Ampelbündnis steht Scholz: "Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her"
Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, am Dienstag stellten sich die Ampelspitzen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner der Presse. Alle drei stellten klar: Für Ungeimpfte wird es ungemütlicher.
Nach der Unterzeichnung des neuen Koalitionsvertrags am Dienstagmorgen stellten sich der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Grünen-Chef Robert Habeck und der wohl nächste Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Fragen von Journalisten. In der Corona-Politik bekräftigten alle drei, dass es für Nicht-Geimpfte in den nächsten Wochen ungemütlicher wird.
Scholz hat Einschränkungen für Ungeimpfte als notwendiges Mittel zum Brechen der vierten Corona-Welle verteidigt. "Das heute uns alle beeinträchtigende Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her", so Scholz. "Darüber gibt es gar keinen Zweifel."
Scholz kündigt weitere Einschränkungen für Ungeimpfte an
Weiter sagte Scholz: "Viele von denen sind auch selbst bedroht, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich infizieren, ist sehr, sehr hoch und deshalb ist es auch sehr wahrscheinlich, dass ein Teil davon erkranken wird und ein weiterer Teil auf den Intensivstationen um das eigene Leben wird ringen müssen." Ganz klar sei es deshalb, dass Einschränkungen für diejenigen, die sich nicht haben impfen lassen, nötig seien.
Bund und Länder hatten sich vergangene Woche darauf verständigt, dass der Zutritt zu Geschäften jenseits des täglichen Bedarfs auf Geimpfte und Genesene beschränkt wird. Auch Zugang zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen und auch zu Restaurants soll es demnach nur noch für Geimpfte und Genesene geben, ausgenommen sind Kinder und Menschen, die sich nicht impfen lassen können.
Scharfe Kritik an Fackelzug radikaler "Querdenker"
"Wir müssen alles dafür tun, dass wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger schützen können und das wird nur gelingen, wenn sich sehr viele impfen lassen", sagte Scholz. Es gebe bereits eine hohe Impfquote, Millionen Auffrischungsimpfungen kämen derzeit hinzu. Scholz bekräftigte das Ziel von 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten.
"Wenn dann Fackelaufzüge vor dem Haus einer Gesundheitsministerin stattfinden, dann ist das als Bedrohung gemeint", sagte Scholz weiter. Am Freitag hatte es einen Fackelaufmarsch von Gegnern der staatlichen Corona-Politik vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) gegeben. Scholz kündigte an, die Demokratinnen und Demokraten würden sich einem solchen aggressiven Agieren entschieden entgegenstellen.
Entsprechend äußerte sich Christian Lindner. "Unser Staat ist eine wehrhafte Demokratie", betonte der FDP-Chef. Er vertrat die Ansicht, dass das durch die Ampelmehrheit im Bundestag geänderte Infektionsschutzgesetz zu einer gesellschaftlichen Befriedung beitragen könne. Denn wenn es auch künftig Grundrechtseingriffe im Kampf gegen Corona brauche, dann würden diese auf Basis von Parlamentsgesetzen vorgenommen und in öffentlicher Sitzung diskutiert.
"Deutschland muss gegen Spaltung Europas arbeiten"
Scholz hat es zudem als Ziel der neuen Regierung bezeichnet, jede Spaltung in der Europäischen Union zu verhindern. Deutschland dürfe in der EU nicht am Rande stehen, sondern sei für das Gelingen der europäischen Integration verantwortlich. "Deshalb betrachten wir es als wichtige Aufgabe, dass es eine solche Spaltung nicht geben wird, weder Nord-Süd, noch Ost-West", fügte er auf eine Frage nach dem Konflikt mit Polen und Ungarn über Rechtsstaatsprinzipien hinzu.
"Ich bin sehr froh, dass Polen Teil der EU ist", betonte Scholz. Er setze auf freundschaftliche Beziehungen. Es sei gut, dass er den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki bei dessen Besuch in Berlin treffen konnte. Es sei ein sehr gutes Gespräch gewesen, sagte Scholz. Er setze darauf, dass man auch beim Thema Rechtsstaatlichkeit zu gemeinsamen Erkenntnissen komme, so Scholz.
Die nationalkonservative polnische Regierung streitet seit langem mit der EU über den Umgang mit Justiz, aber auch Medien und Wissenschaft. Ende Oktober verurteilte der Europäische Gerichtshof Polen zur Zahlung einer Geldstrafe von täglich einer Million Euro, bis eine von der Regierung eingesetzte Disziplinarkammer des Obersten Gerichts aufgelöst ist.
Scholz lässt Olympia-Boykott offen
Die USA werden keine diplomatischen Vertreter zu den Olympischen Winterspielen nach Peking schicken. Auch in Deutschland werden die Rufe nach einem Boykott lauter. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz umschiffte das Wort "Boykott" bewusst, dem Beispiel des US-Präsidenten Joe Biden will der künftige Bundeskanzler nicht folgen. Zumindest nicht sofort. Mit der Ankündigung eines diplomatischen Boykotts der Olympischen Winterspiele in Peking hatte das Weiße Haus am Montag weltweit für Aufregung gesorgt. Ob sich Deutschland den USA anschließen werde, ließ Scholz nun offen.
Die neue Ampel-Regierung werde sich, "sehr sorgfältig mit uns, unter uns und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten", sagte Scholz am Dienstag. Zahlreiche Länder, mit denen Deutschland zu tun habe, "haben Regierungsformen, die vollständig anders ausgerichtet sind, als das, was wir selber richtig finden", so der SPD-Politiker. Dennoch sei es wichtig, "über die Unterschiede Bescheid zu wissen und trotzdem gut miteinander auszukommen in der Welt".
Am Montag hatte Biden offiziell angekündigt, dass keine Regierungsvertreter zu den Peking-Spielen (4. bis 20. Februar) reisen werden. Grund seien die "anhaltenden Genozide und Verstöße gegen Menschenrechte in Xinjiang sowie weitere Menschenrechtsverletzungen".
Polen hat "schwierige Aufgabe" im Umgang mit Belarus
Im Umgang Polens mit Migranten im Grenzgebiet zu Belarus hat Scholz Verständnis gezeigt. Die Verantwortung für die Situation verortet Scholz klar beim belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Dieser habe keine Legitimation im eigenen Volk und habe mit seiner Flüchtlingspolitik versucht, Einfluss in Europa zu nehmen, sagte Scholz. Es sei richtig, dass die EU Sanktionen verhängt habe. Diese betreffen unter anderem die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia.
Seit Wochen versuchen Tausende Migranten und Flüchtlinge, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen und so die Lage im Westen zu destabilisieren. Die EU-Staaten hatten Stacheldrahtzäune errichtet, um die Migranten aufzuhalten.
Die Gespräche über die Rückkehr von Migranten in ihre Herkunftsländer zeigten Wirkung, lobte Scholz. Zuletzt flog der Irak Hunderte in Belarus gestrandete Migranten zurück in ihre Heimat. "Deshalb, glaube ich, muss man schon anerkennen, dass Polen dort eine schwierige Aufgabe hat und eine große, große Herausforderung", sagte Scholz. "Und da empfehlen sich nicht Kommentare von weiter weg."
Deutliche Worte an Russland wegen Ukraine
In der Ukraine-Krise mahnte Scholz deutliche Worte an die Adresse Russlands an. Es müsse "ganz, ganz klar" sein, dass eine weitere Bedrohung der Ukraine inakzeptabel wäre, sagte Scholz mit Blick auf die jüngsten Truppenbewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze. Er sei sicher, dass US-Präsident Joe Biden dies in seinem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin zum Ausdruck bringen werde, sagte Scholz am Dienstag in Berlin weiter. Das Gespräch zwischen Biden und Putin war noch für den Lauf des Tages geplant.
Scholz betonte, das Prinzip der Unverletzbarkeit von Grenzen müsse gewahrt werden. Insofern sei er wegen der jüngsten Truppenbewegungen Russlands an der Grenze zur Ukraine "sehr besorgt". Vize-Kanzler Robert Habeck betonte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz, der Konflikt könne nur und müsse diplomatisch gelöst werden. Dazu müssten bestehende Formate wie etwa das Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland reaktiviert werden. Mit Blick auf die Ukraine verwies Habeck darauf, dass die russische Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 nach Deutschland noch nicht genehmigt sei. Im weiteren Verlauf werde man daher "sicher noch mal politisch darüber reden".
Zweieinhalb Monate nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP ihr gemeinsames Regierungsprogramm besiegelt. Die Spitzenvertreter der Ampelparteien unterzeichneten dafür am Dienstag in Berlin ihren Koalitionsvertrag. Die SPD war als Sieger der Wahl hervorgegangen.
Am Mittwoch soll der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag zum Kanzler gewählt und sein Kabinett vereidigt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Wahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte.
- Nachrichtenagentur dpa