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Merkel-Rückzug: Vier Gründe, weshalb Friedrich Merz CDU-Chef werden könnte


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Außenseiter vor Comeback
Vier Gründe, weshalb Merz CDU-Chef werden könnte


Aktualisiert am 02.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Der junge Friedrich Merz im Jahr 2002: Die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers ist eine mächtige Erzählung.Vergrößern des Bildes
Der junge Friedrich Merz im Jahr 2002: Die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers ist eine mächtige Erzählung. (Quelle: Arnd Wiegmann/reuters)

Friedrich Merz will CDU-Chef werden, nach fast zehn Jahren außerhalb der Politik. Was abseitig klingt, könnte gelingen – weil Merz keine Politik verkauft, sondern ein Gefühl.

Seit wenigen Minuten war bekannt, dass Angela Merkel ihren Parteivorsitz im Dezember abgeben wird, da schickte die "Bild" eine Eilmeldung heraus. Darin stand, Friedrich Merz könne sich vorstellen, für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Sage sein Umfeld.

Das war noch keine offene Kandidatur. Ein Resträtsel blieb. Konnte es wirklich sein? Nach so vielen Jahren außerhalb der Politik? Merz war immerhin zu Beginn des Jahrtausends auf dem Höhepunkt seiner Politikkarriere – damals, als die Agenda 2010 noch nicht einmal verkündet war und "Wetten, dass ..?" noch die erfolgreichste Fernsehshow Europas.

Was auf den ersten Blick also vollkommen abseitig klingt, könnte aber funktionieren, weil Merz auf eine Art den Zeitgeist trifft. Er ist kein Politiker, sondern ein Mythos. Er verkauft keine Konzepte, sondern eine Geschichte.

Die große Hoffnung der Parteirechten

Friedrich Merz war einmal die große Hoffnung der CDU. Mit 44 wurde er Fraktionsvorsitzender im Bundestag, als im Bund noch Gerhard Schröder und Joschka Fischer regierten. Merz war Oppositionsführer. Edmund Stoiber holte ihn 2002 in sein Schattenkabinett, Merz hätte Finanzminister werden sollen. Er galt als kluger Kopf, gesellschaftspolitisch konservativ, entschlossen wirtschaftsliberal.

Aber weil Angela Merkel als Parteichefin 2002 den Fraktionsvorsitz beanspruchte, wurde sein Aufstieg ausgebremst. Nach zwei Jahren trat er als Fraktionsvize zurück. Sie gewann im Jahr darauf die Kanzlerinnenschaft und war damit als Parteichefin konsolidiert. Unter ihr räumte die Partei Merz’ Steuermodell ab. Finanzminister wurde Peer Steinbrück von der SPD. Sein Weg nach oben war versperrt.

Im Jahr 2009 verabschiedete sich Merz aus der aktiven Politik.

Leitkultur und Steuererklärung auf dem Bierdeckel

Das ist jetzt neun Jahre her. Er ist zwar gerade in wirtschaftsfreundlichen Kreisen noch gut vernetzt, aber er hat kaum mehr Vertraute in wichtigen Positionen in der CDU, er führt kein Ministerium, er kontrolliert keinen Landesverband. Er kennt die anderen Staats- und Regierungschefs nicht. Er hat länger keine programmatischen Interviews gegeben. Niemand weiß, wofür er gerade steht. Und er konkurriert noch dazu mit Jens Spahn – dem jungen Hoffnungsträger, um die Stimmen der Parteirechten.

Merz sollte eigentlich keine Chance haben. Aber in den Köpfen und Herzen der Konservativen und Wirtschaftsliberalen war er nie ganz weg.

Er blieb ihnen immer der Mann, der die "Leitkultur" erfunden hatte und die Steuererklärung wollte, die auf einen Bierdeckel passt. Er blieb der Mann, über den sie sehnsuchtsvoll sprachen. Wenn doch nur der Merz noch da wäre, seufzten sie. Selbst Junge redeten so, die Merz nur aus Erzählungen kennen können.

Politik besteht nicht nur aus Gesetzen und Konzepten. Die SPD muss das seit Jahren schmerzlich erfahren. Die Grünen gewinnen gerade auch deshalb, weil sie beschwingt sind und das auch ausstrahlen, weil sie etwas verkörpern, für etwas stehen, ein Lebensgefühl widerspiegeln, Identifikation bieten. Die Politik kennt viele Wörter, um die Bedeutung des Vorrationalen zu betonen.

Egal ob Merz Ideen für einen zeitgemäßen Konservatismus hat oder nicht, ganz sicher bedient er gleich drei zeitgemäße Sehnsüchte und einen aktuellen Glaubenssatz. Das ist wenig. Aber es könnte reichen.

1. Sehnsucht nach einer guten Geschichte

Der dritte und letzte Teil der "Herr der Ringe"-Trilogie heißt: Die Rückkehr des Königs. Die Rückkehr des Helden, um das Land zu befreien und seine ihm versprochene Herrschaft zu übernehmen, ist ein sehr altes und sehr mächtiges Erzählmuster. Sie bietet Stoff für eine gute Geschichte, die noch besser wird dadurch, dass Merz immer als Merkels Erzfeind galt; dass er immer einer derjenigen Männer war, von denen es hieß, Merkel habe sie gemeuchelt. Jetzt erscheint sie besiegbar.

Und Merz ist wieder da. Der rechtmäßige Herrscher, der geschlagen schien, er lebt. Das bedient die Sehnsucht nach einer guten Geschichte – und nach Unterhaltung.

2. Sehnsucht nach einem Außenseiter

Weil er so lange weg war, bedient Merz auch die Sehnsucht nach einem Außenseiter, einem Quereinsteiger, der alles umwirft, anders macht, erneuert. Die tiefe Hoffnung, dass da einer nicht verwoben und verbandelt sein möge. Er selbst verbreitet diese Botschaft: "Wir brauchen in der Union Aufbruch und Erneuerung", erklärte er in der Ankündigung seiner Kandidatur. Es ist dieselbe Sehnsucht, die Trump bediente. Dieselbe Sehnsucht, die Cinque Stelle in Italien an die Regierung brachte, aber auch Emmanuel Macron und Sebastian Kurz, die beide maßgeblich als Sehnsuchtsfiguren gewählt wurden.

Dass sich die Geschichte vom Outsider mit der vom Rückkehrer beißt, ist unerheblich. Das Gefühl kann Widersprüche verkraften.

3. Sehnsucht nach der Vergangenheit

Merz ist ein Mann der Vergangenheit. Niemand weiß, was er eigentlich will und ob er Ideen hat, die in einer neuen internationalen Umgebung, nach Finanzkrise und zahlreichen Steuerleaks, nach der Ehe für alle und der Einwanderung von vielen zeitgemäß sind. Aber Merz ist eben auch ein Mann der Vergangenheit, und Teile der Konservativen verzehren sich nach der Vergangenheit, als die Bundeswehr noch Pflicht war, Männer nur Frauen heiraten durften und Deutscher nur, wer deutscher Abstammung war.
Annegret Kramp-Karrenbauer hat im Sommer versucht, mit der Debatte um eine Dienstpflicht diese Sehnsucht anzuzapfen. Aber sie muss die Vergangenheit mühevoll neu errichten. Merz dagegen klingt nach Vergangenheit.

4. Glaube an die Disruption

Die Entscheidung der Briten für den Brexit und die Wahl von Donald Trump haben Gewissheiten erschüttert. Beides schien kaum vorstellbar (Brexit) oder völlig undenkbar (Trump), beides galt Umfragen zufolge noch an den jeweiligen Wahlabenden als unwahrscheinlich. In der Folge breitete sich die Idee aus, beides habe bewiesen, dass es immer so komme, wie man nicht glaube. Die Unmöglichkeit eines Ereignisses wurde vielen zum Beleg für seine Möglichkeit. Schon allein, um nicht wieder zu irren.

Geschicktes Spiel mit Erwartungen

Dieser Mechanismus kommt Merz zupass. Auch seine Wahl ist denkbar unwahrscheinlich. Aber genau deshalb mag sie niemand ausschließen.

In den vergangenen Monaten hat Merz eher wenig Interviews gegeben. Er hat sich nicht als Merkel-Kritiker hervorgetan, obwohl sich viele Gelegenheiten geboten hätten. Die Erklärung seiner Kandidatur streuten er oder sein Umfeld über die "Bild". Am nächsten Tag, als durchsickerte, dass er die Kandidatur erklären wolle, kommentierte sein Sprecher dieses Gerücht nicht. Kurze Zeit später verschickte Merz eine Pressemitteilung.

Das ist ein geschicktes Spiel mit Erwartungen. Merz versteht es, sich interessant zu machen. Gut möglich, dass er sich bis zum Parteitag Anfang Dezember eher im Hintergrund halten wird. Auch Merz weiß vermutlich, dass er nur als Mythos eine Chance auf den Parteivorsitz hat.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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