinett von Julia Klöckner für den Bereich Bildung, Wissenschaft und Kultur verantwortlich.
Ist die Rolle der Opposition bei dieser Selbstfindung hilfreich oder kontraproduktiv?
Eine solche Selbstfindung ist in der Opposition natürlich sehr viel leichter möglich als in der Regierungsverantwortung. Die Union hat das nach dem Machtverlust von 1969 in den 1970er-Jahren geschafft. Nach 1998 ist es ihr aus verschiedenen Gründen nicht gelungen. Jetzt, nach dem dritten Machtverlust, hat sie wieder die Chance, sich in der Opposition neu zu orientieren. Die Geschichte zeigt: Das ist kein Selbstläufer. Das deutliche Ergebnis von heute gibt der Union aber die beste Chance, sich als Christdemokratie wieder neu zu erfinden.
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Also wenn die Union so bleibt, wie sie sich momentan präsentiert, zerfällt sie?
Das ist völlig richtig. Das ist eine Einsicht, die vor dem 26. September noch als Hochverrat galt, inzwischen aber zum Allgemeingut geworden ist.
Wird Friedrich Merz jetzt auch nach dem Fraktionsvorsitz greifen? Muss er es nicht sogar?
Friedrich Merz hat sehr deutlich gesagt, dass er den Partei- und den Fraktionsvorsitz als zusammengehörig ansieht. Das ist kein Naturgesetz, aber im Sinne der Handlungsfähigkeit und der Schlagkräftigkeit der Union als Oppositionspartei spricht natürlich manches dafür.
Aber wenn Ralph Brinkhaus sich wehrt, droht der nächste parteiinterne Krieg. Die angestrebte Einigkeit rückt dann in weite Ferne.
Wenn es zu einem harten Machtkampf um den Fraktionsvorsitz käme, wäre das natürlich ein Problem für die CDU, nachdem die Mitgliederabstimmung ein so deutliches Bild ergeben hat. Ralph Brinkhaus wird die Wahl haben, ob er um seine Position kämpft oder ob er die strategischen Notwendigkeiten der Union in den Blick nimmt.
"Erst einmal muss Merz die Einheit der Partei wiederherstellen"
t-online: Herr von Lucke, wird die CDU mit Merz wieder eine stramm konservative Partei?
Albrecht von Lucke: Nein, das glaube ich keineswegs, schon weil Friedrich Merz aus seinen beiden Niederlagen gelernt hat und nun weit mehr auf eine Teamlösung setzt, die alle Richtungen der Partei abdecken soll. Der überraschend deutliche Erfolg von Merz ist für die CDU schon deshalb ausgesprochen positiv, weil damit eine eindeutige Entscheidung getroffen wurde – und zwar zugunsten der notwendigen klaren Profilierung als Oppositionspartei.
Daraus kann man allerdings noch keine klare inhaltliche Ausrichtung herauslesen. Der Erfolg ist vielmehr vor allem dem Überdruss an einer unter der Kanzlerschaft und dem Parteivorsitz von Angela Merkel sehr unprofiliert gewordenen Union geschuldet. Deshalb war Merz der Mann der Basis, durchaus auch gegen das Partei-Establishment. Er verkörpert die gewünschte Ablösung von der Ära Merkel. Und zugleich gibt er die gewünschte scharfe, zugespitzte Antwort auf Olaf Scholz, der nun quasi als "Merkel 2.0" die neue Bundesregierung anführt.
Albrecht von Lucke (* 28. April 1967 in Ingelheim am Rhein) ist ein deutscher Publizist und Politikwissenschaftler. In seinen Beiträgen zur deutschen Innenpolitik analysiert er die Tendenzen in den aktuellen politischen Ereignissen und ordnet das politische Tagesgeschehen in die größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und Entwicklungen ein.
Also hat die Parteibasis mit der Merz-Wahl gar nicht den Wunsch nach einer bestimmten inhaltlichen Ausrichtung zum Ausdruck gebracht?
In erster Linie profitierte Merz vom Wunsch nach scharfer Attacke, zumal jetzt als Oppositionspartei, und erst in zweiter Linie von der Sehnsucht nach einer konservativeren Ausrichtung. Das schwache Ergebnis von Norbert Röttgen hat jedenfalls gezeigt, dass ein eher weicher, stark ökologisch ausgerichteter Kurs von der Basis nicht gewünscht ist.
Was ist denn die größte Herausforderung, die die CDU unter Friedrich Merz zu bewältigen hat?
Es sind vor allem drei Aufgaben. Erst einmal muss Merz die Einheit der Partei wiederherstellen. Das deutliche Ergebnis gibt ihm dabei Rückenwind. Damit versammelt er die Partei hinter sich und ist jedenfalls für die nächsten zwei Jahre der starke Mann in der CDU.
Merz muss zweitens die Partei in ihrer ganzen Breite neu und stark aufstellen. Er hat ja bereits deutlich gemacht, dass er keinesfalls einspurig – also nicht nur wirtschaftsliberal oder konservativ – agieren will, sondern ein breites Team aufstellen möchte.
Drittens muss er selbstverständlich scharfe Attacken auf die Bundesregierung fahren – und zwar sofort, denn 2022 ist mit vier Landtagswahlen schon wieder ein Superwahljahr. Dabei muss er den Spagat hinkriegen, die Regierung hart zu attackieren, ohne Fundamentalopposition zu betreiben und dadurch zu sehr in Richtung der AfD zu driften, weil das die Wählerinnen und Wähler in der Mitte verprellen könnte.
Um unangefochten in der Partei zu sein, muss Merz aber auch nach dem Fraktionsvorsitz greifen.
Richtig. Es gibt nur einen herausgehobenen Posten in der Oppositionspartei CDU im Bundestag und das ist der Fraktionsvorsitzende. Mit so einem starken Ergebnis als Parteichef ist es zwangsläufig, dass Merz auch den Fraktionsvorsitz übernimmt. Dass er seinen Anspruch auf den Posten heute noch nicht deutlich ausgesprochen hat, ist nur dem Umstand geschuldet, dass er noch die Zustimmung des Parteitags braucht, der am 21. und 22. Januar 2022 stattfindet. Merz ist bisher noch nicht offiziell gewählt, das dürfen wir nicht vergessen. Er kann ja das Fell des Bären nicht verteilen, bevor dieser erlegt ist.
Mit dem starken Ergebnis hat er jetzt aber alle Karten in der Hand, und dem Wunsch nach einer starken Profilierung der Partei in der Opposition kann er nur mit dem Fraktionsvorsitz nachkommen. Genau aus diesem Grund hat die damalige Parteivorsitzende Angela Merkel vor 20 Jahren den damaligen Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz politisch "um die Ecke gebracht", sprich: ihm den Fraktionsvorsitz abgenommen – und genau dasselbe wird Merz jetzt auch mit Brinkhaus tun.
Und wenn Brinkhaus sich wehrt?
Brinkhaus kann sich gar nicht dagegen wehren. Er ist nicht hinreichend stark in der Partei verankert, um die erforderlichen Truppen um sich scharen und die Fraktion gegen den Parteivorsitzenden in Stellung bringen zu können. Das wäre nur bei einem knappen Ergebnis für Merz vielleicht möglich gewesen. Dieses Ergebnis ist aber so ungemein stark, dass sich die Partei bei einem Aufstand gegen Merz selbst schädigen würde.
Merz könnte Brinkhaus aber etwas anbieten, das ist klar. Vielleicht werden sie sich manche Aufgaben teilen, weil Brinkhaus eben auch ein sehr starker Redner ist. Beide haben das Glück, als Opposition einem Kanzler Olaf Scholz gegenüberzustehen, dem es an rhetorischem Talent fehlt. Das ist bei dessen erster Regierungserklärung noch einmal ganz deutlich geworden.
Die Rolle der Opposition wird der Union also helfen?
Das wird sich erst noch zeigen müssen. Erst einmal ist die Rolle der Opposition eine riesige Herausforderung für die Union als klassische Machtpartei und Kanzlerwahlverein. Opposition war nie einfach für die CDU. Sie ist nach dem Machtverlust oftmals erst in sehr schwieriges Fahrwasser geraten. Das war beim ersten Machtwechsel 1969 so, als sie erst nach immerhin 13 Jahren und einem Übergangsparteivorsitzenden, Rainer Barzel, mit Helmut Kohl an die Macht zurückgekommen ist. Und es wiederholte sich nach der Ära Kohl, als zunächst der glücklose Wolfgang Schäuble antrat und ebenfalls zum Übergangsparteivorsitzenden wurde, bevor Angela Merkel 2000 die Macht in der Partei an sich riss.
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Nach dem Ende der Ära Merkel dürfte es in jedem Fall erneut schwierig werden. Die Partei insgesamt und vor allem Friedrich Merz haben nun die Aufgabe, die Rolle der Opposition mutig anzunehmen und offensiv anzugehen. Etwas anderes bleibt ihnen gar nicht übrig. Dafür ist Merz in jedem Fall weitaus geeigneter als Norbert Röttgen oder vor allem Helge Braun, der für mich als Parteivorsitzender und Oppositionsführer ein regelrecht absurder Vorschlag war. Insofern hat die Parteibasis mit ihrem klaren Votum klug entschieden. Denn das ist die eigentliche Ironie der Geschichte: Während die Bevölkerung im Kanzleramt bisher eher den Typus Merkel-Scholz präferiert, braucht die Union jetzt in der Opposition einen offensiven Angreifer. Deshalb ist jetzt die Stunde von Friedrich Merz.
Zudem hat die Union das Glück, dass die Regierung vor einer Jahrhundert-Aufgabe steht, in sich aber nicht konsistent ist und einen mit nur 25 Prozent der Wählerstimmen ausgesprochen schwachen Kanzler hat, dem zudem, jedenfalls bisher, die erforderliche Leidenschaft für diese Mammutaufgabe abgeht.
Olaf Scholz ist also keineswegs unangreifbar. Merz weiß, dass Scholz eigentlich die Fortsetzung der Ära Merkel bedeutet. Der Kanzler hat bereits deutlich gemacht, dass er Merkels Kurs – nämlich Kontinuität auf Teufel komm raus – fortsetzen wird. Dabei braucht eine Regierung, die für sich Aufbruch und Transformation reklamiert, auch einen Kanzler, der dies verkörpert. Das ist letztlich eine Steilvorlage für Friedrich Merz, der seinerseits gerade als Signal des Aufbruchs und der Erneuerung nach der ewigen Ära Merkel gewählt wurde. Insofern können wir uns auf spannende Debatten im Bundestag freuen.
- Interview mit Prof. Dr. Andreas Rödder
- Interview mit Albrecht von Lucke