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SPD: Das Trauma der Partei reicht viel tiefer als zu Hartz IV


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Partei im Niedergang
Das Trauma der SPD reicht viel tiefer

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 22.09.2019Lesedauer: 6 Min.
Olaf Scholz: Der SPD-Finanzminister und Vizekanzler verteidigt die schwarze Null. Warum eigentlich?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Der SPD-Finanzminister und Vizekanzler verteidigt die schwarze Null. Warum eigentlich? (Quelle: Jens Jeske/imago-images-bilder)
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Die SPD steckt in einer großen Krise. Ein Grund dafür ist eine alte Angst der Partei. Der Abschied von Hartz IV wird nicht ausreichen, um sie zu überwinden.

Wenn man ein Datum finden wollte, an dem alles begann, dann könnte es der 15. September 1957 sein. Es ist Bundestagswahl. Die SPD mosert an der sozialen Marktwirtschaft herum, die CDU feiert das Wirtschaftswunder und plakatiert: "Keine Experimente". Am Ende erreicht die Union mit 50,2 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte, absolute Mehrheit. Die SPD kommt nur auf 31,8 Prozent – und hat wieder nichts zu sagen in der Bundesrepublik.

Das Ergebnis erschütterte damals die Partei. Statt langsam den Rückstand auf die Union aufzuholen, entfernte sich die SPD immer weiter von der Macht. Es dauerte nicht lange, bis sie Konsequenzen zog. Mit dem Godesberger Programm von 1959 verabschiedete sie sich vom Marxismus und bekannte sich zur Marktwirtschaft. Dann ging es langsam bergauf.

Wer heute über die Probleme der SPD schreibt, der benennt meist eine Hauptursache: Hartz IV. Die Agenda 2010 habe das Vertrauen in die einstige Arbeiterpartei zerstört und die Wähler von der SPD entfremdet. Doch die Erklärung greift zu kurz, Hartz IV ist selbst nur ein Symptom. Das Trauma der SPD reicht viel tiefer, es beginnt am 15. September 1957 mit der Erkenntnis, dass es ohne Marktwirtschaft nicht geht. Und es lebt bis heute weiter in der Angst, ewig als Kommunisten wahrgenommen zu werden, denen man sein Geld nicht anvertrauen kann.

Deswegen werden auch nicht plötzlich alle Probleme der SPD verschwinden, wenn sie nun Hartz IV hinter sich lässt. Ihre Geschichte verfolgt die Partei weiter, und sie blockiert ihre Politik bis heute. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie in der Debatte um die schwarze Null.

Superman Karl Schiller

Als die SPD beschloss, freundlich zur Wirtschaft zu sein, waren die Deutschen freundlich zu ihr. Diese Wahrnehmung wirkt in der Partei noch immer nach. Sie ist nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Die SPD musste sich erst mit der sozialen Marktwirtschaft aussöhnen, um erfolgreich sein zu können, das ist wahr. Mit dem Godesberger Programm von 1959 tat sie das in der Theorie. Die SPD brachte es auf die Formel: "Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig!"

Praktisch bewiesen die Sozialdemokraten in der ersten großen Koalition ab 1966, dass mit ihnen an der Macht nicht gleich der Kommunismus aufzieht. Ludwig Erhard, der Mann für das Wirtschaftswunder der 50er-Jahre, war vorher als Kanzler zurücktreten, ausgerechnet weil die Wirtschaft schwächelte. Der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger wurde neuer Kanzler, SPD-Chef Willy Brandt Außenminister – und der Ökonom Karl Schiller für die SPD Wirtschaftsminister.

Eine Karikatur aus der Zeit zeigt Karl Schiller im Superman-Kostüm. Die Wirtschaft erholte sich. Schiller wurde zum Ludwig Erhard der SPD. Er bereitete damit ganz wesentlich den Weg für Willy Brandt, der 1969 der erste Kanzler der SPD werden sollte.

Mit der Wirtschaft gewinnt die SPD – aber sie verliert auch mit ihr

Ohne die Wirtschaft gewinnt die SPD keine Wahlen. Dass diese Erzählung nicht ganz falsch ist, dafür gibt es in der Geschichte der Partei weitere Belege. Der zweite SPD-Kanzler Helmut Schmidt war ein nüchterner Volkswirt, ein Krisenmanager in rauen Zeiten. Der dritte, Gerhard Schröder, war weniger nüchtern und weniger Volkswirt, aber ein "Genosse der Bosse", der die sogenannte "Neue Mitte" der Gesellschaft mit einem dritten Weg zwischen neoliberalem Kapitalismus und Sozialismus erreichen wollte.

Doch mit der Wirtschaft hat die SPD nicht nur Wahlen gewonnen, sondern auch verloren. Schröders Agenda 2010 reformierte Sozialsystem und Arbeitsmarkt und hatte 2003 das Ziel, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Das tat sie aus Sicht vieler Ökonomen auch. Schröder aber verlor die nächste Wahl 2005 und damit seine Kanzlerschaft. Seitdem sind alle Kanzlerkandidaten der SPD gescheitert. Egal, ob sie einen Ruf als Wirtschafts- und Finanzexperte hatten wie Peer Steinbrück oder eher nicht, wie Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz.

Es gibt viele Gründe für den Niedergang der SPD. Das alte Arbeitermilieu, das früher ihre Wählerbasis war, gibt es nicht mehr. Die Angestellten und Beamten, die der SPD später viele Stimmen gaben, wählen heute so vielfältig wie die Gesellschaft ist. Figuren wie Willy Brandt und Helmut Schmidt sind nur noch Erinnerung.

Auch über die Sozialdemokratisierung der CDU wird viel gesprochen, über Angela Merkel, die in der großen Koalition sozialdemokratische Ideen übernimmt und zu ihrer Politik macht, bis nicht mehr viel übrig bleibt für die SPD. Das Ende der Wehrpflicht, die Ehe für alle, der Mindestlohn.

Die Christdemokratisierung der SPD

Es gibt aber auch so etwas wie die Christdemokratisierung der SPD, über die nicht so oft gesprochen wird. Sie ist Folge der Angst, für Kommunisten gehalten zu werden. Das Ergebnis aus beiden Entwicklungen sind Volksparteien, die sich in den großen Fragen immer ähnlicher werden. Und ihren Status als Volksparteien verlieren.

Das äußert sich etwa darin, dass die SPD zwar immer noch den "demokratischen Sozialismus" als Ziel in ihrem Grundsatzprogramm stehen hat, aber viele in der Partei unglaublich nervös werden, wenn Kevin Kühnert in einem Interview laut darüber nachdenkt, was das denn bedeuten könnte. Als Chef der SPD-Jugendorganisation, die Jungsozialisten heißt.

Die Christdemokratisierung wirkt aber auch in weniger symbolischen Debatten, die viel größere Auswirkungen auf Deutschland und die SPD haben. Nämlich in der Frage, ob die deutsche Finanzpolitik weiter an der schwarzen Null festhalten sollte oder nicht.

Ökonomen kritisieren die schwarze Null

Die schwarze Null verbietet dem Staat, neue Schulden zu machen. Sie ist damit strenger als die Schuldenbremse, die in Deutschland im Grundgesetz steht und die Neuverschuldung nur streng begrenzt. Die Union hängt besonders an der schwarzen Null. Wolfgang Schäuble erreichte den ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2014, das erste Mal seit 45 Jahren.

Seitdem ist die schwarze Null in der Öffentlichkeit zur wichtigsten ökonomischen Kennzahl geworden. Egal ob sich die Wirtschaft im Aufschwung oder im Abschwung befindet, egal ob die Zinsen hoch oder niedrig, nicht vorhanden oder sogar negativ sind. Steht die schwarze Null, dann ist gefühlt alles in Ordnung in Deutschland.

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Ökonomisch ist das natürlich Unsinn. Im Abschwung kann es sich lohnen, mehr Geld zu investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn Geld nichts kostet, kann es sich lohnen, mehr Kredite aufzunehmen.

Linksliberale Ökonomen wie Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kritisieren deshalb scharf, dass die Regierung derzeit verpasst, mehr Geld in Infrastruktur oder Klimaschutz zu investieren. Doch auch Michael Hüther, der das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft leitet und nicht im Verdacht steht, ein linker Ideologe zu sein, nennt die schwarze Null "ökonomisch unklug". "Wir lassen schlicht Geld auf der Straße liegen."

Eine konservative Kernposition

Doch es geht bei der schwarzen Null eben nicht nur um Ökonomie, sondern vor allem um Politik. Der Politologe Thomas Biebricher nennt Haushaltsdisziplin die "letzte intakte konservative Kernposition". Es steckt schon im Wort: Haushalts-Disziplin. Zu sparen, seinen Haushalt in Ordnung zu halten, wird zu einer moralischen Frage. Keine Schulden zu machen, wird als Tugend angesehen, es gehört sich so. Die schwarze Null wird zur Kopfnote für das gute Betragen der Regierenden.

Es ist verständlich, dass die Union die schwarze Null erhalten will. Haushaltsdisziplin passt zur konservativen Idee von Politik: Da der Staat den Wandel der Welt nur bremsen und managen soll, er sich also möglichst wenig einmischt, braucht er auch nicht so viel Geld.

Weniger leicht zu erklären ist, dass auch SPD-Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz an der schwarzen Null festhält. Und zwar nicht widerwillig, indem er auf die Zwänge der großen Koalition verweist. Sondern aus Überzeugung. An den Erkenntnissen der Wissenschaft kann es nicht liegen, die Ökonomen sind gegen ihn.

Die schwarze Null schränkt die Politik der SPD ein. Sozialdemokraten glauben an den Staat, er braucht für ihre Politik mehr Geld, damit er die Gesellschaft besser machen kann. Die schwarze Null hindert die SPD daran, die Politik zu machen, für die sie gewählt wird.


Bleibt also nur eine Erklärung für die schwarze Null: Die Angst, wieder als Kommunisten beschimpft zu werden, die nicht mit Geld umgehen können. Es ist das alte Trauma.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Thomas Biebricher: Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus.
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