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Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock: Warum sie – und nicht Robert Habeck?


Kanzlerkandidatin Baerbock
Frau Nummer sicher


Aktualisiert am 19.04.2021Lesedauer: 6 Min.
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Historisch: Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin der Grünen – und skizziert, was ihr Motiv ist. (Quelle: t-online)

Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin der Grünen. Warum sie – und nicht Robert Habeck? Das liegt mehr am Image der beiden als an ihren tatsächlichen Qualitäten.

Eigentlich hat dieser Auftritt schon fast alles, was auf Annalena Baerbock in den nächsten Monaten zukommen wird – und vor allem, was auf Deutschland zukommen könnte mit Annalena Baerbock.

Am vergangenen Montag ist die Grünen-Chefin, die nun auch Kanzlerkandidatin ihrer Partei wird, zu Gast in einer Diskussionsrunde auf der Hannover Messe. Neben ihr: zwei Anzugträger.

Annalena Baerbock gegen zwei Männer. So wie im Wahlkampf gegen Olaf Scholz und Armin Laschet oder Markus Söder. Falls die sich noch einigen können.

Das Thema der Diskussion mit den Industriebossen lautet "Europa 2050 – Klimaneutralität produzieren". Und es verbindet damit genau das, wofür die Grünen gerne stehen würden.

Für Ökologie und Wirtschaft, für Klimaschutz und Wohlstand. Nicht mehr nur für ein Entweder-oder, nicht mehr nur Politik für das Ökoklientel. Die Grünen versuchen es dieses Mal mehr denn je mit Politik für alle. Auch für Anzugträger, selbst für Industriebosse.

Und Annalena Baerbock tut genau das, was sie auch in den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl tun wird. Und wer weiß, wie sich die Dinge entwickeln, vielleicht danach als Kanzlerin: Sie trägt zwar Zumutungen vor. Aber stets wohldosiert. Und immer mit einem Lächeln.

Baerbock verspricht viel Fördergeld und Investitionen. Das gefällt den Industriebossen natürlich. Aber sie sagt eben auch, dass es ohne Regulierung nicht gehen werde. Sprich: Verbote. Das mögen Industriebosse nicht so gerne.

Wohldosierte Zumutungen mit einem Lächeln: Nur weniges beschreibt die neuen Grünen so gut wie das. Und nur wenige können das so gut wie Baerbock.

Auch deshalb ist sie es, die nun Kanzlerkandidatin der Grünen wird und nicht ihr Co-Chef Robert Habeck, der lange bekannter und beliebter war – und der im Gegensatz zu ihr zumindest ein wenig Regierungserfahrung hat.

Es wird Baerbock, weil sie für die Partei die sicherere Variante ist. Und für die Wähler die interessantere Alternative vor lauter Scholz, Lindner, Laschet und Söder. Aber sie wird es eben auch, weil für sie das Gleiche gilt wie für Habeck: Sie ist anders, als ihr oft zugeschrieben wird.

Das Kanzleramt ist kein Sonnenblumentraum mehr

Die Grünen haben lange überlegt, ob sie überhaupt eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollen. Einer Partei, die sich bisher immer auf Platz drei hinter Union und SPD einreihen musste, kann das schnell als Hybris ausgelegt werden. Guido Westerwelle musste viel Spott ertragen, als er sich zum Kanzlerkandidaten der FDP ausrufen ließ.

Bei den Grünen kommt hinzu: Sie bilden sich viel darauf ein, sich über Inhalte zu definieren und nicht über Personen.

Doch seit Herbst 2018 liegen die Grünen in den Umfragen eben konstant vor der SPD, manchmal mit deutlich über zehn Prozentpunkten, in letzter Zeit immerhin noch mit rund fünf. Wenn sie sich da das Kanzleramt selbst nicht zutrauen – warum sollten es die Wähler dann tun?

Die Grünen könnten es gleich lassen mit dem Wahlkampf, selbst wenn sie insgeheim nur auf den zweiten Platz hinter der Union zielen würden. Denn Politik lebt von Polarisierung, und die lebt von Personen. Wer niemanden in ein TV-Duell (oder TV-Dreikampf) schicken kann, der hat schon verloren.

Jetzt, da die SPD trotz Kanzlerkandidat und Programm nicht aus dem Tief kommt und sich die Union über Corona-Politik, Maskenbetrug und K-Frage selbst zerlegt, scheint es kein Sonnenblumentraum mehr zu sein, dass die Grünen vom Herbst an aus dem Kanzleramt regieren könnten.

Die Machtpolitikerin und der Philosoph?

Dort, im Kanzleramt, da säße dann Annalena Baerbock. Darauf haben sich die beiden verständigt, untereinander, so wie sie es schon länger angekündigt haben. Nun wird deshalb vielerorts wieder über die angeblichen Qualitäten und Schwächen von Baerbock und Habeck geredet und geschrieben werden.

Warum sie, warum nicht er? Dazu muss man die populäre Erzählung über die beiden kennen, und die geht ungefähr so:

Sie ist die Machtpolitikerin, er ist der Philosoph.

Sie ist die Frau fürs tägliche Kleinklein, er ist der Mann für die großen Linien.

Sie ist die Detailversessene, er ist immer für einen Fehler gut.

Aus diesen Zuschreibungen wurde dann zuletzt wahlweise abgeleitet, dass Baerbock genau die richtige Kanzlerkandidatin sei, aber genauso auch, dass Habeck eigentlich der bessere wäre. Einmal hieß es dann, Details und Genauigkeit seien wichtig, siehe Angela Merkel: deshalb Baerbock. Ein andermal hieß es, Details seien zwar wichtig, aber im Kanzleramt zählten die großen Linien: deshalb Habeck.

Es ist kompliziert. Und es wird noch komplizierter. Denn wie so oft bei populären Erzählungen ist diese über Baerbock und Habeck nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig.

Sie sind anders, als sie erscheinen

Denn auch Habeck ist natürlich ein Machtpolitiker, sonst wäre er nicht da, wo er jetzt ist: ziemlich weit oben. Wenn er einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl in seiner Heimat Schleswig-Holstein braucht, dann nimmt er sich den. Philosoph hin oder her.

Und auch Habeck beschäftigt sich mit Details, er war mehr als fünf Jahre Minister für Umwelt und Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Ohne Fachwissen lachen da die Hühner (und die Bauern). Und ohne Details geht es auch als Parteichef nicht, sonst gäbe es bei den Dutzenden Fragen, die er täglich beantworten muss, auf Twitter noch deutlich mehr Videoschnipsel mit seinen Fehlern – und mehr Häme.

Baerbock ihrerseits kann auch die großen Linien, die politischen Visionen. Sie spricht nur etwas anders darüber. Weniger wie im Kaffeehaus, mehr wie mit dem Nachbarn am Gartenzaun. Wenn es schlecht läuft auch: mehr wie eine Politikerin.

Und Baerbock macht eben auch Fehler, obwohl sie so akribisch ist, dass sie aus der Maske einer Talkshow mitunter Mitarbeiter oder Abgeordnete anruft, um sich schnell noch Wissen drauf zu schaffen. Trotzdem spricht sie im Sommerinterview von Kobold statt Kobalt, dem seltenen Schwermetall. Und trotzdem fällt ihr zur öffentlich zitternden Angela Merkel spontan nur ein, die gesundheitliche Schwäche wenig pietätvoll mit der Klimakrise in Verbindung zu bringen.

Was Baerbock und Habeck unterscheidet, ist vor allem ihr Stil. Und der ist natürlich wichtig in der Politik. Baerbock ist da näher am Gewohnten, wenn auch in einer frischeren Variante. Fehler lächelt sie eher weg als er, dem man stärker anmerkt, wenn er nachdenkt – oder sich ärgert.

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Das Image, das aus all dem erwächst, ist für einen Politiker so wichtig wie wenig anderes, besonders in einem Wahlkampf um das Kanzleramt. Vor allem ist ein Image in der Politik meist sehr langlebig, auch wenn es überzeichnet ist. Und da ist Baerbock eben die vielleicht etwas streberhafte Überfliegerin – und Habeck der leicht zerstreute Professor mit den Pferdefotos.

Eine Politikerinnenkarriere im Schnelldurchlauf

Annalena Charlotte Alma Baerbock, 40 Jahre, hat das hinter sich, was gemeinhin eine typische Politikerinnenkarriere genannt wird. Allerdings im Schnelldurchlauf. Baerbock hat Völkerrecht studiert, kam 2005 zu den Grünen und arbeitete für eine Europaabgeordnete, wurde mit 27 Jahren Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik in der Bundestagsfraktion, kandidierte mit 28 vergeblich für den Bundestag und erfolgreich für den Vorsitz ihrer Landespartei in Brandenburg, schaffte es beim zweiten Anlauf mit 32 doch in den Bundestag und wurde mit 37 im Duo mit Robert Habeck Grünen-Chefin.

Einen Mann und zwei Töchter im Grundschulalter hat Baerbock auch noch. Ein Regierungsamt allerdings hatte sie noch nie. Womit der große Vorteil und der große Nachteil einer Kanzlerkandidatin Baerbock schon ziemlich genau umrissen wären.

Dass Baerbock eine Frau ist, spielt in einer feministischen Partei wie den Grünen eine gewichtige Rolle. Aber es ist eben auch außerhalb des Grünen-Kosmos ein strategischer Vorteil im Wahlkampf, die einzige Frau zu stellen, während SPD und Union mit Männern antreten.

Kann eine Mutter mit jungen Kindern das? Kanzlerin? Ohne Regierungserfahrung?

Es sind Fragen, die Baerbock künftig häufiger hören wird, solche Zweifel sind für politische Gegner Gold wert. "Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können", hat Baerbock selbst dazu einmal gesagt. Und geschickt auf eine andere Regierungschefin in ihrem Alter mit kleinen Kindern verwiesen: die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern.

Zufälligerweise regiert die auch noch sehr erfolgreich.

Die Nummer sicher

Es gibt ein interessantes Zitat, das in den vergangenen Wochen auch in Grünen-Kreisen häufig bemüht wurde. Es stammt aus einem "Zeit"-Porträt über Robert Habeck. Ein führender Grüner sagt dort zu den Chancen bei der Bundestagswahl im Herbst: "Mit Annalena als Spitzenkandidatin landen wir zwischen 17 und 19 Prozent. Mit Robert zwischen 14 und 24 Prozent."

Interessant daran ist nicht nur die Analyse, dass es mit Habeck verdammt schlecht, aber eben auch verdammt gut hätte laufen können – und mit Baerbock wahrscheinlich nur gut. Interessant ist vor allem, dass das Zitat auch als Argument für eine Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock angeführt wurde.

Sie ist in dieser Lesart Frau Nummer sicher. Und Sicherheit ist etwas, das die Grünen ihren Wählern bei dieser Wahl versprechen wollen: Die Klimakrise ist real und schlimm, die Wirtschaft muss sich verändern – aber wir kommen da gemeinsam durch, weil wir das große Ganze im Blick haben.

Einer vielleicht etwas streberhaften Überfliegerin kauft man das wahrscheinlich tatsächlich eher ab als einem leicht zerstreuten Professor.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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