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Exklusiv: SPD-Chef Klingbeil legte Scholz Verzicht auf Kandidatur nahe


Machtkampf um Kanzlerkandidatur
Exklusiv: SPD-Chef Klingbeil legte Scholz Rückzug nahe


Aktualisiert am 05.02.2025 - 07:10 UhrLesedauer: 4 Min.
SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz: Nicht die erste Wahl.Vergrößern des Bildes
SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz: Nicht die erste Wahl. (Quelle: Liesa Johannssen/Reuters)
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Im Machtkampf um die K-Frage stellte sich die SPD-Spitze hinter den Kanzler. Doch intern verfolgte Parteichef Lars Klingbeil einen anderen Plan. Das zeigen Recherchen von t-online und "Tagesspiegel".

SPD-Chef Lars Klingbeil hat Olaf Scholz nach gemeinsamen Recherchen von t-online und "Tagesspiegel" wiederholt nahegelegt, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten. Nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Quellen in der SPD sowie im Umfeld der Partei wurde Klingbeil deshalb mindestens zweimal bei Scholz vorstellig.

Er trug damit den Bedenken der engeren SPD-Führung sowie mächtiger SPD-Landesverbände Rechnung, die intern für eine Kandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius als beliebtestem deutschen Politiker plädierten. Nach dem Bruch der Ampelkoalition im November 2024 und angesichts schlechter Umfragewerte des Kanzlers wurden die Chancen auf eine Wiederwahl von Olaf Scholz parteiintern als zunehmend unwahrscheinlich bewertet.

Nach Informationen von t-online und "Tagesspiegel" war die SPD-Führung, insbesondere Klingbeil und dessen Co-Vorsitzende Saskia Esken sowie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, zur Überzeugung gelangt, dass mit Scholz als Kanzlerkandidaten die vorgezogene Bundestagswahl kaum zu gewinnen sei. Scholz beharrte in den Gesprächen mit dem SPD-
Vorsitzenden jedoch auf seinem Anspruch.

Klingbeil war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Sprecherin der SPD ließ ausrichten: "Ich dementiere die Meldung. Die Darstellung ist falsch." Worauf sich das Dementi bezieht, war auf Nachfrage bis zum Veröffentlichungszeitpunkt unklar.

"Jemand muss mit Olaf reden"

Bei mindestens einem der Treffen, bei denen Scholz der Verzicht auf eine erneute Kandidatur nahegelegt wurde, war Klingbeil laut Informationen von t-online nicht alleine. So sollen am 17. November neben Klingbeil auch dessen Co-Vorsitzende Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich Scholz im Kanzleramt besucht haben.

Dem Krisentreffen in der Regierungszentrale ging eine andere wichtige Zusammenkunft voraus: Zwei Tage zuvor, am Morgen des 15. November, schaltete sich der geschäftsführende Fraktionsvorstand der SPD zusammen. Thema war laut Informationen von t-online auch hier die K-Frage, insbesondere die schwierige Ausgangslage mit einem Kandidaten Olaf Scholz.

Mehrere Teilnehmer, darunter die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Achim Post und Dirk Wiese, sollen darauf gedrungen haben, dass man auf Scholz zugehen müsse, damit dieser den Weg für Pistorius freimache. "Jemand muss mit Olaf reden", sagte ein Teilnehmer des Gesprächs.

Der Aufruf zeigte offenbar Wirkung: Direkt im Anschluss an die Schalte traf sich Fraktionschef Rolf Mützenich mit Parteichef Klingbeil und Generalsekretär Miersch, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zeitgleich beschlossen die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP im Bundestag, die "Haushaltswoche" Ende November abzusagen, da aufgrund des Ampelbruchs kein Haushalt zustande gekommen war. Das parallel stattfindende Krisentreffen der drei Spitzengenossen lässt sich auch anhand der Videoaufzeichnung der Plenarsitzung indirekt nachvollziehen: In den Reihen der SPD-Fraktion fehlten Klingbeil, Mützenich und Miersch.

Woche der Entscheidung

Doch mit dem Gang ins Kanzleramt am 17. November war die K-Frage in der SPD noch immer nicht abschließend geklärt. Am Nachmittag flog Scholz nach Rio de Janeiro zum G20-Gipfel. In den darauffolgenden Tagen wurde die Kandidatendebatte in der SPD auch zunehmend in der Öffentlichkeit ausgetragen.

Während der Kanzler in Brasilien weilte, wuchs der Druck auf ihn stetig. Noch am Tag des Abflugs der Kanzlermaschine meldete sich der Ex-Partei- und Fraktionschef der SPD, Franz Müntefering, im "Tagesspiegel" zu Wort und sprach Scholz das Vorrecht auf die Kanzlerkandidatur ab. Kurz darauf plädierten mehrere Bundestagsabgeordnete und Kommunalpolitiker öffentlich für Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten.

Ein mächtiger Landesverband interveniert

Am Mittwoch, 19. November, schalteten sich zwei einflussreiche Genossen aus NRW in die Debatte ein. SPD-Fraktionsvize und Co-Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Dirk Wiese, und Wiebke Esdar, Co-Vorsitzende der Parlamentarischen Linken (PL), erklärten in einem Statement: "Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius."

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Wiese, von 2010 bis 2013 Münteferings Bürochef, und Esdar sind zugleich Vorsitzende der NRW-Landesgruppe – der größten Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Im mächtigen SPD-Landesverband in NRW unter der Führung von Achim Post war der Zuspruch für Pistorius besonders hoch. Doch auch in anderen Landesverbänden, insbesondere an der SPD-Basis, gab es vermehrt Stimmen, die einen Kandidatenwechsel forderten.

Auch Pistorius ließ die Debatte laufen

Dass die SPD überhaupt ernsthaft das Szenario diskutierte, einen amtierenden Kanzler zum Rückzug zu bewegen, lag an ihrer schwierigen Situation. Eine Serie von Wahlniederlagen im Sommer und Herbst, dauerhaft schlechte Umfragewerte und eine gescheiterte SPD-geführte Bundesregierung hatten für viel Unmut in der Partei gesorgt. Über Monate stauten sich Frust und Enttäuschung an, bis die Zweifel an einer erneuten Kandidatur von Olaf Scholz ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Auch Pistorius hatte seinen Anteil daran, die K-Debatte am Köcheln zu halten. Bei einem Auftritt am 18. November in Passau sagte der Minister, danach gefragt, ob er eine Kanzlerkandidatur ausschließe: "In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschließen." Das Einzige, was er definitiv ausschließen könne, sei das Papstamt.

Entscheidende Krisensitzung – ohne Scholz

Doch auch wenn die SPD-Spitze mit Scholz haderte, entschied sie sich am Ende nicht für Pistorius. Eine entscheidende Krisensitzung fand am Abend des 19. November statt. Die engste Parteiführung schaltete sich kurz nach 20 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammen, auch um die Kandidatenfrage zu klären.

Der Kanzler, dessen Maschine in Brasilien kurz darauf abhob, nahm nicht daran teil. Laut Informationen von t-online sprachen die Teilnehmer der Runde zwar offen über die parteiinterne Kritik an Scholz, unterstützten am Ende aber mehrheitlich dessen erneute Kandidatur.

Am Ende ist es Pistorius, der verzichtet

Zwei Tage später, am 21. November, erklärte Pistorius schließlich seinen Verzicht. Gegen Mittag rief er Klingbeil an, um ihn darüber zu informieren. Kurze Zeit später kam Pistorius in die Parteizentrale der SPD in Berlin, das Willy-Brandt-Haus, um ein Videostatement aufzuzeichnen. Der Text war gemeinsam von Pistorius und der Parteispitze verfasst worden. In dem rund dreiminütigen Clip, der am Abend über SPD-Kanäle verschickt wurde, erklärte Pistorius seine Entscheidung und empfahl Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten der SPD.

In einer anschließenden virtuellen Fraktionssitzung nannte Pistorius zudem private Gründe für seinen Verzicht. Olaf Scholz wurde kurze Zeit später per Beschluss des SPD-Vorstands zum Kanzlerkandidaten gekürt und vom Parteitag im Januar offiziell bestätigt.

Verwendete Quellen
  • Gemeinsame Recherche mit Tagesspiegel
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