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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Xi Jinpings Trojanische Pferde Wie China die Meinungsfreiheit an deutschen Unis bedroht
Im Eklat um eine abgesagte Lesung steigt der Druck auf die deutschen Konfuzius-Institute. Kritiker werfen ihnen Propaganda für Peking und Spionage an deutschen Unis vor.
Ist Xi Jinping ein Gott oder ein Kaiser? Die Frage ist weniger absurd, als sie anmutet. Denn seit vergangenem Mittwoch wissen wir: Sie entscheidet darüber, ob man an so mancher Kulturstätte in Deutschland frei über Chinas Staatsoberhaupt reden darf.
An diesem Tag sollten "Welt"-Herausgeber Stefan Aust und der Autor Adrian Geiges ihre Biografie "Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt" vorstellen. Veranstalter waren die Konfuzius-Institute Duisburg und Hannover, die mit den dortigen Universitäten kooperieren und den deutsch-chinesischen Kulturaustausch fördern sollen. Doch die Online-Lesung wurde kurzerhand abgesagt: In Hannover auf die "freundliche Bitte" der chinesischen Partneruniversität, in Duisburg, weil der chinesische Generalkonsul direkt eingriff und das Event verhinderte.
"Über Xi Jinping kann man nicht mehr als normalen Menschen reden, er soll jetzt unantastbar sein und unbesprechbar", lautete die bemerkenswerte Erklärung eines Mitarbeiters der Institute – der den Skandal damit erst richtig ins Rollen brachte. Ist Xi Jinping kein Normalsterblicher mehr?
Der Dammbruch
Auf die Absage folgte ein Sturm der Entrüstung: Kritiker, die die Konfuzius-Institute schon länger als Propaganda-Instrumente einer chinesischen Diktatur betrachteten, sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Bundesbildungsministerium Anja Karliczek (CDU) rief ihre Länderkollegen und Uni-Dekane dazu auf, die Zusammenarbeit mit den umstrittenen Instituten grundlegend zu überdenken. In den Schreiben, die t-online vorliegen, verwies Karliczek auf den Verfassungsschutz. Dieser begreift die Institute als "einflussreiche Akteure" der politischen Einflussname, "die die akademische Freiheit in Deutschland zu unterminieren drohen."
Die Kritik an den Konfuzius-Instituten ist nicht neu. Schon 2019 stellte die Bundesregierung fest, dass die Institute den "Aufbau einer sozialistischen Kultur" verfolgen und das nach Deutschland entsandte Lehrpersonal entsprechend ideologisch geschult werde.
Was allerdings neu ist: Noch nie haben chinesische Stellen diese Einrichtungen so direkt und offen instrumentalisiert, um einen öffentlichen Diskurs zu verhindern.
Schirmherr chinesisches Erziehungsministerium
Alle, die in den Konfuzius-Instituten schon länger einen verlängerten Arm der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sehen, fühlen sich bestätigt. Als Beleg dafür galt bisher die Tatsache, dass die Institute dem Hanban unterstellt waren, einer Behörde des chinesischen Propagandaapparats (heute ist es eine Stiftung mit Sitz an der Fremdsprachen-Universität in Peking).
Doch so einfach ist es nicht. Nicht alle Institute stehen stramm, wenn in Peking jemand zum Hörer greift. Manche der 19 Einrichtungen in Deutschland genießen relative Autonomie von chinesischen Stellen und konnten bis zuletzt auch KPCh-kritische Veranstaltungen organisieren. So konnte das Autorenduo Aust/Geiges seine Xi-Biografie zuvor am Leipziger Konfuzius-Institut problemlos vorstellen. Dasselbe Institut organisierte zwei Monate zuvor auch eine Vortragsreihe zur KPCh, in der auch eine Wissenschaftlerin sprach, die auf der Sanktionsliste des chinesischen Außenministeriums stand.
Doch nicht alle genießen die Autonomie der Leipziger – und auch dort könnte es bald vorbei sein. Denn die Gründungsidee der Institute ist in Gefahr: Anders als die deutschen Goethe-Institute, die zu 100 Prozent vom Staat finanziert werden und im Ausland klar als Vermittler deutscher Traditionen erkennbar sind, sind die Konfuzius-Institute Mischorganisationen. Geleitet von jeweils einem chinesischen und einem deutschen Co-Direktor und gefüttert mit Geldern aus beiden Ländern, sind sie eine einzigartige Konstruktion. Ihre doppelte Natur zwingt sie zum Dialog: Was die eine Hand macht, muss die andere mittragen.
"Die Luft wird dünner"
Das Problem: Mit dem Aufstieg Xi Jinpings und dessen autoritärer Wende seit 2012 haben sich die außenpolitischen Prioritäten des Riesenreichs geändert. Unter Xi ist Peking weniger an Austausch interessiert als daran, auf seinen, aus chinesischer Sicht, rechtmäßigen Platz in der Weltgeschichte zurückzukehren – ganz oben in der globalen Nahrungskette.
"Die Konfuzius-Institute sind ein Produkt der Administration von Hu Jintao, dem Vorgänger Xis, als man außenpolitisch noch stärker auf Dialog setzte und weniger auf Konfrontation", sagt Philip Clart, Professor für Kultur und Geschichte Chinas an der Universität Leipzig und Ko-Direktor des Konfuzius-Instituts Leipzig.
Die Luft für die Institute werde immer dünner, da sie zunehmend zwischen zwei Fronten aufgerieben würden: einerseits durch Hardliner in der gegenwärtigen chinesischen Führung, die regionale und globale Machtansprüche erheben; andererseits durch deutsche Politiker, die "China dämonisieren und eine Rhetorik des Kalten Kriegs bemühen".
Eine "bedauerliche" Entwicklung, sagt Clart, "denn gerade in einer wachsenden Konfrontation brauchen wir dialogische Strukturen wie die Konfuzius-Institute." Aber die Unterstützung nehme ab, von deutscher wie von chinesischer Seite. "Es wäre dann ein interessantes Experiment gewesen", sagt Clart, der auffällig oft in der Vergangenheitsform spricht.
Auch für ihn, einen ausgewiesenen Unterstützer der Idee hinter den Instituten, sei die abgesagte Lesung in Duisburg und Hannover ein "Weckruf" gewesen, ein "besorgniserregender" Trend.
"Das Gras, das du heute säst, erntest du erst später"
Die Strategie, die die KPCh seither mit den Konfuzius-Instituten verfolgt, erklärt der frühere deutsche Botschafter in Peking, Volker Stanzel, mit einem chinesischen Sprichwort: "Das Gras, das du heute säst, erntest du erst später." Es gehe um eine schrittweise Ausdehnung der eigenen Einflusssphäre, so Stanzel zu t-online. "Das kann sich sehr fatal auswirken." China denke in Jahrzehnten, nicht in Jahren.
Waren die Institute mal eine willkommene Chance, die deutsche China-Kompetenz zu stärken, seien sie heute weitgehend "Propaganda-Instrumente" Pekings, so Stanzel, der im Verwaltungsrat des "Akademischen Konfuzius-Instituts Göttingen" sitzt. "In ihrer heutigen Struktur haben die Institute keine Zukunft. Ihre Weisungsabhängigkeit von der KPCh wächst. Xi Jinping beansprucht mittlerweile eine Stellung, die jede Debatte untersagt, in der er als normaler Politiker mit menschlichen Begrenzungen erscheinen könnte", so Stanzel. Also gottgleich? "Kaisergleich."
Auch der Politologe Andreas Fulda, der an der Universität Nottingham zu Wissenschaftsfreiheit forscht, verweist auf die subtile Vorgehensweise Pekings. "Die Konfuzius-Institute machen keine platte Propaganda, sondern gehen in der Regel taktisch vor. Dort arbeiten keine offenen Xi-Fanboys", so Fulda zu t-online. Nach außen bieten sie harmlose Teezeremonien und Sprachkurse, tatsächlich haben sie Einfluss auf Lehrinhalte und Unterrichtsmaterialien, sponsern Professuren und versuchen, Forschung zu kritischen Themen – etwa zu den "drei Ts" (Taiwan, Tian'anmen, Tibet) – zu unterbinden.
Selbstzensur an deutschen Unis?
Für Fulda eine alarmierende Entwicklung. "Dass das autoritäre Xi-Regime einen großen Einfluss auf Lehre und Forschung in Deutschland hat und sogar ganze Lehrstühle finanziert, ist ein Skandal. Ich frage mich, wie lange deutsche Uni-Leitungen das noch mitmachen wollen." Dadurch werde nicht nur die Wissenschaftsfreiheit ausgehöhlt. Es führe bei Wissenschaftlern oft auch zur "Selbstzensur".
Als etwa das chinesische Außenministerium im Frühjahr unter anderem gegen deutsche Chinawissenschaftler Sanktionen verhängte und sich weltweit rund 1.400 Forscher in einem Brief mit den Betroffenen solidarisierten, unterzeichneten auffallend wenige Direktoren hiesiger Konfuzius-Institute. Genau genommen nur zwei: Marc Oliver Rieger in Trier und Philip Clart in Leipzig.
Für den Politikwissenschaftler Fulda ein fatales Signal und der Beleg, wie verbreitet die Angst vor Sanktionen – etwa Einreise- oder Kooperationsverboten – bei deutschen Chinaforschern schon ist.
Erste Universitäten reagieren
Zwei deutsche Unis kappten deswegen bereits ihre Zusammenarbeit mit den Konfuzius-Instituten. Die Uni Düsseldorf ließ ihre Kooperation im vergangenen Jahr auslaufen, da man eine politische Einflussnahme zwar nicht konkret nachweisen, aber auch nicht ausschließen konnte, so ein Sprecher auf Anfrage.
Die Uni Hamburg zog 2020 nach und wird auf Nachfrage schon deutlicher: "Die grundlegende Veränderung der chinesischen Wissenschaftspolitik erlaubt es nicht mehr, ohne Weiteres und naiv an eine Kooperation auf gleichen ethischen Grundlagen zu glauben. Ein Beispiel dafür ist die Entfernung der Freiheitsgarantien aus den Leitbildern zahlreicher chinesischer Universitäten. Wissenschaft ist auf Freiheit angewiesen. Anderenfalls handelt es sich gar nicht um Wissenschaft."
2014 habe das Hamburger Institut eine Veranstaltung zum Tian'anmen-Massaker durchgeführt, das in China als Tabuthema gilt. "Kurze Zeit später wurde der chinesische stellvertretende Direktor des Instituts zurückbeordert", so eine Sprecherin zu t-online. Über einen Zusammenhang könne man nur "spekulieren".
"Es ist Spionage"
Ein ehemaliger Verantwortlicher, der nur hinter vorgehaltener Hand mit t-online spricht, nennt die Arbeit mancher Konfuzius-Institute in Deutschland schlicht "Spionage". Er habe mit einem chinesischen Co-Direktor zusammengearbeitet, der weniger an kulturellem Austausch interessiert, sondern eher mit politischem Auftrag von Peking entsandt worden sei. Der Kollege habe die chinesische Community vor Ort "sehr genau beobachtet". Wer sich wie verhält und wer sich zum Beispiel kritisch über Xi Jinping oder die KPCh äußerte.
"Spätestens hier wird es brandgefährlich. Da kommen wir ganz schnell in den Bereich von Menschenrechten hinein und die Frage, ob wir es zulassen wollen, dass China in Deutschland Kritiker ausspioniert", so der Hochschulprofessor. Viele Kollegen, vor allem Sinologen, deren Forschungstätigkeit von Verbindungen nach China abhängt, würden zu kritischen Dingen schweigen, um ihre Arbeit nicht zu gefährden. "Der chinesische Leiter des Instituts wollte mir als deutschem Hochschullehrer sagen, was ich zu denken habe." Ihm sei das egal gewesen, doch nicht alle könnten sich dem Druck erwehren.
Klar dürfe man die Institute nicht über einen Kamm scheren. "Es gibt viele tolle Chinesinnen und Chinesen dort, die an echtem Austausch interessiert sind." Das Problem sei aber, wenn China an der Spitze der Institute Parteisoldaten installiere, die eine klare Propagandamission verfolgen. "Dann hat man Lehrstühle in Deutschland, die teilweise von chinesischem Geld finanziert und von einem Gesandten Pekings beeinflusst werden. Wir müssen uns fragen, ob wir das weiter akzeptieren wollen."
Die Grenzen der Propaganda
Anscheinend möchte man das immer weniger. Der Brandbrief der scheidenden Bundesbildungsministerin Karliczek von vergangener Woche dürfte bei so einigen Uni-Rektoren eingeschlagen haben. Gut möglich, dass schon bald eine Generalrevision der Konfuzius-Institute ansteht. Vor allem die FDP hatte das Thema in der Vergangenheit auf die Tagesordnung gehoben. Die politische Einflussnahme Chinas sei "keine Überraschung", sagt der Bundestagsabgeordnete Jens Brandenburg auf Anfrage. Der Verfassungsschutz warne seit Jahren davor, die KPCh habe die Institute "von Beginn an als strategisches Instrument eingesetzt".
Der FDP-Politiker, der in den Koalitionsverhandlungen seine Parteidelegation beim Thema Bildung leitet, fordert schon länger eine Abschaffung der Institute. Auch SPD und Grüne sind auf Länderebene schon auf Konfrontationskurs gegangen. Eine mögliche Ampel könnte also Druck machen, auch wenn das Thema Bildung letztlich Ländersache bleibt.
Ex-Botschafter Volker Stanzel hat auch einen konkreten Vorschlag an die Politik: "Es ist ganz einfach: China erlaubt uns ein einziges unabhängiges Goethe-Institut. Folglich sollte es ebenso viele Konfuzius-Institute in Deutschland geben." Diese müssten zudem, analog zu den Goethe-Instituten, rein chinesische Häuser bleiben, ohne deutsche Beteiligung. "Damit jeder weiß, worauf er sich einlässt. Der Rest ist Verhandlungssache."
Einen anderen Weg geht derzeit die Universität Duisburg. Nach der Absage der Lesung durch das angeschlossene Konfuzius-Institut organisierte die Uni die Veranstaltung spontan selbst. Mehr noch: Sie plant bereits das nächste Event zu Xi Jinping. Laut einer am Donnerstag verschickten Einladung plant sie eine große wissenschaftliche Veranstaltung "über die Person und die Politik" des chinesischen Staatschefs, zu der auch ausländische Forscher eingeladen werden.
Die Ankündigung der Uni liest sich wie eine Kampfansage an die Adresse Pekings, sinngemäß: Verhindert ihr eine Veranstaltung, machen wir zwei neue.
- Eigene Recherchen
- Interview mit Volker Stanzel
- Interview mit Andreas Fulda
- Interview mit Philip Clart
- Interview mit einem früheren Konfuzius-Institutsleiter
- Anfrage bei der Uni Hamburg
- Anfrage bei der Uni Düsseldorf
- Anfrage beim Bundesbildungsministerium