Fackelzug am Wohnhaus von Ministerin Seehofer: "Erinnert an dunkelste Kapitel deutscher Geschichte"
Im sächsischen Grimma zogen "Querdenker" am Freitag mit Fackeln vor das Haus der SPD-Gesundheitsministerin. Innenminister Horst Seehofer fordert Konsequenzen – und befürchtet eine weitere Radikalisierung.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die "Querdenker"-Proteste vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) scharf verurteilt. "Was wir da in der Nähe von Grimma gesehen haben, ist kein legitimer Protest", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag". "Dieser Fackelumzug ist organisierte Einschüchterung einer staatlichen Repräsentantin. Das erinnert mich an die dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte." Er sei sich sicher, dass die sächsischen Behörden das Geschehen nach diesem Maßstab bewerteten und angemessen Konsequenzen zögen.
Seehofer befürchtet mit der geplanten Impfpflicht eine weitere Radikalisierung in der Szene. "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine Impfpflicht gegen Corona in der Bevölkerung zu Reaktionen führen kann", sagte er. Niemand könne ausschließen, dass sich aus dem Kreise der Impfgegner Einzelpersonen oder Gruppen radikalisierten und im schlimmsten Fall Gewalttaten verübten. "Die Sicherheitsbehörden müssen hochwachsam sein."
Kretschmann kritisiert "SA-Methoden"
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) positionierte sich klar. "Das sind Methoden, die hat die SA erfunden", kritisierte Kretschmann am Samstag beim Grünen-Landesparteitag in Heidenheim in Erinnerung an die Kampforganisation der NSDAP.
Kretschmann räumte ein, eine allgemeine Impfpflicht wäre "eine enorme Zumutung" für die Gegner der Corona-Politik. Doch solchen Demonstranten müssten die Behörden entschieden entgegentreten. "Gegen die werden wir uns als wehrhafte Demokratie zu erweisen wissen", sagte der 73-Jährige. Er hoffe, dass Ähnliches wie in Sachsen nicht auch in Baden-Württemberg passiere.
Fackelzug von 30 Radikalen
Am Freitagabend hatten sich etwa 30 radikale "Querdenker" vor dem Haus von Köpping in Grimma versammelt. Sie trugen Fackeln, Trillerpfeifen und Plakate.
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Offenbar war die Ministerin zu Hause, trat aber nicht vor die Tür. Sachbeschädigungen wurden keine gemeldet. Als die Polizei eintraf, versuchten die Demonstranten sich zu entfernen. Die Beamten kontrollierten Fahrzeuge und verteilten Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten. Auf Telegram veröffentlichte die rechtsradikale Gruppe "Freie Sachsen" ein Video von der Aktion, sagte aber, sie sei für den Protest nicht verantwortlich.
Die Gruppe wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Ihren Mitgliedern werden mehrere Proteste vor den Privathäusern von Politikern zugeschrieben. Justizministerin Katja Meier (Grüne) verurteilte auf Twitter den Vorfall: "Erneut versammelt sich eine Menschenmenge vor dem Privathaus eines Regierungsmitglieds, diesmal vor Petra #Köppings Haus. Erneut ist das ein absoluter Tabubruch. Polizei und Innenministerium müssen endlich alles daran setzen, diesen Entgrenzungen konsequent zu begegnen."
Auch AfD-Chef Chrupalla verurteilt Proteste
Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla kritisierte die Proteste vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) kritisiert. "Friedlicher Protest gegen einen Impfzwang ist ein Grundrecht. Der Schutz der Privatsphäre auch!", schrieb der aus Sachsen stammende Parteichef am Samstag auf Twitter. "Der Fackelmarsch vor dem Haus von Petra Koepping ist unbedingt zu verurteilen."
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) forderte nach dem Aufzug vor Köppings Haus ein "klares und schnelles Signal des Rechtsstaats". "Es kommt jetzt auch darauf an, dass wir mit der Staatsanwaltschaft eine Verfahrensweise finden, um begangene Verstöße schnell zu ahnden", sagte er am Samstag der Deutschen Presse-Agentur.
Ihm fehle jedes Verständnis, wenn Amts- und Verantwortungsträger und deren Familien in ihrem privaten Raum bedroht würden. "Es ist unfassbar, wie hemmungslos Hass und Hetze verbreitet werden." Diese Grenzüberschreitung sei auch der Versuch, die freiheitliche Demokratie zu delegitimieren. Es brauche in der Gesellschaft mehr Zivilcourage. "Gerade in einer solchen Krise brauchen wir gemeinsame Werte und Zusammenhalt."
Wöller war selber in die Kritik geraten, weil die Polizei bei Protesten von Corona-Gegnern nach Meinung etwa von Linken und SPD nicht hart genug durchgegriffen hatte. Die sächsische Corona-Verordnung erlaubt wegen der Infektionslage nur ortsfeste Versammlungen mit bis zu zehn Teilnehmern.
SPD-Chef nennt Proteste "faschistoid"
Auch der scheidende SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans verurteilte die Proteste scharf. "Das, was da gestern passiert ist, faschistoid zu nennen, scheue ich mich nicht", sagte Walter-Borjans am Samstag im Deutschlandfunk. Es sei absolut erschütternd, weil dieser Aufmarsch vor dem Haus der SPD-Politikerin Vergleiche nahelege zu einer Zeit in Deutschland, in der man schon mal mit Trommeln und Fackeln vor Häusern gestanden habe.
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Es sei zwar nur eine kleine Minderheit, die diese Radikalisierung vorantreibe. Aber es sei inzwischen so weit, dass ein ganz klarer Bedarf für alle Demokratinnen und Demokraten im Land bestehe, sich abzugrenzen und für die Ordnungskräfte, auch klar einzuschreiten.
Auch SPD-Chefin Saskia Esken meldete sich auf Twitter zu Wort: "Vollste #Solidarität, liebe Petra Koepping! Auch wenn die paar Hansel da versuchen, Angst und Schrecken zu verbreiten: die Vernunftbegabten und Verantwortungsbereiten sind die große Mehrheit, und die steht an Deiner Seite."
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters