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"Juden in der AfD": Weidel nennt falsche Zahlen im TV


Falsche Zahlen im TV
Weidels Juden-Bluff


04.02.2025 - 19:19 UhrLesedauer: 5 Min.
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Alice Weidel: AfD-Chefin bei "Caren Miosga". (Quelle: IMAGO/Uwe Koch/imago)
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Hunderte, sogar knapp 1.000 Juden im parteinahen Verein "Juden in der AfD"? Das behauptete AfD-Chefin Alice Weidel gerade in einer Talkshow. Das ist aber völlig falsch – und auch andere Aussagen von ihr machen skeptisch.

Es war ein unangenehmer Moment für Alice Weidel am Sonntagabend: Vor laufenden Kameras sprach Moderatorin Caren Miosga in ihrer Talkshow die AfD-Kanzlerkandidatin auf das Verhältnis ihrer Partei zu Nationalsozialismus und Holocaust-Gedenken an. Weidel reagierte, indem sie auf den Verein "Juden in der AfD" verwies. Dabei setzte sie aber Behauptungen und Zahlen in die Welt, die nicht stimmen.

Der Verein hat nämlich nicht "ein paar Hundert" Mitglieder, "schon fast im vierstelligen Bereich", wie Weidel bei Miosga sagte. Tatsächlich haben die "Juden in der AfD" nur 22 Vollmitglieder, die Juden und zugleich AfD-Mitglieder sind. Das sagte der Vorsitzende der "Juden in der AfD", Artur Abramovych, t-online am Dienstag.

Eine erhebliche Diskrepanz – und auch andere Aussagen von Weidel zu dem Verein machen skeptisch.

"Schon fast im vierstelligen Bereich"

Was genau hat Weidel behauptet? Miosga verwies in einer Frage auf den gerade stattgefundenen Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar. Er ist zugleich Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch der Bundestag erinnerte am Mittwoch an den Tag mit einer Gedenkstunde, dort hielt ein Holocaust-Überlebender eine Rede. "Wie gedenkt die AfD der Opfer?", fragte Miosga.

Weidel erklärte, dass die AfD im Bundestag der "sehr, sehr andächtigen" Rede gelauscht und "natürlich" auch Beifall geklatscht habe. Und sie betonte: "Wir gedenken dem Holocaust zusammen mit den 'Juden in der AfD', das ist eine Vereinigung bei uns".

Miosga fragte nach: "Wie viele sind das eigentlich?" Worauf die AfD-Chefin erwiderte: "Das kann ich Ihnen nicht sagen. So ein paar Hundert sind das schon. Also, sind, glaube ich, schon fast im vierstelligen Bereich."

Schon bei dieser Schätzung dürfte manch Zuhörer hellhörig geworden sein. Denn dem Bundesinnenministerium zufolge gehören nur rund 95.000 Menschen in Deutschland einer jüdischen Gemeinde an. Laut Statista soll es 2023 in Deutschland insgesamt 125.000 Juden gegeben haben. Und ein gar nicht so kleiner Teil dieser kleinen Community soll Mitglied der AfD beziehungsweise des AfD-nahen Vereins sein?

Die jüdische Community ist divers. Bei vielen jüdischen Organisationen steht aber nicht nur die AfD scharf in der Kritik, sondern auch die "Juden in der AfD". Gegen die Gründung des Vereins 2018 protestierten der Zentralrat der Juden sowie 40 weitere jüdische Organisationen mit einer gemeinsamen Erklärung. Die AfD sei "antidemokratisch, menschenverachtend und in weiten Teilen rechtsradikal", hieß es darin. Sie vertrete "keinesfalls die Interessen der jüdischen Gemeinschaft". In ihr hätten vielmehr "Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoa ein Zuhause". Der jüdische Publizist Micha Brumlik bezeichnete den Verein als "Farce".

22 Vollmitglieder und 60 Fördermitglieder

Tatsächlich hat die AfD-Chefin bei ihrer Schätzung ordentlich danebengegriffen. "Die 'Juden in der AfD' haben 22 Vollmitglieder und rund 60 Fördermitglieder", sagte Artur Abramovych t-online. Er ist seit 2021 Vorsitzender der "Juden in der AfD" und arbeitet für den AfD-Abgeordneten Jürgen Braun im Deutschen Bundestag. Bereits seit Gründung der "Juden in der AfD" 2018 war er stellvertretender Vorsitzender.

Wichtig zu wissen: Die 60 Fördermitglieder des Vereins sind nicht zwangsweise Juden und auch nicht zwangsweise AfD-Mitglieder. "Unter den Fördermitgliedern gibt es AfD-Mitglieder, die keine Juden sind, und Juden, die nicht der AfD beitreten wollen", so Abramovych. Er schätzt außerdem, dass es "mindestens 20 Juden" gibt, die Mitglied in der AfD, aber nicht Mitglied des Vereins sind.

Bedeutet also: Selbst bei optimistischster Auslegung dieser Zahlen erreichen die "Juden in der AfD" nicht einmal 100 Mitglieder. Dasselbe gilt geschätzt für die Anzahl von Juden in der Partei, auch unabhängig von dem Verein.

"Wir betreiben keine Erinnerungskultur"

Und nicht nur bei den Zahlen gibt es Grund zu zweifeln: Auch Weidels Behauptung, man gedenke in der AfD des Holocausts gemeinsam mit den "Juden in der AfD", passt zumindest nicht zur Ausrichtung des Vereins. "Wir machen keine Veranstaltungen zu Holocaust-Gedenktagen", sagte Abramovych t-online.

Das habe vor allem zwei Gründe: "Wir betreiben keine Erinnerungskultur, weil wir der Meinung sind, dass Erinnerungskultur den lebenden Juden nichts bringt. Und wir haben finanziell nur Kapazitäten für zwei Veranstaltungen pro Jahr."

Die AfD fördert die "Juden in der AfD" nicht finanziell, der Verein ist offiziell auch nie von den zuständigen Parteigremien als Gliederung der Partei anerkannt worden – ebenso wie zum Beispiel der neuere AfD-nahe Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland".

Statt den Tag der Auschwitz-Befreiung zu feiern, hätten die "Juden in der AfD" 2023 eine Veranstaltung zur israelischen Staatsgründung abgehalten, so Abramovych. "Das ist aus unserer Sicht ein weitaus geeigneterer Anlass für einen Gedenk- oder Feiertag."

Weidels Sprecher Daniel Tapp erklärt auf Nachfrage von t-online, dass am Gedenktag meist Mitglieder des Vereins sowie jüdische Vertreter aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen in die Fraktion im Bundestag eingeladen werden. Das sei auch in diesem Jahr so gewesen. Weidel habe an dem Empfang teilgenommen.

Wenig präsent, wenig aktiv

Und die von Weidel viel zu hoch gesetzten Mitgliederzahlen? Die habe Weidel wohl wegen der "gut besuchten Veranstaltungen und der erfolgreichen Netzwerkarbeit" des Vereins vermutet, so Tapp.

Dafür ist der Verein "Juden in der AfD" in der Partei allerdings eher nicht bekannt. Zum Vergleich: Der Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" gründete sich im Sommer 2023, fünf Jahre später als die "Juden in der AfD". Auch er trat zunächst kaum in Erscheinung, inzwischen war er aber bei großen Parteiveranstaltungen mit einem Stand vertreten. Führende Funktionäre wie der hessische Landeschef Robert Lambrou werben außerdem bei den Medien um Aufmerksamkeit und parteiintern um Mitglieder.

Auch beim Verein für AfD-Mitglieder mit Migrationshintergrund hielt sich der Zulauf lange in Grenzen, wächst inzwischen aber offenbar: Im Juni 2023 hatte er 36 Mitglieder, im März 2024 dann 50. In diesem Januar gab Lambrou, der auch Vorsitzender des Vereins ist, die Mitgliederanzahl mit 146 an.

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Die "Juden in der AfD" sind nicht für Stände auf Parteiveranstaltungen bekannt, unter dem Strich haben sie seit ihrer Gründung auch kein Wachstum zu verbuchen. Die jüngsten Videos auf dem Youtube-Kanal des Vereins stammen von einer Veranstaltung, die vor einem Jahr in Berlin-Pankow stattfand.

Nutzer kommentierten darunter: "Welch Überraschung nach so langer Zeit" und: "Nach 1 Jahr langes warten endlich wieder ein Video, was für eine Erleichterung das (sic!) sie noch da sind."

Verwendete Quellen

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